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Abenteurer
Balmora / Tempel
Kurenai brachte tatsächlich einen Gesichtsausdruck zustande, der – wenn auch nur entfernt – auf ein ehrliches Lächeln schließen ließ. Ihre Kraft war verbraucht, sie würde ihm nicht antworten können. Doch dieses eine Lächeln mochte Antwort genug sein.
Sie würde ihn nicht töten. Es wäre einfach zu leicht gewesen. Hatte sie sich etwa von ihm halb totschlagen lassen, um jetzt einfach ihre Hände an seinen Hals zu legen und ihn zu erdrosseln? Hatte sie dafür diesen schweren, körperlichen Schmerz ertragen? Der Rothwardon war eine Missgeburt. Seine bloße Existenz widersprach allem, was die Frau Moral nannte; er war das Gegenteil von heilig. Er war die Sünde, der Wahnsinn. Als hätte der boshafte Daedra Sheogorath seine Krallen ausgefahren, um den Mann darin einzuhüllen. War es nicht immer so, dass durch die Begegnung mit einem Wesen, welches man eine Gottheit nannte, etwas Furchtbares, etwas Fruchtloses in einem erwuchs? Dieser Mann war einem Gott begegnet, auch wenn er das nicht wusste. Dieser verwunschene Gott hatte ihm ein grausames Geschenk gemacht. Kurenai konnte sich diesen Grad an Wahnsinn und Aggressivität ansonsten nicht erklären.
Er musste sterben. Er musste Erlösung für seine Seele finden, den ewigen Frieden. Sein Körper mochte zwar in einer unbekannten, kleinen Grabkammer verrotten, doch sein Geist wäre frei. Es war nicht so, dass der Mischling glaubte, mit dem Töten dieses Mannes irgendeine gute Tat zu begehen. War es nicht eher so, dass allein der Gedanke an den Mord eines anderen sie auf ewig verdammte?
Zum Teufel damit. Sie wollte nicht mehr darüber nachdenken. Sie musste nicht mehr darüber nachdenken. Es war ohnehin egal. Alles war egal. Wer brauchte schon Erlösung, Frieden oder Freiheit. Oder nein – wer verdiente diese heiligen drei Empfindungen? Es waren keine guten Götter, die dieses Land beherrschten. Sie konnten schaffen, aber umso mehr zerstörten sie. Sie arbeiteten gegeneinander, doch statt ihren persönlichen Kleinkrieg für sich zu behalten, spielte dieser sich auf einer vollkommen anderen, niederen Ebene ab. Mensch, Tiermensch und Mer durften sich um diese Angelegenheiten kümmern und sich toll fühlen, wenn sie waren Auserwählte.
Auserwählte Idioten, die nicht einmal merken, wie sie in ihr Verderben rennen. Man denke nur an die Prophezeiung der Auferstehung des heiligen Götterschlächters Nerevar. Wieder hatte sich ein Schwachsinniger gefunden, der sich gegen die Dreifaltigkeit des Tribunals stellte. Und erst jetzt wurde Kurenai das wahre Ausmaß der Sinnlosigkeit bewusst, welches das irdische Dasein eines jeden Lebewesens prägte. Geschaffen, um den Krieg der Götter auszufechten.
Plötzlich erschien ein Schleier aus langen, silbernen Strähnen vor den Augen der Frau. Wage erinnerte sie sich an die Person, welche ihr Haar derart getragen hatte. Kurenai kannte ihren Namen nicht, doch sie war unverkennbar eine Dunmer mit tiefen, unergründlichen Augen gewesen. Sie hatte so traurig geschaut, der Blick jener Dunmer war entschuldigend gewesen, während sie die Wunden des Mischlings provisorisch verbunden hatte. An irgendjemanden hatte diese Frau Kurenai erinnert. Vielleicht sogar ein wenig an den Mer, welcher den Kaiserlichen gedient hatte und nach relativ kurzer Zeit wieder aus ihrem Leben verschwunden war. Er war fast nie ernst gewesen und anfangs hatte Kurenai sich gefragt, wie die Kaiserliche Legion sich nur so einen Schwachkopf hatte angeln können. Doch wenn er sie so ernst angesehen hatte, hätte sie sich in seinen Augen am Liebsten verloren. Denn dieser Blick hatte von Furcht, Trauer und Hoffnung gleichermaßen gesprochen. Wahrscheinlich hatte Malukhat nicht einmal bemerkt, welche Auswirkungen seine Anwesenheit auf sie gemacht hatte, und wie erdrückend es gewesen war, als er von einem Tag auf den anderen plötzlich verschwunden war. Es hatte sich angefühlt, als wäre jede Hoffnung aus ihrem Leben gewichen.
Diese dunmerische Frau... Kurenai wollte sie wiedersehen, ihr durch das silberne, lange Haar streichen und sich gewiss sein, dass die Hoffnung doch noch lebte. Malukhat hatte sich als ein gemeiner Mörder erwiesen. Eine der größten Enttäuschungen in Kurenais Leben. Würde diese andere Frau, die ihm auf irgendeine Weise so ähnlich war, sie ebenfalls enttäuschen?
Oh man... der Mischling atmete einmal tief durch. Was man nicht alles in wenigen Sekunden zusammen denken konnte... Von einem war sie ins andere gekommen, sie saß immer noch am Rand des Bettes und immer noch blickte der Rothwardon zu ihr auf. Erwartete er tatsächlich, dass Kurenai ihn tötete? Wenn sie jetzt tat, wo er so hilflos war, wäre sie dann nicht selbst wie Malukhat? Eine gemeine Mörderin, eine Enttäuschung für sich selbst? Sämtliche Negative an einer solchen Tat hatte sie nun zusammen getragen – gab es denn auch Positive? Ja, allerdings viel der Frau zur Zeit nur eines ein: Er würde keine Chance mehr bekommen, sie zu töten. Und sie lachte leise über sich selbst, denn genau diese Chance war es, die sie ihm gönnen wollte. Hoffte sie nicht innerlich, er würde es schaffen? Hoffte sie nicht, er würde ihr den Kopf abschlagen und diesem abscheulichen, hassenswerten Leben ein Ende bereiten? Keine Ahnung. Sie war verletzt, sie war durcheinander. Der Rothwardon hatte ihren Kopf ganz schön durchgeschüttelt, wahrscheinlich dachte sie daher so ein wirres Zeug.
Vorsichtig streichelte sie ihm über den Arm, dann erhob sie sich und nestelte den Verband von ihrem Kopf. Ihr Blickfeld war erheblich eingeschränkt durch das dreckigweiße Leinen; dem schaffte sie nun Abhilfe.
„Schlaft nun“, sagte der letzte Blick, den sie ihm an diesem Tage schenkte. Vielleicht würde er es verstehen, vielleicht auch nicht. Sie war zu geschwächt, um das direkt Wort an ihn zu richten. Ohne sich ein weiteres Mal zu ihm umzublicken, wandte sie sich ab und ging leise in ihr eigenes Zimmer, legte sich in ihr Krankenbett und hoffte, sie möge die Augen schließen und darin sterben.
An diesem Abend träumte sie von einer Horde kleiner, goldhäutiger Zwerge und silberhaarigen Frauen, die ihnen mit kleinen Holzsplittern die Finger aufspießten.
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