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Drachentöter
Blastaar kam pünktlich am vereinbarten Treffpunkt vor den Verlorenen Wäldern an, wo ihn der Prüfer, ein junger, etwas untersetzter Hylianer mit schulterlangem blonden Haar, das er im Nacken zum Zopf zusammengebunden hatte, erwartete. Er kritzelte mit einem Federkiel auf einem Block Pergamentpapier rum, aber als er den Pyromagus sah, nahm er sofort Schreibfeder und Papier in die Linke, um seinem Prüfling die Hand zu geben. Sofort zuckte Blastaar zurück und starrte die Hand des Prüfers an, als hätte dieser die Krätze.
Der Prüfer zog etwas verunsichert die Hand zurück und nahm den Federkiel wieder in die Rechte, dann meinte er: „Ähm, hallo. Ich bin Patrick, Ihr Prüfer für den dritten Teil der Schnitzeljagd. Sie sind Herr …?“
„Skellington“, antwortete Blastaar, obwohl er aus Versehen beinahe seinen richtigen Namen gesagt hätte. „Jack Skellington. Können wir diese Prüfungssache schnell beenden? Ich hab’ heute noch eine ganze Menge vor.“
„Oh, ja. Ja, natürlich. Bitte folgen Sie mir.“ Patrick, der Prüfer, schien teils beleidigt und teils verunsichert zu sein. Er lief schnellen Schrittes vor Blastaar her in Richtung Süden und hielt dabei seinen Block auf dem Rücken. Als er, Blastaar, ihm hinterherlief, konnte er erkennen, dass der junge Prüfer eine Blume am Waldesrand skizziert hatte. Die Zeichnung sah sehr gut aus, das erkannte sogar Blastaar.
Nach knapp fünf Minuten hielt Patrick vor einer verwahrlost aussehenden Höhle in einem Berghang an, dann zog er die Nase hoch und sagte mit einer Stimme, die er nur mühsam festigen konnte: „In dieser Höhle hier befindet sich Ihre erste Aufgabe, Herr Skellington. Sie müssen hineingehen und mit einem Edelstein wieder herauskommen. Es gibt nur einen einzigen darin, Sie werden wissen, welcher es ist, wenn Sie ihn sehen. Ich werde hier auf Sie warten.“ Kaum hatte er geendet, hockte sich Patrick auf einen Stein neben der Höhle und fing an, einen in der Nähe grasenden Wildrappen abzuzeichnen.
Blastaar kümmerte sich nicht weiter um den Jungen und ging sofort in die Höhle. Kaum hatte er sie betreten, musste er die Spitze seines Regenschirms mit einem Feuerzauber entzünden, um ihn als Fackel missbrauchen zu können. Die Flamme war magischer Natur, zwar brannte und schien sie wie eine normale Flamme, doch verbrannte das Holzende des Regenschirms nicht unter ihr.
Die Höhle entpuppte sich im Nachhinein als gut konstruiertes Verließ mit vielen Fallen, die allerdings alle so offensichtlich gebaut waren, dass Blastaar sie im Vornherein erkannte und umgehen konnte. Überhaupt geschah in der gesamten Höhle rein gar nichts, nach einer guten Viertelstunde hatte der Pyromagus bereits das Ende des Weges erreicht und stand vor einer akribisch verzierten Goldkiste, die in einer kleinen Kuhle auf dem staubigen Steinboden eingelassen war. An den Wänden erkannte man dunkle Runen, die allem Anschein nach vor langer Zeit mit Blut geschrieben wurden. Blastaar konnte nicht sagen, zu welchem Zweck sie dort aufgetragen wurden.
Ohne lange zu überlegen, öffnete der Pyromagus die Kiste mit einem Zauber und fand darin, eingebettet in eine schwammige, schwarze Substanz, einen rot schimmernden Edelstein. Minuten, nachdem Blastaar den Rubin genommen hatte und sich wieder Richtung Ausgang zugewandt hatte, begann die schwarze Substanz, nach oben hin aus der Truhe zu sickern und sich auf dem Boden zu verteilen, wo sie langsam Form annahm: Die Form eines faustgroßen, schwarzen Klumpens, in dem ein Augapfel schwamm, und aus dessen Unterseite zwei längliche Fangarme wie Beine ragten.
