„dir ist doch hoffentlich klar, dass ich dich jetzt nicht mehr gehen lassen kann“

bemerkte er, während er dem Mädchen die Spitze des Schwertes an den Hals setzte.

Ja, das wurde Sundra schlagartig klar und sie wusste, dass sie jede Chance ergreifen musste, wenn sie überleben wollte, so zog sie blitzschnell ihre Beine an den Bauch, zielte und ließ sie mit aller Kraft nach oben schnellen. Der Tritt ging genau in Dantes Weichteile, das Schwert verfehlte ihren Hals nur um Haaresbreite und bohrte sich in den Waldboden, während Dante stöhnend auf die Knie sackte. Sundra überlegte nicht lange, befreite ihre Füße, rappelte sich hoch und rannte weiter....
Es dauerte ein paar Sekunden, bis der Henker wieder auf den Beinen war und Sundra hatte schon ein gutes Stück Vorsprung, jedenfalls dachte sie das, als sie panikartig den Hang hinunter stolperte und dann erschöpft und außer Atem an einem Baum anhielt, um zu verschnaufen. Doch ein Geräusch etwas oberhalb zwischen den Bäumen, ließ sie zusammen zucken und als dem Geräusch ein paar kullernde Steine folgten, war klar, Dante war ihr dicht auf den Fersen.
Also rannte sie weiter, aber die Angst lähmte ihre Schritte und sie hatte das Gefühl, sie würde mit ihren Füßen am Waldboden kleben bleiben. Dante kam näher, jetzt hörte sie schon seinen keuchenden Atem, nur noch wenige Meter, dann wäre es vorbei. Sie sah sich mit weitaufgerissenen Augen um, ihr langes braunes Haar klebte auf ihrer schweißnassen Stirn und ihre Hände zitterten wie Espenlaub, immer wieder dachte sie, einen Schatten hinter den Bäumen zu sehen, aber außer dem immer näher kommendem Atem war von Dante nichts zu sehen.
Dann plötzlich warf sie etwas zu Boden, sie landete auf ihrem Bauch und wurde von einem schweren Körper auf den Boden gepresst, ihr rechter Arm wurde auf den Rücken gedreht und die Spitze eines Messers bohrte sich schmerzhaft ein kleines Stück in ihren Hals

„Hab ich dich endlich“

Keuchte Dante atemlos in ihr Ohr und Sundria hatte Mühe ihre Tränen herunter zu schlucken

„Bitte tut mir nichts, ich verspreche, dass ich Euch nicht verraten werde“

„Ha, du hältst mich wohl für ziemlich dämlich“

„nein, öh...ich will nur nicht sterben“

schluchzte das Mädchen verzweifelt und ihre Tränen fielen nun ungebremst auf den moosigen Waldboden

„kein Angst, Kleine, da du mir geholfen und vielleicht sogar mein Leben gerettet hast, schulde ich dir was, daher wird dein Tod kurz und schmerzlos sein“

„bitte bitte....töte mich nicht....ich bin doch noch so jung....ich tu alles, was Ihr verlangt....aber lasst mich bitte leben...bitte“

flüsterte Sundria erstickt unter Tränen. Dante dachte einen Moment nach, dann nahm er den Dolch von ihrem Hals, stand auf und zog sie an ihrem Arm mit nach oben.

„gut, ich lasse dich leben....vielleicht kannst du mir wirklich noch von Nutzen sein, wenn ich die Stadttore passieren muss, aber ich warne dich, ein einziger Fluchtversuch, und du stirbst....und glaube mir, dann werde ich dir für deinen Tod keinen Bonus einräumen“

sagte er seltsam lächelnd und wischte ihr dabei fast zärtlich mit der Hand die Tränen und den Dreck von den Wangen

„mach dein Haar zurecht und seh nett aus, dort unten ist eine Straße. Wir nehmen die nächste Kutsche zur Stadt und du wirst dich als meine Verlobte ausgeben, ist das klar?“

