"Du bist so schön!
So wunder, wunderschön.
Dein Gesicht, dein Körper.
Oh, wunderschöne Kurenai.
Dein rotbraunes Haar, welches bei jedem Strahl des Sonnenscheins rot zu schimmern beginnt, dass man meinen könnte, es sei das Feuer selbst.
Deine sanften Augen - wie die glatte Oberfläche eines Sees, auf dem sich die Monde in klaren Sommernächten verheißungsvoll spiegeln.
Deine zarte Haut, so hell und blass, dass man meinen könnte, sie sei die Reinheit selbst.
Du bist Ursprung, Quell der Schönheit.
Und dann?
Ja, dann erwachst du aus diesem schönen Traum. Grausam nicht? Zuerst umgarnt von feinen, zuckersüßen Worten? und nun schaust du in den Spiegel.

Du bist das hässlichste Wesen dieser Welt."


Dunkelheit. Sie war davon umhüllt. Nur diese Stimme, ihre eigene, hallte an ihren Schädelwänden wider. Sie mochte weinen, schreien, zusammen brechen am Sternenhimmel ihres Lebens. Und doch? doch, erkannte sie ein Licht vor sich. Ein schmaler Spalt, kaum mehr als einen Faden breit. Und sie selbst war diejenige, die sich aus der Finsternis hinein in ein kaltes Licht riss.
Kurenai öffnete die Augen. Um sich herum hörte sie Geräusche, leise Bewegungen, geflüsterte Worte. Geradeso, als schlichen Menschen hier umher mit der Vorsicht, einen Schlafenden nicht zu wecken. Es dauerte, bis sie merkte, dass sie die Person war, auf die Rücksicht genommen wurde. Obwohl sich ihre Augen noch nicht an die Helligkeit gewöhnt hatten, versuchte sie sich aufzurichten, um Sekunden später von einer Hand sanft, aber bestimmt zurück in die Kissen gedrückt zu werden.
?Ihr seid schwer verletzt. Bis Eure Wunden vollends geheilt und Eure Kräfte wiederhergestellt sind, wird es noch ein, zwei Tage dauern. Also bleibt liegen und ruht Euch aus.? Eine Männerstimme. Kurenai blinzelte in das Licht hinein. Dunkle Konturen zeichneten sich vor ihrem Auge ab, langsam erkannte sie die Umgebung. Zwar noch verschwommen, aber immerhin. Ein Mann saß auf einem Holzstuhl an ihrem Bett und lächelte freundlich. Kurenai erwiderte es nicht. Wo war sie? Erst einmal musste sie sich sammeln, ihre Erinnerungen zusammen tragen und all diese Daten, die man gemeinhin als eine Lebensgeschichte bezeichnete, zu einem Bild zusammen fügen. Sie öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch kein Laut verließ ihre Kehle. Wo bin ich? Der Mann - ein Imperialer, wie auf den dritten, vierten oder auch fünften Blick zu erkennen war - meinte die ihr auf den Lippen liegenden Worte verstanden zu haben und füllte einen Becher mit Wasser aus einer eisernen Karaffe auf dem niedrigen Nachttisch. Bereits als er ihr half, sich aufzusetzen und das Kissen in ihrem Rücken zurecht zu zupfen, merkte sie, dass Widerstand nichts brachte. Dass sie allerdings nicht einmal den Kopf richtig zu schütteln vermochte, hatte sie nicht erwartet. Er setzte ihr den Becher an die Lippen und verabreichte ihr die klare Flüssigkeit in kleinen, ertragbaren Schüben. Durst war nun wirklich das letzte, was sie hatte. Aber wie dagegen angehen?
"Natürlich, Ihr seid durstig. Und selbst wenn Ihr es einmal nicht seid, so rate ich Euch, in nächster Zeit ein wenig mehr zu trinken. Das würde Euch durchaus gut tun, so blass, wie Ihr seid. Als hätte man Euch mit Kreide angemalt. Ihr wart bereits auf dem Weg in die nächste Welt, als wir Euch fanden. Die letzten Stunden waren ein reines Ringen um Euer Leben. Aber nun scheint es Euch wieder halbwegs gut zu gehen. Jedenfalls werdet seid Ihr außer Lebensgefahr."
