Manchmal kam Kurenai sich vor wie eine mit Parafin aufgespritzte und hübsch geschminkte Leiche. Außen schön und rosig glatt, während innen schon die Würmer krochen. Unablässig streifte sie voran. Hatte sie nicht in Dagon Fel bleiben wollen? Die Insel war ruhig, bot eine Menge Verstecke. Nur einer hatte sie dort jemals zu Gesicht bekommen und dies auch überlebt. Ein Dunmer in zerschlissener Kleidung. Sie wollte ihn vergessen. Er war nicht wichtig für sie und ihre Lebensgeschichte, es hatte keinen Sinn. Sie brauchte keine Erinnerung an ihn, sie würde ihn niemals wieder sehen. Und das war auch gut so. Vielleicht würde er ihr Geheimnis ausposaunen? Und dennoch, trotz ihrer Angst, Verachtung zu finden, hatte sie Dagon Fel verlassen.

"Dreckige Frau. Mischblut."

Sie kniff die Augen zusammen, als diese Worte durch ihren Kopf geisterten. Diese Worte waren so wahrhaftig, dass sie beinahe schon körperlich schmerzhaft wirkten. Oh ja, sie war das, was er ihr gesagt hatte, dieser merkwürdige Mann, den sie - in Balmora? - getroffen hatte. Idiot. Er hätte nur den Mund halten müssen, dann hätte sie ihn in Ruhe gelassen. Nun lag er unter der Erde. Er würde sie nie wieder beleidigen. Er hatte sie doch gar nicht gekannt, mit welchem Recht also hatte er sich heraus genommen, solch grausame Dinge zu ihr zu sagen?

"Ihr seid nichts weiter als eine Ausgestoßene. Ein Schandfleck unseres Landes. Wieso tötet Ihr Euch nicht selbst?" Aufmerksam lauschte sie seinen Worten. Das schöne Gesicht unter der daedrischen Maske zeigte keinerlei Gefühlsregung. Doch ihr Innerstes brodelte vor Wut.

Sie durfte nicht sterben, nicht durch ihre eigene Hand. Das wäre wie Flucht. Eine Flucht vor ihrer Vergangenheit und dem, was sie dem Menschen, den sie am meisten geliebt, angetan hatte. Ihr Leben war ihre eigene Strafe. Wieso verstand das keiner? Wieso meinten immer alle, der Tod sei die schlimmste Strafe dieser Welt? Kurenai wünschte sich, endlich schlafen zu können, auf ewig, und wenn sie in den Feuern Gehennas brennen sollte.

"Gehenna?", er verzog das Gesicht zu einer empörten Fratze. "Nicht einmal an unsere Götter vermögt Ihr zu glauben, Weib!"

