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Thema: Endlosgeschichte

Baum-Darstellung

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  1. #3
    Meles saß am Ufer und betrachtete das Meer, auf dem sich die Strahlen der untergehenden Sonne golden brachen. Er schloss die Augen und zog die Beine an. Hinter ihm befanden sich die Überreste eines sehr alten Magierordens, heute nicht mehr als ein Schatten, nicht mehr als eine Unebenheit im Boden, ein Hindernis für die wuchernden Pflanzen. Niemand hätte vermutet, dass auf diesem Grund einst ein beeindruckendes Gebäude stand, das als würdiges Symbol für die Macht der Lay’har in den Himmel ragte. Geblieben war lediglich ein Gefühl, dass wie ein Echo der starken Magie, die hier einst herrschte, dem Körper einen Schauer über den Rücken jagte. Und alles was übrig geblieben war, war Meles und seine Schwester. Als ob die Geschichte etwas übersehen hätte, als sie den Magierorden von Lestania wischte.
    Still und tief nahm er jeden Atemzug in sich auf. Die Luft roch noch genauso wie damals. Ein frische Meeresbrise beugte das Gras. Hier hatte er früher oft gesessen, wenn er sich in seine Studien vertieft hatte oder einfach seine Ruhe haben wollte. Seine Schwester hatte nicht einmal versucht, ihn hier aufzuspüren. Es war ihr meistens egal, was er so trieb. Er hat niemals wirklich einen Zugang zu ihr gefunden. Je älter beide wurde, desto weniger verstand er ihre Beweggründe und ihr Streben nach Macht und Einfluss. Dennoch mochte er sie.
    Er schaute sich um. Diese Welt war ihm fremd geworden. Was hatte er hier eigentlich verloren? Fünftausend Jahre waren eine unglaublich lange Zeit, selbst für ihn. Er hatte nicht gespürt, wie die Zeit verging. Seine Fähigkeit, sich ihrer Macht zu entziehen, hat ihn davor bewahrt, wahnsinnig zu werden. Er harrte aus, bis zu jenem Tag, als Ceredrie wieder erwachte. Ihr Gefängnis, obschon mit diversen Versiegelungszaubern versehen, war nicht in der Lage gewesen, sie aufzuhalten.
    Und dann sah er sie. Meles fragte sich, was er sich von dem ersten Treffen mit ihr versprochen hatte. Vielleicht hatte er insgeheim gehofft, ihre damalige Niederlage gegen die Kämpfer des Lichtes hätten ihr zu Denken gegeben. Als sie ihn traf, hatte sie allerdings nur Verachtung für ihn übrig. Seine Worte konnten nicht zur ihr durchdringen. Sie war schon wieder auf halbem Wege zu ihrem Herrn, zu ihrem dunklen Mentor, Vanard! Sie hatte sich kein bisschen verändert. Ihre Gesichtszüge strahlten immer noch kalte Grausamkeit aus, Stolz und Bitterkeit. Er fasste sie bei der Hand, doch sie entriss sie ihm mit Gewalt und floh.
    Er hatte sich geschworen, ihrem Leben nach diesem missglückten Versuch der Kontaktaufnahme ein Ende zu setzen. Niemals wieder sollte sie ihre Kräfte für das Böse einsetzen, selbst, wenn es auch sein Ende bedeuten sollte. Er war fest entschlossen, sich nicht mehr durch seine Gefühle daran hindern zu lassen, das richtige zu tun. Seine Schwester war schon lange fort. Das, was übrig war, war rohe, gnadenlose Macht, die sich auf die hilflosen Geschöpfe dieser Ebene entlud. Er musste sie aufhalten.
    Und bis zu dem Zusammentreffen mit dem Phönix hatte er auch keinen Zweifel daran gehabt, dass er dazu in der Lage wäre. Als er jedoch die Orte und Gefühle lang vergangener Zeiten wiedererlebte, erinnerte er sich daran, wie nah er einst zu Ceredrie gestanden hatte. Die Unbarmherzigkeit, die er bisher mit aller Strenge in seinem Herzen genähert hatte, sollte ihn davon abhalten, im entscheidenden Moment zu zögern, zu zweifeln. Die alten Bilder aus jener Zeit hatte er längst begraben. Doch nun hatten sie wieder etwas aufgewühlt. Er fühlte wieder etwas für seine Schwester. Verantwortung. Nicht sie war ihr Feind, sondern die Macht, die ihren Ehrgeiz korrumpiert und sie zu seinem Werkzeug gemacht hatte. Er war nun sein wahrer Feind geworden, wie es eigentlich immer hätte sein sollen. Auch wenn er sich bewusst war, dass er alleine in diesem Kampf völlig chancenlos sein würde.
