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Krieger
Der weiße Schnee knirschte unter ihren Füßen und ein kalter Wind blies unter den Umhang. Lenjia sah sich um. Egal wo sie hinblickte, überall lag Schnee. Das grelle Weiß blendete sie. In den Gassen der Stadt war es auch tagsüber eher dunkel gewesen.
Blinzelnd wandte sie sich nach rechts - und stieß gegen jemanden.
“Hoppla!”, rief besagter Jemand. Ein Griff schloss sich um ihre Schultern, als sie zu fallen drohte.
Lenjia blinzelte noch einmal, dann erkannte sie die Person.
“Du!”
“Na na, Lenjia, schrei doch nicht so.”
Thelon lächelte sie vergnügt an, während er ihr half, das Gleichgewicht wiederzufinden. Sie musterte ihn. Er hatte sich einen langen braunen Reiseumhang umgeworfen, neben seinen Füßen im Schnee lag eine dunkelblaue Tasche, die mit Perlen verziert war.
“Was machst du hier?”, fragte sie, ein wenig ruppiger als gewollt.
Unbeirrt weiterlächelnd bückte Thelon sich, um die Tasche aufzuheben. “Ich wollte nach Kakariko, um einen Bekannten zu besuchen. Ich bin dir nicht gefolgt, falls du das meinst.”
Lenjia nickte. Ihr war nicht wirklich nach einem Gespräch mit ihm zumute.
“Wie auch immer”, sagte sie und drehte sich weg von ihm. “Wiedersehen.”
Kaum hatte sie den ersten Schritt getan, legte sich, wie bereits in der Stadt, eine große Hand auf ihre Schulter. Mit einem genervten Knurren drehte sie sich wieder zu ihm um. “Was denn?”
“Ich wollte dich nur fragen, was du hier machst”, antwortete er und lächelte dabei immer noch.
Lenjia hob eine Augenbraue. “Hört der Typ gar nicht mehr damit auf?”
Thelon legte den Kopf schräg. “Na?”
Sie holte tief Luft. “Ich wollte...”
“Wie’s aussieht hast du nichts vor! Gehen wir doch ein Stück zusammen”, unterbrach er sie fröhlich, klemmte sich das verdutzte Mädchen unter den Arm und schleifte sie durch den Schnee in die entgegengesetzte Richtung.
“Halt! Wo bringst du mich hin? Lass mich los. HALT habe ich gesagt!” Fauchend und zeternd versuchte sich Lenjia aus dem überraschend eisernem Griff Thelons zu befreien. Während sie ihn mit Flüchen und Beschimpfungen bombardierte, zwitscherte der junge Mann munter vor sich hin, erzählte über dies und jenes und lachte dabei laut.
Als sie schon die Brücke zu Kakariko erreicht hatten, gab Lenjia ihre Befreiungsversuche auf und ließ sich einfach mitziehen.
“Wen besuchst du überhaupt?”, knurrte sie erschöpft und zog noch einmal an ihrem bereits tauben Arm.
Er lachte. “Geheimnis.”
“Ich hasse Geheimnisse”, nuschelte Lenjia. “Und ich hasse Überraschungen, Lärm, große Menschenmengen und dergleichen...” Ein Seufzer entstieg ihrer Kehle und müde blickte sie die verschneiten Stufen zum Dorf hoch. Fußspuren von Leuten waren zu erkennen. Es waren nicht viele, aber wer würde bei dieser Kälte schon freiwillig rausgehen? Sie schauderte.
“Haben deine Leute so was wie einen Kamin?”, fragte sie und versuchte die eisigen Schauer zu ignorieren, die ihre Stimme zittern ließen.
Thelon warf einen Blick auf sie. “Du siehst blass aus.”
Er blieb stehen, knöpfte seinen Umhang weiter auf und warf ihn um Lenjias Schultern.
