ein paar geschichten meinerseits. nein - das ist fiktiv und mitnichten autobiographisch.
~ AUFSTEHEN
07.05.06
Irgendwie ist es doch wie immer morgens; die Nacht ist zu Ende und der Tag rückt unweigerlich näher. Der Wecker klingelt und während sich das Weckerklingeln in etwa so lieblich wie eine Darmgrippe in den Morgen einfühlt ärgert man sich wahnsinnig über die Erfindung des elektrischen Stroms.
Den Morgen könnte man gemeinhin als den Terroristen unter den Tageszeiten bezeichnen und das wird schon beim ersten Blick aus dem Fenster klar; der Himmel strahlt mit dem mausgrauen Stahlbetonklotz gegenüber um die Wette und die Temperaturen könnten kaum wohliger sein – falls man ein Pinguin ist. Das einzige, was noch effektiver ist, sich die Lust auf den Tag zu vermiesen, als ein morgendlicher Blick aus dem Fenster, ist ein Blick auf die persönliche Leidensgeschichte, ein Überblick über die Tiefpunkte des Tages, gemeinhin ‚Stundenplan’ genannt. Schlimmer als zwei Stunden Latein hintereinander sind nur noch drei Stunden Latein hintereinander und ich wünsche mir erneut ein Weckerklingeln herbei, das mich aufweckt.
Ich höre aber kein Weckerklingeln und komme zu dem Schluss, aufzuhören zu warten. So setze ich also meine Staffel von inneren Schweinehunden vor die Tür und mich selbst unter die Dusche.
Ich gehe erneut in mein Zimmer, stelle das Radio an, mache es dann allerdings schnellstmöglich wieder aus, weil ich die gute Laune nicht ertragen kann, die mir keinen Platz lässt, mich selbst zu bemitleiden. Der Kaffee schmeckt heute noch mehr nach Spülwasser als sonst, das Toast ist kohleschwarz und die Marmelade ist Kirschmarmelade – die zweitschlimmste Erfindung nach dem Wecker. Draußen, auf der Straße, zwischen den grauen Betonriesen, schlurft das Leben über den Gehweg, in etwa so aufgeweckt wie eine Familienpackung Beruhigungsmittel.
Der Morgen. Der Terrorist unter den Tageszeiten.
~ daniel platt
_
~ DEUTSCHUNTERRICHT
08.05.06
Verdammt.
Es ist Deutschunterricht. Schon wieder. Es ist ja nicht so, dass es irgendwie körperlich oder seelisch bleibende Schäden hinterlassen würde. Es ist nur diese entsetzliche Langeweile, der man sich nicht verschließen kann. Macht man die Augen zu, ist einem langweilig. Spielt man Vier Gewinnt, ist einem langweilig. Folgt man dem Unterricht ist einem sogar noch langweiliger.
Irgendwie hat jeder seine eigene Strategie gefunden, damit umzugehen. Manche lesen ein gutes Buch, andere hauen ihren Kopf so lang auf den Tisch, bis die Stunde zu Ende ist oder sie rausgeschickt werden. Ich für meinen Teil versuche immer die Blätter an dem Baum vor den Fenstern unseres Klassenzimmers zu zählen, weswegen ich im Winter auch immer komplett aufgeschmissen bin, zum Glück haben wir Sommer. „Habt ihr auch alle euer Buch weiter gelesen?“ Als sich mit ‚alle’ niemand angesprochen fühlt, fragt sie nach; „Daniel?“ Natürlich nicht, daher antworte ich nahezu wahrheitsgemäß, „Ja.“ Nein, heute kann mir nicht mal das Blätterzählen mehr den Kick geben, den ich für den Deutschunterricht brauche, obwohl ich schon bei erstaunlichen 109 Blättern war.
„Na, was hast du denn ’rausgefunden?“ Ich überprüfe jeden Gegenstand im Raum auf seine Interaktionsmöglichkeiten, die Tür sieht dabei mit Abstand am verlockendsten aus. Ich schaue meinen Lehrer an und er sieht so aus, als hätte er mich gerade etwas gefragt, also versuche aus den mannigfaltigen Antworten, die mir zugeflüstert werden, die beste herauszusuchen. Ich habe die Wahl zwischen ‚Ja’, ‚Tja…’ und ‚die Rolle der Dame wird auf eine andere Art definiert’. Weil mir letzteres zu viele Worte hat, entscheide ich mich für ‚Tja…’.
Ich versuche nun die Tür zu erblicken, ohne dass mir der Lehrer durch’s Blickfeld hüpft.
Ja… Wie schön muss Freiheit sein.
~ daniel platt
_
~ ERSTER SCHULTAG
24.04.06
Es ist mal wieder so weit. Ferienende. Schulanfang. Ich zwänge mich gefühlte zehntausend Meter unter den ersten Sonnenstrahlen in einen U-Bahnwaggon. Ich setze mich in eine Ecke und versuche möglichst unfreundlich auszusehen. Ich habe nicht den Hauch einer Chance gegen den kahlrasierten Mitt-Zwanziger am anderen Ende des Waggons, aber auch der Türkischstämmige, der breitbeinig seine Sitzbank beansprucht, hat ganz gute Karten.
