Malukhat hatte reflexartig, aber viel zu langsam seinen Arm gehoben, als der Bretone vor seinen Füßen blutspuckend zusammenbrach. Mit einem Gesichtsausdruck, der von vollkommener Verwirrung sprach, betrachtete er den am Boden liegenden, der sich röchelnd in seinen Schmerzen wand. Demnach also unschlüssig, war er nun tun sollte, verharrte der Erzmagier an Ort und Stelle und betrachtete stumm den sich windenden Leib des Telvanni-Meisters. Draven schien es ebenso zu ergehen. Was sollte man auch in einer solchen Situation tun?
„Draven, ich muss Euch ehrlich sagen, Eure Heilkünste haben versagt“, waren seine Worte, als er den Bretonen von der Seite finster betrachtete. „Vielleicht hättet Ihr ihn auch ohrfeigen sollen, bei mir hats ja immerhin funktioniert.“
Mehr als eine hochgezogene Augenbraue hatte der Erzmagister den Worten des Dunmers wohl nicht beizumessen, aber das war auch nicht sehr verwunderlich. Dieser Tag hatte alle Beteiligten geschlaucht. Nun, dieser ominöse Nord, dieser „Vampir-Jäger“, fiel aus dieser Bezeichnung wohl aus, denn er stand nur in der Gegend herum und betrachtete das Geschehen schlichtweg mit einem süffisanten Lächeln.
„Lasst uns Zareg in mein Zimmer tragen, dort kann er diese Nacht schlafen“, schlug Malukhat vor und Draven stimmte – wie auch nicht anders zu erwarten gewesen war – zu. Allerdings zeigte sich auch dies als ein äußerst schwieriges Unterfangen, denn der von Schmerz gepeinigte Zareg machte keinerlei Anstalten, sich freiwillig und ohne jegliche Gegenwehr davon tragen zu lassen. Erst, als der Erzmagier ihm einen gezielten Schlag ins Gesicht versetzte, gab er Ruhe und ließ sich ohne weitere Störungen in das Zimmer Malukhats schaffen. In seiner momentanen Situation mochte dieser Schlag selbst dem Telvanni-Meister nur zu Gute gekommen sein, denn dieser hatte auf diese Art und Weise eine kurze Pause von seinen Schmerzen.“
„Nee, nee...“, sagte Malukhat, als Draven dazu ansetzte, den Ohnmächtigen auf dessen Bett niederzulegen. Erst einmal die Kuscheldecke und das Sonnenkopfkissen in Sicherheit bringen. Blut bekam man da so schwer wieder heraus, und wer konnte schon sagen, wie viel der Bretone diese Nacht noch davon verlieren würde?
Nach getaner Arbeit – Zareg ruhte in dem Bett, die weiße Klippenläuferdaunendecke bis zum Kinn hinaufgezogen, der Erzmagier hatte sich in dem daneben stehenden Stuhl niedergelassen und Draven hatte sich an die gegenüber liegende Wand gelehnt, den Beutel mit Malukhats Heilmitteln immer noch in den Händen – seufzte Malukhat und rieb sich den Schweiß von der Stirn. Der Erzmagister hatte seinen Vorschlag mit den Aschländern akzeptiert. Das alleine war schon einmal gut. Aber heute würden sie wohl nicht mehr los ziehen können, falls man überhaupt von heute sprechen konnte sondern nicht eher von gestern. Draven schien das ebenso zu sehen, wie er, denn auch er wirkte müde und ausgelaugt.
„Legt Euch schlafen und überlasst mir alles weitere. Ich werde mich schon um den Kleinen kümmern. Ihr braucht erst einmal Eure Ruhe.“ Wovon ich selbst allerdings auch so einiges gebrauchen könnte, dachte er im Stillen selbst. Das war alles so nicht geplant gewesen, das war nicht richtig so. Zareg war von einem Vampir gebissen und geradezu ausgeblutet, dem Tod immer noch näher als dem Leben. Nein, das hatte der Erzmagier sich anders vorgestellt. Sadrith Mora, die Stadt der Magier, galt als beliebtes Reiseziel für Touristen, aber davon hatte er noch nicht viel mitbekommen. Außer Leichen und Halb-Toten hatte er nichts davon zur Kenntnis genommen. Er war früher schon einmal hier gewesen, oft sogar, aber auch diese Insel Vvardenfells hatte sich nach so vielen Jahrhunderten verändert. Und sein letzter Besuch als gesuchter Mörder war ja auch nicht unbedingt das Gelbe vom Ei gewesen. In diesem Moment spürte er die Fremdartigkeit seiner Umgebung mehr als zuvor. Die Welt verfiel in einen stetigen Wandel, sie würde sich immer verändern und er sollte die Zeit überdauern, wie er es bereits getan hatte.
