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Abenteurer
Pelagiad / Halfway Tavern
Mit ausdruckslosen Augen hatte Kurenai die Frau vor sich betrachtet, die dabei gewesen war, die Wunden der Stummen provisorisch zu verbinden. Wieso hatte sie das getan? Wieso hatte sie sich bei der Mischlingsfrau entschuldigt? Kurenai war verwirrt gewesen. Aber es hatte ihr recht sein sollen. Sie erwartete von den hier Lebenden keinerlei Logik oder dass sie nach Kurenais Moralvorstellungen handelten. Und selbst, wenn sie es sich nicht eingestand, war sie doch ein wenig dankbar über die unerwartete Freundlichkeit gewesen.
Plötzlich ein Lachen. Kehlig, tief, verzweifelt, irrsinnig. Die Stumme hatte ihren Kopf in Richtung des Rothwardonen gewandt, ihn betrachtet, wie er in einem Meer von Blut ertrank, sich selbst frohlockend in die Hölle stürzte. Er verstand es einfach nicht. War er denn so schwach, so erbärmlich, dass er seine Seele an den Wahnsinn verkaufte? Wusste er denn nicht, dass er in diesem Lande nun dem Gesetz Sheogoraths unterworfen war? Nun, sein Pech. Kurenai würde ihn nicht aufhalten. Oh, wie armselig er doch war, nicht mehr als ein kleines Kind, das mit Blut spielte.
Töte sie, Rothwardon, töte sie alle. Labe dich an ihrem Blut, an ihren Qualen und nähre meinen Hass auf dich. Nicht dies alles hier ist falsch – du bist falsch. Deine vollkommen verdrehten Gedanken werfen dich als Festmahl vor die Füße des Wahnsinns. Entscheidest du denn noch selbst? Existiert ein ‚du’ überhaupt noch? Nein. Mach’ nur weiter. Tu’ nur, was du zu tun gedenkst. Und schau’ nicht zurück. Ich werde kommen und dich holen…
Die Schreie der Soldaten hatten in ihrem Kopf geklungen, selbst dann, als sie bereits erstorben. War es Trauer, die ihr Herz bewegte? Oh Lorkhan, nein, sie hatte gewusst, was es war. Eine plötzliche Erkenntnis, rein wie die Tropfen eines plötzlichen Regenschauers: Sie schenkte ihren Gefühlen eine winzige Ecke ihres Bewusstseins. Aber nicht, weil sie sie nicht unterdrücken konnte. Das war es gewiss nicht. Sie tat es mit voller Absicht. Sie wollte den Rothwardon hassen können. Als er gekämpft hatte, hatte sie sich vorsichtig ihrer schweren Rüstung entledigt. Armschienen, Beinschienen, Stiefel, Kürass – alles hatte weichen müssen. Nur die Eisenkrallen an ihren Händen hatte sie an Ort und Stelle belassen…
Schwerlich erhob sie sich, während der Schmerz in ihren Schläfen pochte, das rote Blut nach und nach aus ihrem Körper wich. Verdammt, sie war zu langsam! Der Rothwardon hatte sich bereits durch Reihen der Soldaten gekämpft und war aus ihrer Sichtweite verschwunden. Sie musste ihm folgen, durfte seine Spur nun nicht verlieren. Dieses ungute Gefühl… woher kam es? Sie musste auf ihn Acht geben. Acht geben bis zu jenem Tag, an dem sie abermals die Klingen kreuzen und einander den Tod schenken würden.
„Oh nein!“ Eine Stimme. Ja, die Stimme eines Mädchens. Woher kannte die Stumme sie? Dumpf klang sie in ihrem Schädel wider und eine Erinnerung bahnte sich den Weg aus ihrem Unterbewusstsein in ihren Kopf. Anyala. Halb stehend an der Wand lehnend sah Kurenai dem Kind entgegen, wie es am oberen Absatz der Treppe stand und Anstalten machte, zu der neuen ‚Freundin’ zu gelangen.
Nein!
Bleib’ weg!
Das ist gefährlich, komm’ nicht näher!
Lauf’ nach Hause, Kind, bevor es zu spät ist!
