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Abenteurer
Dagon Fel, Taverne
Immer dunkler war es draußen geworden, als die Sonne ihren täglichen Kampf gegen die aufkommende Finsternis ein weiteres Mal verlor, nur um am nächsten Tage wieder in vollem Glanze zu erstrahlen. Der an einem Holztisch vor seinem mit Flin gefülltem Becher sitzende Dunkelelf sah durch das trübe Fensterglas nach draußen und sinnierte ein wenig darüber, ohne auf die leise im Hintergrund spielende Lautenmusik zu achten, welche wiederum von einigen lauthals brüllenden Trunkenbolden im Inneren der Taverne übertönt wurde.
Jeden Tag war es dasselbe, die Sonne kam und ging und es ging wieder von vorne los, eintönig und ein scheinbar nie enden wollender sinnloser Kreislauf. Genau so würde er auch seine Tage bezeichnen, seit über 130 Jahren lebte er nun schon so vor sich hin, einem Dämmerzustand gleich. Seit jenem schicksalsträchtigen Tag, als seine Liebe zu einer Dunmerin von dieser eiskalt ausgenutzt wurde, um seinen Lehrmeister, die einzige Vertrauensperson, die er jemals hatte, zu töten, hatte sein Leben für ihn jeglichen Sinn verloren und unendliche Gewissensbisse plagten ihn. Viele Male hatte er bereits darüber nachgedacht, dieser Sinnlosigkeit selbst ein Ende zu setzen, jedoch hatte er es nie fertig gebracht. Stattdessen zog er ziellos durch die Gegenden Vvardenfells und schlug sich alleine durch, seine Schuldgefühle damit ein wenig bekämpfend, dass er verirrten Reisenden beim Überleben half und sie führte. Er wusste, dass er geschehenes niemals wiedergutmachen könnte, aber wenn er es schon nicht fertig brachte, sich selbst von dieser Qual des Lebens zu erlösen, so wollte er wenigstens versuchen, anderen ein wenig zu helfen. Dies wäre wohl sicher auch im Sinne von Kagan gewesen, jener Vaterfigur, an dessen Ermordung er unbewusst mitgeholfen hatte durch seine Naivität. Doch trotz all dieser Verbitterung gab es dennoch Momente in seinem Leben, wo er die Vergangenheit vergessen konnte. Wobei das Vergessen eher ein Verdrängen war, aber nichtsdestotrotz war er ein Abenteurer, der einzelgängerisch in seiner Neugierde auch gerne Gräber und längst verfallene Ruinen alter Daedra-Fürsten erforschte. Dies war wohl das einzige, was sein Leben überhaupt lebenswert machte, er war ein neugieriger Forscher, wenn er sich nicht seinen Depressionen und seiner Verbitterung hingab, welche ihn immer wieder in fast regelmäßigen Abständen überwältigte. Irgendwie kam er sich schizophren vor, er strauchelte durch sein Leben und war eine kuriose Mischung aus einem Forscher und einem verbitterten Elfen, der nichts als sterben wollte. Konnte so was in einem Körper existieren? Er kannte nur die Flut seiner Gefühle, aber diese war schon immer verwirrend für ihn gewesen. Das einzige, was er mit Sicherheit wusste, war, dass er niemals wieder jemandem sein Vertrauen und erst Recht nicht seine Liebe schenken wollte, denn solche Gefühle machten ihn schwach und angreifbar. Er sorgte nun seit ungefähr anderthalb Lebenspannen nach menschlichen Maßstäben für sich allein und dies sollte sich niemals ändern, bis zu dem Tag, an dem seine Existenz auf dieser Welt enden würde. Aber was sollte das? Warum dachte er immer wieder darüber nach? Er hatte die Taverne aufgesucht, um sich ein wenig von seiner Verbitterung abzulenken und was tat er? Er saß in der Ecke einsam am einem Holztisch und betrank sich, wie so häufig.