Es ist nun einmal mein Glaube, dachte Kurenai. Er war nicht weit verbreitet, so gut wie unbekannt, doch sie war mit ihm aufgewachsen, also wieso sollte der Glaube an Azura etwas besseres sein? Die Dunmer hatten doch keine Ahnung. Konnte man denn Kurenais Glauben mit dem Wissen der Dunmer um ihre Götter gleich gesetzt werden? Die wussten doch, dass ihre daedrischen Götter existierten, sie besaßen gar keinen Glauben. Doch ihn hatte sie dazu gebracht, zu seinen lächerlichen Daedra zu beten. Er hatte es nicht anders verdient, dieser hochmütige Kerl.
"Entschuldigt bitte?" Eine Stimme, welche zaghaft zu Kurenais Rechten ertönte. Sie wandte sich zu der Sprecherin um, welcher die Angst in den Augen geschrieben stand. War sie, Kurenai, denn derart furchteinflößend durch ihre Gestalt? Der schwarze, leicht zerfledderte Umhang, die Eisenkrallen, welche ihre Hände vollends bedeckte, die schwarze Kapuze, welche ausschließlich einen Blick auf einen Teil der daedrischen Maske feilbot. Um dem Fräulein zu signalisieren, dass sie verstanden hatte, zuckte sie fragend mit den Schultern und hob die Arme ein Stück an. Kaum mehr als ein Kind, dachte Kurenai, als das Mädchen stotternd zu sprechen begann.
"Wisst Ihr,", begann es, "mir ist das ein wenig peinlich. Ich habe mich verlaufen und nun? ich finde nicht mehr nach Hause. Ich... ähm... will nach Pelagiad. Wisst Ihr zufällig, in welche Richtung ich da gehen muss?"
Kurenai blickte sich rasch um und entdeckte einen Wegweiser an einer Straßenkreuzung. Sie hob den Arm und zeigte mit dem Finger darauf. Das Mädchen folgte dem Zeig mit den Augen, dann sagte es: "Das hat mir leider auch nicht sehr geholfen? Ich habe keinen so guten Orientierungssinn." Es errötete. Nun, dachte sie Kurenai, wenn ich ohnehin nicht weiß, was ich mit meiner Zeit anfangen soll, kann ich ja mal etwas Sinnvolles tun und das Mädchen nach Pelagiad bringen. Schaden konnte dies jedenfalls nicht. Sie nahm es beim Arm und zog es mit sich in Richtung des vom Wegweiser ausgeschilderten Städtchens. Zuerst sträubte es sich, dann aber, als es merkte, dass Kurenai sie nach Hause bringen wollte, ging sie freudig lächelnd mit.
"Wie ist Euer Name?", fragte es nach einer Weile des Schweigens. Kurenai antwortete nicht, sah das halbe Kind nicht einmal an, sondern ging einfach weiter. Sie konnte doch eh nicht antworten.
"Mein Name ist Anyala", sagte es dann. Wieder eine Weile des Schweigens, während die beiden Frauen dem Weg folgten. "Wieso sprecht Ihr nicht mit mir?" Es schien ihr unheimlich zu sein, eine solche Wegbegleiterin zu haben. Kurenai blieb stehen, und warf ihre Kapuze zurück. Anyala zuckte zurück, als die daedrische Maske zum Vorschein kam, entspannte sich aber schnell wieder, als Kurenai ihren Umhang um den Hals ein Stück zurecht zog und ein paar breite, hervorstehende Narben zu erkennen waren.
"Ihr könnt also gar nicht sprechen?" Kurenai schüttelte den Kopf. "Wer hat Euch das angetan?" Du fragst zu viel, wollte Kurenai genervt erwidern und zog die Kapuze wieder über ihren Kopf. So etwas ist gefährlich. Manchmal erfährt man Dinge, die man gar nicht wissen möchte. Ihr Kopf ruckte leicht in Richtung des Weges, was symbolisieren sollte, dass sie endlich weiter gehen sollte.
Der Weg nach Pelagiad war nicht weit, doch Anyala schaffte es, Kurenai ihre halbe Lebensgeschichte aufzudrücken. Kurenai wusste nun fast alles über ihre Eltern (insbesondere über den netten Vater, welcher in den Minen arbeitete und dem Mädchen am Wochenende das Frühstück ans Bett brachte (was Anyala immer sehr freute (immerhin war er sonst immer etwas zurückhaltend ihr gegenüber, weiß Gott warum (was nicht bedeuten sollte, dass er sie nicht lieb hätte)))). Kurenai hätte sie am liebsten zum Schweigen gebracht, doch in dem Moment, an dem ihr beinahe die Hutschnur gerissen wäre, erkannten sie bereits die Stadtmauern vor sich. Die Frau mit der daedrischen Maske seufzte erleichtert.
"Super!", rief Anyala, "habt vielen Dank!" Sie rannte los, besann sich dann eines Besseren und kam wieder zurück. "Wo wollt Ihr denn nun hin? Wollt Ihr eine Weile in Pelagaiad bleiben? Dann würde ich Euch die Taverne empfehlen, dort werden Zimmer vermietet. Oder schlaft Ihr lieber im Freien? Ich meine, Ihr könntet auch..." Kurenai legte ihr den Zeigefinger an den Mund "Pscht." Einer der wenigen Laute, den die Stumme von sich geben konnte. Glück für Anyala, denn ansonsten hätte sie sich eine Standpauke darüber anhören können, wie gefährlich es sei, Fremden einfach alles über sich zu erzählen (und Anyala hatte wirklich keinen Punkt ausgelassen?).
"Kommt mit." Das Mädchen lächelte, nahm Kurenai bei der Hand und führte sie zu der Taverne. Unterwegs begrüßte sie ein paar Leute, die sie kannte und mit ihren Eltern befreundet waren. Diese betrachteten die Fremde, die Anyala da bei der Hand genommen hatte, misstrauisch. Kurenai war diese Blicke gewohnt.
"Hier könnt Ihr Euch einrichten, wenn Ihr mögt. Soll ich noch einmal mit reinkommen?" Kurenai schüttelte mit dem Kopf. Bloß nicht! Ein wenig Ruhe täte ihr nun gut. Aber Anyala wäre ja nicht Anyala, wenn sie nicht einfach die Tür geöffnet und Kurenai hinter sich hergezogen hätte.
"Der Koch hier ist sehr gut, aber haltet Euch von der Krabbenfleischsuppe fern. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dafür keine Krabben, sondern Ratten drauf gegangen sind!" Danke für die Information, dachte Kurenai und zog unter ihrer Maske eine Augenbraue hoch. Ein nie enden wollender Redeschwall. Welch Erleichterung, dass die Person hinter der Theke diesem für die nächste Zeit erstmal hilflos ausgeliefert sein sollte.