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Leider wird ja in der Schule viel zu sehr das Bild vermittelt, dass man tatsächlich über alles schon genauestens Bescheid wüsste, ohne auf all jene grundlegenden Fragen hinzuweisen auf die man keine klare Antwort hat und damit Interesse und Neugier zu wecken.
Zb scheint ja alles letztendlich aus Energie zu bestehen - nun was genau ist Energie? Oder wenn wir ein Gefühl haben gibt es völlig zeitgleich dazu bestimmte Hirnstrukturen, die man mit dem Gefühl also gleichsetzen kann - aber was ist nun ein subjektiv erlebtes, an sich nicht messbares, Gefühl? Was genau ist Leben? Wie ist menschliches Verhalten entstanden, woher kommt unser Wille?
Du kannst ja auch die Dinge jeweils in ihrer Erscheinungsform und in ihrer Bedeutung betrachten. In ihrer Erscheinungsform ist die Sonne ein Stern unter Milliarden in unserer Galaxie, doch in ihrer Bedeutung ist sie für uns der Stern schlechthin.
Das Thema erinnert mich an den "Der Mann ohne Eigenschaften" von Robert Musil. Da diese Problematik eines der Grundthemen des Buches anschneidet hat er sie (wenn auch in einen größeren zusammenhang gestellt) so treffend umschrieben, dass ich jetzt einfach mal abschreib':
Zitat
Die Nebencharaktere Clarissa und Walter reden über den Hauptcharakter Ulrich.
Walter:"Was sagt er selbst?"
Clarissa:"Ach, weiß ich's! Daß heute alles aufgelöst ist. Er sagt, alles ist jetzt steckengeblieben, nicht nur er. Aber er nimmt es nicht so übel wie du. Er hat mir einmal eine lange Geschichte erzählt: Wenn man das Wesen von tausend Menschen zerlegt, so stößt man auf zwei Dutzend Eigenschaften, Empfindungen, Ablaufarten, Aufbauformen und so weiter aus denen sie alle bestehn. Und wenn man unseren Leib zerlegt, so findet man nur Wasser und einige Dutzend Stoffhäutchen, die darauf herumschwimmen. Das Wasser steigt in uns genauso wie in die Bäume, und es bildet Tierleiber, wie es die Wolken bildet. Ich finde das hübsch. Man weiß dann bloß nicht recht, was man zu sich sagen soll. Und was man tun soll". Clarisse kichert. "Ich habe ihm darauf erzählt, dass du tagelang fischen gehst, wenn du frei hast, und am Wasser liegst."
Walter:"Nun, und? Aber Menschen" sagte Walter fest "tun das seit zehntausend Jahren, starren den Himmel an, spüren die Erdwärme und zerlegen das so wenig wie man seine Mutter zerlegt!"
Clarisse musste wieder kichern. "Er sagt, das hat sich seither sehr verwickelt. So wie wir auf dem Wasser schwimmen, schwimmen wir auch in einem Meer von Feuer, einem Sturm von Elektrizität, einem Himmel von Magnetismus, einem Sumpf von Wärme und so weiter. Alles aber unfühlbar. Zum Schluß bleiben überhaupt nur Formeln übrig. Und was die menschlich bedeuten, kann man nicht recht ausdrücken; das ist das Ganze. Ich habe schon vergessen, was ich im Lyzeum gelernt habe, aber irgendwie stimmt es wohl. Und wenn einer heute, sagt er, so wie der heilige Franziskus oder du zu den Vögeln Bruder sagen wolle, dann dürfe er sichs nicht bloß so angenehm machen, sondern müsse sich auch entschließen können, in den Ofen zu fahren, durch die Leitungsstange einer Elektrischen in die Erde zu springen oder durch eine Abwaschvorrichtung in den Kanal zu pritscheln."
"Ja, ja!" unterbrach Walter diesen Bericht. "Erst werden aus den vier Elementen einige Dutzend, und zum Schluß schwimmen wir bloß noch auf Beziehungen, auf Vorgängen, auf einem Spülicht von Vorgängen und Formeln, auf irgendetwas, wovon man weder weiß, ob es ein Ding, ein Vorgang, ein Gedankengespenst ober ein Ebengottweißwas ist! Dann besteht zwischen einer Sonnen und einem Zündholz kein Unterschied mehr, und zwischen dem Mund als dem einen Ende des Verdauungskanals und seinem anderen Ende auch keiner! Die gleiche Sache hat hundert Seiten, die Seite hundert Beziehungen, und an jeder hängen andere Gefühle. Das Menschenhirn hat dann glücklich die Dinge geteilt; aber die Dinge haben das Menschenherz geteilt!". Er war aufgesprungen, aber er blieb hinter dem Tisch stehen.
"Clarisse!" sagte er. "Er ist eine Gefahr für dich! Schau, Clarisse, jeder Mensch braucht heute nichts so nötig wie Einfachheit, Erdnähe, Gesundheit - und ja, ganz gewiß, da kannst du sagen was du willst - auch ein Kind, weil ein Kind es ist, was einen fest an den Boden bindet. Was dir Ulrich erzählt, ist alles unmenschlich. Ich versichere dir, ich habe den Mut, wenn ich nach Hause komme, einfach mit dir Kaffee zu trinken, den Vögeln zuzuhören, ein bißchen spazierenzugehen, mit den Nachbarn ein paar Worte zu wechseln und den Tag ruhig ausklingen zu lassen: Das ist Menschenleben!"
Zitat Ende
Geändert von cloud2003 (26.06.2006 um 19:38 Uhr)