Die U-Bahn hält an der Station Ullsteinstraße. Längst konkurrieren nur noch diese beiden Spitzenaggressoren um die Anwärterschaft des unfreundlichsten Fahrgastes. Die anderen Mitfahrer beobachten gebannt das Schauspiel, auch die zwei Fahrkarenkontrolleure haben aufgehört kleinlaut, „die Fahrscheine, bitte“, zu jammern.
Leider muss ich aussteigen, obwohl die Kombattanten anscheinend gerade in die heiße Phase eintreten; niemand wagt es mehr, sich dem Wettkampffeld auf weniger als drei Meter zu hähern.
Fünf Minuten später trete ich in den Klassenraum, meine Lehrerin kommt herein – Stille. „Schön, dass ihr alle wohlbehalten wieder da seid!“ – Die ersten Schüler schätzen ab, ob ein Hechtsprung aus dem Fenster tödlich enden würde. „Dann seid ihr ja jetzt frisch und ausgeruht und wir können mit dem Unterricht fortfahren.“ Meine Augen streifen über die Schüler, die regungslos am Boden liegen. „Kann mir jemand Kreide holen?“ Ich finde das barbarisch. Wir sind gerade erst angekommen, haben noch nicht mal fünf Minuten auf die verspäteten gewartet, unsere Schlafpositionen eingenommen und uns über die Mülleimerbeschriftungen ausgetauscht und sollen nun schon wieder Kreide holen? Kreide? Die Waffe der Blasphemie, der Advokat des Teufels. „Habt ihr auch alle eure Hausaufgaben gemacht?“, nörgelt die Lehrerin weiter.
Ich bin eben doch nur von schrecklichen Zynikern umgeben.
~ daniel platt
_
~ FASTFOOD
01.05.06
Seit Ewigkeiten schaue ich mal wieder zu einem der Fastfoodläden rein, die in letzter Zeit in Berlin wie Pilze aus dem Boden schießen. Nein, damit meine ich keine Vertriebsstelle türkischer Blätterteig-Gemüse-Fleischkombinationen.
Ich stelle mich also an die Kasse, neben mir wird gerade bestellt; „Bitte den Tripple-Cheesy mit den Onion Rips und ’ner doppelten Portion Tasty Dip dazu noch die neue Big King Pommes.“ – Da möchte ich natürlich mindestens genauso mit meinem Fastfoodwissen prahlen, genauso schlau wirken, genauso cool bestellen. „Guten Tag. Was wollen Sie bestellen?“ „Ähh…“, ich sehe ein, mir fehlt einfach das Training, „ähm…“, ich versuche es dann aber doch noch rumzureißen und stottere langsam „Pommes, bitte.“ „Als Menü?“ Ich versuche so zu klingen, als ob sie sich das ja wohl selbst hätte denken können; „Ja.“ „Mit welchem Burger? Softdrink, Milchshake, Eis?“ Darauf war ich nicht gefasst. „Pommes“, wiederhole ich kleinlaut. „Also doch nicht?“ „Ja“, sage ich und hoffe, diesmal richtig geantwortet zu haben. Die Bedienung verschwindet in der Küche, ich habe wieder Zeit, mich der Nachbarkasse zuzuwenden. Der Kunde betrachtet argwöhnisch, wie die Bedienung die Bestellung eintippt. „Die 73 aber ohne Gurken, ja?“ Die Bedienung fängt wieder von vorn an. „Neinnein, Zwiebeln sind schon ok, nur Gurken nicht, ja?“ Ich kann meine Bewunderung für diesen McDonalds-Gott im T-Shirt kaum noch verbergen, die Bedienung fängt erneut von vorn an. „Und bitte schnell machen, muss gleich weiter.“ Ich finde das toll und will so etwas auch gerade sagen, als ich die Bedienung bemerke, die mir fordernd eine Hand hin hält, während sie mit der anderen auf die Pommes auf dem Tablett zeigt. Ich krame in meinem Portmonee nach Geld und komme kaum dazu ein „Zack-zack“ loszuwerden, da wird mir schon wieder das Restgeld gereicht. Ich stecke lässig mein Portmonee ein und drehe mich weg. Naja, das ging ja gerade noch mal gut, lässiger ging es ja wohl kaum noch.
„Entschuldigung?“, wirft mir die Bedienung an den Hinterkopf. Ich drehe mich um und erleide einen herben Rückschlag, weil ich sehe, wie die Pommes Frites noch auf dem Tablett liegen. Mit Portmonee, gesenkten Haupt und jetzt auch Pommes verlasse ich die Filiale. Ich bedecke ungeschickt den Boden mit Pommes Frites, während der Kunde von gerade eben an mir vorbeistürmt, geschickt seine –zig Gerichte balancierend und dabei genüsslich in seinen Tripple-Cheesy-Deluxe beißend.
Nein, ich bin eben nicht für die Großstadt geschaffen.
~ daniel platt