Sie trat zurück. “Ich habe nicht um deinen Umhang gebeten”, fauchte sie. Thelon nickte und - natürlich - lächelte sie fröhlich an. “Warum fragst du das? Wir sind sowieso gleich da.”
Er legte einen Arm um ihre Schultern und drückte sie ein wenig an sich. Nun wurde Lenjia noch kälter, als ohne Umhang.
“Nicht anfassen”, knurrte sie, um ihre Beherrschung bemüht.
“Ups. Tschuldigung!” Lachend ließ er den Arm sinken und stieg die Treppen hoch.
Er musterte die Stufen. “Pass auf, die Treppe könnten vereist...” -Bäng - “...sein.”
Der Länge nach war Lenjia hingefallen. Das Gesicht in den Schnee gedrückt und alle Viere von sich gestreckt. Eilig kniete sich Thelon neben sie.
“Alles in Ordnung?”, fragte er und half ihr auf die Beine.
“Vielen Dank!”, keifte sie. “Abgesehen davon, dass mir alles wehtut geht es mir blendend. Danke!” Sie spuckte ein wenig Schnee aus und schüttelte sich.
Trotz der Kälte waren auch in Kakariko einige Leute versammelt.
“Na ja”, dachte Lenjia, “wenigstens nicht so viele, wie in der Stadt.” Sie seufzte.
“Du seufzt sehr viel”, bemerkte Thelon und musterte sie.
Lenjia sah ihn kühl an. “Ich seufze halt gerne.”
Der junge Mann lachte und zog sie durch die Menschenmenge hindurch zu einer kleinen Treppe. Als sie den Kopf hob, konnte sie ein kleines Haus erkennen, das gegenüber vom Krämerladen stand.
“Da wohnt also deine Überraschung?”, fragte sie, ohne besonders begeistert zu klingen. Thelon lächelte. “Ja, ich denke schon.”
Was für eine blöde Antwort! Knurrend ließ sie sich zu dem Haus hoch schleifen.
Dreimal klopfte Thelon mit der Faust gegen die Tür, die dabei bedrohlich zu zittern anfing. Stille.
“Ich glaube nicht, dass...”, fing Lenjia an, jedoch wurde - zu ihrem Leidwesen - die Tür plötzlich schwungvoll aufgerissen und instinktiv machte sie einen Sprung nach hinten. Da Thelon ihren Arm jedoch immer noch festhielt, wurde er nach hinten gerissen. Beide verloren das Gleichgewicht. Zuerst stürzte Lenjia nach hinten in den Schnee, ihr folgend Thelon. Sein Kopf landete in ihrem Schoss, in dem Moment, als eine jüngere Frau in der Tür erschien. Ebenso dunkelblondes Haar fiel ihr in wirren Strähnen ins Gesicht und über die schmalen Schultern. Das enge braune Kleid betonte noch ihre Figur - ziemlich dünn, wie Lenjia feststellte.
Verwirrt sah sie auf die beiden am Boden Liegenden herunter. Dann lächelte sie.
“Thelon! Schön dich zu sehen”, rief sie, mit einer klaren warmen Stimme. Sie ähnelte auch in diesem Punkt der von Thelon. Der einzige Unterschied waren die Augen, die bei der Frau ein fröhliches Grün hatten.
Der junge Mann lächelte verlegen und half Lenjia auf die Beine. Sie musterte die beiden Personen, die sich unter großem Umarmen und Wangenküsschen begrüßten.
“Seid ihr verheiratet?”, fragte sie unverfroren hoffnungsvoll.
“Nein”, antwortete Thelon und löste sich aus einer Umarmung mit der Frau. “Sie ist meine ältere Schwester, Farun.”
“Ah”, war alles, was Lenjia dazu machte. “Schade”, flüsterte sie noch, so leise, dass nur sie es hörte.
“Kommt doch rein”, sagte Farun nun und trat beiseite. Thelon über die Schulter lugend entdeckte Lenjia ein gemütlich eingerichtetes Zimmer, mit - der Din sei gedankt! - einem Kamin.