Die Gestalt sah sich zu allen Seiten um, bis sie das Auge zu einem schmalen Schlitz verengte und in einer breiigen, widerwärtigen Aussprache rief: „Hahaha, endlich frei! Jetzt werde ich die Welt verheeren, wie ich es vor Äonen begann, bevor man mich hier einsperrte! Denn ich bin der Void, und ich verschlinge Welten.“ Die Kreatur drehte sich in Richtung der Truhe und suchte alles nach dem Edelstein ab. „Er ist weg! Mein Seelenstein ist weg! Ohne ihn kann ich ohne Wirt keine feste Gestalt annehmen!“
In Sekundenschnelle nahm im Kopf der Kreatur, die sich selbst Void nannte, ein perfider Plan Gestalt an, und sie robbte mit einer Geschwindigkeit, die man ihr nie zugetraut hätte, in Richtung Ausgang der Höhle, wo Blastaar bereits stand und Patrick den Edelstein zeigte, der das ganze argwöhnisch begutachtete, sich aber offenbar alle Mühe gab, eine möglichst autoritäre Aura auszustrahlen, was ihm in Anwesenheit von Blastaar aber nicht so recht gelingen mochte.
„Und?“ fragte Blastaar und schlug dabei ungeduldig die Fingerkuppen aneinander. „Ist er das?“
„Ich … ich weiß gar nicht genau, eigentlich hab ich das Ding selber nie gesehen. Aber wird schon stimmen, wenn es der einzige Edelstein ist, der darin zu finden war. Damit hätten Sie dann die erste Aufgabe wohl bestanden.“ Patrick zog seine Feder und machte in ein Kästchen einen großen, dicken Haken, der Blastaar irgendwie zufrieden stellte.
Zeitgleich zog, von Blastaars und Patricks Augen ungesehen, der Void behäbig seine Bahnen in Richtung Höhlenausgang. Kurz bevor er aus dem kühlenden Schatten der Höhle ans Sonnenlicht kam, hielt der Void inne und beobachtete mit seinem zyklopischen Auge das Geschehen. Ein hässlich aussehender Kerl, der gekleidet war, als bereite er sich auf eine monatelang währende Regenzeit vor, zeigte einem kleinen blonden Jungen einen Edelstein – Moment, das war nicht einfach irgendein Stein, das war der Seelenstein, den der Void begierig suchte!
Er musste diesen Stein haben, um wieder Unheil und Vernichtung über Hyrule zu bringen, also kroch er etwas näher an die beiden Diebe heran und suchte hinter einem Findling Schutz.
„Was wird jetzt mit dem Stein?“ fragte Blastaar Patrick.
„Ich … ich weiß nicht. Darüber wurde mir jetzt so gar nichts gesagt.“
„Wenn es keine Umstände bereitet“, sagte Blastaar und versuchte, seine kratzende Stimme möglichst freundlich klingen zu lassen, „kann ich den Stein dann behalten? Das ist ein wirklich schöner Stein, weißt du?“
Patrick schien zu überlegen, aber dann meinte er fast sofort und mit freundlicher Miene: „Klar, wieso nicht. Nehmen Sie ihn, er gehört Ihnen. Schließlich haben Sie ihn sich ja ehrlich verdient.“
Blastaar machte unter seinem Schal etwas, das man wohl der Einfachheit halber als Lächeln bezeichnen konnte und steckte den rot schimmernden Edelstein in eine der zahlreichen Innentaschen seines Mantels. Sofort im Anschluss fragte er: „Dann weiter zur nächsten Aufgabe.“
„Oh. Oh, ja“, antwortete Patrick wie aus allen Wolken gefallen. „Da lang, bitte.“ Patrick deutete auf einen einsam in der Wiesengegend stehenden Baum, den Blastaar sofort schnellen Schrittes ansteuerte. Beim Gehen stieß er seinen Regenschirm, als würde er alles Gewicht der Welt stützen, fest auf den harten Grasboden.
Patrick wollte gerade folgen, als der Void blubbernd Anlauf nahm und sich in den Nacken des jungen Prüfers warf, wo er mit der Haut verschmolz und allmählich verschwand. Patrick musste heftig husten, aber als er den sich ungeduldig umdrehenden Blastaar erkannte, sprang er sofort auf und lief ihm hinterher zum Baum.