Wo bin ich? Egal, wie sehr sie auch über diese Frage sann, sie vermochte sie sich selbst nicht zu beantworten. Die einzige griffbereite Person zur Beantwortung saß direkt neben der Stummen am Rand des Bettes, flößte ihr Wasser ein, hielt sich für so gebildet, erwartete Dankbarkeit und hatte in Wirklichkeit nicht den Hauch einer Ahnung. Sie hätte ihn gern einen Idioten genannt, doch erschien selbst ihr eine solche Anmaßung in dieser Situation etwas unangebracht. Immerhin hatte er ihr das Leben gerettet. Er und noch ein paar andere. Diese würde sie vielleicht noch kennen lernen, vielleicht auch nicht. Kurenai hoffte auf letzteres. Sich zu bedanken war nicht unbedingt eine ihrer besonderen Stärken. Der Imperiale nahm ihr den Becher von den Lippen und stellte ihn auf dem Nachttisch ab. Das Geräusch, eigentlich leise und dumpf, schmerzte in ihrem Kopf und jeder Schluck Wasser, den sie genommen hatte, brannte in ihrer Kehle wie reiner Alkohol. Sie fühlte sich wie gerädert. Nicht eines ihrer Körperteile wollte ihr den Gefallen tun, sich bei der kleinsten Bewegung mal nicht unangenehm bemerkbar zu machen. Als wäre sie von einer Klippe gefallen, hätte sich dabei sämtliche Gliedmaßen verrenkt und wäre mit dem Kopf auf einem harten Stein aufgeprallt. Die Schmerzen durften ähnlich sein, wenn man dezent außer Acht ließ, dass sie einen solchen Sturz wohl eher nicht überlebt hätte. Aber nicht nur ihre körperlichen Beschwerden ließen die junge Frau sich wundern. Insbesondere ihr Gesicht machte ihr sorgen, so taub und leblos es sich anfühlte. Mit der rechten Hand strich sie vorsichtig darüber, doch statt der sich üblicherweise dort befindlichen Haut ertastete sie eine härtere, raue Materie. Verband. Natürlich. So, wie der Rothwardon sie zugerichtet hatte, war es abzusehen gewesen, dass man ihren Kopf voll und ganz in "Seide" hüllen würde. Aber auch ihre Arme waren verbunden, ihr Hals und ganz besonders ihre Schulter. Letzterer Verband lag besonders straff an ihrem Körper an. Den dazugehörigen Arm anheben? Ein Ding der Unmöglichkeit. Vorsichtig begann sie nun, da sie genug vom Nachdenken über die erst kürzlich passierten Geschehnisse hatte, den Raum in Augenschein zu nehmen. Er war klein und spärlich eingerichtet. Das gesamte Mobiliar ließ sich in Bett, Nachttisch und Stuhl zusammen fassen. Den Eimer, der neben ihrem Bett stand ? zu welchen Zwecken, das wollte sie nicht einmal wissen ? zählte sie nicht dazu. Der Verschönerung des Zimmers hatte wohl ein Wandteppich mit einer Magier-Stickerei dienen sollen. Weit gefehlt: Er machte die ganze Angelegenheit nur noch schlimmer. Direkt gegenüber dem Bett befand sich die Tür, daneben gleich dieser Wandbehang. Eine schöne Arbeit, keine Frage, aber fühlte Kurenai sich durch den abgebildeten Magier angestarrt. Oh ja, er blickte ihr entgegen, als wollte er ihr etwas vermitteln. Was es war, konnte sie nicht sagen, aber es war unangenehm. Wahrscheinlich die Methode der Templer, ihre ungebetenen halbtoten Gäste schnellstmöglich wieder raus zu ekeln, da die Bezahlung ihrer Dienste in keinem Vergleich zu ihren Ausgaben stand.
"Interessiert es Euch nicht?", fragte der Imperiale und sah sie misstrauisch an. Kurenai wandte ihm nur den Kopf zu. Sie verspürte keinen Drang zur Nachfrage. Er würde ihr ja eh sagen, was sie angeblich nicht interessierte.