„Vielleicht sieht man es mir nicht an, Draven, aber ich bin bereits ein sehr alter Mann. Meine besten Jahre, so glaube ich, habe ich bereits hinter mir. Ihr seid noch jung, also lasst mich Euch einen gut gemeinten Rat geben: Lebt jeden Tag, als wenn es Euer letzter wäre, denn das Ende kommt schneller, als Ihr es Euch vorzustellen vermögt.“
So ernst war der Erzmagier, dass er selbst es kaum fassen konnte. Mit Draven hatte das ewige in den Tag hinein leben sein Ende gefunden. Und er musste zugeben, dass auch er sich verändert hatte in den letzten Tagen. Wahrscheinlich würde sich das ändern, wenn das alles erst einmal durchgestanden war, er wieder der so konnte, der er schon immer gewesen war. Dann konnte er wieder Ranis Athrys zur Weißglut treiben, seine Späße mit den hübschen Adeptinnen machen und in den ewigen Kreislauf des Erinnerns und Vergessens verfallen. Draven allerdings konnte er nicht streichen, er konnte ihn nicht einmal aus seiner zukünftigen Planung ausschließen. In gewisser Weise hatte er den Bretonen lieb gewonnen, wie man so schön zu sagen pflegte. Der Erzmagister forderte ihn, verlangte ihm alles ab, was er an Wissen zu bieten hatte. Doch so wirklich wussten sie nichts voneinander. Es freute den Erzmagier, dass er dem jungen Mann ein wenig unter die Arme greifen konnte, denn auch dieser hatte ein großes Maß an Erfahrung mit auf diese Reise genommen, die ihnen behilflich sein konnte. Also doch lieber „Respekt“ statt „lieb gewonnen“? Nun, zuerst musste sich nun um Zareg gekümmert werden. Blut musste her. Malukhat wusste auch schon, wo er es beschaffen sollte, allerdings durfte Draven davon nichts erfahren, ebenso wenig der verwundete Telvanni-Meister.
„Legt Euch nun schlafen. Ich werde hier schon zurecht kommen. Ich denke, ich kann mich momentan ein wenig besser um die Heilung kümmern, als ihr, da ich den Großteil meiner Kraftreserven aufgespart hatte, als hätte ich einen solchen Notstand erwartet.“
Der Bretone blickte ihn zweifelnd an. Nur widerwillig stimmte er letzten Endes zu, begab sich schon auf den Weg zur Tür, als er sich noch einmal umdrehte und das Täschchen mit den Arzneien auf dem Fußende des Bettes niederlegte. Kein weiteres Wort fiel zwischen den beiden Männern, doch der Dunmer wusste genau, dass Draven schon so eine Ahnung hatte. Nicht davon, dass Malukhat irgendwoher Blut beschaffen wollte, sondern eher, dass er etwas vorhatte, was nicht rechtens war. Seltsamerweise ließ er es dennoch zu, dass der Erzmagier sich um das Mitglied des Hauses Telvanni kümmerte. Ja – Draven erhob nicht einmal Einwände! Zwischen dem Erzmagier und dem Erzmagister war ein stummes Bündnis des gegenseitigen Einverständnisses geschlossen worden. Anfangs war es wohl beiden als vollkommen abwegig erschienen, dass sie sich noch einmal so gut verstehen würde, aber irgendwie ging und diesen wackeligen Frieden galt es aufrecht zu erhalten.

Unten in der Taverne war es still geworden, außer dem Schnarchen einiger Gäste war nicht zu vernehmen. Selbst der Wirt lag mit geröteten Wangen und noch leicht geöffneten Augen über dem Tresen und machte sich nichts aus seiner ungemütlichen Haltung. Das Feuer innerhalb des Kamins hatte das Holz vollständig gefressen, war erloschen und hatte alleine graue Asche und schwarze Kohlestücke zurück gelassen. Auch die Kerzen innerhalb der Lampen waren teils ausgegangen, da sie vollends runtergebrannt und nicht ausgewechselt worden waren. Inmitten dieser Rund verharrte der Erzmagier und musterte mit gerunzelter Stirn seine Umgebung und jede einzelne Person, die in diesen Hallen selig träumte. Schließlich entschied er sich für einen hoch aufgeschossenen, noch sehr jungen Bretonen. Mehr als siebzehn Winter sollte dieser noch nicht hinter sich gebracht haben – somit war er das perfekte Opfer für des Dunmers ungewöhnlichen Heilzauber.
