Ruhig war es die letzte Zeit gewesen und dem Erzmagister kam es nun so vor, als hätte das Schicksal den Gefährten im Gegenzug dafür alles mögliche an Ereignissen auf den heutigen Tag gelegt. Sofern es so etwas wie Schicksal überhaupt gab, aber um sich darüber auf philosophischer Ebene ein paar Gedanken zu machen, war nun wirklich nicht der richtige Zeitpunkt. Nein, diese Ruhe war trügerisch gewesen und die unheilige Vampirbrut hatte die Zeit scheinbar genutzt, um etwas über ihre drei Verfolger in Erfahrung zu bringen und so einen Hinterhalt vorzubereiten, nachdem sie sich zunächst still verhalten hatten, damit Draven, Malukhat und Zareg unaufmerksamer wurden. Natürlich könnte dieser heimtückische Angriff auf den Erzmagier Vvardenfells auch purer Zufall gewesen sein, aber daran wollte der Magier nicht glauben. Sie hatten es mit einem höchst intelligenten Gegner zu tun und einer dessen Handlanger hatte versagt. Dieser lag nun halb unter einer Decke versteckt scheinbar schlafend in dem Bett und am liebsten wäre Draven sofort auf ihn zugestürmt und hätte in windelweich geprügelt, um den Aufenthaltsort der Sippe zu erfahren. Ok, der Vampir war sicher kein schwacher Gegner, sonst hätte man ihn nicht auf den Erzmagier gehetzt, aber mit Zareg und Malukhat im Rücken, wobei letzterer deutlich vom Kampf gegen das Unwesen gezeichnet und daher sicherlich nicht in guter körperlicher Verfassung war, hätte dies durchaus klappen können. Gerade wollte er dies auf die Frage Zaregs antworten, als Malukhat ihm zuvorkam.
„Der Vampir muss hier weg. Es ist schon ein verdammtes Glück gewesen, dass sie ihn nicht vorsichtshalber untersucht haben, um herauszufinden, ob meine Aussage stimmt. Ich habe keine Ahnung, wo wir den hinbringen sollen, aber dort darf auf keinen Fall jemand Zugang haben, außer uns dreien. Zareg… du wirst dir da sicherlich schon was einfallen lassen, nehme ich an.“
Bei genauerer Betrachtung gefiel Draven das nicht so gut wie das stumpfe Prügeln und Foltern des Unwesens, aber im Grunde genommen war es sehr viel schlauer. Wenn die Wachen wieder auftauchen würden, wäre selbst er als Erzmagister ein wenig in Erklärungsnot. Vielleicht würde er sich rausreden können, aber es wäre definitiv besser, sich gar nicht erst in diese Situation zu begeben. Nun gut, Zareg sollte sich also darum kümmern, was blieb dann für Draven? Moment, wieso gibt eigentlich Malukhat hier die Befehle hier? Kurz wollte Draven seinem leichten Zorn Luft machen, jedoch unterließ er es sofort, da er wieder an die bisherige große Hilfe des anderen in dieser Sache dachte, aber hauptsächlich wohl, weil ihm wieder einfiel, dass die Idee des Dunmers besser gewesen war als seine eigene. Mist...
Draven… du könntest…“, begann sein Gegenüber und der Erzmagister wartete auf die folgenden Worte, die aber vorerst nicht den Mund des Dunmers verließen. Erst nun wegen der Pause fiel ihm das „du“ von Malukhat auf. „Nanu? Die Verwundung muss ihn verwirren, vielleicht hat er zu viel Blut verloren und wird nun konfus“, dachte der Bretone, der seine momentane Verwirrung hinter einer Maske aus Gleichgültigkeit versteckte und mit ausdruckslosem Gesicht auf weitere Worte Malukhats wartete. Scheinbar wollte er etwas von ihm und brachte es nicht heraus. So gut kannten sich die beiden immer noch nicht, aber irgendwie passte es zu dem Charakter des Erzmagiers, wenn er ihn richtig einschätzte. Und ganz ehrlich musste Draven sich eingestehen, dass ihn diese Situation trotz der totalen Ernsthaftigkeit insgeheim zumindest ein wenig belustigte.
