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Ritter
Wenn ein Halbengel stirbt, dann weint der Himmel.
Der Wind heult und die Bäume beugen sich in tiefem Gram.
Es stirbt ein Stück des Himmels, der sich dunkelrot färbt und zur Erde fällt.
Die Welt hört für einen Pulsschlag auf, zu existieren.
Und die Erde tut einen Seufzer.
Wenn ein Halbengel stirbt.
Entsetzt starrte Drafco aus seinem Versteck auf die Stelle, an der das Wesen mit den Flügeln verschwunden war. Diese lodernde, heulende und blutende Gestalt. Welch ein grausames Schauspiel. Unwillkürlich erinnerte er sich an dieses alte Stück Literatur und er erwartete jeden Moment, dass die beschriebenen Dinge passierten. Doch es tat sich nichts weiter, als dass ein paar Pfeile in einem Häuserdach landeten.
Langsam erhob sich der Gelehrte. Er konnte nicht glauben, dass dieser Kampf keinem aufgefallen war. Doch die meisten Menschen hatten sich in ihren Häusern verkrochen. Nur ein paar Soldaten, mit Ausrüstung über der Schulter, starrten ebenfalls auf die Stelle, bevor sie wie benommen weitertorkelten. Keiner kam den Verletzten zu Hilfe, die auf dem Boden lagen, und niemand schien die Person zu bemerken, die sich vom Platz des Geschehens entfernte.
Zögerlich näherte sich Drafco dem Katzenwesen, das an einer Häuserwand lag. Er streckte seine Hand aus und berührte sie am Arm.
“He, komm zu dir.”, sagte er leise. Seine Worte gingen in dem Treiben um ihn fast unter.
Langsam öffnete Sith ihre Augen.
“Was..?”, begann sie. Sie stützte sich auf und sah sich um. “Wo... wo ist dieser Halbengel? Athanasia? Meles?”
Doch Drafco war schon bei Dalyana und versuchte, sie ebenfalls aufzuwecken. Diese schreckte hoch, als er sie anfasste, und bewegte sich, so schnell sie konnte, zu Jack hinüber, als sie ihn erblickte.
Die Dunkelelfe beugte sich über ihn. Der Krieger war noch bei Sinnen. Allerdings war er sehr schwach und kurz davor, in die Dunkelheit hinüberzugleiten.
“Sa... ris.”, flüsterte er schwach.
Dalyana sah sich um. Selbst, wenn der Magier noch in der Nähe gewesen wäre, hätte sie ihn in dem Getümmel vermutlich nicht ausmachen können. Sie hatte ihm seine Geschichte zu keinem Zeitpunkt abgekauft. Meles hatte Jack offensichtlich gebraucht, um diesen Halbengel anzulocken und zu vernichten.
Sie schüttelte den Kopf. Im Grunde hatte sie nichts gegen das Mitglied des Lah´yar-Ordens. Im Gegenteil. Er hatte ihr schließlich dazu verholfen, ihre wahre Identität zu finden. Doch er benahm sich rücksichtslos bei der Verfolgung seiner Ziele, wie die auch immer aussehen sollten. Bei ihrer nächsten Begegnung würde sie ihn zur Rede stellen.
Eine Hand fasste nach Dalyana´s Schulter.
“Wir sollten von der Straße verschwinden. Es wird langsam brenzlig.”, meinte Sith und sah sich nervös um.
Die Dunkelelfe nickte. “Na los! Helft mir, ihn in den nächsten Gasthof zu schaffen. Oder zumindest aus der Reichweite dieser schießwütigen Hobgoblins!”
“Wir können unsere Mission vergessen.”, sagte Dalyana. “Wenn die Stämme im Norden wirklich wieder in den Krieg gezogen sind, haben wir keine Chance, unbeschadet durch ihr Gebiet zu kommen. Und wenn es keinen Krieg gibt, möchte ich mal wissen, was der Grund für diese Belagerung ist.”
“Ich hatte sowieso Bedenken wegen dieses Unternehmens, Abenteuer hin oder her.”, warf die Hengeyokai ein. “Niemand spielt hier mit offenen Karten. Auch diese Lila nicht.”
“Lira. Aber ich muss dir Recht geben. Wir müssen sehr aufpassen, wem wir trauen. Selbst Meles hat sich sehr seltsam benommen.”