Als ob Kurenai damit etwas erreichen konnte, streckte sie ihren rechten Arm nach dem Mädchen aus, gestützt von der Elfe, die ihr die Wunden verbunden hatte mit Fetzen ihrer eigenen Kleidung. Es war zu spät. Eine der Wachen war unachtsam gewesen. Hatte gedacht, ein neuer Angreifer wäre zu den Gegnern gestoßen. Hatte nicht darauf geachtet, dass es nur ein kleines, unachtsames Mädchen war. Hatte sich umgedreht. Hatte sein Schwert…
Hätte Kurenai schreien können, sie hätte es getan. Der Soldat sah Anyala schockiert an, diese blickte mit verwunderten Augen zurück. Es war, als würden sie sich lange Zeit ansehen, bevor das Kind auf die Knie sank und sein lebloser Körper schließlich dumpf auf das Holz aufschlug.
Nein!
Nein, nein, nein, nein, nein!
Kurenai erkannte nicht, ob das Mädchen tot war oder noch atmete. Es war ihr gleich. Sie hatte das Kind in der kurzen Zeit, da sie es kannte, in ihr Herz geschlossen. Es war der Stummen gewesen, als hätte sie in einen Spiegel gesehen, der ihr die eigene Vergangenheit zeigte. In ihren Augen war Anyala die Naivität gewesen, die zu Fleisch gewordene Reinheit. Der Soldat. Er hatte diese Reinheit beschmutzt, sie mit Blut überzogen und Kurenais Herz zu neuem Schmerz verholfen. Für einen Moment ließen die Kämpfenden ihre Schwerter sinken und betrachteten das am Boden liegende Mädchen. Als würde die Zeit den Atem anhalten. Ein kleines Rinnsal Blut bahnte sich seinen Weg durch eine Rille im Holzboden, ein weiteres folgte, verdickte den dünnen Streifen.
„Oh Lorkhan…“ Der Soldat sank auf die Knie. Seine Hände, ja, sein ganzer Körper zitterte. Er nahm den Helm vom Kopf und das Gesicht eines jungen Mannes erschien. Er legte den Kopfschutz neben sich auf den Boden und wollte Anyala berühren, doch er schaffte es nicht. Kurenai konnte nicht glauben, was er getan hatte. Sie war doch nur ein kleines Mädchen!, wollte sie ihm entgegen schreien, wie konntest du Mistkerl das nur tun?! Als hätte er ihre Gedanken vernommen, sah er sich nach ihr um. Eine plötzliche Welle aus Hass hatte ihn erfasst und machte ihm das Atmen schwer. In seinen Augen lag diese gewisse Ungläubigkeit… er konnte es selbst nicht fassen. Aber vor Kurenais Wut würde ihn auch dies nicht schützen. Sie musste ein Bild der Verzweiflung bieten, wie sie sich vollends aufrichtete und die blitzenden Augen an jeglichem Gefühl verloren. Ein Blick aus Stein begegnete dem des jungen Mannes, vollkommene Ruhe sprach daraus. Es war eine Ruhe, die die Stumme selbst sich nicht erklären konnte. Ein in ihrem Inneren geborener Gedanke brachte sie dazu, die Gelegenheit auszunutzen.
Ihre rechte Hand krampfte sich um das Schwert, entkrampfte sich und verkrampfte sich wieder; dann erhob sie es. Schnell wie ein Höllenhund jagte sie auf den Soldaten zu, welcher nicht einmal seine Waffe zur Hand nahm. Geradeso, als würde er den Tod als eine gerechte Strafe ansehen. Aber Kurenai reichte dies als Strafe beweiten nicht aus. Während des Laufens verstaute sie das Ebenerzschwert in der Scheide, stieß den Mann beiseite und kniete sich neben das Mädchen. Die Stumme drehte es herum und bettete es in ihren Schoß, dann legte sie ihm eine Hand an die Nase.
Sie atmete. Anyala atmete noch! Aber der Hass war nicht verraucht. Das Kind würde nicht sterben, aber es würde nie mehr sein wie zu dem Zeitpunkt, da Kurenai es kennen gelernt. Es würde sich von Grund auf verändern, voller Angst und Wut durch sein Leben gehen. Der Schmerz und das Blut hatten die Reinheit vernichtet. Kurenai würde es dem Soldaten niemals verzeihen. Sie schenkte ihm und den Umstehenden einen letzten Blick, dann legte sie die ohnmächtige Anyala sanft auf dem Boden ab, erhob sich weiteres Mal und wandte sich zu der Altmer um. Ihre Blicke trafen sich und Kurenai spürte den Hass, der auf ihr lastete. Also wurde auch die Stumme gehasst. Ein nicht ungewohntes Gefühl.