Er stürzte den letzten Schluck seines Flins hinunter und stellte den Holzbecher unsanft auf die runde Platte des Holztisches, welcher schon viele Gebrauchsspuren aufwies. Eine Sache, die dieser Tisch mit seiner Lederrüstung und seinem alten Umhang gemeinsam hatte, denn seine gesamte Ausrüstung wirkte so, als hätte sie ihre beste Zeit schon längst überschritten. Nur sein mit Ornamenten verzierter Bogen und „Drachenbiss“, sein Schwert, passten nicht zu diesem Bild, pflegte er diese beiden Waffen, welche einst ein Geschenk seines Lehrmeisters gewesen waren, doch immer regelmäßig. Als er sich umsah, erkannte er, dass die Taverne sich immer weiter füllte, was zu dieser späten Zeit auch normal war. Hauptsächlich waren es die stämmigen Nords und auch ein paar Vertreter des Kaiservolkes aus Cyrodiil konnte man ausmachen, Dunkelelfen wie er selbst waren in diesem nördlichen Teil Vvardenfells jedoch eher selten, ganz im Gegensatz zu vielen anderen Städten wie Balmora, Vivec, Ald’ruhn und Sadrith Mora. Zwei Nords hatten sich an der Theke ihre Getränke abgeholt und kamen nun langsam auf ihn zu. Was wollten sie nur von Echozar? Gefiel ihnen nicht, dass er ein Dunkelelf war? Bei diesen hier auf dem Lande lebenden, bodenstämmigen und meist auch nicht von größter Intelligenz gesegneten Nords konnte man ja nie wissen. Langsam ließ er seine Hand hinabgleiten zu dem Griff seines Schwertes. Wollten die beiden eine Prügelei anfangen, so konnten sie diese haben.
„Hey mein Freund“, sagte einer der beiden. Er war etwas größer und muskulöser als Echozar, trug einfache Kleidung in verschiedenen Brauntönen und hatte eine hellblaue Gesichtstätowierung, wie sie von vielen Angehörigen dieses Volkes getragen wurde. “Na toll, wer sagt denn bitte, dass ich dein Freund bin“, dachte der Dunmer im Stillen, sah den Nord aber nur mit einem Blick an, der soviel aussagte wie: „Was willst du von mir?“
„Alle Plätze sind schon belegt, du hast doch sicher nichts dagegen, wenn wir uns zu dir setzen, oder?“
Hatte er nicht? Doch, hatte er eigentlich und zwar gewaltig. Aber bevor er auch nur zu einer Antwort ansetzen konnte, hatte sich der eine Nord bereits auf einem Stuhl neben ihm niedergelassen und der andere war gerade dabei, sich einen Stuhl von einem anderen Tisch zu organisieren, der noch frei war.
„Was führt dich in unsere schöne Stadt?“, fragte der Nordmann mit lauter und nerviger Stimme, bevor er einen großen Schluck Bier in sich hineinschüttete, welcher sich aber zu einem kleinen Teil seinen Weg an den Mundwinkeln vorbei suchte, durch den Vollbart lief und schließlich auf dessen Hose tröpfelte.
“Tolle Manieren, hört bloß auf, mich vollzulabern“, dachte Echozar innerlich seufzend, als plötzlich ruckartig an ihm gerissen wurde. Der andere Nord hatte seinen Arm um seine Schulter gelegt und hatte ihn leicht – in den Augen Echozars eher heftig – an sich gerissen und tönte seinerseits los.
„Gesprächig bist du ja nicht grad, komm, wir geben dir einen aus.“
„Nein, danke!“, antwortete der Dunmer genervt, er wollte eigentlich nur noch aufstehen und endlich verschwinden, dummerweise war der Nord ziemlich kräftig und er wollte auch keine Prügelei mitten in der Taverne riskieren.
„Na dann eben nicht“, sagte der andere, in dessen Bart man immer noch einen kleinen abwärtsgleitenden Bierfluss ausfindig machen konnte. „Aber die Frage war schon gerechtfertigt. Wir haben momentan nicht viele fremde Besucher hier, weil in der Nähe ein Geist sein Unwesen treibt.“
Ein Geist? Hm, eigentlich war Echozar immer noch von dem Wunsch beseelt, dem Griff des Nords zu entkommen und die Taverne schnellstmöglich zu verlassen, jedoch kam nun wieder sein Forscherdrang in ihm hoch und er wollte mehr erfahren.
„Wo ist das Problem mit einem Geist? In fast jeder Ahnengruft spuken doch Geister umher...“
Tatsächlich ließ ihn der Nord endlich los und wandte sich nun ernster an ihn, ebenso der mit dem Bart. Beide sprachen von nun an etwas leiser und man konnte daran merken, wie sie dieses Thema doch beschäftigte.
„Man spricht nicht viel darüber, aber es ist kein normaler Geist. Vielleicht auch ein Vampirältester, aber auf jeden Fall etwas sehr gefährliches. Mehrere Leute berichten von einem großen dunklen Schatten und silberne Krallen, die im Mondlicht funkeln, außerdem von einer Fratze des Grauens und keinen Laut soll diese Kreatur von sich geben.“
Die Stimme des Nords klang wahrhaft verängstigt und auch der andere wirkte verunsichert und sein Blick verriet seine Angst.
„Habt ihr denn Leichen mit Bisswunden am Hals gefunden?“ fragte Echozar weiter. Die beiden Nords sahen sich an, bevor dann einer nach einer kurzen Redepause zu einer Antwort ansetzte.
