Zitat Zitat von Ikarus
Dafür ist mir der Anfang einfach zu Entertainmentmässig, als dass ich dem Autor diesen psychologischen Schluss abnehme und davon überzeugt bin, dass dies die Botschaft ist, die er uns von Anfang an mitteilen wollte.
Ich bitte dich, selbst wenn Evangelion keine literarische Qualität, wie auch immer du diese definiert haben möchtest, hat, so kondensierte die Serie doch in sich alle Themen ihrer Zeit und stellt einen Wendepunkt in der gesamten Industrie dar.

Bedenke, dass alle shounen serien davor davon handeln konnten, dass ein einzelner Junge die Welt rettet. Mechaserien sind die Mystifikation des Themas, da die Gestalt des Jungens durch die Mechanik überhöht und das Kind durch seine Anonymisierung zum Katalysator dieser Rettung werden konnte, auch wenn er ohne seine Maschine ein Wicht blieb. Solange er nur heftig genug arbeiten würde, würde sich alles zum guten wenden und die Welt eine bessere werden. Nun darfst du aber nicht ignorieren, dass Japan ein Land mit einer Gesellschaft ist, die jeden Tag erneut ihre eigene Historie aufbauend auf allem, was war, schreibt und das populäre Medien, sofern sie gut sind auf solche Trends reagieren.

Japan hatte (was Manga betrifft) drei Phasen: Den Beginn des Mediums als Kinderunterhaltung nach dem Krieg, die Erfindung der Gekiga während der Periode der gescheiterten 68er-Revolte, und das Lolicon und die Stereotypen der neuen Pornographie als Gegenstück, die Biedermeierphase der Achziger mit den Romantic Comedies von Adachi und Rumiko und die apokalyptischen Manga wie Fist of the North Star als Antithese die mit dem Platzen der Bubble und den darauf folgenden Skandalen endete und Evangelion, die neue Synthese.
Evangelion ist Ergebniss aller Themen, die sich bis an die 90er angesammelt hatten, als das System der lebenslangen Anstellung und die ständige Boomphase mit permanent wachsendem Lebensstandard zusammenbrach und eine Lebensart unterging ohne das etwas neues entstanden wäre. In dieser sahen sich die Jugendlichen plötzlich mit der Notwendigkeit zu mehr Autonomie trotz laufender gegenteiliger Erziehung gezwungen. Es war genau dieses System des stumpfen auswendiglernens, welches das Motiv des "wenn du nur hart genug arbeitest, wirst du erfolg haben" hervorgebracht hat doch der Zusammenbruch der Bubble entwertete diese Idee vollkommen.
Die andere Idee, die unter dem Gewicht der Realität zusammenbrach war die der "zukünftigen Revolution". In einem System der Konformation führten Manga vor, dass man wenn man "hart arbeitet" soziale Veränderungen vielleicht nicht jetzt sofort errreichen konnte, aber in einer unbestimmten Zukunft auf jeden Fall. Sofern man am Ball blieb. Das äußerte sich in Geschichten im allgemeinen darin, dass Charaktere, die zu mächtig wurden, sich am Ende selbst exilierten, da Japan noch nicht bereit für ihre Revolution sei.

Doch am Ende der Bubble Periode angekommen tauchte eben niemand auf, um den Ball aufzunehmen, den Politik und Wirtschaft fallengelassen hatte, alles havarierte weiter wie bisher nur schlechter. Verständlich, da man die Opposition von Kriegsende bis zu den sechzigern zerquetscht hatte und es einfach keine denkbaren Alternativen mehr gab. Da Popkultur stets abhängig von der Kultur ist, ergab sich nun ein Problem: Es gab offensichtlich keine Rettung, keine Helden und auch härteste Arbeit wird nichts verändern oder den Untergang aufhalten können. Niemand weiß einen Ausweg, ist es deswegen unrichtig, wenn man zumindest sich selbst rettet?

Das war Evangelion: Die erste Sekai-kei Show. Sie nahm diese Grundstimmung auf ohne die Überhöhung der Bedeutungn des Hauptcharakters in der Mechashow aufzugeben. Gainax ist aber nicht nur einfach eine Firma, sie sind jene, die solche Themen stets zu Ende dachten. Während Gunbuster, dass die Themen der achziger zu Ende brachte, zunehmend eskaliert und schlussendlich in einem Armageddon endet, dass eine neue, friedlichere Gesellschaft hervorbringt wie man es immer prophezeihte, implodiert Evangelion.

Die Emotionen der Charaktere sind es immer noch, die schlussendlich über das Schicksal der Welt entscheiden doch diese können nicht nach außen dringen und zu Veränderungen werden. Einfühlung ist ihnen nicht möglich, öffnen können sie sich in Evangelion nicht da ihr persönliches, aus ihrer Lebensgeschichte konstruiertes AT-Feld (ein Begriff aus der psychologie, der überhöht wurde) sie ewig von allen anderen trennt. Dieses AT-Feld und die gesamte Situation in Eva, mit NERV, SEELE, Gendous Plänen und den Engeln steht für die Gesellschaft, die weitermacht wie schon vor Jahrmillionen. Nebeneinander können sie existieren, aber miteinander kommen sie nicht zurecht. Konformismus wird gelehrt und gefordert, aber rüder Individualismus herrscht. Der Mangel, nein geradezu die Unmöglichkeit der Aufrichtigkeit, des ehrlichen sich-öffnens und gemeinsam ein Ziel verfolgen bringt die Implosion der Gesellschaft im third impact durch Shinji mit sich. Es war sein Wunsch, keine Gesellschaft mehr zu haben, keine Geschichte und kein Selbst und so kam es.

Am Ende der Serie, im Meer des Lcl, wo die gesamte Menschheit von ihren Gestalten, ihren Persönlichkeiten und ihrer Geschichte und damit von ihren AT-Feldern befreit zusammenfließt wird Shinji dann mit allen konfrontiert und alle mit ihm. Er entkommt nicht wie er es sich wünschte, aber die schonungslose Konfrontation heilt ihn schlussendlich und ermöglicht der gesamtem Menscheit einen Neuanfang.

Für den Zuseher bedeutet die Juxtaposition der Bilder und Sequenzen allerdings etwas anderes: Anno sagt: "Get a life! Anime rettet nie."

Die Zerstreuung und Vertröstung von Anime und Popkultur ist genau das, was den third impact erst ermöglicht hat. Solange man noch auf eine Errettung in der Zukunft und von außerhalb seiner Selbst erwartet, wird sich nichts verändern.

Das zu hören schmeckte aber den Zuschauern überhaupt nicht, bzw, sie überhörten es gefliesst und verlangten EoE. Anno gab nach, aber nicht ohne vorzuführen, wie die Gesellschaft das Individuum immer wieder durch Beharrung besiegt, selbst wenn es kochenden Blutes dagegen ankämpft (Siehe Asuka und die Serienevas).