Unsicher eintretend entdeckte sie noch ein breites Bücherregal, dass die gesamte linke Seite des Raumes einnahm, von der Tür aus gesehen.
Hastig schloss Farun die Tür, um möglichst wenig kalte Luft hereinzulassen und wuselte dann um ihre Besucher herum. Lenjia rätselte, ob es nun ein Freudentanz sein sollte oder ob sie versuchte, ihnen die Umhänge abzunehmen.
Thelon knöpfte seinen Reiseumhang auf und übergab ihn seiner Schwester. Farun lächelte Lenjia an. “Ist dir nicht zu warm in dem Umhang?”
Langsam knöpfte auch Lenjia die linke Seite ihres Umhangs auf und zog ihn sich über den Kopf.
“Danke”, zwitscherte Farun und hängte beide Umhänge an die Garderobe.
“Und”, fing Thelon an und ließ sich auf einem der Sessel nieder, die vor dem Kamin standen, “was machst du so?”
Und damit begann ein “Och-das-Übliche-Gespräch” zwischen den Beiden. Lenjia setzte sich schweigend auf einen etwas weiter hinten stehenden Sessel und beobachtete sie.
Nach gut einer halben Stunde hatten sie sich über das neuste Nichtige ausgetauscht und nun wandte sich Farun an Lenjia.
“Und wie heißt du, Kleines?”, fragte sie.
Lenjia spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Kleines? “Lenjia”, antwortete sie tonlos, wie sie es schon bei Thelon getan hatte.
“Lenjia”, wiederholte Farun fröhlich. “Ein schöner Name. War er die Idee deiner Mutter oder deines Vaters?”
Das war der erste Moment, wo Lenjia dieser Situation begegnete. Wo man sich eingestehen musste, dass man einfach zu wenig wusste. Und sie wusste nicht nur wenig, nein! Sie wusste GAR NICHTS.
“Ähm, meiner... Mutter”, log sie und ließ sich tiefer in den Ohrensessel sinken.
“Ha, habe ich mir gleich gedacht! Die Frauen wissen immer die besseren Namen für die Kinder. Die Namen die von der Mutter gegeben wurden klingen sowieso viel schöner. Bei den Männern sind es immer solche wirren Namen. Ein Glück, dass Mutter soviel dickköpfiger war als Vater. Gott, wie hätte Vater uns wohl genannt? Ich mag nicht drüber nachdenken...” Und so ging das für den Rest des Nachmittags. Ab und zu wurde Lenjia mit plötzlichen Fragen wie “Wie alt bist du denn?” oder “Woher kommst du eigentlich?” überrascht, wenn sie schon fast eingedöst war.
Den Kopf gelangweilt in die linke Hand gestützt verfolgte mehr oder minder wach das Gespräch der beiden.
“Also, es war wirklich schön, dich zu treffen, Thelon und dich, Lenjia, mal kennen zu lernen.” Farun drückte beide kurz an sich, wobei Lenjia die Umarmung nicht erwiderte und nur wie festgefroren dastand. Den halben Tag hatte sie mit den Geschwistern verplempert und ihre Energieleiste war sowieso bei Null. Nur die Angst vor einem weiteren Gespräch der beiden trieb sie an, Kakariko umgehend zu verlassen.
Während Thelon und Farun sich umständlich verabschiedeten, stapfte Lenjia langsam die Treppen runter, die Thelon sie vorher hochgeschleift hatte.
”Lenjia, warte!” Hastig rannte er ihr hinterher und umklammerte dabei die blaue Perlentasche. Sie zog eine Braue hoch.
”Wieso hast du eigentlich diese Tasche dabei?”, fragte sie und ging eilig an den Leuten auf dem Markt vorbei. Er zwinkerte. “Geheimnis. Es ist aber sehr wichtig für mich.”