„So“, fragte Blastaar, als Patrick ihn gerade erreicht hatte, „ist das hier jetzt die zweite Aufgabe? Was muss ich machen? Hurtig, Bursche.“
„Immer so hastig“, antwortete eine Stimme, allerdings gehörte sie nicht Patrick. „Dabei ist Zeit etwas, von dem man so unendlich viel hat, vermag man sie sich einzuteilen, mein schlecht gekleideter Freund.“
Der Pyromagus untersuchte den Baum und erkannte, dass eben jener gerade mit ihm gesprochen hatte. Er stupste den Stamm etwas unglaubwürdig mit der Spitze seines Regenschirms an, bis er ein Gesicht in der rauen Rinde erkannte. Ein sprechender Baum war selbst ihm noch nie untergekommen.
„Du brauchst gar nicht so schräg zu gucken, mein Freund, eine solche Seltenheit sind sprechende Bäume nun auch wieder nicht. Es sei denn natürlich, du hast die letzten hundert Jahre unter der Erde gesteckt.“
Ein sprechender Baum war überraschend, ein sprechender Baum mit schlechtem Sinn für Humor einfach zu viel. Blastaar fasste sich kurz: „Sind Sie für die zweite Aufgabe zuständig?“ Ohne ihn antworten zu lassen, fuhr Blastaar nahtlos fort: „Wenn ja, fassen Sie sich kurz. Meine Zeit ist begrenzt, Kollege Buchenecke.“
„Keine Zeit, die Jugend“, sagte der sprechende Baum, „keine Zeit. Nun gut, ich stelle dir der Fragen drei, wenn’s beliebt. Meine Fragen werden dich in die tiefsten Tiefen deiner Psyche führen. Meine erste Frage lautet …“
Während Blastaar versuchte, die Frage zu beantworten und dabei sofort eine heftige Diskussion über die Richtigkeit seiner Antwort mit dem sprechenden Baum begann, begann Patrick unkontrolliert zu husten und aufzustoßen. Über sein Gesicht zogen sich schwarze Äderchen, und seine Pupillen begannen langsam zu verblassen, was dem Prüfer aber seltsamerweise nichts auszumachen schien – er lächelte finster.
Zeitgleich war es Blastaar gelungen, dem Baum seine Antwort für die dritte Frage aufzuschwatzen, und er erkannte diese Aufgabe als bestanden an. Dieses Mal brauchte Patrick einige Zeit, bis es ihm gelungen war, den Haken überhaupt richtig auf dem Blatt zu platzieren und dann auch noch korrekt zu ziehen.
Als Blastaar den Prüfer etwas verwirrt anstieß, schüttelte dieser den Kopf, und seine Pupillen waren wieder in ihren normalen Zustand zurückgekehrt. Dann sagte er: „Gut, gut. Folgen Sie mir bitte zur nächsten Prüfung, Herr Skellington.“
Die dritte Prüfung fand sich etwas weiter nördlich des sprechenden Baumes, wo Blastaar ein halbes Dutzend entlaufener Hühner einfangen musste, die ein Mitarbeiter der Schnitzeljagd absichtlich auf der Ebene losgelassen hatte.
Die vierte Prüfung führte den Pyromagus und den jungen Prüfer in ein Verließ unter einem Schrein, wo einen Gang durchqueren musste, ohne dabei auf falsche Bodenplatten zu treten, die nämlich unter seinem Gewicht sofort nachgaben und in eine stinkende Ölgrube drei Meter in der Tiefe fielen. Blastaar fand relativ schnell heraus, dass die Symbole auf den Fliesen ihm die Lösung vorgaben: Fliesen mit dem Gesicht des Königs gaben ihm sicheren Halt, während alle anderen Fliesen, die mit Moblins, Skelettschädeln und anderen Ungeheuerlichkeiten bedruckt waren, wegbrachen. Zwar fand der Pyromagus, dass es genau andersherum sein musste, aber andererseits hatte er vielleicht nie wieder die Chance, auf dem Gesicht des Königs herumzutrampeln und dafür Applaus zu ernten.