"Ihr wollt gar nicht wissen, wo sich Euer Begleiter befindet und wie es ihm geht? Auch er ist noch recht angeschlagen, wohl noch schlimmer als Ihr. Er hat eine Menge Blut verloren. Er hätte tot sein können, aber scheinbar interessiert Euch das herzlich wenig."
Nein, es interessierte sie sogar brennend, aber aussprechen hätte sie dies - wenn überhaupt sie es gewollt hätte - ohnehin nicht. Wäre er einer ihrer Retter gewesen, so hätte ihm die breite, gezackte Narbe an ihrem Hals auffallen müssen, wodurch ihm schließlich klar geworden wäre, dass sie keine Stimmbänder besaß, um sie auch zu benutzen.
"Ich werde Euch nachher zu ihm bringen - wenn Ihr brav seid und ein wenig schlaft." Er zwinkerte ihr zu und erhob sich. Für seinen letzten Ausspruch hätte sie ihm gern ins Gesicht geschlagen. Nun, irgendwann würde sie das sicherlich nachholen, falls sie es der Nebensächlichkeit wegen nicht völlig vergaß. Die Tür quietschte, als er sie öffnete. Auch, als er sie wieder schloss. Alles war still in dem Raum. Nur die gedämpften Gespräche aus dem Raum hinter der Tür waren zu vernehmen. Kurenai ließ sich zurücksinken und genoss diesen Moment der vollkommenen Einsamkeit, die Ruhe, die dieses Bett verhieß. Der Schlaf schrie förmlich nach ihr, zog ihr Bewusstsein sanft in kleinen Stücken hinab in einen schwarzen Schlund aus Alpträumen. Ein Lächeln bahnte sich seinen Weg auf ihre Lippen. Ja, selbst wenn sie wusste, was sie vom Schlaf zu erwarten hatte, es drängte sie, die Augen zu schließen und sich ihm zu überlassen.

Wie viel Zeit war vergangen? Minuten, Stunden, Tage, Monate? Kurenai hatte nicht das Gefühl, lange geruht zu haben, als ihr Körper mit denselben Schmerzen ein weiteres Mal in die Realität zurückkehrte. Sie hatte einen tiefen, traumlosen Schlaf durchlebt. Unbedingt besser fühlte sie sich dadurch nicht, aber ihr Körper schien es ihr und ihrem Unterbewusstsein zu danken. Einige Minuten lag sie mit noch geschlossenen Augen da, döste vor sich hin und genoss die Stille.
Dann quietschte die Tür. Sie öffnete eines ihrer Lider. Wieder dieser Imperiale. Wenn er sie nun fragte, ob sie auch schön brav im Bett geblieben war, würde sie vom Glauben abfallen, jeglichen guten Geist begraben und sich wie eine Wilde auf ihn stürzen. Es wäre mehr, als sie im Moment ertragen konnte.
"Ah, Ihr seid wach. Meint Ihr, dass Ihr aufstehen könnt? Dann führe ich Euch zu Eurem Begleiter. Er schläft noch. Bei seinem Blutverlust wird es wohl auch noch eine Weile dauern, bevor er aufwacht."
Vorsichtig half er ihr beim Aufstehen. Kurenai mochte ja über ihn denken, was sie wollte, sie war auf ihrem Weg nach Morrowind schon schlimmeren Heilern als ihm begegnet. Männer und Frauen mit den Händen eines Fuhrknechts; talentiert, aber anderen Heiler nicht unbedingt vorzuziehen. Jede Bewegung schmerzte in ihren Gliedern, aber Kurenai war gewillt, sich zu erheben und zu gehen. Sie musste den Rothwardonen sehen. Sie musste sich vergewissern, dass er lebte. Der Imperiale legte ihr helfend einen Arm um die Hüften, ließ sie sich auf ihn stützen und trug sie mehr durch den Raum als dass er sie selbst gehen ließ. Sie war krank, schwach und dem fremden Willen ihrer "Gönner" unterworfen. Tolles Gefühl... Sie hatten nicht weit zu gehen. Der Rothwardon lag gleich im Nebenzimmer. Dennoch dauerte es eine Weile, bis sie dort ankamen und der Imperiale sich für einen Moment zurück zog, um Kurenai mit dem Mann, den er allem Anschein nach für einen Kampfgefährten der Stummen hielt, ein wenig allein zu lassen. Als er gegangen war, erhob sie sich von dem Stuhl und hievte sich hinüber zum Bett, ließ sich auf dem Rand nieder und betastete seinen Hals, spürte einen schwachen Puls. Ein Glück, er lebte. Traurig, aber wahr: Sie wünschte dem Rothwardonen den Tod, aber da sie ihre letzte Energie aufgebracht hatte, ihn hierher zu bringen, erfüllte es sie mit Erleichterung, dass ihre Anstrengungen etwas gebracht hatten. Aktiv hassen konnte sie ihn später immer noch. Durch die Ohnmacht und das Erwachen in einer fremden Umgebung waren ihre Gefühle für eine gewisse Zeit wieder mehr oder weniger auf Eis gelegt. Besonders stark zum Ausdruck kommen konnte sie jedenfalls nicht. Gut für den Glatzkopf, der da schlafend in dem Bette lag, denn ansonsten hätte sie ihm noch eine Ohrfeige zu seinen zusätzlichen Gebrechen verpasst.