Sie drängte sich an ein paar Leuten vorbei, die eine Kuh betrachteten, für die der Händler warb.
Keiner von beiden sagte mehr etwas, bis sie die Treppe erreichten. Misstrauisch musterte sie die Stufen. Thelon blieb stehen und betrachtete sie ebenfalls. “Treppentrauma?”
“Nein!”, fauchte Lenjia und stieg die Stufen hinunter. Tatsächlich überstand sie dies, ohne noch einmal hinzufallen. Kaum hatte sie die letzte Stufe überwunden, hörte sie einen dumpfen Aufprall. Sie ahnte es bereits: Nun hatte sich Thelon hingelegt. Die restlichen Stufen brachte er auf dem Hintern rutschend hinter sich. Lenjia zog eine Braue hoch. “Wer ist jetzt die Niete?”
Für einen Moment verwirrt blieb Thelon sitzen, dann lachte er und rappelte sich hoch. “Jedenfalls sah es bei mir weitaus eleganter aus, als bei dir.” Grummelnd wandte sie sich von ihm ab und schlurfte durch den Schnee zur Brücke.
”Glaubst du, die Eisschicht über dem Fluss ist dick genug, dass man rüberschlittern kann?”, fragte Thelon und setzte probeweise einen Fuß auf die Eisschicht. Lenjia betrachtete die Decke. “Sieht für mich sehr dünn aus. Ich werde jedenfalls die sichere Brücke benutzen.”
”Angsthase”, meinte Thelon und stellte sich ganz drauf. Sie zuckte mir den Achseln. “Ich kann mir bloß keine Erkältung leisten.”
Gerade wollte Thelon etwas erwidern, als die Decke ein unheimliches Knacken von sich gab. Im nächsten Moment brach das Eis ein. Blitzschnell warf Thelon die Perlentasche auf die andere Seite des Flusses, dann fiel er ins Wasser.
”Idiot!”, schimpfte Lenjia, rannte auf die andere Seite, warf sich auf den Bauch und griff ins kalte Wasser. Sie bekam den Kragen seines Umhangs zu fassen und zog ihn ächzend heraus. Er zitterte von oben bis unten.
”Was habe ich gesagt, hä?! Die Eisschicht ist zu dünn, habe ich gesagt! Aber du hast ja nicht auf mich gehört, du sturer Esel!”, meckerte Lenjia und sah ihn wütend an. Heiser kichernd rappelte sich der junge Mann auf. “Du klingst wie eine alte Hexe. Sei doch etwas lockerer.” Er tapste zu der Tasche hinüber und hob sie auf. Lenjia beobachtete ihn.
”Die Tasche muss ja ziemlich wichtig sein”, dachte sie, “dass er so schnell reagiert.” Seufzend stand sie auf.
Thelon hängte sich die Tasche nicht wieder um, stattdessen griff er sie am Henkel und drehte sich dann zu Lenjia. “Kommst du mit?”
”Wohin?”, fragte die Angesprochene ruppig, immer noch auf ihn sauer. Thelon deutete zur Stadt.
“Nein”, antwortete Lenjia und drehte sich bereits in die andere Richtung. “Ich hatte nicht vor, da wieder hin zu gehen.” Er stutzte. “Warum?” Sie zuckte mit den Achseln. “Ich will einfach mal raus. Wenn du zurückgehst, gut... Ich hatte vor, Hyrule ein wenig zu erkunden.” Sie machte einen Schritt.
”Warte!”, rief Thelon. Eilig kramte er in der Perlentasche. Heraus zog er einen roten Ring.
”Was soll ich damit?”, fragte sie wenig begeistert, als er ihr den Ring über den Finger zog. Er lächelte. “Ein Geschenk. Damit du mich nicht so schnell vergisst.”
Lenjia musterte den Ring. “Nach dem Tag heute? Garantiert nicht.”
Geändert von Karminda (13.05.2006 um 14:55 Uhr)
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