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Ritter
The Dark - Das Dunkel
Am 23. Oktober 1993 ging ein kleiner Junge namens Jack Crawford die Jackson Street entlang und lutschte genüsslich an seinem Lollipop. Er war erst 14 Jahre alt und gross für sein Alter. Die meisten Leute schätzten ihn auf ca. 16-18 Jahre, auch sein Vater, der ihn fünf Jahre nicht gesehen hatte, meinte auch, das er schon viel älter aussehe.
Sein Vater hatte sich von seiner Mutter getrennt und dann, nach fünf turbulenten Jahren, in denen er mit seiner Mutter hierhin und dorthin gezogen war, eines morgens, stand er wieder vor der Tür.
Seine Mutter hatte ein Glas Orangensaft in der Hand gehalten und es beinahe fallen gelassen.
"Morgen.", sagte John in einem nicht unfreundlichen Ton. Cindy hatte erst einmal gar nichts gesagt, sie hatte ihren Ex-Mann einfach nur fassungslos angestarrt und als Jack durch die Tür kam und neben sie trat, hatte sie geschrien: "Was erlaubst du dir einfach so wieder aufzutauchen? Ich sagte, ich will dich nie mehr sehen und Jack will das auch nicht! Nach fünf Jahren ohne Kontakt mit uns, tauchst du hier einfach eines morgens so mir nichts dir nichts wieder auf?" Jacks Mutter war ausser sich vor Wut, sie war rot angelaufen und hatte die Fäuste so fest geballt, das ihre Fingernägel tief in ihre Haut schnitten.
Jack hatte seinen Vater nicht angesehen, er konnte es nicht. Dieser Mann hatte zu viel Leid in sein Leben gebracht. Doch Jack hatte den Blick dieser glasklaren kalten Augen auf sich ruhen gespürt. John hatte gefragt, ob er kurz reinkommen könne. Er war völlig cool geblieben, trotz des heftigen Wutanfalls von Cindy. Cindy hatte ihn noch einmal zurechtgewiesen, doch dann trat sie ihm trotzdem aus dem Weg und öffnete die Tür. Jack war rasch ins Haus gegangen und John hatte hinter ihm gesagt: "Darf ich dich nicht noch einmal in den Arm nehmen, mein Junge?" Doch Jack hatte sich nicht umgedreht und war auf sein Zimmer gegangen.
Cindy und John hatten etwas wichtiges zu bereden. Jack hatte in seinem Zimmer gesessen und auf die sonnenüberflutete Strandpromenade hinausgeblickt.
Jack blickte auf seine Uhr. Viertel nach drei. Um vier musste er zu Hause sein. Seine Mutter hatte ihn AUSDRÜCKLICH darauf hingewiesen. Irgendetwas war gestern passiert. Irgendetwas hatte John seiner Mutter gesagt. Irgendetwas das nichts gutes war. Als sein Vater nach ca. 2 Stunden wieder verschwand, war seine Mutter den ganzen Tag schlecht gelaunt und irgendwie gestresst gewesen. Auch heute morgen hatte sie noch einen solchen Eindruck auf Jack gemacht. Was hatte sein Vater ihr gesagt?
Jack schritt langsam die Jackson Street entlang. Sein Lollipop drehte sich wie ein Propeller. Es wurde langsam Herbst und die strassen waren wie leergefegt. Jack kam sich einsam und verlassen vor. Der Wind wirbelte braune Blätter vor seinen Füssen auf und trieb sie der Strasse entlang hinunter zum Meer. Jack ging am Einkaufszentrum vorbei, das normalerweise voller Leben und kauffreudigen Leuten war, doch heute war niemand hier. Der Himmel hing grau über Jacks Kopf und grosse Wolken ballten sich auf.
Jack schaute in diesen unfreundlichen Himmel hinauf und dachte darüber nach, was er in den letzten fünf Jahren mit seiner Mutter durchgemacht hatte. Das ständige Weiterziehen, das Suchen nach einer neuen Wohnung und einem neuen Job, bei denen es Cindy meistens nicht lange aushielt.
Sie hatten wenig Geld und darum mussten sie sich ziemlich durchschlagen, damit sie im Leben durchkamen. John zahlte seine Alimente immer, doch das Geld reichte nicht weit. Jack hatte nie genau begriffen, wieso seine Mutter so oft die Wohnung wechselte. Es war, als würde sie vor etwas oder jemandem flüchten. Aber vor wem?
