Danke^^ Ich hoffe trotzdem, dass die nächste Geschichte etwas weniger kitschig ist.


Der Schmetterlingseffekt

»Nein, ich kann nicht.«, hallte ihre Stimme durch den Flur der Wohnung. Die Tochter an die Wand gelähnt, schaute nervös auf den Hörer in der Hand ihrer Mutter. Leise rauschte die Stimme ihrer Großmutter durch den Apparat. Rea wollte ans Telefon. Sie musste ihn anrufen. Es wäre kein Problem, wenn sie schon richtig zusammen wären, aber so...
»Du nimmst ganz einfach den Bus bis zur Fiessen-Strasse und gehst dann die Straße hoch und dann ist es bereits nur wenige Meter auf der rechten Seite.«, erklärte die Mutter. Rea spürte die Unsicherheit und die Gewissensbisse in der Stimme in ihrer Mutter, aber sie hatte keinen Nerv, darüber nachzudenken, sie wollte jetzt ans Telefon.
»Ich habe keine Zeit, dich hinzubringen, ich muss arbeiten. Du bist den Weg schon dutzende Male gegangen, du brauchst mich dazu gar nicht, einen Moment...«, Rea schaute immer noch wie gebannt auf den Hörer, als ihre Mutter schließlich aufschaute und sie ansah:
»Bitte geh ins Bett, Rea, es ist schon spät!«
»Aber ich muss noch mit wem telefonieren...«, antwortete Rea, als in dem Moment ein lautes Geräusch aus dem Hörer drang.
»Hallo?! Mama?! Verdammt, Bruno!«, rief Reas Mutter, als der Bruder seinen Kopf aus seinem Zimmer streckte.
»Sorry, ich wollte ins Internet und da hat das Modem rumgesponnen.«, erklärte er, »ich habe ein wenig am Telefonkabel rumgezogen und jetzt...«
Mit schuldsamer Miene, hob er das kaputte Kabel vor sich. Seine Mutter seufzte leicht. »Da kann man nichts machen. Oma wird den Weg schon finden und du kannst ja morgen telefonieren. Ich geh morgen früh ein neues Kabel kaufen.«, sagte sie zu Rea, die bedrückt in ihr Zimmer ging. Es stimmte, sie konnte auch morgen anrufen...er würde sich nicht beirren lassen...

Ein tiefer Atemzug und der staubige Geruch des Pflasterweges füllte sich um ihn, als er die Bushaltestelle erreichte. Ein paar Gedanken schossen ihm, in diesen Sekunden durch den Kopf. Zum Beispiel, dass er nur wegen eines dummen Mädchens, jetzt den Bus verpasste und nicht stundenlang wie ein Trottel, auf einen Anruf hätte warten dürfen. Er war wirklich ein Idiot. Der Bus wollte gerade wegfahren, als er aufgeregt gegen die Scheibe trommelte.

Eine alte Frau schaute ihn mitleidig an, schien kurz den Mund zu öffnen um etwas zu sagen, tat es aber schließlich nicht. Sie war verwirrt. Alles schien ihr so schnell zu gehen. Sie wünschte etwas gesagt zu haben, sie saß schließlich fast neben dem Busfahrer, doch es ging einfach zu schnell. Sie warf einen traurigen Blick zurück auf die Bushaltestelle, doch diese war längst nicht mehr zu sehen. Mit nervösen Gesten und einem, scheinbar in Gedanken versunkenen Blick, fuhr sie weiter, vorbei an der Fiessen Straße.

Rea stand mit ihren Freundinnen vor ihrer Klasse. Während die anderen auf den Lehrer warteten, suchte sie die beiden Eingänge zum Stockwerk stets nach ihn ab. Sie machte sich langsam Sorgen. Auch wenn sie fest daran glaubte, dass es sich bald aufklären wird, bekam sie langsam Angst nicht die Chance dafür zu bekommen. Die große Glastür öffnete sich und die klackernden Schritte der Schuhe des Lehrers begleiteten das Klirren seiner Schlüssel. Der Unterricht begann.

Erschrocken, fuhr sie zusammen. Die Straße kannte sie, aber es war viel weiter, als sie eigentlich fahren wollte. Mit einem unwohlen, warmen Gefühl in der Magengegend und einem kleinen Schweißanfall, stand sie auf und stieg aus dem Bus aus, als er an der nächsten Haltestelle hielt. Sie musste die Straße hochlaufen, soviel wusste sie. Beklommen und unsicher, ob dieses Missgeschicks ging sie langsam die Straße entlang, von der Haltestelle weg. Kaum war sie ein paar Minuten gegangen, als sich ihr schnelle Schritte näherten. Sie schaute kurz auf und blickte in das Gesicht jenes Jungen, den sie an der Haltestelle gesehen hat. Ein kurzer Stich durchfuhr sie, als sie sah, wie er sich abhetzte. Langsam ging sie weiter, den Blick stets auf ihn gerichtet. Schließlich war er vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Sie versank ein weiteres Mal in Gedanken und bemerkte nicht wie sie auf eine Seitenstraße schritt, in der ein Auto soeben...

Vorbei an der nächsten Haltestelle, an der Kindertagesstätte mit den bunte Schaukeln auf dem Hof und an der kleinen Geschäftekette neben der Hauptstraße. Er rannte weiter und seine Gedanken kreisten immer wieder um die gleichen Fragen, nach den Gründen. Er redete sich ein, nicht zu wissen, warum er so gehandelt hatte und stellte Gedankengebilde auf, um seinen Selbsthass und seine Scham unter Kontrolle zu bringen. Am Allerliebsten würde er es einfach vergessen, doch dazu musste er erst einmal rechtzeitig in seiner Schule ankommen und die einsetzende Schwere in seinen Beinen vergessen. Er rannte weiter. Wenn er sich anstrengt, würde er es eventuell noch gerade bis zur Zweiten Stunde schaffen

Es klopfte an die Klassentür. Sofort wurde es still im Raum. Eine unbekannte Frau trat in die Tür. »Kann Rea kurz aus dem Unterricht kommen. Hier ist jemand am Telefon für sie.«, sagte sie und die Lehrerin nickte Rea zu, die daraufhin mit einem fragenden Gesichtsausdruck aufstand und zur Tür ging. Jene unbekannte Frau führte sie die Treppen herunter zum Sekretariat und gab Rea den Hörer in die Hand....es war Reas Mutter. Ihre Stimme klang verstört und von Tränen erstickt.

Endlich erreichte er das Schulgebäude. Keuchend, verlangsamte er seinen Schritt. Er spürte sein Herz pochen und seine Lunge, die fast schon weh tat. Ein müdes Schwanken in den Beinen, begleitete seine Schritte zum Haupteingang der Schule. Überrascht sah er Rea durchs Glas. Für einen Moment glaubte er sich glücklich, doch kaum war er stehen geblieben, war Rea bereits an ihm vorbei. Ihr starrer Blick war nicht misszuverstehen, er fragte sich in jenem Moment nur, was er ihr denn getan hat.