Auf Malukhats Lippen tat sich ein Lächeln auf, dann begann er leise zu lachen. Irgendwie war das ja klar gewesen. Wie hätte es auch anders kommen sollen? Ein bisschen Nachdenken und er wäre vielleicht, aber auch nur sehr vielleicht, unter Umständen, ein winzig kleines bisschen auf die Idee gekommen, wo genau er seine Markierung zur Rückkehr gesetzt hatte. Er schüttelte den Kopf, immer noch leise lachend über sich selbst und die Situation, in die er geraten war. Hätte er nur ein wenig besser nachgedacht, fünf Minuten länger, er hätte es gewusst oder es mindestens erahnen können.
Er befand sich auf einer Wohninsel in Vivec. Das war der springende Punkt. Aber nicht das Problem, denn gewissermaßen hatte er auch nach Vivec gewollt. Das Problem lag eher in der Wahl der Wohninsel…
„Vivec, Tempel… Gnaa…“, sagte er dann und fragte sich, wie er es nur wieder geschafft hatte, sich in eine solch ausweglose Situation zu buchsieren. Und da hatte er die Antwort: Es musste so sein! Schicksal! Vorherbestimmung! Es musste ja immerhin einen Grund geben, warum er so viel Pech hatte.
Nun, wie dem auch war – er würde es ertragen wie ein richtiger Mann. Das heißt, wenn er erst einmal die Lösung gefunden hatte, wie er das hier überleben sollte, würde er es auf sich nehmen wie ein richtiger Mann. Irgendwo musste man ja Prioritäten setzen.
Rechts von ihm befand sich ein Boot, mit dem er zuerst zur Hlaalu-Wohninsel und von da aus zum Fremdenviertel gelangen konnte. Da tat sich dann das nächste Problem auf: Wie an der Wache vor der Halle der Weisheit unbemerkt vorbeikommen?
Er könnte sich als alte Frau verkleiden und sich dann heimlich an dem Kerl vorbei schleichen. Nein, dieser Gedanke war nicht zu verwirklichen, ja – geradezu grotesk! Ein echter Mann wie er! Also wirklich – wo sollte er denn die Klamotten herbekommen?
Nein, das musste auch anders gehen! Da kam ihm ein Geistesblitz!
„Ich kann doch einfach! Einfach… Die kennen mein Gesicht doch nicht! Die wissen doch nur, dass ich diese Rüstung trage! Und die ist verdeckt von dem Mantel! Darauf muss ich einfach nur achten, dass die die Rüstung nicht sehen!“
Ein triumphierendes Grinsen ließ sein Gesicht erstrahlen, als er den Arm hob und mit den Fingern schnippte. Da erkannte er plötzlich die Maske eines Ordinatoren, der um die Ecke bei der großen Treppe schielte.
„Ähm…“ Malukhat kratzte sich am Hinterkopf. „Passt schon! Nur ein kleiner… ja, keine Ahnung, was war das denn? Ich meine…“
Da hatte sich der Ordinator bereits mit den Worten: „Immer diese verrückten Touristen!“ abgewandt. Malukhat öffnete den Mund zu einer heftigen Erwiderung, klappte ihn dann allerdings wieder zu. Nein, diesmal sollte er wohl auf den Erhalt seines Stolzes und seiner Ehre verzichten, man konnte das auch später noch richten. Und da der Kerl ihn jetzt nicht erkannt hatte, würde er es auch nicht tun, wenn er sich einfach mal so mir nichts dir nichts zu dem Boot begab.
„Also, du Teufelskerl, dann mal ab mit dir!“, motivierte er sich selbst und straffte die Schultern. Auf halbem Wege winkte er der Wache noch einmal mit seinem süßesten Leck-mich-sonst-wo-Lächeln zu und wandte sich dann der Dunmerin vor dem Bootsanleger zu.
„Hlaalu-Wohninsel, wenn ich bitten dürfte!“, sagte er mit übertrieben guter Laune und ging den Steg hinunter. Die Frau folgte ihm kopfschüttelnd und schon bald legten sie ab.

Es dauerte nur wenige Zeit, bis sie an der Hlaalu-Wohninsel ankamen, von der aus Malukhat sich gleich weiter zum Fremdenviertel schippern ließ. Er hätte auch gut zu Fuß gehen können, aber er war nun einmal von Natur aus faul und hatte die Dienste, die die Gildenführer ihm in der Magiergilde geleistet hatten, mit Freuden zur Kenntnis genommen. Und demnächst wollte er sich auch wieder jene Dienste zu Nutze machen können.