Sofort aber wurde er wieder vollkommen ernst, als Malukhat endlich mit seiner Bitte herausrückte und gleich darauf verließ Draven nach einem kurzen Nicken in Richtung des Dunmers und einem Seitenblick zu dem Vampir auf dem Bett das Zimmer, um den Wirt der Taverne um Wasser zu bitten. Auf dem Weg in den Tavernenbereich dachte er über die Worte des Erzmagiers nach, welche ihm einen kalten Schauer über den Nacken jagten. Nach allem, was der Bretone über Vampire wusste, war es tatsächlich sehr unwahrscheinlich, dass sich der Virus auf Malukhat übertragen hatte, aber was, wenn dem doch nicht so war? Malukhat als Vampir, was für eine groteske und grausige Vorstellung. Nein, das durfte einfach nicht passieren.
Im Bereich der Theke saßen einige Leute, während die Tische nur spärlich besetzt waren, und inzwischen waren auch die letzten Spuren des Kampfes zwischen dem Erzmagier und dem Draven unbekannten Schwertklauer beseitigt worden. Mit anderen Worten: Die Taverne wirkte wie jeden anderen Tag auch, als wäre an dem heutigen Tag nichts besonderes passiert. Wobei, für die Leute war ja auch nichts besonderes passiert, immerhin kam es immer wieder vor, dass in irgendwelchen Tavernen irgendwelche Raufbolde aufeinander einschlugen. Na gut, dass der Erzmagier Vvardenfells auf jemand anderen einschlug, war wohl schon eine Besonderheit, aber da die „freundliche“ Ablösung von Trebonius durch Malukhat sich wohl noch nicht in allen Ecken und Enden des Landes verbreitet hatte, war dies wohl auch gar nicht so aufgefallen. Auch Draven wusste, dass er immer noch nicht von allen Telvanni als Erzmagister angesehen wurde, weil sein Gesicht einfach noch zu unbekannt war. Die Leute wussten nur, dass der alte Gothren durch einen Schützling Aryons das Zeitliche gesegnet hatte. Aber dies war nun alles egal, der Wirt hatte glücklicherweise bereits kochendes Wasser vorrätig, was für ein Glück.
„Was kann ich für euch tun, werter Erzmagister?“, fragte ihn der Dunmer, welcher den bisherigen Wirt scheinbar vertrat. Er stand hinter der Theke und musterte Draven mit seinen roten Augen. Zum Glück wusste dieser über seinen Rang Bescheid und machte auch noch den Eindruck eines Schleimers. Da sollte es ja ein leichtes sein, ihm etwas von dem kochenden Wasser abzuschwatzen.
„Ich brauche dringend etwas von dem kochenden Wasser da hinten“, antwortete er und zeigte auf den Topf, welcher sich auf einer Herdflamme befand. Es hätte auch sonst eine kochende Flüssigkeit sein können, eigentlich war das nicht zu erkennen, aber Wasser war nun mal am wahrscheinlichsten und warum sollte Draven nicht auch mal einfach Glück haben, wenn er mit seinen Gefährten bei der Vampirjagd schon so schlecht vorankam.
„Ja, einen kleinen Moment, mein Herr“, sagte der Dunkelelf und Draven lächelte triumphierend in sich hinein. Fertig gekochtes Wasser, der Typ ist unterwürfig und Malukhats Wunden werden behandelt, so dass er kein Vampir werden kann. Wunderbar.
„Was soll das? Das ist mein Wasser! Ich warte schon seit Ewigkeiten auf den Tee für meine Runde“, rief eine sichtlich sehr alte Dunmerfrau von einem der Tische mit einer Lautstärke, die den Erzmagister kurz zusammenzucken ließ.