„He, wacht auf“, sagte er zu dem mit dem Kopf auf dem Tisch liegenden Mann und schlug ihm vorsichtig mehrere Male auf den Hinterkopf. Der junge Bretone rührte sich murrend und stieß dabei die neben ihm stehende Flasche um, die Malukhat gekonnt aber in höchster Not vor dem Aufprall auf dem Boden auffing und vor dem sicheren Zerschellen rettete. Konnte ja Pfand drauf sein, den man dann später einholen konnte. Aber zuerst stellte er die Flasche wieder ab, allerdings weit entfernt aus der Reichweite des anderen Mannes, und packte diesen unter der rechten Schulter, legte den rechten Arm um dessen Taille und zog ihn hoch. Nur durch ein schwaches Grunzen ließ der Bretone vernehmen, dass er mit dieser Art Behandlung nicht einverstanden war. Aber ansonsten war er vollkommen hilflos und für den Erzmagier war es ein leichtes, ihn nach oben in das Zimmer zu schleppen, indem Zareg schlief. Vorsichtig platzierte er ihn auf dem neben dem Bett stehenden Stuhl und drückte ihn nach hinten, die Arme zu beiden Seiten abstehend, damit er nicht zur Seite umkippte und auf den Boden fiel. So denn begann er mit den Vorbereitungen für Zaregs Heilung. Zugegeben, seine Methoden waren recht unmoralisch, aber was sollte er sonst tun? Noch brauchten sie den Telvanni-Meister. Sein Verlust würde die Gruppe – ohnehin nur bestehend aus drei Personen – erheblich schwächen. Insbesondere Draven, der scheinbar stolz auf sein Fürstenhaus war, sollte ein solcher Umstand in der Tat ziemlich mitnehmen. Aber Malukhats Moralvorstellungen waren sowieso käuflich, somit also im Großen und Ganzen mehr als flexibel. Zu seinem Schwert hinüberschielend erkannte er, dass er diesmal wohl gezwungen war, sein eigenes Blut als Medium für den Zauber zu nutzen, und schnitt sich mit an der Klinge des Bloody Shine die Fläche seiner rechten Hand auf. Rotes Blut quoll aus der eher oberflächlichen Wunde. So hielt er es auch mit dem ohnmächtigen Zareg und dem volltrunkenen Bretonen, der in seinem Rauschzustand nicht mehr viel davon merkte. Es war ein Zauber, den er sich bei den Crecken abgeschaut hatte, die größten Totenbeschwörer der gesamten Welt, mochte man annehmen. Denn in ihrem Land war das Beschwören Untoter rechtlich gesehen erlaubt. Das Kaiservolk war damit zwar immer noch nicht einverstanden, und warm geworden waren die beiden Länder miteinander auch nicht, aber es musste sich damit abfinden, dass sein Einfluss sich gerade einmal auf die neun zugehörigen Länder des Kaiserreichs Tamriel beschränkte.
„Hm...“ Um als Medium zu fungieren sollte er die Hände der beiden in die seinen nehmen, was wiederrum erforderte, dass der Erzmagier sich auch die linke Handfläche aufschneiden musste. Der stechende Schmerz, als die Klinge in sein Fleisch fuhr, unbeachtet lassend, legte er das daedrische Dai-Katana beiseite und machte sich an die Vollführung des Heilungszaubers zugunsten des bewusstlosen Zareg. Der Dunmer nahm die verletzten Hände der beiden anderen in die seinen, sodass die Schnittwunden unmittelbar übereinander lagen, und murmelte einige fremdartige Worte vor sich hin. Er schloss die Augen, spürte die Macht des Zaubers in seinem Inneren aufsteigen, den letzten Rest seiner Energie verspeisen, fühlte, wie sich die astrale Kraft aus seinem Körper löst und die beiden Männer damit umfing. Malukhats Stimme wurde lauter, er merkte es zwar, konnte aber nichts daran ändern. Hauptsache Draven würde ihn nicht hören, Hauptsache kein anderer würde dies tun, Hauptsache der Betrunkene würde weiterhin nicht merken, was mit ihm geschah, Hauptsache Zareg blieb bewusstlos, solange der Zauber noch nicht vollendet war. Die Nutzung solcher Zauber war auf den Tod verboten, sollte ihn also jemand dabei erwischen, konnte dies das Ende seines Lebens bedeuten. Rotweißes Licht umspielte die Hände, flutete den gesamten Raum mit einem gleißend hellen Licht.
Stille.
Malukhats Worte waren verhallt, der Zauber vollführt. Zareg schlief immer noch selig und der andere Bretone war mit aschfahlem Gesicht auf seinem Stuhl zusammen gesunken. Der Atem des Dunmers ging schnell und abgehackt unter der vorherigen Kraftaufbringung. Und nun sollte er auch noch diesen jungen Bretonen zurück zur Taverne tragen, damit er am nächsten Tag nicht mehr wusste, was mit ihm geschehen war. Seine Energielosigkeit konnte er dann seinem zuvor erlebten Saufgelage zugrunde legen, Malukhat hatte ihm nur das Nötigste an Blut gestohlen, es an Zareg weitergeleitet, damit dieser schnell wieder auf die Beine kam. Aber der Erzmagier kam kaum mehr auf die Beine, so bleiern schwer waren seine Glieder geworden. So schnell es ging brachte er den seines Blutes bestohlenen Mann wieder nach unten, setzte ihn an den Tisch, an dem er zuvor auch gesessen hatte, und legte dessen Kopf seitlich auf den Tisch. Ein wenig Schlaf… Nur ein bisschen, mehr brauchte es nicht, dass er sich wieder erholte und sein Mana wieder voll zur Verfügung stand. In einigen Stunden konnte Draven ihn dann ruhig wecken, dagegen war nichts einzuwenden, und als Malukhat so darüber nachdachte, sich die geschwungene Treppe hinaufarbeitete, stand auch jener vor ihm, an den er gedacht hatte.
„Sehr unlautere Mittel, Malukhat“, meinte Draven und verschränkte die Arme vor der Brust.