Okay… tief ein- und wieder ausatmen… Nun befand er sich also im Fremdenviertel. Gut, er konnte nicht mehr zurück. Doch, er konnte noch. Aber er würde nicht. Nur: Wie sollte er Trebonius dazu bringen, gegen ihn zu kämpfen? Nun ja: „Da ist er! Schnappt den Verräter!“ vonseiten des amtierenden Erzmagiers könnte durchaus schon einmal ein guter Auftakt sein, aber das war irgendwie nicht das gewünschte Ziel. Das musste er also schon mal irgendwie anders regeln.
Er ging zum obersten Stockwerk der Wohninsel und betrat durch das große, hölzerne Tor den Platz. Als er einen Ordinatoren sah, machte er noch größere Schritte, obwohl er wusste, dass die wahre Gefahr innerhalb der Magiergilde drohte. Inzwischen hatte er nämlich raus, dass die Ordinatoren ihn merkwürdigerweise nicht als einen gesuchten Mörder identifizieren konnten, so seltsam dieser Umstand auch war. Entweder war es ihnen egal oder sie wussten es tatsächlich nicht oder sie nahmen ihre Arbeit einfach nicht ernst genug. Wie dem schlussendlich auch sein sollte, Malukhat beschwerte sich nicht darüber. Erst einmal musste er sich mit Trebonius unterhalten, sich dann noch mal mit Trebonius in der Arena „unterhalten“, und dann konnte er sich endlich wieder seinen Studien zuwenden und ein bisschen frischen Wind in die Reihen dieser lustlosen, scheinbar durch Trebonius Herrschaft degenerierten und an starren Verhaltensregeln festhaltenden Zauberer bringen. Die Magiergilde musste mal wieder ein bisschen Werbung machen! So konnten die doch keine Mitglieder kriegen, wenn die sie immer nur mit dem Wissen längst vergangener Zeiten bei Laune zu halten versuchten. Die Gildenhäuser brauchten einen neuen Anstrich! Ein neues Werbeschlagwort musste her! Und dann – am Ende seiner Bemühungen angelangt – würde er sich als alter Mann in seinen Stuhl zurück lehnen und den Ruhm genießen, der ihm Zeit seines Lebens zuteil geworden war.
Klar, schaltete sich sein Unterbewusstsein wieder einmal ein. Und was passiert als nächstes? Klippenläufer paaren sich mit Flederschatten?
„Okay… Ich geb’s ja zu…“, meinte er resigniert ob dieser Schlagfertigkeit seiner selbst. „Man kann’s auch übertreiben.“
Und so trat er dann durch die Tür zum Gildehaus der Magier zu Vivec.

„Ihr seid doch…!“, fuhr die braunhaarige Bretonin herum, und die weißhaarige Dunmerin folgte ihr mit ihren stechend roten Augen, die sich nun ebenfalls vor Schreck und Verwunderung ja.
„Ja, der bin ich!“, rief Malukhat selbstgefällig und fuhr sich über den kahlen Schädel. „Oder jedenfalls meine ich zu sein, was Ihr meint, oder wen Ihr meint.“ Er verdrehte die Augen und dachte noch einmal genau nach. „Na ja… Ich müsste mich wohl schon sehr irren, wenn nicht.“
Die Bretonin schien hin und her gerissen zu sein zwischen ihrer mehr als offensichtlichen Verwirrung und einem direkten Angriff mit einem todbringenden Feuerball. Scheinbar entschied sie sich für ersteres, denn sie stand weiterhin mit weit offenem Mund da und starrte den dunmerischen Magier einfach nur an. Auch die Dunmerin schien nicht mit seinem Auftauchen gerechnet zu haben – aber wer hatte das schon? Der Überraschungseffekt war also wieder einmal auf seiner Seite.
„Ich will nur mal eben mit unserem ehrwürdigen Oberhaupt Trebonius reden!“, sagte er und es sollte niemanden wundern, dass er dabei verdammt sarkastisch klang. Da erhob die Bretonin schließlich doch noch die Hand, um einen Zauber auszusprechen, ließ es aber schließlich doch, da Malukhat vor seiner Bannung eines der höchsten Mitglieder der Magiergilde gewesen war. Demnach musste er schon stark sein, trotz seines recht rüpelhaften Auftrittes und diesen roten, glasklaren Augen, aus denen einzig und allein die Wildheit sprach. Sie hatte diesen Mann bereits des Öfteren erlebt. Eine Bestie in Dunmergestalt, ebenso jedoch auch ein Idiot und Tollpatsch, der sich wohl vorkam, als war er der Nabel der Welt und über das Chaos, welches er regelmäßig anrichtete, erhaben.
