Wenn die Dimensionsreise für Lenjia schon anstrengend gewesen ist, war sie hier einem Zusammenbruch nahe. Es war nicht so, dass ihr irgendwie zu warm war oder die schwüle Luft das Atmen erschwerte - nun, das tat es auch, aber dies empfand sie eher als angenehm. Nein, es war wie so oft in den vergangenen Tagen Glaurung. Der Drache war seinem Element nun näher als zuvor und gewann dadurch deutlich an Kraft. Lenjia ballte die Hand zu einer Faust, bis sich ihre Fingernägel schmerzhaft ins Fleisch gruben. Sie versuchte die fürchterlichen Magenkrämpfe zu vergessen, die ihr durch den Geist des Drachen breitet wurden.
“Was ist los, Lenjia? Schon kaputt?”
Sie atmete tief durch.
“Nur die Ruhe”, flüsterte sie. “Es wird schon klappen. Es wird schon... Ah--!”
Mit schmerzverzerrtem Gesicht fiel sie auf die Knie. Es fühlte sich an, als würde man ihr die Eingeweide rausschneiden!
“Warum tust du das?”, stöhnte sie. Schweiß hatte sich auf ihrer Stirn gebildet. Am meisten bereitete das Sehen ihr Schwierigkeiten. Immer wieder explodierten bunte Farbwolken vor ihren Augen und sie hatte das Gefühl, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. “Hör auf... Bitte!”
Glaurung kicherte vergnügt. Er wusste zwar, dass es für ihn fatal enden könnte, würde das Mädchen hier zusammenbrechen, aber das war’s ihm wert.
“’Bitte’? Ist es so schlimm? Ja? Wow, ich wusste zwar, dass ich gut bin, aber nicht so gut.”
Lenjia unterdrückte den Drang sich zu übergeben. Sie packte einen der Steine und rappelte sich hoch. Wenn Glaurung Krieg wollte, sollte er ihn auch bekommen!
“Wegen dir werde ich jedenfalls nicht zu Grunde gehen”, knirschte sie und warf trotzig ihr Haar zurück.
“Huch, eine kleine Kämpferin, hm?”

Während ihres Abstiegs drückte Lenjia den Stein immer dann, wenn eine weitere Schmerzenswelle ihren Körper durchfuhr. Mit Glaurung sprach sie kein Wort, es wäre sowieso nur verschwendete Kraft, die sie jetzt ganz dringend brauchte.
Leise murmelte sie ein Gedicht vor sich hin, welches sie in einem von Ziffers Büchern gelesen hatte. Eigentlich hatte sie es nur aus Langeweile getan, aber sie begann es mit der Zeit zu mögen. Es hatte etwas merkwürdig beruhigendes.

„Bei Nacht im Dorf der Wächter rief: Elfe!
Ein ganz kleines Elfchen im Walde schlief
wohl um die Elfe.
Und meint, es rief ihm aus dem Tal
bei seinem Namen die Nachtigall,
oder Silpelit hätt' ihm gerufen.“


Einer der Steine, auf dem sie ihren Fuß abgesetzt hatte, brach plötzlich weg. Sie knickte ein und rutschte ein paar Meter, bevor sie eine verdörrte Pflanze zu fassen bekam. Erschöpft rappelte sie sich hoch. Sie wischte rasch den Dreck von ihrem Kleid, dann ging es weiter bergab.

„Reibt sich der Elf' die Augen aus,
begibt sich vor sein Schneckenhaus
und ist als wie ein trunken Mann,
sein Schläflein war nicht voll getan,
und humpelt also tippe tapp
durch's Haselholz in's Tal hinab,
schlupft an der Mauer hin so dicht,
da sitzt der Glühwurm Licht an Licht.“


Endlich kam der Boden in Sicht, dafür wurde es immer steiler. Vorsichtig setzte Lenjia ihren Fuß probeweise auf einen kleinen Felsvorsprung. Er hielt, also schnell weiter.

„Was sind das helle Fensterlein?
Da drin wird eine Hochzeit sein:
die Kleinen sitzen bei'm Mahle,
und treiben's in dem Saale.
Da guck' ich wohl ein wenig 'nein.“


Unsicher stand Lenjia vor dem Abhang. Es war nicht sehr tief, aber wenn sie sprang und falsch aufkam, könnte sie sich durchaus etwas brechen. Sie drückte den Stein in ihrer Hand ganz fest.

„Pfui, stößt den Kopf an harten Stein.
Elfe, gelt, du hast genug?“


Entschlossen holte sie ein wenig Anlauf. Noch einmal tief durchatmen - dann rannte sie los. Sie stieß sich mit den Füßen ab und segelte auf den Boden zu.

„Gukuk!“

Die Wucht des Aufpralls ging durch den ganzen Körper. Wieder versagten die Beine ihr den Dienst und sie kippte nach vorne. Kaum noch spürte sie, wie sie auf dem Boden aufkam. Der Stein kullerte aus ihrer Hand und rollte davon.
Erschöpft lag Lenjia nun da, alles fühlte sich so schwer und taub an. Sie versuchte die Augen offen zu halten, doch allmählich glitt sie in die Ohnmacht über, aus Erschöpfung und Schmerzen.

Gukuk...