„Tse…“ Malukhat schüttelte den Kopf und ließ ein blasses Lächeln erkennen. Da gestand der Bretone ihm, dass er ihm zu Dank verpflichtet war. Ihm, der den Erzmagister fort geschickt hatte; zu offensichtlich war gewesen, dass er etwas im Schilde geführt hatte. Aber Wunder sollte es ja angeblich immer mal wieder geben… Draven hätte nichts von dem eher untypischen Heilzauber erfahren dürfen, es war nun einfach zu gefährlich. Am Besten wäre es immer noch gewesen, hätte es keinerlei Zeugen gegeben, aber an der Tatsache, dass der Bretone sehr viel mitbekommen hatte, wie es schien, konnte man nun auch nichts mehr ändern. Eigentlich, so wusste Malukhat, musste er den Telvanni töten. Doch war der Erzmagier dazu fähig, noch dazu in seiner derzeitigen, körperlichen Verfassung? Im Moment war ihm schlichtweg nach Schlafen zumute, denn wer schlief, der dachte nicht nach. Die gesamte Situation war aus den Fugen geraten, er hatte die Übersicht von dem Geschehen verloren.
„Gehst es mir zu, mich erst einmal hinzusetzen“, sagte Malukhat also und zog sich den Stuhl neben dem Bett herbei, ließ sich darauf nieder und schloss, beide Arme auf den Lehnen ruhend, die Augen, lehnte sich erleichtert seufzend zurück. Doch dieses ungute Gefühl in der Magengegend, welches sich immer einstellte, wenn ihm unwohl zumute war, kehrte mit gewohnter Stärke zurück. Draven blickte ihn immer noch erwartungsvoll an. Scheinbar hatte er in irgendeiner Weise Interesse daran gefunden, Malukhats Ausschnitten aus selbigem Lebens zu lauschen, aus welchem unerfindlichen Grund auch immer. Und obwohl der Erzmagier natürlich wusste, dass der Erzmagister all sein Wissen später – aber auch jetzt schon! – gegen ihn würde verwenden können, begann er zu sprechen: „Eigentlich will ich ja nicht darüber reden… Aber… Ich muss es Euch wohl erzählen. Über kurz oder lang hättet Ihr es eh nicht herausgefunden, also bleibt es sich in gewisser Weise gleich.“
Seine Stirn legte sich in bedrohliche Falten, finster blickte er drein, als er die Sinnlosigkeit in seinen eigenen Worten und der versuchten Erklärung erkannte, wodurch er gegenüber Draven eigentlich hatte rechtfertigen wollen, dass er es ihm unbedingt erzählen musste. Zareg rollte sich indes auf die andere Seite und zog Malukhats ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich, doch statt zu erwachen kuschelte er sich abermals in seine Decke und drückte das Kissen mit der rechten Faust leicht zurecht. Geräuschvoll ausatmend konnte sich der Erzmagier also nun wichtigeren Besprechungen zuwenden.
„Also, Draven, ich will Euch die Wahrheit sagen.“ – Abermals hielt er inne und ein bedrücktes Schweigen legte sich wie ein schwarzer Schleier über die beiden Männer, während Malukhat auf seine rechte Hand starrte. „Ich war früher ein Problemkind.“
Es war gesagt, niemand würde ihm aufgrund dieser Tatsache einen Strick aus dem Gesagten drehen können. Merkwürdigerweise betrachtete Draven ihn mit angehobenen Brauen und recht verständnislosen Augen, über denen sich seine sonst so glatte Stirn in Falten legte. Hat er vielleicht etwas anderes gesagt?, fragte er sich und legte einen Daumen an sein Kinn. Moment… Hatte der Erzmagister denn überhaupt irgendeine Frage gestellt?!
„Schadensbegrenzung“, entschied er mit einem bestimmten Unterton in der Stimme und schlug wie zur Bekräftigung mit der rechten Faust in seine linke Handfläche. „Wisst Ihr, meine Alten hatten generell ein Problem mit mir, aber umso mehr Strafen mir auferlegt worden waren, desto rebellischer bin ich letzten Endes geworden. Also, bei dieser Sachlage war jawohl klar, dass ich irgendwann einmal als Totenbeschwörer ende.“ Er zuckte mit den Schultern. „Jetzt kann ich allerdings aufgrund meiner Stellung als Erzmagier meine Studien nicht mehr weiterführen; besonders wegen dieser nervigen Athrys, über deren Beseitigung ich bereits seit Längerem nachdenke. Deshalb muss ich besonders auf der Hut sein, wenn ich meinen nekromantischen Neigungen nachgehen will. Versteht mich nicht falsch, Draven, ich will die Alte nicht gleich umbringen.“ Seine eigenen Worte dann noch einmal Augen rollend überdenkend musste er sich verbessern: „Na ja, vielleicht ein ganz klitzekleines bisschen.“ Und dabei hielt er Daumen und Zeigefinger seiner rechten aneinander, hielt sie gerade einmal so knapp voneinander entfernt, dass zwischen ihn eine schmale Lücke entstand, keine wirkliche Berührung zustande kam. Dann schnitt er wieder ein etwas ernsteres Thema an: „Dass ich Euch wegschickte, geschah nur zu Eurem eigenen Schutz. Ich hatte eigentlich angenommen, dass Ihr schlauer wärt und Euch aus dieser Sache heraushalten würdet, aber im Endeffekt hätte ich damit rechnen müssen, dass Ihr mir nicht vertraut und ’nachspioniert’. Jedoch hatte ich mehr als offensichtlich aufgezeigt, dass ich etwas vorhatte, wobei ich nur ungern gestört werden würde. Jede andere Person an Eurer Stelle hätte ich in einer solchen Situation ohne zu zögern getötet, aber einen Mann in Eurer Position umzunieten würde schwere Folgen nach sich ziehen, sollte man annehmen – und außerdem werdet Ihr noch gebraucht. Denkt nicht, ich hätte Zareg diese Hilfe aus reiner Menschenfreundlichkeit zuteil werden lassen; Ihr wisst doch sicher allzu gut, dass ich ein hoffnungsloser Egoist bin.“
Und so war es auch: Zaregs Leben interessierte den Dunmer nicht im Geringsten, aber ihn zu retten war dennoch der Mühe wert gewesen. Der junge Mann war stark, die Gruppe würde ihn sicherlich auch weiterhin gut gebrauchen können. Und durch das Fremdblut, welches Malukhat dem jungen Telvanni zugeführt hatte, wurde die Chance geringer, dass jener zu einem Vampir mutierte. Aber dass der Erzmagie Draven nicht zu töten versuchte, lag nicht allein daran, dass dieser ein hohes Mitglied des Hauses Telvanni war – es gab noch zwei weitere Gründe für sein für ihn widernatürliches Handeln.