Als Blastaar den Gang durchquert hatte, erwartete Patrick ihn bereits, der einen Seitengang zu dieser Stelle genommen hatte, um vor seinem Prüfling da zu sein. Die Schnitzeljagd schien ihm einiges abzuverlangen: Mittlerweile hatten seine haselnussbraunen, großen Augen einen leichten Silberblick angenommen, und wenn er etwas sagte – was immer seltener geschah – spie er zuerst eine gallertartige Masse aus, die zu dunkel war, um einfache Spucke zu sein.
Aber Blastaar dachte sich nichts weiter bei der Sache und ließ sich von Patrick in einen großen, gruftähnlichen Saal führen, an dessen anderem Ende ein über drei Meter großer, robotischer Steingötze stand. Ein alter Mann, den Blastaar vorher gar nicht bemerkt hatte, kam mit besorgtem Blick auf sie zu und wirbelte dabei den Sand auf, der überall auf dem Boden der Gruft verteilt war.
„Patrick, mein Junge“, sagte der alte Mann zuerst und zog den Prüfer zur Seite, „auf ein Wort.“ Die nächsten Sätze flüsterten die beiden Männer, aber Blastaar verstand dennoch alles. „Wie sah es mit der ersten Prüfung aus?“
„Gut“, antwortete Patrick, der nun schlagartig wieder der alte zu sein schien. „Warum? Sollte etwas nicht stimmen?“
„Gut? Das kann gar nicht. Der Soldat, der den Edelstein in der Höhle verstecken sollte, wurde auf dem Weg dorthin von Keatons überfallen und ausgeraubt. Er ist nie dort angekommen, um den Edelstein zu verstecken, wir haben es eben erst erfahren.“
„Aber“, rechtfertigte sich Patrick, „das kann gar nicht. Herr Skellington da hat in der Höhle einen Edelstein gefunden.“ Plötzlich hustete Patrick wieder, richtete sich kerzengerade auf und sprach mit lauter, monotoner Stimme zu seinem Prüfling: „Gib mir den Seelen … äh, den Edelstein, den du in der Höhle gefunden hast.“
Blastaar machte einen skeptischen Blick – insofern das mit zwei kreisrunden gelben Augen überhaupt möglich war – und zog den Edelstein aus der Innentasche seines Mantels.
„Gib ihn mir in die Hand!“ hauchte Patrick mit beinahe unmenschlicher Stimme.
Blastaar überlegte kurz, dann trat er einen Schritt zurück und sagte: „Nein.“
Das war offenbar zuviel für das Wesen, das im Laufe der Prüfungen wieder und wieder Besitz von dem Jungen ergriffen hatte. Es ließ seinen Wirt laut brüllen und Blastaar mit einem Schlag mit dem Handrücken quer durch den Raum fliegen. Patricks Augen waren jetzt trübweiß, und die schwarzen Adern, die sich überall auf seinem Körper gebildet hatten, pochten so laut und heftig, dass man sie sogar durch die dicken Sachen, die der Junge trug, erkennen konnte.
„Ich sagte“, wiederholte der Void, der mittlerweile komplett von Patrick Besitz ergriffen hatte, „gib – mir – den – Stein!“ Wie um den Satz abzuschließen, schossen plötzlich Blitze aus den Fingerkuppen des Ungetüms, das einmal ein schüchterner Junge war, und verfehlten den blitzschnell zur Seite springenden Blastaar nur um Haaresbreite.
„Patrick, Junge!“ unterbrach ihn der alte Mann. „Was im Namen der Drei Göttinnen geht hier vor sich?“
Der Void ließ von Blastaar ab und packte den Alten am Hals. „Deine so genannten Göttinnen helfen dir jetzt auch nicht mehr, Großväterchen. Ich bin der Void, und ihr alle werdet bald vor mir kuschen, denn ich werde euer neuer und einziger Gott werden.“
„Herr Skellington“, röchelte der Alte. „Tun Sie doch was! Oh, um Himmels Willen, so unternehmen Sie doch was!“
Blastaar nahm die Situation wie durch Watte gefiltert war, in dem Schlag, dem der Void ihm verpasst hatte, steckte einige Kraft. Und obwohl noch immer Sterne vor seinen Augen tanzten, richtete sich der Pyromagus zu seiner vollen Größe auf und feuerte einen Flammenball auf Patricks Hüfte, worauf dieser den Alten im hohen Bogen wegschleuderte und wütend aufschrie.