Drafco saß auf einem Stuhl und betrachtete besorgt den Krieger, der auf dem Bett lag und nur seht notdürftig versorgt werden konnte. Die medizinischen Güter waren komplett auf den Marktplatz verlagert worden, wo man bei einem Angriff die Verwundeten hinbrachte. Mehr als ein Fläschchen Gallamextrakt und ein paar Stoffstreifen konnten sie dort nicht entbehren. Damit konnten sie zwar die Blutungen stoppen, aber die Genesung würde eine lange Zeit in Anspruch nehmen.
Dalyana schaute verärgert aus dem Fenster und verschränkte die Arme. “Es gibt noch die Möglichkeit, den Seeweg zu nehmen. Ich wüsste allerdings keine Route, die am Feuergebirge vorbeiführt.” Sie drehte sich um. Ihr Blick fiel auf Jack. “Und soweit ich das sehe, werden wir hier eine lange Zeit ausharren müssen. Wer weiß, was Ceredrie oder die Nairio in dieser Zeit alles anstellen?” Ihr Blick traf den von Sith, die aufmerksam lauschte. “Wir sind jetzt sehr verwundbar. Wenn Lira will, dass wir ihren Auftrag zu Ende führen, muss sie uns helfen.”
Das Katzenwesen lächelte gequält. “Ich fürchte, wir waren zu keiner Zeit mehr als ein Spielball dieser Mächte.”, meinte sie verächtlich.
Dalyana sah aus, als dachte sie gerade an etwas anderes. “Damals, in der Wüste, als wir Jack nach dem Kampf fanden, und er so seltsam ausgesehen hatte, hast du zu ihm gesagt: “Du siehst aus wie damals.””
Sith bestätigte das mit einem Nicken.
“Was hast du damit gemeint?”
“Hm? Ach, stimmt ja, Du warst ja bei dem Kampf gegen Gerry gar nicht dabei...”
“Was ist damals passiert?”
Die Hengeyokai erzählte der Dunkelelfe jedes Detail des faszinierenden Kampfes damals in Orbitalia. Sie schmückte es da und dort etwas übertrieben aus, aber Dalyana hörte mit wachsendem Interesse zu. Auch Drafco lauschte aufmerksam. Als Sith geendet hatte, sah die Drow besorgt zu dem Verletzten hinüber.
“Dann ist es bereits so weit fortgeschritten...”
Sith wurde hellhörig. “Fortgeschritten? Was?”
“Du weißt, dass er damals von einem Dämon verletzt worden ist?”
“Ja.”
Sie strich dem Krieger über den Kopf. “Für jeden Normalsterblichen hätte diese Berührung ausgereicht, ihn verrückt werden zu lassen. Es hätte ihn in den Wahnsinn getrieben - und dann in den Tod. Er wäre zu einem Nairio geworden. Doch Jack ist offensichtlich kein normaler Mensch.”
“Das kannst du laut sagen.”, warf Sith ein.
“Ich hatte leider keine Ahnung, wie sehr diese Verletzung ihn beeinflusst. Aber nach deiner Erzählung ist es schlimmer, als ich befürchtet hatte.”
“Du willst doch hoffentlich nicht andeuten, dass er zu einem dieser willenlosen Monster wird?”, fragte Drafco entsetzt.
“Ich weiß es wirklich nicht. So ein Fall ist mir noch nie untergekommen.”
“Dann müssen wir ihm helfen! Gibt es nicht jemand, der ihm von diesem Dämonengift befreien kann?”, maunzte die Hengeyokai.
“Das Problem ist, dass dieses Gift nicht durch seine Adern pulsiert, sondern seinen Geist und seine Seele vergiftet. Kein normaler Heilkundler könnte...”
“Die Reinigung der Seele.”, sagte der junge Gelehrte plötzlich.
“Wie bitte?”, sagten die Dunkelelfe und Sith wie aus einem Munde.
“Die Reinigung der Seele ist ein altes Ritual, das von einer Sekte zum ersten Mal durchgeführt wurde. Sie hieß glaub ich... Jelador. Eine Elfen-Sekte.”
“Die Jelador?” Dalyana´s Gesicht verfinsterte sich. “Davon will ich nichts hören.”
“Was? Aber...”, begann Sith aufgeregt.
“Nein! Wir werden einen anderen Weg finden, ihm zu helfen!”, sagte die Drow ungewöhnlich laut.
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