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Thema: Endlosgeschichte

Baum-Darstellung

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  1. #15
    Koralis hatte sie sofort wiedererkannt. Das kleine, unscheinbare Mädchen von damals schien mit ihren schneeweißen Flügeln einiges an Größe gewonnen zu haben. Er hatte immer noch das Bild vor Augen, von ihrem zerschundenen, blutüberströmten Körper, wie er auf dem Dach des Gasthauses vor seinen Füßen lag. Er hatte ihr damals im Auftrag des Ordens das Leben wiedergeschenkt. Nun war sie im Auftrag des Ordens gekommen, ihn zu töten. Welch eine Ironie.
    „Erinnerst du dich gar nicht an mich?“, fragte Koralis, als er merkte, dass Aresha zögerte.
    Der Engel antwortete nicht. In ihrem Kopf hatte ein Kampf begonnen. Ihre Loyalität gegenüber Lira ging sehr tief. Und wenn sie es nicht tat, würde sie ohne ihre Erinnerungen vermutlich ein Spielball für die Mächte sein, die sie ausnutzen wollten. Wem konnte sie schon trauen? Selbst Lira war nur ein Mensch, auch wenn sie einst einen Pakt mit dem Engelsheer geschlossen hatte.
    Zögere nicht! Er versucht nur, dich abzulenken! zischte Lira´s Stimme durch ihren Geist.
    Wenn er sich gegen Hiob gestellt hatte, konnte er möglicherweise auf ihrer Seite stehen...
    Er gehört zu dem Orden, der euch als ihre Handlanger ausnutzen möchte. Mit meiner Hilfe werdet ihr frei sein. Wir werden die Dämonen vertreiben und Narea aus ihrem Gefängnis befreien!
    Aresha machte eine ärgerliche Geste, als sie ihre Zweifel zur Seite fegte und die Energiekugel auf den Priester schleuderte.
    Koralis senkte den Kopf seines Stabes nach unten. Die astrale Energie kam aus der Bahn, huschte einige Male um den Priester herum, bevor sie zischend in Richtung Decke schoss. Wieder Erwarten schlug sie dort nicht ein, sondern wurde immer kleiner, als wenn sie tatsächlich in den Nachthimmel flog.
    Nach einer Schrecksekunde hatte Aresha sich wieder gefangen. „Warum versucht Ihr, das Unvermeidliche hinauszuschieben? Ihr wisst, ich bin die Heeresführerin Aresha'arim. Ihr werdet meinen Kräften nicht standhalten!“
    „Erinnerst du dich nicht? Du und deinesgleichen seid Wesen des Friedens. Ihr seid nicht zum Kampf geboren. Eure Stärken liegen in anderen Bereichen.“
    „Das denkt aber auch nur Ihr, Priester!“, rief Aresha.
    Blitzschnell feuerte sie aus beiden Händen neue Kugeln auf den Priester. Koralis verfuhr mit ihnen ebenso wie mit der ersten. Als er gerade wieder etwas sagen wollte, fing der Engel an, mit seinen Flügeln zu schlagen. Er erhob sich wenige Zentimeter über den Boden. Ihre Haare wirbelten in die Lüfte, während sie etwas murmelte. Wie in Zeitlupe bewegten sich ihre Flügel nach hinten, nur um im nächsten Augenblick blitzschnell nach vorne zu schlagen und eine Druckwelle auszulösen, die den sichtlich überraschten Priester stolpern und über den Boden rutschen ließ. Stöhnend blieb er einige Meter weiter liegen.
    Hustend und leicht schwankend erhob er sich. Er hatte niemals zuvor mit einem Engel gekämpft und ganz offensichtlich hatte er ihre Fähigkeiten unterschätzt. Verwundert schaute er in die Richtung des Engels. Er fragte sich, warum sie die Gelegenheit seiner Hilflosigkeit nicht genutzt und ihn getötet hatte. Ihr Gesicht hatte wieder diesen seltsamen Ausdruck des Zweifels angenommen. Er schöpfte Hoffnung.
    Ihr Gesichtsausdruck hatte etwas Trauriges an sich, als sie in seine Richtung schaute.
    „Koralis..?“, flüsterte sie.
    Der Mann in dem hellgrünen Umhang atmete erleichtert aus. Sie erinnerte sich! Doch schon im nächsten Augenblick war ihr barmherziger Blick schon wieder verschwunden. Sie breitete die Arme aus, während ihre Flügel anfingen, leicht zu glühen. Lichtspuren huschten über ihren ganzen Körper und ein leichtes Summen durchzog die Luft. Koralis schaute sich nervös um. Er wusste nicht genau, was sie vorhatte, aber sie schien Energie für einen wirklich starken Angriff zu sammeln. Diesmal würde er wahrscheinlich nicht so viel Glück haben.
    Für Narea! Für die Engel! Und für alle guten Menschen!
    Gleißende Blitze zuckten durch Aresha´s Arme und schüttelten sie. Sie konnte diese Energie kaum kontrollieren. Und sie hatte das Gefühl, dass diese Macht nicht aus ihr selbst kam. Das einzige, was von diesem seltsamen Raum trotz des Lichterspiels klar und deutlich zu sehen war, war der gepflasterte Boden, als die geballte Energie über ihn hinweg auf die Stelle huschte, wo der Priester stand. Sekundenlang hielt dieser Beschuss an, bevor Aresha ihre Arme wieder unter Kontrolle bekam und nach unten nahm. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schnell. Welch eine Kraft. Sie hätte am liebsten geweint.
    Was ist? Ist er tot? fragte Lira.
    „Nein... Er ist verschwunden.“, verkündete der Engel dem leeren Raum. In ihrer Stimme schwang weder Erleichterung noch Ärger mit.

    Langsam öffnete Koralis die Augen. Er war offenbar nicht mehr in seinem Meditationsraum. Über ihm schien die Sonne. Dann beugte sich ein Schatten über ihn. Der Priester blinzelte.
    „Meles?“
    „Ja, alter Mann. Das war ziemlich knapp, möchte ich meinen.“
    Mühsam erhob sich Koralis. Sie befanden sich auf einer grünen Insel, die nicht besonders groß war und auf der ein paar zerfallene Gebäude standen. „Wie habt Ihr...“
    „Das ist nicht wichtig. Tatsache ist: Ich habe Euch das Leben gerettet und Ihr schuldest mir etwas.“
    „Sicher.“ Koralis verzog verärgert das Gesicht. „Nicht nur, dass Ihr Euch in Dinge einmischt, die Euch nichts angehen. Ihr würdest auch niemals in Betracht ziehen, jemand aus reiner Herzensgüte zu helfen, oder?“
    „Wenn Ihr Euch beschweren wollt, werde ich Euch wieder dorthin zurückbringen, wo Ihr bei lebendigem Leib gebraten worden wärt. Ach ja, hier ist Euer Stab.“
    Der Priester nahm den Stecken an sich. „Ihr denkt wohl, ich hätte mich nicht selbst retten können?“
    „Wenn Ihr das gekonnt hättet, wieso habt Ihr es dann nicht getan? Ihr wollt mir doch nicht erzählen, dass Ihr sterben wolltet?“
    Koralis entgegnete nichts mehr.
    „Ich möchte, dass Ihr mir dabei helft, Ceredrie zu finden und die Träne der Göttin.“ Er blickte hinaus auf das Meer. „Ich denke, es liegt auch im Interesse des Ordens, meine Schwester unter Kontrolle zu bekommen, habe ich nicht Recht?“

    Geändert von RPG-Süchtling (18.09.2003 um 07:25 Uhr)

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