Nein, dachte Blastaar, so kannst du an die Sache nicht rangehen. Dieses Ding dort ist nicht mehr Patrick, es ist jetzt der Void. Und was immer das ist, es muss zerstört werden, damit du hier heil wieder raus kommst, Remus.
„Du hattest genug Gelegenheiten, mir den Stein einfach zu stehlen“, rief Blastaar, um schlicht und ergreifend einfach nur Zeit zu gewinnen. „Warum hast du darauf gewartet, bis sich diese Situation ergab?“
„Eine komplizierte Angelegenheit“, antwortete der Void. „Offenbar kann ich mir den Stein nicht gewaltsam nehmen, sondern muss ihn immer von demjenigen, der ihn gerade besitzt, gereicht bekommen.“
„Das klingt“, entgegnete Blastaar, „schlicht und ergreifend einfach nur unlogisch.“
„Ist dir nie aufgefallen, dass diese Zauberstein-Bösewicht-Geschichten meist einen vollkommen unsinnigen Haken haben? Ich meine, warum muss man immer vier bis acht magische Artefakte sammeln? Warum werden unheilschwangere Zaubergegenstände nicht einfach zerstört, sondern in einem viel zu gut erreichbaren Tempel mit drittklassigen Fallen und Monsterwächtern versteckt? Hast du dir darüber mal Gedanken gemacht, eh? Nein? Dachte ich mir. Also hör’ auf, hier den Helden zu spielen – das mag niemand, ganz besonders nicht ich –, und gib mir ganz einfach den Seelenstein.“
„Erst verlässt du den Jungen“, sagte Blastaar, und wusste selber nicht so genau, warum er das eigentlich gesagt hatte.
„Wenn du mir den Stein gibst, verlasse ich den Jungen so oder so, denn dann brauche ich ihn nicht mehr als Wirtskörper und kann meine wahre Gestalt in ihrer vollen Größe wieder annehmen.“
„Das sind die mit Abstand allerschlechtesten Vertragsbedingungen, die ich seit langem gehört habe – also vergiss es.“
„Dann“, entgegnete der Void und hob die Finger, aus denen wieder Blitze schossen, die genau in Blastaars Richtung flogen, „schreiten wir über zu Plan B und testen, ob ich den Seelenstein auch einfach aus deinen toten Fingern reißen kann!“
Der Pyromagus wich aus und schoss in gleichem Maße Feuerbälle auf seinen Widersacher, der nur mit knapper Not ausweichen konnte.
„Nun gut“, knurrte der Void, „probieren wir etwas anderes.“ Er sah an seinem Körper runter und entdeckte in Patricks Gürtelschnalle den Pergamentblock und den Federkiel. Sofort nahm er beides in die Hand und blätterte, auf der Suche nach einem Blatt, das Patrick noch nicht voll gezeichnet hatte, wild durch den Block. Als er endlich fündig wurde, grinste er: „Mal sehen, wie dir das gefällt!“
Er zeichnete etwas unbeholfen ein tierähnliches Wesen mit Kopf und Körper eines Löwen, Fledermausflügeln und Skorpionschwanz nieder, das – Blastaar traute seinen Augen nicht – im selben Moment direkt vor ihm wahre Gestalt annahm! Zwar schlecht gezeichnet, aber mit scharfen Zähnen, rot glühenden Augen und Blick, aus dem die blanke Mordlust sprach.
Den Attacken des Wesens, das vermutlich ein Manticor werden sollte, konnte Blastaar kaum ausweichen, und nach wenigen Minuten musste der Pyromagus sich eingestehen, dass er gegen das Ungetüm keine Chance hatte. Also musste er improvisieren – er schoss im Dauerfeuer auf den Kopf des Manticoren, der zwar kurz zurückwich, aber sich auf Dauer davon nicht sonderlich beeindrucken ließ.
Sich sicher, Blastaar würde bei seiner jetzigen Aktion bleiben, ließ der Void seine Deckung fallen und beobachtete das Geschehen zufrieden, als plötzlich Blastaar seinen Regenschirm herumriss und einen Feuerball genau auf die Brust des Voids schoss, der voll getroffen wurde und gegen die nächste Wand schlug.
Funken regneten auf das Blatt mit dem Manticoren, das Feuer fing und fast augenblicklich verbrannte. Zeitgleich verbrannte der Manticor vor Blastaar, als wäre er auf dem Blatt selbst – was er ja in gewisser Weise auch war.