„Nein...“
„Na also, dann fällt ein Vampir doch schon einmal aus“, sagte er gleichgültig klingend.
„Aber... aber... es existiert wirklich, zu viele Leute haben es gesichtet. Keiner redet öffentlich viel darüber, aber alle haben Angst.“
Der Dunmer hatte keine Ahnung, was das für ein Wesen sein mochte, aber er war sich ganz sicher, dass es eine natürliche Erklärung dafür geben musste. Und er war kurz davor, seinem Forscherdrang nachzugeben. Ihn interessierte plötzlich brennend, wer oder was die Bewohner dieses kleinen abgelegenen Dorfes so in Angst und Schrecken versetzen konnte.
„Was ist mit der Stadtwache? Haben die nicht die nahen Wälder durchkämmt?“
„Doch, aber sie fanden nichts. Trotzdem, glaub mir, wir bilden uns das nicht ein. Die Taverne ist zwar voll und die Stimmung erscheint entspannt, aber dies ist alles nur eine Maske, hinter der die Stadtbewohner ihre Furcht verbergen.“
„Hm, genau wie ihr beiden bis eben.“
„Manchmal ist es halt einfacher, seine Sorgen zu verdrängen, als ununterbrochen mit ihnen leben zu müssen“, meinte der Nord auf die Äußerung Echozars, während dieser nur im Stillen dachte: “Oh ja, wie Recht du doch damit hast...“
„Hör mal“, fuhr der Bärtige fort. „Du siehst auch wie ein Abenteurer, der schon vieles erlebt hat und du siehst so aus, als könntest du Geld brauchen.“
Für einen kurzen Moment stieg Wut in Echozar auf wegen dieser Äußerung des Nords, stellte sie ihn doch als schäbig und arm dar. Natürlich hatte der Mann mit dem Taktgefühl einer Keule schon Recht, Echozar konnte wirklich etwas Geld gebrauchen, aber musste man ihm das gleich so an den Kopf knallen?
„Die Stadtwache wird dich sicher fürstlich entlohnen, wenn du die Sache mit diesem mysteriösen Wesen aufklärst.“
“Ach wird sie das?“ Der Dunkelelf hatte diesen Aspekt bisher noch gar nicht bedacht, obwohl er seine Entscheidung bereits von seiner eigenen Neugierde aus getroffen hatte. Sollte es dafür jedoch auch noch ein paar Draken geben, wäre das umso besser. Ja, er würde sich jetzt sofort daran machen, er hatte ja sowieso sonst nichts vor, wie so ziemlich jeden Abend seines vor sich hindämmernden Lebens.
Mit einem Ruck stand er auf und nahm seinen Bogen samt Pfeilköcher an sich, den er an die Wand in der Nähe seines Stuhles gelehnt hatte.
„Ihr habt Recht, ich werde mir dann jetzt mal etwas Geld verdienen und die Sache aufklären.“
Die beiden Nords blickten zuerst ihn, dann sich gegenseitig mit verständnislos blickenden großen Augen an, aus denen Echozar den Satz „Bist du jetzt total bescheuert?“ rauslesen konnte, so lange sie auf ihn gerichtet waren. Der ohne Bart sprach zuerst los, obwohl beide den Mund geöffnet hatten.
„Bist du verrückt? Um diese Zeit? Mitten in der Nacht? Da ist das Wesen am gefährlichsten, wie es heißt.“
„Ja, und tagsüber ist es wahrscheinlich nicht aufzufinden, habe ich Recht?“
Schweigen, aber Echozar wusste, dass er richtig lag. Außerdem war er sich immer noch sicher, dass es sicher nur ein Scherz war, allerhöchstens ein paar Banditen, die ihre Höhle mit ihren erbeuteten Schätzen so vor der Entdeckung durch die Stadtbewohner bewahren wollten. Ein übernatürliches Wesen... lachhaft... Aber er würde das schon regeln und seine Belohnung kassieren.
Er nickte den beiden abergläubigen Nords zur Verabschiedung zu und ging dann festen Schrittes zur Tavernentür, nachdem er der Wirtin ein paar Draken für sein Getränk mit einer spielend wirkenden Geste auf die Theke geworfen hatte. Wohlgemerkt, die spielerische Geste war ihm eher schwer gefallen und die Draken waren beinahe seine letzten, aber das musste nun ja niemand der Tavernenbesucher wissen. Auch wenn er sich nicht mehr umdrehte, wusste er, dass die Blicke der beiden leichtgläubigen und naiven Nords vom Tisch aus immer noch mit großen Augen auf ihn gerichtet waren. Ihm war es egal, er würde nun nach längerer Zeit seinen Forscherdrang wieder ausleben und so seinem sinnlosen Dasein für einen kurzen Moment wieder den Zweck geben, wenigstens anderen helfen zu können. So, wie sein Lehrmeister Kagan es sicherlich von ihm gewollt hätte.
