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Vampire Bloodlines - Story-Thread
Jermaine Clayton
Die Jagd. Ah, wie ich sie zu lieben gelernt habe. Einmal jede Nacht das dunkle Zimmer verlassen, hinaus in die große Stadt und sich vom Glanz der Lichter, vom Taumel der Menschen mitreißen lassen. Ahnungslos begegnen sie einem, die schönsten Frauen geben sich auf der Straße willenlos hin. Aber wieso Geld bezahlen und die jungen Damen in eine stille Gasse locken, wenn man ebenso rosiges Fleisch auch kostenlos genießen kann?
Zu diesem Zweck begab ich mich gerne in schummrige Bars mit von Schweiß und Alkohol stinkender Luft. Auch ein Vampir muss atmen, weiß Gott aus welchem Grund unsere toten Körper immer noch diesen Drang verspüren. Vielleicht eine Erinnerung an das alte Leben... wer kann das schon genau sagen. Es wird wohl noch niemand in den Genuss gekommen sein, einen Vampir zu anatomieren, welcher den absoluten Tod gefunden hatte. Immerhin lösen wir uns bei unserer Vernichtung in Rauch und Asche auf. Spart die Beseitigungskosten.
Während ich so die Hauptstraße entlang streifte, gekleidet in ein rotes Seidenhemd und eine schwarze Lederhose, wurde mir gewahr, wie absolut lebhaft ich doch aussehen konnte, wobei es auch Momente gab, in denen die Sterblichen mich meiner nicht mehr vornehmen sondern krankhaften Blässe wegen von der Seite her betrachteten. Der Schutz der Dunkelheit vermochte diese Wesenszüge meines verfluchten Körpers zu verstecken, doch das Licht einer Straßenlaterne sagte immer die Wahrheit. Und so hielt ich mich von alledem fern und begab mich in die Schatten der Hausmauern.
"Na, Süßer. Suchst du vielleicht ein Date?" Eine hübsche Frau in knapper Kleidung stellte sich direkt vor mich und versperrte mir den Weg. Solche Frauen sprachen mich immer wieder an. Wobei... solche Frauen sprachen wohl jeden immer wieder an. Man fand sie an so gut wie jeder Straßenecke. In gewisser Weise fühlte ich mich sogar mit ihnen verbunden, nur dass ich meinen Körper nicht andauernd an Fremde verkaufe, sondern meine Seele einmalig der Finsternis vor die Füße geworfen hatte. Es war Schwachsinn, darüber nachzudenken. Warmes Blut pulste durch ihre Adern, ich hatte noch nichts getrunken. Und so wusste ich, dass ich schnell zu verschwinden hatte.
"Nein, danke", antwortete ich also knapp und schob mich so behutsam wie es eben ging an ihr vorbei. Ich nahm eine Abkürzung hinter dem Krankenhaus Santa Monicas in Richtung Asylum. Dort fand sich immer blutjunges, frisches Futter. Und solches brauchte ich, denn ich stank nach altem Tod. Ein Wunder, dass ich mich überhaupt so lange gehalten hatte, wenn man bedachte, wie oft ich bereits den zerstörenden Strahlen der Sonne hatte erliegen wollen. So groß war die Versuchung, so einfach der schnelle Tod... einfach, aber zu gleich schwierig, wie sich mir herausstellte, denn immer, wenn die Sonne langsam den Horizont hinauf gekrochen war, hatte ich mich in irgendein Rattenloch verkrochen und gezittert wie ein kleines Mädchen. Egal... das war Vergangenheit. Ich hatte mich mit meiner einsamen, verdammten Existenz abgefunden und führte ein verschwenderisches Unleben. Für manche Clans mochten die Sterblichen nur Fleisch sein, für mich hingegen waren sie schon immer ein wertvoller Teil meines Daseins. Sie bereicherten mein Leben, auch wenn ich ab und an gezwungen war, sie zu töten. Das gehörte nun einmal dazu. Und doch tat ich es nicht gerne und zumeist ließ ich meine Opfer am Leben. Das letzte bisschen Menschlichkeit wollte ich mir erhalten, um nicht zu einem dieser hirnlosen Sabbat-Trottel zu mutieren, die dem Tier in ihnen nachgaben.
