Er ist wahnsinnig - die einzigen Worte, die Kurenai durch den Kopf schossen, als sie in seine entschlossenen Augen blickte, so hasserfüllt und leidenschaftlich, dass sie sich beinahe übergeben musste. Ihre Hand verkrampfte sich um den Schwertgriff. Diese harte Klinge, so wusste sie, hatte sie dem Sieg einen Schritt näher gebracht. Sie hätte ihn töten können. Nein, sie hätte ihn töten müssen, denn er war gefährlich. Noch nie in ihrem Leben hatte sie einen Mann getroffen wie ihn. Es war Abscheu, die ihr Herz bei seinem Anblick bewegte. Diese Abscheu, dieser in ihr aufflammende Hass, als sie das lädierte Schwert in ihrer rechten betrachtete, welches einst Malukhat ihr geschenkt hatte, wurden so stark, dass es an Liebe grenzte. Jedoch war sie ein Meister der Unterdrückung ihrer eigenen Gefühle. Seine Angriffe waren stark, aber unkoordiniert. Sein Verstand schien jegliche Arbeit eingestellt zu haben. Hier war sie im Vorteil. Wenn sie einen kühlen Kopf behielt, konnte sie es schaffen, den Rothwardonen durch eine schnell geplante Taktik einmal mehr dem Tode nahe zu bringen und den letzten Schlag, welcher sein Leben auf ewig beenden sollte, zielgenau auszuführen. Noch einmal kam er ihr nicht davon. Die Angst, dass Anyala sehen könnte, was sie wirklich war, hatte sich in eine dunkle Ecke ihres Unterbewusstseins zurückgezogen. Keine kurzzeitig abrufbaren Erinnerungen waren mehr vorhanden, die sie ein weiteres Mal davon abhalten konnten, ihm seines Lebens zu berauben. Vielleicht oblag es nicht ihrer Entscheidung, aber er hatte sein Leben nicht verdient. Er nahm Leben, ohne darüber nachzudenken. Das war falsch, einfach nicht richtig ? seine Art entsprach einfach nicht Kurenais verdrehter Vorstellung von Moral. Und darum musste er sterben, darum musste sie ihn töten. Ihr Atem ging schwer. Seine Angriffe abzuwehren hatte Kraft gekostet. Sie hatte nicht gewusst, wie lange sie ihnen noch hatte standhalten können.
Nein, schoss es ihr durch den Kopf, nein, nein, nein! Ich... werde... nicht... sterben! Ich werde nicht sterben! Ich darf nicht sterben, nicht hier, nicht jetzt - nicht durch seine Hand! Sie presste die Zähne aufeinander, dass es schmerzte, kniff die Augen zusammen, als sie den seinen Angriff begleitenden Schrei hörte. Sie hatte keine Angst. Der Tod war nur eine weitere Phase des Lebens, im Endeffekt vollkommen uninteressant und unsinnig.
Du kriegst mich nicht. Kurenai war entschlossen. Sie entspannte ihr Gesicht und hob den Kopf. Aus ihren Augen sprach keine Wut, keine Furcht, keine Verzweiflung, keine Freude an diesem grausamen Spiel. Nichts. Kein Fünkchen regte sich mehr in ihrem Herzen, falls sie ein solches im sprachgebräuchlichen Sinne überhaupt besaß. Warmes Blut rann in kleinen Rinnsalen über ihr Gesicht, ihre Hände, durchtränkte ihr Haar. Machte er so weiter, würde er sterben, ehe der Kampf durch einen Schwertstreich entschieden werden konnte. Ihr sollte es recht sein. Sein Leben - es war keinen Dreck wert. Es ihm einst geschenkt zu haben, kam damit gleich Perlen vor Säue zu werfen. Sie leckte sich über die Lippen, schmeckte das Blut und ließ es auf ihrer Zunge zergehen. Der süßliche Geruch, der dem Geschmack des Blutes gleichkam, hing bleiernschwer in der Luft.
Mit einem Ruck riss sie sich den ohnehin in Fetzen von ihrem Körper hängen Umhang vom Leib, sodass ihre Rüstung vollends sichtbar wurde. Zum ersten Male verfluchte sie sich, dieses Eisen an sich zu tragen. Es war imposant und wirkte einschüchternd auf ihre Gegner, doch andererseits war es auch schwer. Zu schwer, als dass sie hier einen Ausgleich in Sachen Wendigkeit herausschlagen konnte. Aber es würde auch anders gehen. Sie war nicht schwach, sie konnte ihn besiegen. Und sollte er sie dennoch töten, hatte sie eben Pech gehabt.
Die abgebrochene Klinge in der Hand ihres Feindes zuckte in Richtung ihres Kopfes. Der Schlag war so unkoordiniert, dass sie nur...
