Niedergeschlagen verließen Ziffer und Lenjia das Dorf. Eben Genannte wurde seit einer geschlagenen halben Stunde vom Drachen verspottet. Ihr kam die Frage in den Sinn, ob Drachen überhaupt Luft brauchten? Wenn ja, dann wünschte sie im die Pest an den Hals!
„Nun“, fing Ziffer an, nicht sicher was zu sagen war. Lenjia schwieg.
„Nun“, wiederholte er, „da bleibt uns wohl nichts übrig, als uns auf deine Entschlossenheit zu verlassen. Fürs erste...“
Lenjia nickte. Zum einen wollte sie Glaurung unbedingt loswerden, zum anderen aber nicht mit ihrem Leben bezahlen. Hätte sie während des Rituals nur nicht geweint, dann hätte sich auch kein Band zwischen ihnen entwickelt.
„Gehen wir zum Schloss“, schlug Ziffer vor. „Vielleicht finden wir etwas in der Bibliothek des Königs.“
„Des Königs?“ Lenjia sah ihn fragend an. „Wieso habt ihr zur Bibliothek des Königs Zutritt?“
Ziffer lächelte. „Unwichtig, es ist lange her. Aber selbst wenn meine Bücher nicht metertief unter der Erde vergraben wären, könnten sie uns nicht helfen.“
Mit schnellen Schritten machten sie sich also zum Schloss auf, Ziffer murmelte dabei leise vor sich hin. Lenjia schätzte es sehr, dass sich der alte Mann trotz des Verlustes seines Schülers um sie kümmerte. So etwas war ihr ungewohnt, da sie in den vergangenen Jahren niemanden hatte, der sich um sie scheren würde. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, würde sie Ziffer dies auch sagen.

Beim Schloss angekommen ergab sich jedoch ein neues Problem: Wegen eines Anschlags auf eine Einwohnerin des Schlosses wurde jedem Fremden der Zugang zum Schloss verwehrt.
„Das ist doch unglaublich!“, schimpfte Ziffer noch immer, als die beiden um die Ecke bogen und die beiden Wachen sich wieder ans Tor stellten. „So wird man heute also behandelt: Wie Dreck!“
„Meister Ziffer“, fing Lenjia an. Zwar war auch sie aufgebracht über die Verweigerung sie einzulassen, doch wusste sie, dass dies auch nur ein Befehl war, den die Wachen auszuführen hatten.
Ziffer ließ den Kopf hängen, er hatte das Gefühl, die junge Frau enttäuscht zu haben. Er wunderte sich noch immer, weshalb Lenjia bis jetzt so ruhig geblieben war, angesichts der Tatsache, dass sie nur zwei Möglichkeiten hatten, den Ring los zu werden: Die königliche Bibliothek, in die sie jedoch nicht reinkamen und die Bekanntschaft mit Gevatter Tod.
Er schielte sie aus den Augenwinkeln an. Das Mädchen wirkte entspannt, zu entspannt. Anders als sonst wirkte ihr Blick nicht kalt oder gelangweilt, eher befreit und offen. Ob es etwas mit dem Einfluss des Drachen zutun hatte?
Ziffer konnte sich kaum vorstellen, dass Glaurung ihr gut zusprechen würde. Er würde ihr eher 50 Möglichkeiten aufzählen, einen Menschen zu grillen.

Sie kamen zum Markt, wo es belebter den je schien. Anscheinend waren Zigeuner in die Stadt gekommen und versuchten den Leuten nun ihre Waren anzudrehen. Gedankenverloren bahnte Ziffer sich durch die Menge, wich herumstehenden Käufern aus und starrte dabei nachdenklich zu Boden. In Gedanken vertieft bemerkte er nicht, dass Lenjia nicht mehr an seiner Seite war.
Während er noch geistesabwesend durch die Menge drängte, stand Lenjia nervös in der Mitte des Marktplatzes und sah sich nach Ziffer um.
„Meister Ziffer!“, rief sie, bekam jedoch keine Antwort. Das Gelache und Gerufe der Händler übertönte ihre eigene Stimme. Ihrer Nervosität wich schnell der Groll. Zornig auf sich selbst nicht aufgepasst zu haben und zornig auf die Leute, die sie zu erdrücken drohten.