Ich erreichte das Asylum und hoffte, dass weder Therese noch Jeanette anwesend waren. Angeblich sollten sie Schwestern sein, doch zusammen hatte ich sie noch nie gesehen. Aber wer konnte schon wissen, was im Kopf eines Malkavianers vorgeht. Ihr Wahnsinn wie ihre Intelligenz blieb ihnen vorenthalten und nur selten genoss ich Momente, in denen ich wirklich verstand, was sie mir mitzuteilen versuchten. Das hinrissige Geschwafel von Leben und Tod und all dieser Quatsch, den sie von sich ließen, interessierte mich nicht im geringsten. Ich hatte keinen Blick dafür. Ebenso wie ich keinen Blick für die beiden Schwestern hatte. Nur die Menschen in meiner Umgebung bedeuteten mir etwas, und das war ja schon schlimm genug für einen Vampir wie mich, der sich in einem Machtgebiet zwischen Ahn und Neugeborenem befand.
Ich betrat das Asylum durch den Vordereingang, schritt zwischen den Menschen entlang und irgendwie amüsierte es mich, dass die Maskerade der Vampire jede Nacht aufs Neue funktionierte. Und wie erwartet schlug mir ein warmer Luftschwall aus Schweiß und Alkohol entgegen, laute Musik und ein darunter verblassendes Stimmengewirr. Sofort stob mir eine Frau entgegen, ihren Namen hatte ich nie wissen wollen, und umarmte mich aufs herzlichste. Sofort ließ sie von mir ab und betrachtete eingehend mein Gesicht. Die Kälte meines Körpers war ihr mit Sicherheit aufgefallen.
"Geht es dir nicht gut?", wollte die schöne Blonde wissen, das Gesicht zugekleistert mit Schminke. Ach, traurige Zeiten waren das, in denen die Frauen ihre Schönheit mit all dem Tand verdeckten...
"Wieso sollte es mir nicht gut gehen?", rief ich überschwenglich, legte meine Arme um ihre Hüften und hob sie etwas in die Luft. "Es geht mir prächtig. Ich habe mich nie besser gefühlt!" Meine Worte schienen sie zu beruhigen, aber ein gewisser Anteil an Sorge blieb in ihrem Blick erhalten. "Komm schon", meinte ich, "du brauchst dich wirklich nicht um mich sorgen. Es geht mir bestens, ehrlich." Das war natürlich gelogen. Mir ging es nicht gut. Mir ging es nie gut, wenn ich einen Durst verspürte, der jedes Lebewesen in meiner Umgebung vor meinem inneren Auge in einen Hauptgang verwandelte. Ich spürte ihr Herz gegen meinen toten Brustkorb schlagen und versuchte, sie nicht sonderlich hektisch wieder von mir zu weisen. Ein Glück, dass die Bisse an ihrem Hals recht schnell verheilten. Sie merkte gar nicht, wie ich ihr Nacht für Nacht das Blut entsog und sie dann an dem Ort zurückließ, an den ich sie verschleppte. Für sie schien es irgendwie ein Kuss zu sein, mit dem ich sie beglückte. Das, was ich tat, war auch küssen, nur nicht besonders behutsam.
"Hast du mich vermisst?", wollte sie wissen, als ich mich in Bewegung setzte. Sie legte ihren Arm um meinen Rücken und folgte mir.
"Sonst würde ich wohl kaum jeden Abend hierher kommen, oder?", versicherte ich. Es musste sein. Der Durst brannte in meiner Kehle, das Tier bäumte sich aus und drohte, meine Seele zu verschlingen. Besser sie als jemand anderen, der sich mir nicht freiwillig hingab. Und das waren ja auch die Regeln hier: Halte geheim, dass du ein Vampir bist, aber wenn jemand freiwillig mit dir kommt, kannst du an einem unbeobachteten Ort von ihm trinken; nur lass ihn ja am Leben. Als alter Vampir brauchte ich nicht mehr auf diese Regeln achten, sie waren mir in Fleisch und Blut übergegangen. Ich spürte einfach, wann der Moment gekommen war, an dem ich zu trinken aufhören musste, um das Menschenleben nicht zu gefährden. Der fette Barkeeper begann ein "Was willst du?", als ich abdrehte und das Mächen in die entlegendste, dunkelste Ecke des Asylum führte. Sie kicherte, fühlte sie sich ihren weiblichen Artgenossen mit einem derart gutaussehenden Liebhaber ach so überlegen. Warum ich sie immer wieder irgendwo hinbrachte, wo niemand uns beobachten konnte, war ihr schleierhaft, aber so lange sie mich nachts rumzeigen konnte, war es ihr wohl egal. Die Logik weiblicher Wesen hatte ich selbst zu Lebzeiten nicht durchschauen können...