„Geht ruhig… Ich werde Euch gewiss nicht aufhalten“, gab sie schließlich nach und starrte ihn abwertend an. Und zum ersten Mal in seinem Leben erkannte Malukhat in ihr eine Person, die ihre Augen vor niemandem – nicht einmal vor den Daedrafürsten selbst – niederschlagen würde. Somit wurde sie also zu einem Punkt auf seiner Tagesordnung, dem er sich später zuwenden würde. Auf jeden Fall sollte sie noch merken, was es bedeutet, ihn so missbilligend anzustarren. Er würde den Kampf gegen Trebonius schon nicht verlieren, er kannte dessen Stil. Malukhat selbst hatte sich einen eigenen Stil aufgebaut und war trotz des Verbotes des Kaiserreichs, was die Totenbeschwörung anging, nicht abgeneigt, einen Skelettfürsten auf den Plan zu rufen, wenn nichts anderes mehr gehen sollte.
Mit einem hämischen Grinsen im Gesicht trat Malukhat an der Bretonin vorbei und ging hinaus auf einen Gang, der rechts und links nach unten abfiel. Er nahm den rechten Weg; allein aus alter Angewohnheit, denn mit dem anderen gelangte man an selbiges Ziel.
„Alle Wege führen nach Cyrodiil“, sagte er wieder einmal zu sich selbst. Ebenso verhielt es sich auch mit der vivecschen Magiergilde. Er ging noch einen weiteren Gang entlang, der zweite Stock, von dem aus er bereits zu Trebonius hinabblicken konnte, der auf dem Platz im Zentrum stand, in eines seiner Bücher vertieft. Es kann lesen!, scherzte Malukhat innerlich, wagte es aber dennoch nicht, seinem Frohmut bereits in diesem Moment Luft zu machen. Schließlich musste er nur noch an der cyrodiilischen Gildenführerin vorbeigehen, die wie so gut wie immer an ihrem Platz in einem abgetrennten Raum stand. Ja, dies war ein Gildenhaus, in dem es wirklich an nichts fehlte, was Luxus betraf. In Balmora hatten sie für die Teleportationen nur eine kleine, abgetrennte Ecke – in Caldera nicht einmal diese. Doch hier in Vivec hatte man extra einen Raum abgeteilt, an dessen dem Eingang gegenüberliegenden Seite ein Vorhang befestigt war, der das große Auge, das Zeichen der Magier, bezeichnete. Am oberen Ende der Treppe, dort, wo man nur nach unten auf den kleinen Platz sehen musste, blieb Malukhat stehen und schwang seinen Umhang beiseite, sodass der prächtig gefertigte Drachenschuppenkürass und die indorilischen Rüstungsteile zum Vorschein kamen, ebenso wie die Beinschienen und Stiefel, die einst einer redoranischen Wache in Balmora gehört hatten. Schließlich, um diesem Bild offensichtlicher Überlegenheit noch den letzten Schliff zu verpassen, stemmte er die Arme in die Seiten und reckte sein Kinn.
„Hey! Trebonius!“, rief er, und der glatzköpfige Erzmagier in der lila Tunika wandte sich erschrocken zu ihm um. Seine Augen waren zuerst erschrocken, sein Mund überrascht geöffnet, doch seine Verwirrung wich, als er seinen Gegenüber erkannte.
„Ach, Ihr seid es, Malukhat. Schreit doch nicht so herum! Wir sind in einer Magiergilde und auf keinem Marktplatz.“
„Gnaa…!“ Diese verdammte Ruhe. Wieso störte ihn das an diesem Mann nur so? Es war einfach nervig, überheblich – kurzum: dieses Verhalten trieb ihn an den Rand des Wahnsinns. Wieso hatte er sich überhaupt Sorgen gemacht, Trebonius könnte sofort den Befehl geben, ihn zu töten, wo der Alte sich doch immer so selbstsicher gebärdete?