    Doch er konnte sie nicht finden, geschweige denn ihren Peiniger. Es war schon damals fast unmöglich, und heute würde er es ohne fremde Hilfe womöglich niemals schaffen. Damals hatten ihm die Priester des Weißen Weges mit ihrem Wissen über die alten Götter unter die Arme gegriffen. Sie hatten sie mit Magie in einem von Vanard´s Tempel aufgespürt und sie mit Hilfe des magischen Steins, der Träne der Göttin, soweit geschwächt, dass sie in einen tiefen, künstlichen Schlaf versetzt werden konnte. Die Träne der Göttin konnte jedoch mit keiner auf der Erde bekannten Methode vernichtet werden, und so war die Energie Ceredrie´s zwar gebannt, aber nicht beseitigt. Meles wäre als einziger dazu in der Lage gewesen, das Artefakt in Scherben zersplittern zu lassen. Doch er hatte sich geweigert.
    Dieser Tempel auf der Insel von Ural´pec war die erste Station, die er aufgesucht hatte. Wie zu erwarten, war dort weder eine Spur von seiner Schwester, noch irgendwelche Hinweise auf ihren jetzigen Aufenthaltsort zu finden. Normalerweise würde es ihm nicht schwerfallen, sie aufzuspüren. Er konnte jederzeit ein anderes Wesen orten und im selben Augenblick an seiner Seite stehen. Aber die Macht, der sie sich verschrieben hatte, machte sie fast unsichtbar für seine geschulten Sinne. Wenn er sie traf, dann nur aus reinem Zufall oder wenn sie es wollte. Manchmal aber erriet er ihr Verhalten, da er ihren verdorbenen Charakter kannte.
    Von den Priestern konnte er auch keine Hilfe erwarten. Sie konnten sehr nachtragend sein. Koralis hatte ihm berichtet, dass sie sogar seinen Tod wünschten. Und das bloß, weil er einst nicht der Ermordung eines Familienangehörigen zugestimmt hatte.
    Er hatte damals Angst gehabt. Er wollte es sich nicht sofort eingestehen, aber er fürchtete sich. Er wusste nicht genau, ob er jemals wieder auf Erden wandeln würde. Die Vorstellung eines ewigen Schalfes war für ihn fast noch furchteinflößender als der Tod. Doch diese Überzeugung gewann er erst, als es fast zu spät war. Kurz bevor sie ihn in denselben Zustand wie seine Schwester versetzten, schloss er also einen Pakt mit einem Halbengel, einem Wesen, in dessen Macht es stand, den Stein zu entwenden. Athanasia stimmte freudig zu. Schließlich hatte Meles ihr versprochen, ihr im Gegenzug einen Gefallen zu tun. Wie blind und verzweifelt war er doch damals gewesen, dass er nicht ihr verderbtes Herz und ihre wahren Beweggründe erkannt hatte.
    Da sie nicht abgesprochen hatten, wann sie den Diebstahl durchzuführen hatte, wartete sie. Und sie wartete lange. Bis sie seine Hilfe brauchte. Und nun hatte sie ihn in der Hand. Mit dem magischen Stein hatte sie jederzeit die Möglichkeit, ihn seiner Kräfte zu berauben, wenn er ihr nicht gehorchte. Er senkte den Kopf. Wie hatte er damals so kurzsichtig sein und ihre wahre Natur nicht erkennen können? Er konnte es sich nicht noch einmal leisten, seine Kräfte einzubüßen. Er musste vorsichtiger vorgehen, wenn er nicht noch einmal ihren Zorn heraufbeschwören wollte. Insgeheim hatte er schon längst den Entschluss gefasst, ihr die Träne der Göttin wieder abzujagen. Er brauchte ihn, um Ceredrie unversehrt zu bändigen. Nur wie sollte er das anstellen? Er musste auf eine gute Gelegenheit waren. Bis dahin musste er so tun, als wäre er ihre willige Marionette.
    Die erste Tat auf ihre Anweisung hin hatte er schon ausgeführt. Er hatte Koralis angewiesen, Jack das Schwert Emendantus zurückzugegeben. Offensichtlich benutzte sie diesen Krieger für ihre Pläne, genauso, wie sie vorgehabt hat, Elyana zu benutzen. Es schien, als wolle sie die Götterdämmerung heraufbeschwören, schließlich war das Schwert ein wichtiges Werkzeug dazu.
    Und Ceredrie? Welches Interesse hatte sie an Jack? Wollte sie ihn lediglich auf ihre Seite ziehen oder steckte mehr dahinter?
    Auf alle Fälle spielte sich viel in dem Umfeld des Kriegers ab, was auch Meles direkt betraf.
    Er fasste einen Entschluss, stand auf - und war im nächsten Moment verschwunden.

    Geändert von RPG-Süchtling (05.02.2003 um 19:29 Uhr)

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