„Bah, Mist!“ fauchte der Void und richtete sich unter größten Mühen auf. „Jetzt gib’ mir doch den verdammten Stein!“ Während er das sagte, wanderte er langsam seitwärts nach rechts, in Richtung des riesigen Steinroboters.
Blastaar bemerkte zu spät, was der Void vorhatte – gerade wollte der Pyromagus vorspringen, als aus Patricks Mund eine dickflüssige Masse sprang, die sich in die Kniescheibe des Robotergötzen bohrte, worauf dieser tiefschwarz leuchtende Augen bekam und langsam begann, sich zu bewegen.
„Ha!“ dröhnte der Roboter mit lauter Stimme. „Das ist schon eher meine Kragenweite!“
Kaum hatte der Void im Roboter den Kopf geneigt, war Blastaar auch schon aus seinem Blickfeld verschwunden. Der Pyromagus hatte im Vorbeigehen den bewusstlosen Alten und den verwirrten Patrick gepackt und sich hinter einer Säule in Sicherheit gebracht.
„Was … was ist passiert?“ fragte Patrick verwirrt, als er wieder ganz zu sich gekommen war.
„Kurzversion?“ entgegnete Blastaar und fügte sofort an: „Bis eben warst du von einer bösen dämonischen Existenz, die sich selbst Void nennt, besessen, die dich benutzt hat, um Bilder in Realität zu verwandeln, damit sie einen magischen Seelenstein, den sie unbedingt braucht, von mir bekommt. Jetzt steckt der Void in diesem Robotergötzen da, und wir sind unterm Strich total am Arsch.“
„Wow“, flüsterte Patrick, „das war die kurze …?“
Blastaar schluckte seinen Zorn hinunter, nahm all seinen Mut zusammen und legte seinen Arm auf Patricks Schulter. „Pass auf, du bist einer der … am wenigsten ätzenden Menschen, die mir in den letzten Wochen begegnet sind, deswegen tu’ mir einen Gefallen: Pack dir den Alten und verschwinde von hier.“
„Und was wird aus dir?“ fragte Patrick und linste mit tränennassen Augen hinter der Säule hervor, um einen Blick auf den Void zu erhaschen, der sich wütend nach seinen Gegnern umsah. „Wie willst du dieses Monstrum bezwingen?“
„Das werde ich wissen, wenn’s so weit ist“, sagte Blastaar nur und sprang hinter der Säule hervor. Dann wedelte er wild mit den Armen und versuchte, die Aufmerksamkeit des Voids zu erregen. „Hey! Hey, du klebriges, schwarzes Geziefer im Steinmantel! Hier bin ich! Hier!“
„Glückwunsch“, lachte der Void und holte mit seinen langen Steinarmen nach dem Pyromagus aus, „das war deine dritte dämliche Aktion für heute!“ Die Rechte verfehlte Blastaar, aber die Linke erwischte ihn voll und schmetterte ihn hart gegen eine Säule.
Als der Pyromagus sich aufrichtete, kam ihm die kleine Blume an seinem Hut entgegen. Die Wucht des Aufpralls hatte sie abgerissen, und Blastaar war erstmals in seinem langen Leben vollkommen sprachlos.
Gerade hatte Blastaar realisiert, was geschehen war, als er Patrick erkannte, der auf allen Vieren zu seinem Zeichenblock krabbelte.
„Was machst du da?“ fauchte Blastaar. „Bist du bescheuert? Weg da!“
Aber es war schon zu spät – Patrick hatte den Zeichenblock erreicht, umklammerte ihn fest und nahm die Schreibfeder in die andere Hand. Dann begann er zu zeichnen.
„Was wird das?“ fragte der Void und wandte sich von Blastaar ab.