„ja“

„ja wer?“

„ja...Dorian...“

“gutes Kind, und nun los, beweg dich schon“

befahl er ihr freundlich aber bestimmt und schob sie mit dem Dolch vor sich her. Sundria stolperte wie in Trance den Hang hinunter auf den Waldrand zu, sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, zwar war sie noch am Leben, aber was würde sie jetzt erwarten? Wäre es vielleicht doch besser gewesen, sich kurz und schmerzlos töten zu lassen?
Andererseits, auch wenn sie nicht verstand, warum das so war, war sie froh, in seiner Nähe zu sein, und zu leben...
Sie warf einen vorsichten Blick hinter sich, denn Dantes Stöhnen war nicht mehr zu überhören, er hielt sich die schmerzende Seite, offensichtlich war die Jagd quer durch den Wald zuviel für seine schweren Verletzungen gewesen und die Bauchwunde hatte sich erneut geöffnet, unter seiner Hand färbte sich der Stoff des Hemdes dunkelrot.
Sein Gesicht war schweißgebadet und bleich und das Spiel seiner Wangenmuskeln verriet, dass er die Zähne zusammen biss. Ein kurzer Gedanke an Flucht ging ihr durch den Kopf, aber irgendetwas hielt sie davon ab, den Gedanken weiter zu denken.
Wieder sah sie sich nach Dante um, der jetzt keuchend an einen Baum gelehnt einen Augenblick verschnaufte

„was siehst du mich so an?“

„ich....ich weiß nicht....Euer Wunde....sie blutet wieder...“

„was geht es dich an? Sieh nach vorne, sonst stolperst du!“

erwiderte er düster und humpelte weiter der Straße am Waldrand entgegen. Als sie dort angekommen waren sah sich Dante in alle Richtungen um, er hatte keine Ahnung, wo er sich hier befand, die Gegend war ihm völlig unbekannt.

„du kennst dich hier doch aus nehm ich an....in welcher Richtung liegt die Stadt?“

„Richtung Süden, wir müssen nach links......seid Ihr sicher, dass Ihr es schafft?“

Dante sah Sundria schräg von der Seite an

„mach dir keine Hoffnungen, Kleines, ich bin zäh. Du solltest solche Gedanken lieber ganz tief vergraben, außerdem höre ich schon eine Kutsche kommen“

„ich höre gar nichts....und gedacht habe ich auch nichts.....ich mache mir nur Sorgen, das ist alles“

„hmm...klar, Sorgen, dass du nicht fliehen kannst“

bemerkte Dante gereizt und schleppte sich mühsam die Straße entlang ohne das Mädchen vor ihm aus den Augen zu lassen. Eine Weile gingen sie wortlos nebeneinander her. Sundra hing ihren Gedanken nach, die sie noch immer nicht zu ordnen vermochte.
Sie verstand es selber nicht, warum ihr der schlechte Zustand des Henker so nahe ging, aber es war, als hätte sie jemand verhext, als würde jemand versuchen, ihre Gefühle zu kontrollieren.
Vor ein paar Stunden noch hatte die bloße Erwähnung des Henkers noch eine Welle des Hasses in ihr ausgelöst, aber jetzt, wo sie ihn so schwach und verletzt vor sich sah, viel es ihr schwer, diesen Anblick mit ihrer Vorstellung des grausamen und gefürchteten Mannes in Einklang zu bringen. Wieder wagte sie einen zaghaften Blick auf ihren Begleiter, der sich jeden Schritt mit verbissener Miene erkämpfte