„Erzmagister hin oder her, das ist mein Wasser und ich werde es diesem Bengel nicht hergeben!“, wetterte sie weiter. BENGEL? Der Blick des Magiers verfinsterte sich und wenn Blicke töten könnten, hätte die Frau den Satz gar nicht beenden können. Leider blieb es nicht nur dabei, nein, sie kam nun auch noch auf ihn zu und fing an zu schimpfen, mit ihm und dem Wirt. Es war ein solcher Wortschwall, dass Draven schon nach ein paar Sätzen abschaltete und nicht mehr zuhörte. Er sah nur noch die Mundbewegungen der Dunmerfrau, welche vielleicht vor 1000 Jahren einmal eine Schönheit gewesen war, und hörte nur einzelne Wortfetzen, die doch bis zu seinem Gehirn durchdrangen. Nun wurde es ihm eindeutig zu bunt, was bildete diese Frau sich eigentlich ein? Na gut, sie hatte vielleicht wirklich das Vorrecht auf dieses vermaledeite Wasser, aber er hatte einen wichtigen Grund. Einen Grund, den er nicht nennen durfte, denn so eine Verwundung passte irgendwie nicht zu der Geschichte mit der Krankenpflege im Zimmer Malukhats.
“Genug ist genug!“, dachte Draven sich, ging hinter die Theke und nahm sich den Topf mit dem kochenden Wasser. Was für ein Glück, dass er gerade die Handschuhe seiner Rüstung trug, sonst hätte er sich die Finger verbrannt und ziemlich blamiert, was ihm aber auch erst einfiel, als er mit dem Topf davonging. Im Vorbeigehen warf er dem Dunmer an der Theke einen dunklen Blick zu, der diesem deutete, dass er selbst mit der Frau fertig werden sollte und dann begab er sich schleunigst wieder nach oben, wobei er die – von ihm liebevoll so titulierte - Gewitterziege „versehentlich“ leicht anrempelte. Wegen ein wenig Wasser und Tee für ihre Runde alter Damen, von denen einige dem Aussehen nach schon den Anbeginn der Zeit erlebt hatten, so ein Theater zu machen, konnte er nun wirklich nicht nachvollziehen. Die Frau hatte scheinbar sonst wirklich nichts zu tun und als Erzmagister des in dieser Stadt herrschenden Fürstenhauses hatte er sich so was nicht gefallen zu lassen. Eigentlich war er sogar noch viel zu freundlich gewesen, wenn er genau darüber nachdachte.
Als Draven wieder das Zimmer betrat, fand er Malukhat auf dem Bett sitzend vor, wie er seine Wunden betrachtete, es war zwar augenscheinlich keine lebensbedrohliche Verletzung, aber sie ließ erahnen, dass sein Gegner nicht zu unterschätzen war. Erst nun fiel dem Magier auf, dass er das Verbandszeug in dem Stress vergessen hatte, wie peinlich. Um sich keine Blöße zu geben, musste er sich nun schnell eine Ausrede einfallen lassen und dann noch einmal heruntergehen. Hmmm...
„Hier ist schon einmal das kochende Wasser,“ begann er. „Das Auskochen des Virus, der dich möglicherweise befallen haben könnte, geht sicherlich vor. Ich mach’ mich nun auf die Suche nach dem Verbandszeug und Zareg kann sich ja zwischenzeitlich um das Wasser kümmern.“
“Ja, das klang doch ganz gut, oder? Das Wohl des Erzmagiers ging vor, Verbandszeug konnte man auch später besorgen, das sollte gut geklappt haben“, dachte der Erzmagister, als er die Treppen wieder hinunterlief, um den Dunmer nach Verbandszeug zu fragen. Der dort immer noch im Tisch sitzenden Damenrunde warf er ein gespielt freundliches Lächeln zu, was ihm mit einem funkelnden Blick quittiert wurde, der Tod verhieß.
“Na ja, die sollten sich mal nicht so haben, ihren Tee werden die schon noch bekommen.“
Nicht sehr viel später kehrte Draven mit dem Verbandszeug, welches ihm der Wirt überlassen hatte, in das Zimmer des Erzmagiers zurück. Als Begründung hatte dem ehrfürchtig zum Erzmagister aufschauenden Dunmer an der Theke einfach gereicht, dass dieses Verbandszeug Vorrat für die folgenden Unternehmungen gegen die Vampire darstellte.