„Ich muss das, was ich mir einst geschworen hatte, brechen, damit Jack Skellington dich überlebt, du Scheusal! Ich werde meine Fähigkeit nutzen, um dir den Garaus zu machen!“
„Deine … Fähigkeit?“ Der Void war verwirrt. „Und was für eine Fähigkeit soll das sein?“
„Glaubst du denn, du konntest den Manticoren zum Leben erwecken, weil du so ein mächtiges Zauberwesen bist? Nein, das war nur, weil du in meinem Körper stecktest! Das ist meine Gabe … ich kann Dinge zeichnen und so zum Leben erwecken.“
„Warte“, meldete sich jetzt Blastaar zu Wort. „Dann waren die Blume an den Verbotenen Wäldern und das grasende Pferd gar keine Motive, die du abgezeichnet hast, sondern Dinge, die du mit deiner Fähigkeit erschaffen hast?“
„Ja“, antwortete Patrick, ohne von dem Blatt Papier aufzusehen. „Ich weiß nicht, wieso ich es kann. Nur, dass ich es kann.“
„Diese Fähigkeit kann mir viel nützen, aber auch viel schaden“, sagte der Void. „Deswegen werde ich dich jetzt zerquetschen, du Wurm!“
„Zu spät!“ rief Patrick. „Ich bin schon fertig! Wie wär’s mit … Fußfesseln?“ Patrick zog ein paar schnelle Striche über das Blatt und zeigte es daraufhin dem Void – es zeigte den Roboter, dessen Fußknöchel mit dicken Eisenketten verbunden waren. Kaum hatte der Void begriffen, wie ihm geschah, als seine Beine auch schon gefesselt waren. Er verlor den Halt, kippte vornüber, und der Kopf und der halbe Oberkörper des Robotergötzen zersprangen auf dem harten Steinboden unter der Sandschicht.
Blastaar wollte gerade etwas sagen, als plötzlich eine schwarze Abscheulichkeit, die nur aus einem in schwarze Masse eingefassten Augapfel und zwei fangarmähnlichen schwarzen Tentakeln bestand – die einzige Form des Voids, in der er ohne seinen Seelenstein existieren konnte.
Schnell kritzelte Patrick das Wesen nieder, dann sprang er zurück und präsentierte dem Void die Skizze – sie war sehr schnell entstanden, sah dem Original aber beinahe komplett ähnlich.
„Warte!“ zischte der Void mit schwacher, glucksender Stimme. „Tu das nicht! Ich kann dir alles geben, was du willst! Stell dir vor, alle deine Wünsche, ich könnte …“
„Alter“, unterbrach Patrick den Void, „du weißt echt nicht, wie man mit der heutigen Jugend spricht.“ Kaum hatte er geendet, zerknüllte er das Pergament, worauf der Void schrill kreischend zusammengepresst wurde. Dann warf der Junge das Papier vor Blastaar, das dieser mit der Spitze seines Regenschirms berührte, worauf es in grellen Flammen aufging – genau wie der Void, der in genau diesem Moment mit einem lauten „Beinahe!“ verbrannte und nie wieder gesehen wurde.
Erschöpft brach Patrick zusammen, aber Blastaar half ihm sofort wieder auf die Beine. „Alles in Ordnung?“ fragte er, und wunderte sich, wie sanftmütig er klingen konnte, wenn er nur wollte.
„J-ja“, stammelte Patrick, „das war jetzt nur … ermüdend.“
Gerade wollte Blastaar etwas sagen, war jedoch froh, als er unterbrochen wurde, da er gar nicht genau wusste, was er eigentlich sagen sollte – der alte Mann hatte sich aufgerappelt und wackelte benommen auf die beiden zu. „Was … was ist hier passiert?“ fragte er und sah dabei abwechselnd Blastaar und Patrick an.
Ehe der Pyromagus irgendetwas zusammenstammeln konnte, ergriff Patrick das Wort: „Aber, wissen Sie das denn nicht mehr, Herr Friederich? Ach nein, wie könnten Sie! Sie sind ja bewusstlos geworden, gerade, als Herr Skellington den Roboter besiegte, den wir für die fünfte Aufgabe vorgesehen hatten! Erinnern Sie sich? Er sollte ihn irgendwie ausschalten, und das hat er ja eindrucksvoll geschafft, indem er ihm die Füße verknotet hat.“
„War das so? Hm, wenn du das sagst, mein Junge. Und was war da noch gleich mit dem Edelstein, was wir vorher besprochen hatten? Irgendwas war da doch, oder?“
Blastaar und Patrick sahen sich an – Genau, was war eigentlich mit dem Seelenstein, den der Void so begehrt hatte? Die Antwort fand sich neben dem zertrümmerten Roboterkopf: Der Seelenstein war zu Staub zerfallen, vermutlich genau in dem Moment, als Blastaar und Patrick den Void vernichtet hatten, denn ohne ihn war der Seelenstein nur wertloser Tand.