„was kuckst du schon wieder so?“

Dante behangte der misstrauische Blick des Mädchens überhaupt nicht

„seid Ihr wirklich der Henker?“

„nein, ich bin der Milchmann“

erwiderte er mürrisch und zog sich die Kapuze über den Kopf

„so, die Kutsche ist nicht mehr weit, zieh deinen Rock mal etwas höher und sei hübsch...und denk dran, was ich dir über Fluchtgedanken jeglicher Art gesagt habe!“

ja, jetzt hörte Sundra auch das Getrappel der Pferdehufe, aber es war noch so weit weg, dass sie sich fragte, wie Dante das Geräusch schon vor so langer Zeit hatte hören können. Dennoch tat sie, was er sagte und krempelte ihren Rock so hoch, dass man ihre schlanken Beine gut sehen konnte, rückte ihr Cape zurecht und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Dante sah sie zufrieden an, band seinen Mantel vorne zusammen und legte dann seinen Arm um ihre Hüfte, verbarg ihn aber so, dass man nicht sehen konnte, dass der Dolch unter dem Cape zwischen ihren Rippen ruhte...
Die Kutsche war jetzt direkt hinter ihnen und hielt an, als Dante mit seiner Hand ein Zeichen gab

„Guten Morgen der Herr! Habt Ihr vielleicht zwei Plätzchen frei für meine Verlobte und mich? Wir müssen in die Stadt....wir wollen uns trauen lassen, wisst Ihr?“

Der Kutscher besah sich das Paar skeptisch, dann zog er die Schultern nach oben und deutete hinter sich

„von mir aus, springt auf die Ladefläche, aber macht mir da nichts kaputt, ich will den Kram noch auf dem Markt verkaufen“

Dante bedankte sich freundlich, schob Sundra zwischen die Säcke und Krüge, die auf der Ladefläche der Kutsche standen und kletterte hinterher. Mit eine erschöpften Seufzen ließ er sich gegen zwei Kornsäcke fallen und presste wieder seinen Arm in die Seite. Sundra betrachtete ihn mit gesenktem Blick, irgendwie wollte es ihr nicht in den Kopf, dass dieser Mann verantwortlich war für das Leid so vieler Menschen....und dass er ihren Vater umgebracht hatte. Der Gedanke an ihren Vater verursachte einen Kloß in ihrem Hals und eine unbeschreibliche Wut trieb ihr die Tränen in die Augen und sie verbarg ihr Gesicht in ihren Händen

„was hast du jetzt schon wieder? Hör auf zu heulen, was soll denn der Kutscher von dir denken, wenn er dich so sieht?“

Sundra wischte sich leise schluchzend die Tränen aus dem Gesicht und sah betroffen vor sich auf de Boden...
...

„Du hast meinen Vater umgebracht, du Mörder!“

unterbrach sie nach einer Weile das Schweigen ohne aufzusehen. Dante sah sie an, seine Gedanken kramten in der Vergangenheit

„Waldmann sagtest du? Burkhart Waldmann?....
Ja, ich erinnere mich an deinen Vater, er war ein Jammerlappen, er hat sogar noch um Gnade gefleht, als ich ihm die Zunge herausgerissen habe, und wäre er nicht auf der Streckbank verblutet, hätte der Richter ihn sowieso hinrichten lassen.“


„Aber...er war unschuldig, mein Vater hat noch niemals irgendjemandem etwas zu Leide getan“

„Er hat staatsfeindliche Hetzparolen und Graffitis auf die Schlossmauer geschmiert, es hat Tage gedauert, bis er sie wieder entfernt hatte.“

„Mit auf den Rücken gebundenen Händen und nichts weiter, als seiner Zunge, war das ja auch kein Wunder.“

„Na hör mal, ICH kann doch wohl nichts dafür, dass er sich strafbar gemacht hat.“

Erwiderte Dante empört

„Ihr...Ihr seid ein Scheusal!“

„und du solltest dich besser für den Rest der Fahrt geschlossen halten, wenn du überleben willst“

beendete der Henker mürrisch das Gespräch, wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß aus dem Gesicht und betrachtete düster seine blutgetränkte Seite. Sundrias Blick verfing sich in den Staubwolken, die sich hinter der Kutsche auf der Straße bildeten....in einer halben Stunde hätten sie das Stadttor erreicht....und was war dann?