„He“ Ein weiterer Soldat trat auf sie zu und legte ihr die Hand auf die Schulter. Und Kurenai verspürte den heftigen Wunsch, sie ihm abzuschlagen. „Kommt nun mit uns. Ihr seht, was Euer Widerstand Euch gebracht hat. Jetzt muss Schluss sein.“
Ehe er sich’s versah, hatte er ihre Faust im Gesicht und fiel zurück. Dies hier war nicht Kurenais Kampf, sie hatte nichts mit diesen Soldaten zu schaffen. Der junge Mann, welcher Anyala derart schwer verletzt hatte, sollte heute nicht sterben. Und wenn doch, dann nicht durch die Klinge der Stummen. Diese wandte sich von dem Geschehen ab und rannte den Gang hinunter. Von draußen hörte sie die Rufe einiger Männer. Wahrscheinlich Soldaten. Und ihr Brüllen war dem Rothwardonen gewidmet. War denn erst so wenig Zeit vergangen? Umso besser. Mit jedem weiteren Meter, den sie lief, verkrampfte sich ihr Herz. Ihre Kraft würde bald zu Ende gehen, sie schöpfte aus den letzten Reserven. Aber sie musste ihm folgen. Wenn nicht, würde er dann sterben? Sie wusste es nicht. Aber ohne ihre Erlaubnis ging da gar nichts. Sie würde schon darauf achten, dass er sein verdammtes Leben weiterführte bis zu dem Tag, an dem sie ihm ihr Schwert in den Körper rammte.
Er rannte schnell. Wie vom Teufel besessen. Kurenai kam kaum hinterher. Die Wachen abzuschütteln war im Nachhinein nicht das Problem gewesen. Sie waren an ihre Pflicht gebunden, musste sich entscheiden entweder zwei Gefahrenquellen entkommen zu lassen oder gleich vier. Alle konnten sie nicht kriegen, dem waren auch sie sich bewusst.
Und sie hatten sich für die vier in der Taverne entschieden. Härter war es nun, mit dem Rothwardon halbwegs Schritt zu halten oder ihn immerhin nicht aus den Augen zu verlieren. Das war es aber nicht, was sie wollte. Sie wollte ihn einholen und ihm ihre Wut spüren lassen. Bis zu seinem Lebensende würde er sie nun in seiner unmittelbaren Nähe wissen. Selbst Schuld. Während seine Kraft langsam verebbte, nahm die ihre noch einmal von neuem zu. Ein Gedanke an Anyala reichte aus, ihre Beine zum Weitermachen zu bewegen, Kraft aus jeder Faser ihres Körpers zu schöpfen.
Sie kam ihm immer näher.
Spürte er es denn nicht?
Ja, da war er, direkt vor ihr. Beinahe konnte sie seinen Rücken berühren. Aber es reichte nicht aus, noch nicht ganz. Während er seine Reserven einteilte, hatte sie alles auf einmal aus ihrem Körper gezwungen. Nur, um ihn einzuholen. Jetzt hatte sie es fast geschafft. Sollte sie da die herbe Enttäuschung auf sich nehmen, alle Energie ausgeschöpft zu haben und stehen zu bleiben, während er weiter rannte? Nein, das wäre mehr, als sie ertragen konnte. Unbedacht ihrer momentanen Lage versuchte sie einen Sprung, warf sich auf ihn – und verfehlte seinen Rücken knapp. Stattdessen aber konnte sie ihre Eisenkrallen in sein linkes Bein bohren und hierdurch zu Fall bringen.
Beide lagen sie auf dem Boden, schwer atmend, ausgelaugt, und der Mann konnte ihr direkt ins Gesicht sehen. Jeder Atemzug schmerzte in ihren Lungen wie tausend Messerstiche, das Pochen in ihre Schläfen wurde nahezu unerträglich. Mit ihrem letzten bisschen Energie schenkte sie ihm noch einen einzigen Gedanken: „Du kommst nicht davon. Egal, wie weit du läufst, ich bleibe dir auf den Fersen.“
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