„Sehen Sie das, Herr Prüfer?“ fing plötzlich auch Blastaar die Scharade an. „Ihr Roboter hat den Edelstein zerstört, der eigentlich wichtiger Teil der Prüfung war!“
„Oh, hat er das? Oh je, oh je, oh je … Hören Sie, das kann doch alles unter uns bleiben, oder?“
„Machen wir’s doch so“, warf Patrick ein. „Herr Skellington hat die erste Prüfung bestanden, und wir werden beide den Mantel des Schweigens über diese ganze Sache legen.“
„Oh, gewiss“, sagte der Prüfer, den Patrick Friederich genannt hatte. „Das wäre mir sehr recht.“
Patrick suchte die Überreste seines Blocks zusammen und übergab Blastaar den unterschriebenen Zettel, auf dem jede der fünf Aufgaben abgehakt war: Edelstein finden, Fragen des Baums beantworten, Hühner einsammeln, Fallenkorridor überqueren, Roboter ausschalten.
Während Friederich die Reste seines Roboters zusammensuchte um zu retten, was zu retten war, führte Patrick Blastaar aus der Gruft heraus zu einem Seitengang, in dem eine Leiter nach oben führte, von wo warmes Licht dem Pyromagus entgegen schien.
„Tja, dann endet es hier, wie?“ fragte Patrick mit zitternder Stimme.
„Ja, sieht so aus. Ja.“ Etwas unbeholfen kratzte sich Blastaar am Hinterkopf. Er wusste nicht so genau, wie er sich in dieser Situation fühlen sollte. Aber irgendwie wollte er nicht gehen, ohne dem Jungen ein paar nette Worte mit auf den Weg zu geben, immerhin hatte er ihm das Leben gerettet. „Hör mal, was du da kannst … diese Sache mit den Bildern … das ist eine große Gabe, aus der du irgendwas machen solltest.“
„Ich weiß nicht“, sagte Patrick leise. „Ich finde, sie ist zu mächtig, um sie überhaupt zu verwenden. Ich möchte nicht, dass wer Falsches sie in die Finger bekommt. Das Resultat hast du ja vorhin gesehen.“
„In den falschen Händen, ja. Aber deine Hände sind alles andere als falsch, Patrick. Richtig angewandt kannst du großes mit diesen Händen vollbringen, glaub mir.“ In seinem Unterbewusstsein rief Blastaar immer wieder eine Stimme zu, dass er den Jungen verwenden sollte, um seinen Herren zu befreien und die Weltherrschaft zu erlangen, aber dieses Mal unterdrückte er die Stimme.
„Danke, Jack“, sagte Patrick, und seine Stimme klang fest wie nie zu vor. „Hör mal, wenn ich jemals irgendwas für dich tun kann, lass es mich wissen. Ich will mich für das alles hier bedanken.“
Blastaar winkte nur ab und begann, die Leiter hochzuklettern, als er innehielt, sich wieder zu dem Jungen wandte und meinte: „Also … eine Sache gäbe es da.“
Zehn Minuten später kletterte Remus Jinenji Blastaar aus einem Loch ins Freie – die Leiter hatte ihn knapp zwanzig Meter hinauf in eine offene Krypta geführt. Er war auf einem Friedhof, anhand der Windmühle in einiger Ferne konnte er erkennen, dass es sich um das Dorf Kakariko handelte, das er schon unfreiwillig kennen gelernt hatte.
Während er die Krypta verließ und sich zu allen Seiten nach anderen Teilnehmern umsah, die schon am Friedhof waren, berührte Blastaar seinen Hut. In der Krempe steckte eine neue Blume, die weißsilbern schimmerte. Sie war noch nicht alt, tatsächlich hatte sie Patrick, ein junger Mann mit einer erstaunlichen Gabe, erst vor wenigen Minuten gezeichnet. Die Blume war sicher in Blastaars Hutkrempe, so wie die Originalzeichnung sicher war in der Tasche von Patrick. Beide würden ewig auf ihren Schatz acht geben, denn der eine konnte ohne den anderen nicht existieren.
Warum sich die beiden ungleichen Leute dieses seltsame Versprechen gegeben hatten? Weil sie Freunde waren.
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