Ich stehe hoch oben, auf dem blau angestrichenen 10 Meterturm.
Der zarte Wind streicht mir sanft durch meine kurzen, blonden
Haare. Um mich herum tobt lauter Jubel. Doch zu meinem größtem
Bedauern mischen sich auch nicht zu überhörene Buh-Rufe darunter.
Hämiche, bösartige und neidische.
Aber ich darf mich nicht ablenken lassen. Nicht in diesem großen und
überaus wichtigen Moment. Ich blicke auf das klare, kristallblaue
Wasser hinab und schließe meine leuchtenden grünblauen Augen.
Ich höre die Stimme des Schiedsrichters. Er hat eine angenehm
warme, wenn auch kratzige Stimme.
Eins
Ich atme tief ein. Angst macht sich in mir breit. Angst zu versagen.
Zwei
Ich stelle mich in Position. Was würden meine Eltern sagen?
Was meine Freunde? Und überhaupt alle die ihr grenzenloses
Vertrauen in mich gesetzt haben?
Drei
Ich öffne die Augen. Das Hellblaue Wasser welches die Sonne
reflektiert, blendet mich ein wenig.
Los
Ich springe ab. Durch die Kraft des wunderbar warmen Windes
wird mein leuchend gelber Schwimmanzug fest an meinen
schlanken Körper gepresst. Die Jubel- sowie die Buhrufe schwillen an.
Ich glaube meine Ohren beben dadurch.
Ich drehe mich einmal, zweimal, dreimal. Dann nehme ich eine
andere Fallposition ein. Alle läuft relativ gut - bis jetzt. Das
blaue, schimmernde Wasser fliegt mir entgegen. Kurz verspüre ich
die gleiche Angst, die ich schon als kleines Kind verspürte. Angst
zu sterben. Angst zu ertrinken. Angst zu versagen. Doch in diesem
Zustand der Ängste und der Furcht leuchtet ein glühender Funke
des Wiederspruches. Dieser Funke ist die Gewissheit, dass ich es
kann, das ich es gelernt habe. Ich habe diesen Sprung schon mehr
als drei -nein, vierdutzend mal durchgeführt. Meine Zuversicht
kehrt zurück, stärker denn je! Die Angst verucht nun erfolglos mich
einzuschüchtern. Ich kann es! Ich kann es!!!
Ich drehe mich nun noch einmal um meine Achse, dann lande ich
sauber in dem warmen Becken. Das angenehme Wasser umspielt
meinen schlanken Körper. Die Gänsehaut ist verschwunden, aber nun
kommt eine andere schleichende Angst in mir hoch. Was werden die
Schiedrichter sagen? Mein Herz klopft wie Wild und scheint in meinem
Körper herum zuspringen. Es schlägt gegen meine Brust als wollte es
frei sein. Ich lasse mich langsam an die blaue Wasseroberfläche treiben.
Aber so langsam kam die Gewissheit wieder in mir hoch. Die Gewissheit
das ich gut war. Aber gut genug um den sehr kritschen Schiedsrichtern
ein 10.0 abzuringen?
Ich bin an der Oberfläche angekommen. Ich atme die frische Luft ein,
die sofort meine Lungen füllt. Sie riecht stark nach Chlor. Ich suche
den Blick der Richter. Wo sind sie nur? Da sind sie, ich habe sie
gefunden, aber was ist das? Ich glaube es kaum, mein Herz klopft.
10.0!
Ich habe es geschafft! Mein allergrößter Traum ist in Erfüllung
gegangen! Ich könnte vor Aufregung jubeln, aber ich bleibe ruhig.
Doch dieser Erfolg sollte die letzte Sternstunde meines Lebens sein.