Kühle Nachtluft schwang ihm entgegen und er fröstelte leicht, als er die Taverne verließ und seinen Kapuzenumhang enger um seinen Körper zog. Auch die Kapuze streifte er über und überlegte leicht amüsiert, ob sie ihn in der Stadt jetzt auch für ein übernatürliches Wesen halten würden, wenn sie seine dunklen roten Augen unter der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze erblickten. Niemand war auf den Straßen zu sehen, wenn man von einigen kaiserlichen Legionären absah, welche mit einer Fackel „bewaffnet“ durch die Gassen des kleines Ortes gingen und nach dem Rechten sahen. Ihre Rüstungen schimmerten im Schein der Fackel, während auf dem Bogen und den umgebenden Gebäuden durch ihre Schatten gespenstisch wirkende Bilder entstanden. Der Himmel war klar und die Sterne sowie die beiden Monde ließen die Nacht total friedlich wirken. Auch wenn Echozar immer noch fröstelte, war es in der Taverne doch besonders warm gewesen, genoss er die frische Luft, die er beinahe gierig in seine Lungen zog.
Je weiter er sich von der Stadt entfernte, desto dunkler wurde es um ihn herum. Eine Fackel hatte er nicht dabei, aber als ein Abenteurer, der fast nur in der Wildnis lebte, konnte er seine Umgebung immer noch gut genug erkennen, ohne über Astwurzeln, kleinere Felsen oder ähnliche Hindernisse zu stolpern. Abgesehen davon würde er niemals dieses geheimnisvolle Wesen finden, wenn er mit einer Fackel herumlief, die so viel aussagte wie „Hier bin ich, versteck dich vor mir“ und ihn jeglichen Überraschungsmomentes beraubte.
Als er dem Weg von der Stadt weg immer weiter folgte, fand er an dessen Rand einen kleinen und für die Verhältnisse Vvardenfells recht dichten Wald vor, sofern man dabei von Wald sprechen konnte. Denn mit „echten“ Wäldern aus anderen Provinzen oder auch der Insel Solstheim konnte man diese Art Wald wohl nicht vergleichen, da sich die Baumarten grundsätzlich unterschieden. Aber es war ein recht dichtes Gestrüpp von großen dicken Laubbäumen und ebenso hohen „Pilzbäumen“. Auf jeden Fall war es ein ideales Versteck für so ein geheimnisvolles Wesen, sollte es überhaupt existieren. Dieser „Wald“ war tatsächlich dichter als zunächst von ihm angenommen. Das Mondlicht konnte nur vereinzelt die hohen Baumkronen durchbrechen und es war ziemlich dunkel. Hätte er doch nur das Zaubern gelernt, er wusste, dass viele Magier einen Zauberspruch kannten, der sie in der Dunkelheit besser sehen ließ. Aber Zauberei war ihm schon von frühester Kindheit an etwas suspekt gewesen und er hatte nicht einen Zauber jemals gelernt und hatte auch so ganz gut leben können. Trotzdem fluchte er jedes Mal leise auf, wenn er mit seinem Schienbein gegen einen Stein knallte oder seine Lederstiefel sich in am Boden befindliche Wurzelgeflechten verhedderten. Toll, wie sollte er so dieses Schattenwesen mit den Krallen und der hässlichen Fratze finden? Er fand ja nicht mal mehr seinen eigenen Weg und hatte das Gefühl, die Nacht wäre in den letzten Stunden des Umherirrens immer dunkler geworden. Doch dann erblickte er in der Ferne eine etwas hellere Stelle, scheinbar eine Lichtung. Da überall sonst dieselbe Dunkelheit herrschte, steuerte er die Lichtung ratlos an und beschloss, sich dort erst einmal auszuruhen. Diese Suche war bisher eine einzige Schnapsidee gewesen und insgeheim fragte er sich, ob diese beiden Nords sich mit ihm nur einen Scherz erlaubt hatten. Wen würde es wundern, jedoch kam ihm die Angst in ihren Augen keineswegs gespielt vor. Es war auch egal, sein Forscherdrang war inzwischen versiegt und das Geld würde er wohl auch nicht bekommen, wenn er nichts vorzeigbares mit zurück in die Stadt bringen würde. Er betrat die etwas höhergelegene Lichtung, welche von dem Firmament aus Sternen und Monden ein wenig beleuchtet wurde und setzte sich auf einen Stein, den Blick resignierend nach unten gewandt und wartend darauf, dass er sich für den Rückweg aufraffen würde. Hier gab es wohl nichts mehr zu finden, seine Suche war gescheitert, genau wie die der Stadtwache, von der die beiden Nords berichtet hatten.
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