Trebonius hob den Kopf, als müsste er kurz nachdenken, dann wandte er seinen Blick wieder Malukhat zu und sagte: „Mir war klar, dass Ihr hier irgendwann wieder auftauchen würdet. Ihr seid bis jetzt zu allem zu spät gekommen – eigentlich solltet Ihr längst am Galgen hängen.“
„Ich lasse mich von Euch nicht reizen“, entgegnete Malukhat ruhig, doch in seinem Inneren loderten wütende Flammen. Doch er durfte es noch nicht herauslassen. Er war nicht der Schlauste, was praktisches Denken anging, doch immerhin wusste er, dass er sich seine Kräfte lieber bis zum Kampf mit dem Erzmagier aufheben sollte.
„Und ich komme auch nicht bei Euch angekrochen, wie Ihr wahrscheinlich schon gemerkt habt. Andererseits bitte ich dennoch um Neuaufnahme.“
„Neuaufnahme? Wie kommt Ihr denn auf diese absurde Idee?“, wollte Trebonius wissen, nun deutlich interessierter als zuvor.
„Ach, Ihr kommt doch ohne Hilfe gar nicht aus. Ihr solltet nach jedem Strohhalm greifen, den Ihr kriegen könnt, oder sehe ich das falsch?“ Malukhat verschränkte die Arme vor der Brust und hob eine Augenbraue. Gerade, als Trebonius etwas erwidern wollte, erhob er abermals das Wort: „Kommt schon! Ihr könnt mir doch nicht weiß machen, dass Ihr nicht wisst, wie innerhalb unserer Kreise über eure nur allzu deutliche Unfähigkeit gesprochen wird. Ohne Leute, die etwas drauf haben, kommt Ihr doch gar nicht aus.“
„Mir ist es egal, wie die anderen Mitglieder dieser Gilde über mich denken! Ich bin der Erzmagier und das hat auch seine Gründe! Wenn Ihr denkt, Ihr seid etwas Besseres als ich, dann irrt Ihr Euch aber gewaltig!“ Und so hatte Malukhat Trebonius genau dort, wo er ihn hatte haben wollen.
„Beweist es mir“, meinte er lässig und grinste überlegen. Nun würde er Trebonius zu einem Kampf in der Arena auffordern. Wenn er gewann, so würde sein Kopfgeld erlassen werden, so viel war sicher, denn das war ein Teil des Deals, den Malukhat mit dem Erzmagier schließen würde.
„Wie meinen?“, wollte Trebonius skeptisch wissen und stützte sein Gewicht auf sein rechtes Bein.
„Wie meinen was? Unserer Sprache wohl nicht mächtig, wie ich sehe. Ich meine natürlich: Kämpft mit mir in der Arena. Dort werden wir ja sehen, wer hier der bessere Erzmagier ist.“
Trebonius war zwar aufgebracht, aber nicht aufgebracht genug, um sein Einverständnis für einen solch beispiellosen Kampf zu geben. Doch war er in die Enge getrieben durch die etlichen Mitglieder, die sich versammelt hatten, um dem Streitgespräch zu folgen. Wenn er „ja“ sagte, dann war ihm ein ungewisses Schicksal bestimmt. Gewann er, dann würde dies seinen Ruf einzig und allein stärken, da er einen gesetzlosen Magier in einem fairen Kampf besiegt hatte womit sein Sinn für Gerechtigkeit wohl hinfällig bewiesen sein durfte. Wenn er allerdings verneinte, würde man ihn einen Feigling gegenüber einem rüpelhaften Mörder nennen. Das würde seinen Ruf schwächen. Bejahte er und verlor, so brauchte er sich nicht mehr um seinen Ruf zu sorgen.
Und Malukhat wusste das.
„Nun? Was sagt Ihr, Trebonius? Sehen wir uns in der Arena?“, stichelte er den Erzmagier mit honigsüßer Stimme nur noch an. „Falls Ihr mit meinem Vorschlag einverstanden seid, möchte ich doch gerne noch eine Bedingung daran knüpfen, wenn Ihr einverstanden seid? Es geht um mein Kopfgeld… Ihr solltet Euch denken können, was ich meine.“
„Ich bin mit beidem einverstanden. Morgen in der Arena… wenn der Tag sich zum Ende neigt.“
„Wie Ihr wünscht“, meinte Malukhat zum Abschied mit einer leichten Verbeugung und einem triumphierenden Lächeln, bevor er sich in seine ehemaligen Gemächer zurückzog. Erst einmal musste er schlafen und seinen Mana-Haushalt wieder in Ordnung bringen, morgen konnte er dann weitersehen.