Malukhat konnte nicht sagen, was schlimmer gewesen wäre: von seiner Tochter, die ihn irgendwie in Morrowind aufgespürt hatte, umarmt zu werden oder von Ranis Atrys. Ja, okay, der Vergleich hinkte gewaltig. Und wahrscheinlich würde er – falls es jemals zu einer Umarmung zwischen ihm und der alten Hexe geben sollte (Gott bewahre!) – sich wünschen, er wäre tot, statt wie jetzt gerne im Grund und Boden versinken zu wollen. Nur leider gab dieser Grund und Boden niemals nach, wenn man ihn mal darum bat. Wenn man es nicht wollte, dann plumpste man ohne halten und Vorwarnung hindurch, das waren so nette Fallen. Und wieso gab es diese Fallen nicht in der Magergilde? Der Erzmagier wurde sich bewusst, dass an diesem Gildenhaus architektonisch noch einiges verändert werden musste.
Aber nun hatte er wohl keine Zeit mehr dazu, etwas derartiges wie verstecke Löcher im Boden in Auftrag zu geben, denn Draven drängte bereits zum Aufbruch. Und der Bretone hatte Recht. Eine Tatsache, die sich der Dunmer nur ungern eingestand, aber so war es nun einmal.
Vorsichtig nestelte er sich aus der Umarmung der jungen Frau und schob sie beiseite.
„Entschuldigung, meine Dame – sind wir uns schon einmal über den Weg gelaufen?“, versuchte er es auf die dümmliche Tour und mit herrlich abgehobener Stimmlage. Zuerst blickte sie ihn verwirrt an, dann aber grinste sie. Sie sagte: „Ach, komm schon. Du konntest noch nie lügen, Malukhat.“
„Ach quatsch!“, verteidigte er sich, „ich hab heut nur einen schlechten Tag erwischt, das ist alles!“
Verraten... grumpf. Während Malukhat bemüht war, Haltung zu bewahren, schienen Dravens verzweifelte Versuche, sich nicht gegen die Stirn zu schlagen, endlich mal zu fruchten.
„Dreck, du hast Recht, Mädchen, aber ich hab jetzt keine Zeit für so eine kitschige Wiedersehens-Szene.“
Als sie zu einer weiteren Umarmung ansetzte, seine Worte verdrängend, schob er sie abermals beiseite, diesmal bestimmter. Immer noch machten die Vampire Sadrith Mora unsicher. Malukhat hatte zwar keine Einladung, war aber durchaus gewillt, die Party aufzumischen und Schwung in die Sache zu bringen.
„Malukhat...“, kam es plötzlich von der Seite. Scheiße, die nicht auch noch..., dachte der Dunmer, als er die Stimme identifiziert hatte, ohne sich umzudrehen. Ranis Atrys. Die Olle war auch überall und nervte überall. Wie ein Fluch. Oder die Pest. Oder beides.
„Erzmagier, wenn ich bitten darf“, zischte selbiger und wandte sich zu Draven um. Das war keine schöne Situation. Überhaupt nicht. Der Mann hasste es, wenn er die Kontrolle verlor oder er sich nicht mal mehr vormachen konnte, diese zu besitzen. Jetzt stand er ganz schön doof da und musste einen Weg finden, sich herauszuwinden. Aber ihm wollte nichts einfallen. Dann...
„Estardalin? Holt die Liste, gebt sie der jungen Frau hier und gebt Acht darauf, dass sie auch alles besorgt, was darauf steht. Man kann das richtig schön in Balmora erledigen. Ist also keine große Sache und dürfte von ihr zu schaffen sein. Ich muss los.“
Die hochgewachsene Altmer nickte stumm. So durcheinander hatte noch niemand den Erzmagier erlebt. Er war bescheuert, ja, aber er war niemals derart durch den Wind. Das war ein ganz neuer, ungewohnter und irgendwo auch erschütternder Anblick.
„Wo geht’s denn hin?“, fragte Joplaya und hakte sich bei Malukhat unter, welcher sie nur zornig anfunkelte.
„Nach Sadrith Mora. Vampire töten. Wag es ja nicht, mir zu folgen, dann bekommst du nämlich mächtig Ärger mit mir. Haben wir uns verstanden?“
Joplaya verstand die Welt nicht mehr... Ihr so heiß begehrter Malukhat entpuppte sich als hochnäsiger Vollidiot. Sollte sie wirklich noch in der Magiergilde bleiben, wo er scheinbar nicht vorhatte, nett zu ihr zu sein und ihr gewisse Privilegien zuzusprechen? Vielleicht aber hatte sie ihn einfach auf dem falschen Fuß erwischt. Und er meinte ja, er sei in Eile. So was konnte vorkommen, dass man wen aufhielt und der sich dann richtig fies benahm, auch wenn er das eigentlich gar nicht wollte. An den Gedanken wollte sie sich klammern.
Der Erzmagier zog Draven zum Teleporter und war froh, dass Joplaya ihnen nicht folgte. Es würde also wenigstens eine unbeschwerte Reise werden.
„Was war das denn?“, wollte Draven wissen.
Malukhat würdigte ihn keines Blickes, sondern schleifte ihn weiterhin neben sich her, bis sie den Teleporter erreichten. „Das? Ach, niemand Wichtiges... nur meine Tochter.“

Unterdessen hatte Joplaya die Einkaufsliste von Estardalin entgegen genommen und verließ die Magiergilde. Sie war total wütend darüber, dass man ihr eine derart unwürdige Aufgabe hatte zuteil werden lassen. Und dann noch durch Malukhats Befehl! Da hatte sie sich die Arbeit gemacht und war hierher gereist und er war so gemein. Das konnte doch nur ein Alptraum sein.
Joplaya murrte mit angezogenen Schultern vor sich hin, ging an der Kriegergilde vorbei, verließ die Stadt und setzte sich unter einen Baum. Die konnten noch lange auf ihre dämlichen Einkäufe warten, sie würde sich einen schönen Tag machen. Das hatten die nun davon, dass sie einer wie ihr Verantwortung übertrugen.
„Hm?“, machte sie, als sie sich an den alten Stamm gelehnt und in die Äste geblickt hatte. „Was zur...“
Da saß ein Bosmer im Baum. Seit wann konnten Bosmer fliegen? Oder war er irgendwo runtergesprungen und hatte sich nur dort verfangen und wartete nun auf Freiwillige, die ihm vom Baum halfen? Oder hatte er schon immer dort gesessen? Joplaya war es nicht entgangen, dass die Menschen manchmal Tage, manchmal sogar Wochen (!) an ein und derselben Stelle standen. Krasse Willenskraft.
Zum Teufel damit. Wenigstens etwas Gesellschaft. Und der Mann sah gut aus. Das war ja schon mal die halbe Miete.
„Hey, Ihr da oben im Baum!“, rief sie, „Wollt Ihr mir etwas Gesellschaft leisten? Die Leute, in deren Gesellschaft ich mich nämlich gerne befunden hätte, gehen lieber mit Vampiren spielen.“