Ein starkes Ziehen an ihrem Gürtel ließ sie herumwirbeln. Ein Ratschen folgte und in der nächsten Sekunde stand sie einem Mann gegenüber, das Gesicht verdeckt und in Lumpen gekleidet. In der Hand hielt er ihren Beutel mit Kräutern. Den fälschlicherweise für einen Geldbeutel gehaltenen Beutel steckte er sich nun eilig unter die Lumpen und eilte durch die Menge davon.
Für eine Sekunde blieb Lenjia wie vom Blitz getroffen stehen, völlig überrumpelt von der Situation, dann stürmte sie dem Dieb rufend und fluchend hinterher.
„Komm zurück, du Mistkerl!“, schrie sie und achtete nicht auf die Leute, die ihr protestierend nachriefen. Kaum hatte sich Lenjia durch die Menge gedrängt, verschwand der Dieb mitsamt dem Kräuterbeutel um die Ecke und geriet aus ihrem Blickfeld. Eilig rannte sie ihm nach.
Die Verfolgungsjagd ging quer durch die Straßen der Stadt, immer weiter weg vom Marktplatz. Lenjias Herz hämmerte gegen ihren Brustkorb und sie hatte Seitenstechen, als sie endlich um die letzte Ecke bog und den Dieb schließlich, panisch vor einer Saggasse stehend, einholte. Sie atmete ein paar mal tief durch, bis sie zornig auf den Mann zuschritt. Er hielt ihren Beutel fest umklammert, als sie ihm auf die Schulter tippte.
„Was is’?“
Er drehte sich um und etwas hartes schlug gegen seinen Wangenknochen. Mit einem Schmerzensschrei taumelte er zurück und lehnte sich an die hohe, steinerne Mauer.
Mit einer Grimasse rieb Lenjia sich über die Fingerknöchel. Das hatte er nun davon! Normalerweise schlug sie ja nicht so rasch zu, aber all der Stress des Tages hatte sich mittlerweile selbst zu einer hohen Mauer angestaut, die ihr jegliches Nachdenken verweigerte.
„Und?“, knurrte sie missgelaunt, „Rückst du meinen Beutel jetzt raus oder muss ich dich erst mit richtigen Schmerzen bekannt machen?“
Der Dieb gab ein unverständliches Gemurmel von sich, bevor er blitzschnell in seinen Gürtel griff und ein langes Messer heraus zog. Die Klinge verfehlte nur knapp Lenjias Gesicht, als er damit herumfuchtelte. Sie wich ein paar Schritte zurück, welches den Räuber triumphierend lächeln ließ.
„Jetzt bist du nich’ mehr so vorlaut, was?“, lächelte er und hustete. Die Klinge zitterte in seiner knochigen Hand, er war in keiner guten körperlichen Verfassung, das sah man ihm stark an. Lenjia versuchte so bewusst wie möglich zu klingen, als sie mit angehobenen Händen auf ihn zuging.
„Leg das Messer weg, es wäre besser für dich“, sprach sie auf ihn ein. Der Zorn war zwar nicht verflogen, doch wenn sie jetzt unüberlegt handelte, konnte sie als Hauptgericht dür die Ratten enden. Der Mann lachte heiser und machte keine weiteren Anstalten, dass Messer wegzulegen.
„Was willste denn schon tun, Püppchen? Ich empfehle eher dir, mir deine restlichen Sachen zu geben, ich bin nicht auf Blutvergießen aus, weißte?“
„Was man sofort merkt“, nuschelte sie skeptisch. Sie war genauso wenig scharf auf Blut, doch wusste sie auch, dass der Man sich nicht beeinflussen ließ. Sie hatte noch immer ihre Waffen, wenn sie also schnell genug war...
„Gib endlich die Sachen her“, bellte der Räuber gereizt und machte einen großen Schritt auf sie zu. Kaum hatte er dies getan, entflammte wieder der Zorn in Lenjia. Unerklärlicherweise war ihre Angst wie weggeblasen, von dem Hass verdrängt. Sie funkelte den Mann wütend an.
„Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen?“, knurrte sie. Sie empfand genau das selbe, das sie im Hexenladen verspürt hatte. Genau wie damals wurde sie zornig darüber, wie herablassend jemand mit ihr sprach.
Sie schloss ihre Hände halb und zwei Feuerbälle entflammten. Mit dem rechten Arm holte Lenjia weit aus. Was dann geschah, wusste sie auch nicht mehr...