Er sah grauenvoll aus. Das, was da vor ihr lag, ging nicht mehr als das durch, was man allgemein hin einen Menschen nannte. Ein Knäuel teils rötlicher Verbände traf in Sachen Optik eher zu. An seinen Armen lagen hölzerne Schienen, umwickelt von straffen Streckverbänden. Hatte er sich etwas gebrochen? Nein, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, waren seine Arme noch ziemlich gut intakt gewesen. Er musste sich die Brüche nach der Teleportation zugefügt haben, als sie ohnmächtig gewesen. Aber was im Namen Lorkhans hatte da bitteschön noch passieren können? Der Zauber hatte sie direkt vor die Türe des nächsten Tempels geführt. Nun, sie erwartete gar keine logische Antwort auf diese Frage, geschweige denn, dass sie sie sich selbst zu beantworten jemals fähig sein würde. Vorsichtig strich sie über seine freie Brust, wohl das einzige Fleckchen seines Körpers, welches nicht von weißem Verband bedeckt war. Ihre rechte Hand vollführte eine gerade Linie, die Stumme bewegte ihre Finger ruhig und bedächtig, betrachtete abwesend, was sie tat und gelangte schließlich bis an seinen Hals. Vorsichtig strich sie ihm über den Nacken, über den gesamten Hals. Dann legte sie ihre Finger darum und drückte mit sanfter Gewalt zu. Die Versuchung, ihn im Schlaf zu morden, war überwältigend. Er wirkte unschuldig wie ein kleines Kind, das Blut an seinen Händen sollte für einen Moment überdeckt sein vom gleißend hellen Licht der Reinheit. Ihn in seinem einzigen, wirklich verletzlichen Moment zu vernichten, hätte doch etwas für sich, oder? Vielleicht würde er gar nicht merken, wie sein Traum langsam verblasste und sein Blickfeld sich mit den Feuern Oblivions füllte. Er würde es nicht verstehen, nicht wissen, dass er soeben gestorben war. Sie musste nur zudrücken, fest und unbarmherzig, dann?
Seufzend zog Kurenai ihre Hand weg und ließ sie zusammen mit der anderen in ihren Schoß sinken. Das war einfach eine dumme Idee. Erst retten und kurz darauf hinterrücks erledigen, nur um von den Templern wenig später aufgrund dieses Mordes ebenfalls schmerzlos und schnell hingerichtet zu werden. Es war nicht wirklich das, was sie unter produktiver Zukunftsplanung verstand. Kurenai riskierte einen zweiten Blick in sein Gesicht. Es war weniger schlimm zugerichtet als das ihre, aber das Fleisch um sein rechtes Auge zeigte eine leichte Schwellung. Noch ein, zwei Tage, solange mussten sie wohl miteinander auskommen, ohne sich gegenseitig an die Kehle zu gehen. Vielleicht würden sie es schaffen, vielleicht auch nicht. Wenn nicht würde sie zwar beide sterben, aber wenn es erst einmal soweit kommen sollte, dürfte diese Gewissheit ihnen auch keine Schranke sein.

Der Rothwardon öffnete die Augen und sah ihr mit einem Ausdruck der Verwunderung ins Gesicht.