Kaum waren wir in dem stillen Eck angelangt, strich ich ihr sanft durch das Haar. Ich lies dem Hunger in meinem Blick freien Lauf, sie würde den Ausdruck eh vollkommen falsch deuten. Ich strich ihr über den Hals, spürte die Wärme ihrer Haut unter meinen eiskalten Fingern, spürte das Blut durch ihre Adern rinnen. Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten. Ich presste sie gegen die Wand, strich ein nerviges Gewirr aus blondem Haar zur Seite und beim Anblick ihres Halses überkam mich nichts als Lust. Kaum vergrub ich meine spitzen Eckzähne in ihrem Hals, lehnte sie sich noch ein Stück weiter zurück. Warmes Blut sickerte benetzte meine Lippen, das Tier in mir führte einen vernichtenden Schlag aus, welcher meine Kehle zu sprengen drohte. Wie ein Schwamm sog ich die lebenserhaltende Flüssigkeit in mich auf und fühlte mich gleichzeitig ekstatisch sowie angewidert von mir selbst.
Im letzten Moment ließ ich von ihr ab. Meine Nackenhaare sträubten sich. Ich wurde beobachtet. Den schlaffen, aber noch lebenden Leib mit beiden Armen umfangend, zog ich mit dem Fuß einen Stuhl heran und ließ das Mädchen darauf nieder. Sie hatte genug für diese Nacht.
Und ich war immer noch durstig. Es kam nicht darauf an, wie viel ich trank. Wie auch ein Mensch an manchen Tagen mehr Hunger hatte als an anderen, so dürstete es mich in manchen Nächten auch nach mehr Blut als normal. Vielleicht hätte mich dieser Blutschuss befriedigt, hätte ich nicht gewusst, dass jemand in unmittelbarer Nähe stand und mich beobachtete. Ich blickte mich nicht nach dem Störenfried um, er war nur ein Mensch. Zwar mischten sich hier die Gerüche von Vampiren mit dem der Sterblichen, doch wusste ich es einfach. Dafür war ich bereits alt genug.
Langsam machte ich auf dem Absatz kehrt und blickte mich um. Auf der von buntem Neonlicht gefluteten Tanzfläche drückten sich menschliche Leiber aneinander; sie hatten kein Auge für die Dinge, die um sie herum geschah. Der Barkeeper hielt den Blick gesenkt. Wie immer, wenn ich hierher kam. Geradeso, als wüsste er, was für ein abscheuliches Wesen ich war. Aber natürlich wusste er das nicht. Reine Einbildung meinerseits.
Und da sah ich ihn... ihn. Unsere Blicke trafen sich und die Sekunden, bevor er sich abwandte und hastig den dicken Barmann bezahlte, erschienen mir wie Stunden. Wunderschön... einfach wunderschön. Die meisten hätten ein Wort wie „gutaussehend“ wohl vorgezogen, denn Männer nannte man ja generell nicht schön, oder? Ich aber sah in ihm einen Sterblichen von natürlicher Eleganz. Trotz seiner gehetzten Bewegungen schien jeder seiner Schritte genau koordiniert. Sein langes, zu einem Zopf gebundenes schwarzes Haar wehte hinter ihm her. Und seinen dunklen Augen würde ich niemals vergessen. Zwar ein Sethskind, doch ohne jeglichen Makel. Ein reines Kunstwerk. Trotz des Geruches, den er ausstrahlte, hatte ich für einen Moment das Gefühl, er war ein Vampir. Wieder eine Einbildung. Oder auch Wunschdenken. Ich wusste es nicht. Aber eines wusste ich: Dieser Mann würde die Woche nicht überleben. Und wenn ich ihn nicht haben durfte, dann sollte er sterben.
Als er das Asylum verließ, folgte ich ihm. Das Mädchen ließ ich einfach zurück, ich brauchte es heute nicht mehr. Und morgen wahrscheinlich auch nicht. Wieder verspürte ich diesen Ekel, der immer in mir hochkam, wenn ich daran dachte, einem Menschen das Blut zu stehlen und eine leere, kalte Hülle zurück zu lassen. Es ließ sich nicht unterdrücken. Dieser Mann war alles, was ich wollte. Ich wollte ihn besitzen, ihn die ganze Zeit über anstarren, als sei ich wahnsinnig geworden. Nur aus dem Augenwinkel nahm ich war, wie Jeanette – eine der Schwestern, die sich immer stritten – mir kopfschüttelnd, aber mit einem Grinsen auf den Lippen hinterher sah. Ganz nach Marke „Der gute Jermaine hat ein neues Spielzeug gefunden“. Irgendwo stimmte das auch, ich wollte es mir nur selbst nicht eingestehen.