Kurenai hob das Schwert, ließ die Klinge des Gegners an dessen Seite entlang schleifen und wich einen Schritt nach rechts aus. Glas barst, Scherben klirrten zu Boden. Sie durfte sich nicht ablenken lassen. Von oben herab führte sie einen Streich in Richtung seines Rückens, war sich sicher, ihn auf diese Weise kampfunfähig machen zu können. Wie in Zeitlupe betrachtete sie das Geschehen, wie das Ebenerzschwert in Richtung seines Rückens hinab fuhr und - der Rothwardon wirbelte herum, legte seine Hände zu beiden Seiten des Stahls und nutzte es als Schild, blockte den kraftvollen Angriff der Frau mühelos und riss das gegnerische Schwert zur Seite. Obgleich sie ihm hierdurch eine gewaltige Fläche dank fehlender Verteidigung bot, verspürte sie keine Zweifel. Eine schnelle Bewegung, ein mächtiger Schlag reichten aus, die Waffe des anderen aus dessen Händen zu schlagen und sie dumpf auf den Holzdielen aufprallen zu lassen. Einen Moment zu früh gefreut, den Bruchteil einer Sekunde unachtsam gewesen, schon stand er direkt vor ihr und rammte ihr die Faust in den Magen. Dass er hierbei die schwere Rüstung malträtierte und sich selbst weitaus größeren Schaden zufügte als ihr, interessierte ihn wohl wenig. In seiner blinden Wut schien er keinen Schmerz mehr zu verspüren.
Kurenai verlor den Halt, landete auf dem Boden. Ihre Waffe entzog sich ihrer Reichweite, schlug irgendwo weit hinter ihr auf dem Holz liegen und harrte seiner Meisterin. Da war er bereits über ihr. Körperlicher Schmerz... nur eine Illusion, man konnte ihn sich mühelos wegdenken, doch jetzt? so sehr Kurenai auch versuchte, sich selbst keine Qual anmerken zu lassen, fühlte sich ihr Körper an, als wäre er von langen, spitzen Nadeln gespickt. Er schlug ihr ins Gesicht, immer und immer und immer wieder.
Seine Augen sprachen Bände: Kein Mitleid, keine Reue - nur Hass. Und? Was war es noch? Es konnte nicht ausschließlich Hass sein. Das war nicht die die einzige Aussage, die sein Blick ihr gegenüber machte. Er konnte sie nicht hassen, denn er kannte sie nicht. Also, was war es? Kurenai zwang sich zu denken. Vielleicht war dies herauszufinden ihre einzige Möglichkeit, das Ruder noch einmal herumzureißen. Ein kehliges Geräusch, welches bei einem normalen Menschen wohl als Schrei zu deuten gewesen wäre, entlockte sich ihrem Hals, als ihr Hinterkopf hart auf dem Boden aufschlug. Sie spürte seinen Körper über dem ihren, sie konnte sich kaum bewegen, hatte kaum Freiraum zum Atmen. Aber sie musste denken. Denken um ihres eigenen Lebens willen, um der Strafe willen, die sie sich selbst auferlegt hatte. Wenn sie jetzt starb, war alles für die Katz?, alles Geschichte, alles so sinnlos und verquer. Was war es? Komm' schon, zeig' es mir!, schrie sie ihm in Gedanken entgegen. Denn selbst, wenn die Stumme nun den Tod finden sollte, wollte sie wissen, was dieses Monster bewegte, in einem solchen Hass auf sie loszugehen. Sie wollte nicht sterben, ohne zu wissen, was es war, von dem sie da geschunden und ausgelöscht wurde.
Dann sah sie es. Und genau jeder Moment verschaffte ihr ein Wissen, welches sie vor dem Kampf benötigt hatte, besser gar bevor sie diese vermaledeite Stadt überhaupt betreten hatte: Sie konnte ihn nicht besiegen. Der Spiegel ihrer Hoffnung und Illusionen zerbarst in tausend Stücke, als sie sich dieser Tatsache gewahr wurde. Sie würde sterben. Ohne mit der Wimper zu zucken würde er sie nun totschlagen, und selbst wenn sie bereits tot war, würde er nicht aufhören. Er würde ihren Körper mit seinen eigenen Händen völlig entstellen, er würde seiner Wut solange freien Lauf lassen, bis von ihrem Körper nicht mal mehr übrig war, als ein lebloser Klumpen Fleisch.
Tja, dachte sie, da habe ich wohl doch Pech gehabt? Sie akzeptierte den Tod. Hatte sie sich denn nicht wacker geschlagen? Sie hob die Hände, packte ihn an den Gelenken und gebot seinen Fäusten unter größter Anstrengung Einhalt. Das Eisen ihrer Krallen schnitt tief in seinen Fleisch, ihr Griff war fest. Lange konnte sie dies hier nicht durchhalten, schnell wollte sie ihre letzten Worte sprechen, sie lagen ihr brennend auf der Zunge wie flüssiges Metall.
"Du tust mir Leid", schickte sie ihre Gedanken durch einen zwecksentfremdeten Beherrschungszauber direkt in sein Hirn. "Du fühlst dich gut, wenn du töten kannst. Aber es ist nicht das Töten, oder? Du willst nur Blut sehen. Deine Minderwertigkeitskomplexe sind bemerkenswert. Du fühlst dich stark und deinem Gegner überlegen, doch all jene, die du in deinem Rausch vernichtetest, belächelten dich, denn du verstehst es nicht. Du bist ein Wurm, der sich selbst auffrisst. Wie erbärmlich."

Und sie lächelte herablassend.