Erstmal wusste der Dunmer schon einmal nicht, ob er den Erzmagister überhaupt töten konnte. Es war schwer, dessen körperliche Fähigkeiten als auch die in den verschiedenen Schulen der Magie einzuschätzen. Und schlussendlich fiel ihm auch noch unangenehm auf, dass er den Mann gar nicht töten wollte. Welche Schmach, welche Schande – aber dazu später. Auf jeden Fall, so meinte Malukhat zu wissen, würde er eines Tages ausprobieren, ob er den Telvanni töten konnte – und wenn er selbst dabei sein Leben verlieren sollte!
Nach einiger Zeit des Schweigens blickte er hundemüde zu seinem Gegenüber auf, der das Gehörte gerade verarbeitete, es scheinbar in den verschiedenen Rinden seines Hirns unterbrachte, sie mit Schildchen versah und diese letztlich auch dort noch in die korrekten Themenbereich unterteilte. Was Malukhat am meisten interessierte, konnte er den Bretonen nicht fragen, aber dennoch zwang er sich, darüber nachzudenken. Die meisten Menschen hätten angewidert, ja schockiert auf den ’Heilungszauber’ reagiert. Draven hingegen schien sich einfach zu denken: Warum nicht? Jeder hat seine eigene Art, seine persönlichen Hobbies zur freien Entfaltung zu bringen. Friede, Bruder. Nun ja, letzteres würde er wohl kaum denken, so ernst wie er im Moment war, doch Malukhat genoss die bloße Vorstellung, wie der große, böse Erzmagister des ebenso großen, ebenso bösen Hauses Telvanni mit einem breiten Grinsen im Gesicht und einem um den Kopf gewickelten, in allen Farben des Regenbogens verzierten Tuch umher rannte und die Worte des Friedens mit seiner Wasserpfeife im Gepäck verkündete. Beinahe hätte der Dunmer mit vorgehaltener Hand das Kichern begonnen, doch er konnte sich geflissentlich zurückhalten und machte eine strenge Miene. So etwas hatte er drauf, war ja nicht umsonst ein Schauspieler erster Güteklasse. Aber nun zurück zu seinen eigentlichen, aufgrund jener belustigenden Ablenkung vollkommen verdrängten Gedanken: Wie konnte Draven nur so verdammt gelassen reagieren? Und wieso stellte er nicht eine Frage über diese in Morrowind höchst untypische und noch dazu verbotene Zauberkunst? Merkwürdig… Für Malukhat war dieses Kerlchen ein Rätsel auf zwei Beinen, welches sich partout nicht lösen lassen wollte. Er hatte bis jetzt immer gedacht, Frauen seien das höchste aller Gefühle, befänden sich am Rande des Ertragbaren, allein aus dem guten Grund, dass sie in ihren Gedankengängen einfach viel zu kompliziert waren. Aber Draven hatte sie alle übertroffen, sie konnten sich nunmehr nur noch in seinem Schatten sonnen, aber keinesfalls mit ihm mithalten.
„Ihr seid so was von kompliziert, mein Freund“, erklärte Malukhat mit zu Schlitzen verengten Augen und hängenden Schultern. „So einer wie Ihr ist mir noch nie unter die Augen gekommen, und ich will auch hoffen, dass das dabei bleibt. Ihr allein seid schon mehr als genug.“
Und nun entschuldigt mich bitte, hatte er noch anhängen wollen, doch seine Stimme versagte ihm schlagartig den Dienst. In der Tat, er hatte seine gesamten Energievorräte aufgebraucht, wenn selbst seine Zunge nicht mehr nach seinen Regeln spielen wollte. Sollte er sie vielleicht abschneiden, um ihr zu zeigen, wer hier der Boss war? Nein, das wäre einfach zu doof… Verdammt, er musste nun unbedingt schlafen, ansonsten würde er die nächsten Tage zu gar nichts mehr zu gebrauchen sein. Eine Stunde… nein, besser zwei. Selbst ein gesamter Tag, so merkte er im Nachhinein, würde ihn nicht wieder vollkommen auf die Beine bekommen. Das war aber auch nicht zwingend notwenig, denn sein Mana konnte sich langsam aber sicher während der kommenden Reise wieder stabilisieren. Jetzt jedoch wollte er sich nur noch unter seine Kuscheldecke legen, das Sonnenkissen unter seinem Kopf zurecht rücken und schlafen. Und eh er sich’s versah, hatte die Müdigkeit ihn überwältigt und er versank in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Sein letzter Gedanke galt Draven, dem Mann, der sich um alles folgende zu kümmern hatte, der sich selbst all die Last dieses Unterfangen auf die Schultern gelegt hatte…