Jack war so vertieft in seine Gedanken, das er den alten Mann nicht bemerkte, der neben der Eingangstür des Einkaufzentrums am Boden sass. Beinahe wäre er über dessen ausgestrecktes Bein gestolpert.
"Halte deinen Weg immer vor Augen", sagte der Mann, ein alter Schwarzer mit grauen Haaren und zerfurchtem Gesicht. Ein freundliches Lächeln umspielte seine Lippen. Als er die Worte sprach, wippte die Zigarette im Mundwinkel auf und ab.
"Entschuldigen Sie", sagte Jack freundlich und stieg über das Bein hinweg.
"Brauchst dich nicht zu entschuldigen, Jack", meinte der Mann und seine Augen fixierten die von Jack.
Ein kalter Schauer lief Jack den Rücken hinunter. Woher kannte ihn dieser alte Mann?
"Wer sind Sie?", fragte Jack vorsichtig.
"Morgan Goldwick ist mein Name, aber das tut nichts zur Sache", sagte der Schwarze und machte eine wegwerfende Handbewegung, so als bedeute ihm sein eigener Name überhaupt nichts. "Du schleppst eine Bürde mit dir herum, Jack. Willst du mir davon erzählen?"
Eine Bürde? Was für eine Bürde schleppte er mit sich herum?
Jack wusste irgendwie, das die Bürde irgendetwas mit dem Gespräch zwischen John und Cindy zu tun haben musste.
"Ich weisst nicht wovon Sie reden", sagte Jack.
Morgan drückte die Zigarette auf dem Boden aus und spickte sie in den nächsten Abfalleimer. "Treffer", schmunzelte er und wandte sich dann wieder Jack zu. "Also was ist? Erzählst du mir davon?"
"Ich weiss nicht was Sie meinen", sagte Jack nocheinmal und Morgans Lächeln wurde noch grösser.
"Dann wirst du es noch früh genug erfahren. Ich kann dir nicht viel sagen, nur soviel ich weiss", meinte Morgan geheimnisvoll. "Es geht um deinen Vater. Um deinen Vater und dich, und um deine Mutter."
"Was ist mit ihnen?", wollte Jack wissen und ein leiser Anflug von Panik war in seiner Stimme zu hören.
"John will deine Mutter töten, Jack. Sie besitzt etwas das er braucht." sagte Morgan und das Lächeln verschwand von seinem Gesicht.
John will Cindy töten? Wieso? Warum? Jack hatte plötzlich Angst. Was wusste der alte Mann?
"Was meinen Sie mit der Bürde?", fragte Jack ängstlich, doch er wünschte er hätte nicht gefragt.
"Du musst sie retten, Jacky mein Junge. Sie darf nicht sterben.", flüsterte Morgan. "Sie dürfen sie nicht kriegen."
"Wer darf Cindy nicht kriegen? Und wieso will John meiner Mutter etwas antun?", Jack brach fast in Tränen aus. Seine Hände zitterten, aber nicht wegen der Kälte, sondern weil er Angst hatte. Die Angst schlich um ihn wie ein Raubtier, das jederzeit zupacken konnte.
"Du hast Fragen, Jacky, das ist klar. Aber ich kann sie dir nicht beantworten, nicht jetzt, mein Junge.", Morgan flüsterte immer noch, doch er hatte keine Angst wie Jack. Er sprach nicht laut, weil er wollte das niemand sie hörte, obwohl weit und breit niemand da war.
"Ich...", Jack wurde von Morgan unterbrochen: "Geh nach Hause Jacky. Geh zu deiner Mutter und sehe nach ihr. Sie braucht dich."
Jack wollte noch etwas sagen, doch dann blickte er Morgan noch einmal an und Morgan lächelte wieder. "Geh jetzt.", flüsterte Morgan und zeigte die Jackson Street hinauf.
Jack setzte sich in Bewegung. Anfangs ging er langsam, dann immer schneller. Er hatte das ungute Gefühl, das etwas mit seiner Mutter passiert war. Nein, er wusste es sogar.