Der Junge mied dunkle Gassen. Sein Glück. Meinen Durst hatte ich zwar vergessen, aber der würde schon wieder kommen. Immer, wenn er sich umblickte, duckte ich mich in irgendeinen Schatten und war so für seine Augen nicht mehr sichtbar. Das einzige, was ich wollte, war ihm zu folgen und herauszufinden, wo er sich tagsüber aufhielt. Es war nie meine Art, mein Glück überzustrapazieren. Ich zuckte nicht mit den Schultern und hoffte darauf, dass der junge Mann morgen Nacht meinen Weg im Asylum kreuzen würde. Gesehen hatte er definitiv zu viel. In der Sicherheit, die mich umfing, war ich zugegebenermaßen auch etwas unvorsichtig geworden. An so gut wie jeder Straßenecke konnte man einen Sterblichen finden, der dumm genug war, auf die Tricks eines alten, verführerischen Vampirs herein zu fallen. Alle anderen sahen dann nur einen Mann, der ein junges Fräulein vernaschte. Und wen dieses dann ohnmächtig zusammen sank, dann war es der Alkohol, der ihr nicht bekam. Es war zu leicht geworden. Diesen Denkzettel hatte ich verdient.
Im Gegensatz dazu war es Glück, dass er gesehen hatte, was er nun einmal gesehen hatte. Vielleicht wäre ich sonst niemals auf ihn aufmerksam geworden...
Ich folgte ihm bis zu seinem Appartement. Falls man die Bruchbude, die er bewohnte, überhaupt als solches bezeichnen konnte. Eine schäbige Einzimmerwohnung über dem Laden des Pfandleihers. Ich merkte mir die Adresse und verschwand in den Schatten. Zeit, noch ein bisschen zu trinken, Zeit, bald nach Hause zu fahren und sich schlafen zu legen.
Ich beobachtete ihn. Nur zum Trinken verließ ich das Fenster. Er schlief. Tief und fest. Und im Schlaf erschien er mir noch schöner, noch zerbrechlicher. Reine, unschuldige Kunst. Ich war nahezu besessen von ihm, formte Bilder in meinem Kopf, sah seine Gestalt in einer Umgebung wandeln, die seiner Schönheit angemessen war. Ich wollte ihn mit Geschenken überhäufen.
Idiotisch nicht? Aber es war so und ich konnte nichts dagegen tun. Wahrscheinlich waren es meine verkrüppelten, menschlichen Gefühle, die Erinnerung an meine eigene, ehemalige Sterblichkeit und das Wissen darum, was ich alles verloren hatte, als mir der tödliche Kuss zuteil geworden war. Ich dachte einfach viel zu viel nach. Dabei war es doch so einfach. Ich wollte ihn besitzen und ich konnte ihn auch haben. Das heißt...
Bereits nach zwei Tagen hielt ich es nicht mehr aus und ging zu LaCroix in den Ventrue-Turm. Er war die Person, die man allgemein als Prinz bezeichnete. Er wahrte die Vampir-Gesetze, die Sechs Traditionen, und war das Oberhaupt der Camarilla. Ein Ventrue, der nach Macht strebte, nach mehr und mehr, und ich war eigentlich kaum einem Vampir begegnet, der auch nur ein gutes Wort über ihn verlor. LaCroix war aber auch ein Mistkerl... ohne seine Genehmigung jedoch durfte kein Kainskind geschaffen werden. Und da ich genau das mit dem Schönling vorhatte, welcher der Mittelpunkt meiner Gedanken war, kam ich nicht umhin, ein Ersuchen an den geleckten Prinzen zu stellen. Klar, er würde sein Einverständnis nicht geben. Aber es gab Mittel und Wege, ihn dazu zu bringen, einzuwilligen.
