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Thema: Endlosgeschichte

Baum-Darstellung

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  1. #10
    Orbitalia war ein Paradies. Sie war reich, diese Stadt. Die Händler, die hierher kamen, waren keine armen Schlucker, die ihre Siebensachen versetzen mussten, um am Abend etwas zu knabbern zu haben. Es wurde nur mit den besten und seltensten Waren gehandelt, die auf Lestania zu finden waren. Die Stadtverwaltung sorgte für die Einnahmen, die an sie für die Handelsrechte abfielen, gut für ihre Bürger, indem sie ausgezeichnete Gasthöfe und Raststätten bauen ließ, die Wasserversorgung und die Straßen in Schuss hielt. Wenn man sich nicht zu weit vom Stadtzentrum entfernte, konnte man der Illusion aufsitzen, jeder Mensch müsste hier im Überfluss leben. Doch unweit des schönen Glanzes gab es Armut, Hunger, Korruption, Verbrechen. Und eine Diebesgilde, die insgeheim viele Fäden in der Hand hielt, mehr Kontrolle hatte, als so mancher glauben mochte. Es war hart, dort Mitglied zu sein. Aber auch sehr lohnend.
    Und nun hatte das alles ein Ende. Die Teleron hätten besser auf ihr Juwel aufpassen sollen.
    “Ich seid wohl etwas nachlässig geworden, auf euren Speck aufzupassen, ihr Ratten!”, sagte der Mann, der Vince gegenüberstand. Er erkannte ihn wieder. Es war derselbe Mann, der ihn und Saris damals in der Villa gefangengenommen hatte. Er hatte sich ihm als Anführer der Grau-Gilde vorgestellt.
    Der Mann lachte.
    “Erkennst du das hier wieder?”
    Er warf Vince ein blutiges Etwas mit Haaren vor die Füße. Blut spritzte an seine Hosenbeine. Er musste schlucken. Es war Jaylal´s Kopf!
    “Ich muss dir danken, Vince. Wirklich, eine reife Leistung.”, sagte der Mann mit einem zynischen Unterton. “Wenn du Gerry nicht erledigt hättest, der so langsam anfing, seltsam zu werden, hätte ich wohl Probleme bekommen. Und dann dein Verschwinden aus der Stadt! Ein Meisterstück. Jaylal hat dich wirklich vermisst. Er hat ein Drittel seiner Leute ausgeschickt, um sein verlorenes Schaf zurückzuholen.” Er grinste breit. “Du siehst ja, womit er seine Unachtsamkeit bezahlt hat.”
    Eine Woche. Nur eine traurige Woche hatte es gedauert, die Gilde zum größten Teil auszulöschen. Vince erreichte am dritten Tag nach dem Angriff die Stadt. Schon zu dieser Zeit waren die Kämpfe in den Straßen voll ausgebrochen. Am Tag verdeckt, in der Nacht offen. Das Schlimmste, was sich der Meuchelmörder bis dahin hatte vorstellen können, war eine ordentliche Abreibung durch Jaylal für sein Verhalten und vielleicht ein, zwei Tage im dunkelsten Loch, das man finden konnte. Doch dazu kam es nicht.
    Als Vince gemerkt hatte, was da ablief, suchte er nach Gildenmitgliedern. Er fand Hagro und Kiesel verbarrikadiert in einem Keller. Mit ihnen zusammen suchten sie nach anderen und bekämpften ihre Gegner, so gut sie konnten. Doch es waren zuviele. Es schien, als würden sie nachts aus allen Spalten kriechen. Es war fast unmöglich, einen alleine zu erwischen und unschädlich zu machen. Denn mittlerweile hatten sie keine andere Wahl mehr, als aus dem Hinterhalt anzugreifen, da für einen offenen Kampf die Leute fehlten. Als dann auch noch Jaylal gefangengenommen wurde, sank die Kampfmoral langsam aber sicher auf Null. Die Gilde der Teleron war geschlagen...
    Vince spuckte Gift und Galle. Wenn ihn nicht zwei starke Handlanger festgehalten hätten, wäre er diesem Frettchen an die Gurgel gesprungen und hätte dasselbe mit ihm gemacht, was dieser Jaylal angetan hatte. Dieser geleckte Kerl war aalglatt. Seine ganze Art war Vince zuwider. Er wirkte kein bisschen stark. Zumindest körperlich. Doch hinter seiner grinsenden Maske konnte man eine Skrupellosigkeit vermuten, die seinesgleichen suchte.
    “Du verdammter Feigling! In einem offenen Kampf gegen uns hättet ihr alt ausgesehen!”
    “Möglich. Also warum ein Risiko eingehen?”, meinte der Angesprochene amüsiert. “Es ist nicht unser Stil, mit euch... Gesindel eine öffentliche Keilerei zu veranstalten. Unsere Organisation funktioniert etwas... subtiler."
    "Das heißt dann wohl: Ihr scheißt auf die Gaunerehre! Sagt mir Euren Namen, damit ich weiß, auf was ich zu spucken habe! Oder seid Ihr nichtmal dafür Manns genug?", rief Vince erbost.
    Der elegant gekleidete Mann machte eine herablassende Geste. "Tz. Gaunerehre? Sich in stinkenden Kneipen die Köpfe einschlagen? Genau diese Gaunerehre hat euch jetzt im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf gekostet. Gibt dir das nicht zu denken, Vince?" Als keine Antwort folgte, fuhr er fort: "Aber keine Angst. Wir werden uns sehr gut um Orbitalia kümmern. Euer Speck ist bei uns in den besten Händen. Leider,” der Mann setzte ein gespielt betroffenes Gesicht auf, “müssen wir noch ein paar Säuberungsaktionen durchführen, bevor wir uns hier wirklich wohl fühlen.”
    Er griff an seinen Gürtel und warf Vince seinen Dolch vor die Füße.
    “Da du ja jetzt offensichtlich der Chef des Haufens bist, mache ich dir einen Vorschlag: Ich werde euch am Leben lassen. Ich halte nicht viel davon, mir an geschlagenen Gegnern auch noch die Hände schmutzig zu machen. Die Bedingung lautet: Ihr lasst euch nie wieder in Orbitalia oder Umgebung blicken. Ihr könnt euch ja denken, was sonst passiert...”
    Vince überkam eine ohnmächtige Wut, doch er erwiderte nichts. Dieser Kerl konnte es sich tatsächlich leisten, den traurigen Rest der Gilde am Leben zu lassen. Nach Vince´ Schätzungen waren vielleicht noch zwanzig Mann am Leben. Und aufgrund der Tatsache, dass der Führer der Grau-Gilde die Bedeutung des Dolches und seinen Namen kannte, mussten noch dazu ein paar Verräter übergelaufen sein.
    “Was denn?”, sagte der Mann, als er Vince´ wutverzerrtes Gesicht sah. “Wütend, dass ich euch am Leben lasse? Ein bisschen Dankbarkeit wäre wohl eher angebracht.”
    Er grinste diabolisch. Ein harter Schlag auf den Hinterkopf des Mörders ließ ihn zu Boden sacken.

    Geändert von RPG-Süchtling (06.04.2003 um 03:39 Uhr)

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