Als er schon rannte und es anfing zu regnen, blickte er noch einmal über die Schulter zum Einkaufszentrum zurück. Morgan war verschwunden.
Jack bog keuchend in die Callway Avenue ab. Der Regen war heftiger geworden und hatte ihn bis auf die Unterwäsche durchnässt. Er fröstelte und der Wind trieb im kaltes Regenwasser ins Gesicht.
Dann kam er bei dem alten Wohnblock an, in dem er und seine Mutter ein Appartment bezogen hatten. Er öffnete die Tür mit seinem Schlüssel und betrat das dunkle Gebäude.
Sie wohnten im sechsten Stock, also nahm Jack meistens den Lift. Die Treppen waren ihm zu anstrengend.
Jack drückte auf den Knopf, der den Lift herunterfahren liess. Mit einem Piepen öffneten sich die Türen und Jack fuhr hinauf in den Sechsten.
Die Türen öffneten sich und ein Blitz fuhr vom Himmel und schlug unweit des Gebäudes in einen Baum. Der Donner war ohrenbetäubend laut.
Jack ging schnell zu ihrer Wohnung und als er vor der Tür stand überkam ihn eine schreckliche Gewissheit. Seine Mutter würde nicht da sein.
Hastig öffnete Jack die Tür und brauchte einige Sekunden, bis er den Schlüssel wieder in seine Tasche gesteckt hatte.
Die Wohnung war dunkel. "Hallo!", rief Jack in die Dunkelheit hinein. "Mama?"
Er bekam keine Antwort und Entsetzen ergriff ihn. Er hatte Recht gehabt, sie war wirklich verschwunden. Verschwunden? überlegte sich Jack. Sie konnte auch Einkaufen gewesen sein und das Gewitter hatte sie überrascht.
Sie würde bald hier sein, beruhigte sich Jack.
Er knipste das Licht an und ging in die Küche. Ein Blatt Papier lag dort auf dem Tisch und Cindy hatte darauf geschrieben:
Bin Einkaufen. Zurück um ca. halb vier. Kuss Cindy
Halb vier? Jack blickte auf die Uhr. Es war schon viertel vor. Cindy war sonst immer früher zurück, als sie sagte.
Jack wurde wieder von Panik ergriffen. was war Cindy passiert? Wieso war sie nicht hier?
Er starrte den Zettel noch einige Sekunden mit schreckgeweiteten Augen an und liess sich dann auf einen der Stühle fallen, die um den Tisch herumstanden.
Er sass da und wartete, wartete auf seine Mutter. Doch auch um Vier Uhr war sie noch nicht erschienen. Jack stand auf und ging zum Fenster, der Regen prasselte heftig dagegen und zog graue Schlieren.
Das Gewitter war genau über ihm. Blitze fuhren herunter, einer nach dem anderen, und ein milchiges Licht kam mit ihnen.
Der darauffolgende Donner liess Jack jedesmal leicht Zusammenzucken.
Wieder fuhr ein Blitz herunter und Jack erblickte eine Gestalt in einem schwarzen Overall und Kapuze unten auf dem Platz. Die Gestalt war nicht sehr gut zu erkennnen, sie stand unter einem Baum, dessen Äste vom Wind hin und her bewegt wurden.
Plötzlich blickte ihn die Gestalt an, Jack war sich fast sicher, das es sich um einen Mann handelte. Dann setzte sie sich in Bewegung, ging schnellen Schrittes über den Platz auf die Eingangstür zu.
Er kommt hinauf, er kommt hinauf in den Sechsten, sagte eine kalte Stimme in Jacks Kopf. Jack drehte sich um und suchte nach einem Versteck.
In der Wohnung bist du nicht sicher, sagte die kalte Stimme wieder und lachte ihn aus. Die Panik entfachte sich nun vollends. Jack stürmte zur Tür und in den Flur hinaus.
Das Piepen ertönte und die Lifttüren öffneten sich. Jack konnte nur einen nassen schwarzen Stiefel erkennen, dann wirbelte er herum und rannte auf die Treppen zu. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, hastete er hinunter.
Hinter sich hörte er die polternden Schritte der schwarzen Gestalt.
Hoffe die Geschichte ist irgendwie spannend. Nächster Teil kommt gleich ...
Geändert von deserted-monkey (15.09.2006 um 11:27 Uhr)
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