Ich möchte hier nicht erwähnen, wie viele Leichen ich aus seinem Keller grub, um ihm begreiflich zu machen, wie ernst es mir war. Natürlich war ich bereit alles zu vergessen, was ich wusste, wenn ich nur den Jungen bekam. Jedenfalls... LaCroix zeigte sich kooperativ. Es war äußerst dumm, was ich tat. Als ob der Ventrue es einfach darauf beruhen lassen würde... Nein, so einer war der nicht. Er wusste, was für ihn am besten war. Für den Moment jedenfalls. Nein, ich hatte keine Angst vor ihm. Auch keinen Respekt. Aber ich wusste, dass ich noch Probleme hier in L.A. bekommen würde...
„Wer sind Sie?“ Der junge Schönling schreckte hoch, als ich ihm eine Anwesenheit zu spüren gab. Eine Stunde lang hatte ich ihm beim Schlafen zu gesehen. Das hatte gereicht, um alles noch einmal zu überdenken und mich darüber im Klaren werden zu lassen, dass ich verrückt war. Das alles hier... es konnte mein baldiges Ableben bedeuten – und was tat ich? Ich schlich in die Wohnung des Jungen, setzte mich auf den mehr oder weniger intakten Bürostuhl und lehnte mich gemächlich zurück, legte schon einmal die Worte zurecht, die ich sprechen würde.
„Die Frage ist nicht“, begann ich, „wer ich bin. Die Frage ist: Wer bist du?“ Ja, ja... ihr Menschen steht doch auf dieses geheimnisvolle Gelabere...
„Hören Sie auf mit dem Scheiß – was machen Sie in meiner Wohnung? Wie sind Sie hier rein gekommen?“ Er spie mir die Worte förmlich ins Gesicht. Oh man, das würde eine lange Nacht werden...
„Ich kam durch die Haustür.“ Was hatte er schon groß erwartet? Er wohnte in einer Bruchbude. Ich war zwar kein Meister im Schlösser knacken, aber bei diesem hatte selbst ich mir keinen Ast abgebrochen.
„Durch die...“ Er war sichtlich perplex. Wohl weniger aufgrund meiner Aussage, ich hätte die Wohnung auf mehr oder weniger ordnungsgemäßem Wege betreten, sondern eher, da ich diesen Zustand als vollkommen normal ansah. Meine Stimme war ruhig. Bevor ich hierher gekommen war, hatte ich meinen Durst für diese Nacht gestillt. Sogar meine Hände fühlten sich warm an. Das taube und wieder nicht taube... ach, dieses merkwürdige Gefühl in den Fingern blieb. Und umso merkwürdiger wurde es, wenn Blut in sie hinein floss, welches eigentlich nicht fließen durfte.
„Ich ruf jetzt die Polizei, Kumpel“, meinte der Junge und ließ mich nicht aus den Augen. Ich konnte nur lächeln.
Gerade, als er den Telefonhörer abnehmen und die Nummer wählen wollte, griff ich blitzschnell mit meiner Hand nach seiner, drückte ihn zurück auf das Bett und grub meine Zähne tief in das weiche Fleisch seines Halses. Er wehrte sich, versuchte zu schreien, doch nur ein kaum vernehmliches Ächzen verließ seine Lippen. Er hatte keine Chance. Ich trank von ihm, saugte ihn bis auf den letzten Tropfen aus... Es war das süßeste Blut, das mir jemals über die Lippen gekommen war. Aber wahrscheinlich bildete ich mir auch das nur ein. Meine Einbildungen waren generell situationsbedingt.
Als ich mich erhob, vermochte der Mann kein Wort von sich zu geben. Die Augen halb geschlossen lag er da, zu kraftlos, als dass er überhaupt noch Furcht verspüren konnte. Während das warme Blut meine Lippen benetzte und mein Kinn, und dann hinab tropfte, setzte ich mich neben ihm auf das Bett.
„Ist wohl nicht dein Tag, Junge“, sagte ich gefasst. „Und nun hätte ich gerne gewusst, wie du heißt. Und du kannst mir eines glauben: Mir deinen Namen zu verraten liegt durchaus in deinem Interesse.“
Er sprach. Leise, gurgelnd. Ich konnte kaum etwas verstehen. Ach, egal. Ich hatte erreicht, was ich wollte. Bis jetzt jedenfalls. Nur einen letzten Schritt musste ich nun noch gehen...
Bevor der Morgen graute, wart ein neuer Vampir geboren. Über die Schultern eines Mannes gelegt, welcher ihn zu einem Taxi trug. Kleines Küken...
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