"Ich denke nicht an Schutz... gewiss nicht...", dachte Malukhat laut und schaute seinen Gegenüber nicht einmal an. Dies war so seine Art, nachzudenken, ohne sich von irgendwelchen äußeren Einflüssen dabei stören zu lassen - und das passierte auch nur dann, wenn er wirklich haarscharf nachdachte. "Die Aschländer-Clans sehen es als ihr Recht an, andere Clans und auch Gebiete, die nicht von Aschländern eingenommen werden, zu plündern. Darin könnte, wie Ihr zu Recht vermutet, ein Bündnis zwischen Vampiren und Aschländern hervor gegangen sein. Wenn sie sich schon ein Gebiet teilen, dann können sie auch zusammen 'jagen'. Aber sicher bin ich mir natürlich nicht. Es kann auch so sein, dass sie sich einfach in Ruhe lassen. Wer weiß das schon?"
Letzteres war eine rein rhetorische Frage gewesen und darauf hin folgte eine bedrückte, nachdenkliche Stille, die nur von den langsam verebbenden Jubelrufen und unkenntlichen Lauten einiger letzter noch nicht gegangener oder bereits auf den Tischen schlafender Tavernen-Gäste unterbrochen wurde. Mit einem Blick auf den Nordmann war die Sache auf jeden Fall für Malukhat klar: Der Typ wusste etwas, was Draven und Malukhat nicht wussten. Nur wie den Mann dazu überreden, sie von seinem Wissen in Kenntnis zu setzen? Einfach hinüber gehen und fragen sollte wohl nicht viel bringen. Und ihm außerhalb der Taverne aufzulauern und zu vermöbeln schloss der Erzmagier ebenfalls kategorisch aus, da das wohl kaum mit Dravens eher diplomatisch gestimmten Gewissen zusammen passte.
Eigentlich verwunderlich. Draven, der Erzmagister des Hauses Telvanni, sollte eigentlich ebenso sein wie die anderen oberen Mitglieder dieses Hauses. So gesehen hätte dem Bretonen alles vollkommen egal sein sollen. Für ihre Kaltschnäuzigkeit waren die Telvanni doch bekannt, und es wunderte schon sehr, dass einer wie Draven es mit seiner Moral bis in die obersten Ränge geschafft hatte. Andererseits durfte man wohl ebenso über Malukhat denken: Wie konnte ein solch schwachsinniger Rüpel nur Erzmagier der Magiergilde werden? Gute Frage, wirklich gute Frage.
„Lasst mich Euch eine kleine Geschichte erzählen, Draven“, sagte Malukhat schließlich nach einer geraumen Weile des Schweigens, während der er sich nicht einmal ein Skooma bestellt sondern in der Tat einfach nur nachgedacht hatte. Dieser Bretone, Draven, brachte ihn auch dauerhaft zu solch für ihn untypischen Verhalten. „Ich kannte mal einen Dunmer – Echozar hatte er geheißen, ein im Fremdland geborener Dunmer, wie man namentlich unschwer erkennen kann – der ist verdammt stolz gewesen auf alles, was er sich erarbeitet hatte in seinem Leben. Stellt Euch vor, ein Abtrünniger Priester hatte es geschafft sich in den Tribunalstempel einzuschleichen. Hätte man ihn erwischt, man hätte ihn auf der Stelle getötet. Dieser Dunmer war von Balmora nach Vos gezogen, mitsamt seiner Frau und seinen beiden Kindern – einem Jungen und einem Mädchen. Er hatte ein wenig über die Aschländer aber auch über die Vampire in Erfahrung bringen wollen. Damals waren wieder die ersten Unbilden mit letzterer Rasse aufgetreten. Wie ich Euch ja bereits erklärt hatte, galten die Vampire eine gewisse Zeit als ausgestorben. So hatte Echozar sich zum Zainab-Lager der Aschländer aufgemacht, hatte dort einige Tage verweilt, bis er sich dann auf seine Suche nach den Vampiren konzentriert hatte. Zwischendurch war er noch einmal bei seiner Familie gewesen. Er war ein guter Mann, anders kann ich es nicht sagen, streng insbesondere zu seinem Sohn, aber kein wirklicher schlechter Elf. Als er allerdings sieben Monde nach seinem Verschwinden wieder aufgetaucht war, war er ein vollkommen anderer Mensch gewesen und über die Dinge, die er gesehen hatte, hatte er nichts berichtet. Andauernd hatte er gesagt, er hätte nichts gesehen…“
Malukhat machte eine kurze Pause, als die Bedienung sich dann schließlich doch zu ihnen hinüber bewegte um die Bestellungen aufzunehmen. Er selbst bestellte sich ein Skooma, und als Draven sich wahrscheinlich einen cyrodiilischen Brandy bestellen wollte, gebot Malukhat ihm mit einer einzigen Handbewegung Einhalt und gab dem Bretonen, dem einzigen Mann, der jemals seinen Respekt erhalten und auch verdient hatte, einen weiteren aus.
Der Erzmagier schwieg, bis sie endlich die Spirituosen vor sich stehen hatten, dann nahm er einen kräftigen Schluck und sprach weiter. Draven konnte nicht wissen, wie schwer ihm seine Worte fielen, er konnte nicht wessen, wer Echozar gewesen war. Zu Lebzeiten ein Mann von wahrlicher Größe, doch im letzten Abschnitt seines Lebens ein grausamer, hasserfüllter Sklaventreiber. Und der Erzmagister konnte ebenso wenig wissen, wer dessen Sohn gewesen war…
„Natürlich hatte keiner ihm geglaubt, ich am Wenigsten, aber ich habe nicht weiter nachgefragt, auch wenn es mir immer brennend unter den Nägeln gelegen hat. Doch Echozar hatte sich verändert. Er war nicht mehr der liebevolle, wissbegierige Familienvater, nein, ihm ist alles egal gewesen – von seiner Arbeit als Spion der Abtrünnigen Priester im Haus Hlaalu, über seine Frau bis zu seinen Kindern. Alles, was er geschaffen hatte, hatte er mit einem Male zerstört. Aber könnt Ihr Euch das vorstellen, Draven? Da wird ein Mann von den Aschländern als Freund akzeptiert, sucht nach den Vampiren, verschwindet über sieben Monde und ist dann wie ausgewechselt? Er ist kein Vampir gewesen, er hatte keinerlei Bissspuren gehabt… Nur etwa einundzwanzig Jahre später war er gestorben, als gebrochener alter Mann. Was er gesehen hatte, musste derart schrecklich gewesen sein, dass er nicht mehr hatte so leben können wie früher – und das musste unweigerlich mit den Vampiren in Kontakt gestanden haben! Und mit den Aschländern natürlich. Anders kann ich mir das nicht erklären, egal wie sehr ich darüber nachgegrübelt habe.“
Malukhat musste schmunzeln bei dem Gedanken, wie lange er bereits darüber nachdachte. Vierhundert Jahre? Bestimmt. Auch wenn man es ihm nicht ansah, er selbst war eben auch nur ein alter Mann, wahrscheinlich besonders in den Augen eines Bretonen, eines Menschen, die so kurzlebig waren, dass man sie entweder beneiden oder bemitleiden musste. Der Erzmagier fragte sich, was schlimmer sein konnte… Zu sterben, ohne seine Ziele erreicht zu haben oder lange zu leben und zu merken, dass man sie niemals erreichen wird. Aber das würde man wahrscheinlich erst wissen, wenn man auf dem Sterbebett lag.
„Die Aschländer im Zainab-Lager haben übrigens bis zum Ende hin bestritten, einen Mann, der Echozar auch nur entfernt ähnelte, je gesehen zu haben. Dort sei nie jemand vorbei gekommen. Und diese Aussage steht bist heute.“
Und wieder nahm Malukhat einen kräftigen Schluck von seinem Skooma, dann ließ er den leeren Becher krachend auf den Tisch sausen und wischte sich mit der rechten Hand über den Mund. „Was meint Ihr, Draven“, begann er noch ein letztes Mal, bevor er den anderen sprechen lassen wollte, einen Glanz in den Augen, der zum Fürchten war. „Sollten wir die Erinnerungen dieser Aschländer mal ein wenig auffrischen, uns dort umhören? Bedenkt nur eines: Ob dieses Unterfangen scheitern wird, liegt vollkommen bei Euch. Alles liegt in Euren Händen, Ihr habt eine gewaltige Last zu tragen. Ihr trefft hier die Entscheidungen, ich bin nur Euer mehr oder weniger aufgezwungener Ratgeber, mehr auch nicht. Natürlich hoffe ich, dass ich Euch in irgendeiner Weise behilflich sein kann, Erzmagister Draven, aber am Ende liegt es doch bei Euch. Doch wie Ihr auch entscheiden mögt, ich stehe da voll und ganz hinter Euch. Ihr wisst ja selbst, dass ich in dieser Runde der Draufgänger bin, ich hab nichts zu verlieren – Ihr seid der Diplomat!“