Das Mädchen schreckte auf. Sie musste wohl eingeschlafen sein, eine dünne Schicht Schnee hatte sich auf ihrem braunem Mantel gesammelt.
Ächzend rappelte sie sich hoch, klopfte den Schnee vom Mantel und reckte sich. Genüsslich knackte sie mit den Knochen und gähnte herzhaft. Es war ihr übliches Morgenritual und gewöhnlich streifte sie danach durch die Gassen, zum Nachdenken. Diesmal jedoch nicht.
Mit großen Schritten eilte sie die Gassen entlang. Bevor sie eingeschlafen war, hatte sie darüber nachgedacht, die Stadt endlich zu verlassen. Sie lebte seit einiger Zeit hier. Zumindest glaubte sie das. Merkwürdigerweise konnte sie sich nicht an den Tag erinnern, als sie in diese Stadt kam.
Neben dem Namen, war dies das zweite Geheimnis, was sie beschäftigte.
Seufzend ging sie an den wenigen Leuten vorbei, die ihren Weg kreuzten. Natürlich grüßte sie niemand. Warum auch? Niemand kannte sie, sie kannte niemanden. Es störte sie nicht, im Gegenteil, sie war froh darüber, alleine zu sein, auch, wenn sie manchmal etwas sehr alleine war.
Abermals aufseufzend erreichte sie den bereits belebten Markt, mit den vielen Leuten. Sie verzog das Gesicht.

“Du siehst aus, als hättest du in eine Zitrone gebissen.” Erschrocken wirbelte sie herum und blickte in das Gesicht, eines jungen Mannes. Die dunkelblonden Haare hatte er zu vielen kleinen Zöpfen geflochten und mit dunklen, fast schwarzen Augen musterte er sie belustigt.
“Ein wenig leichte Kleidung, zu dieser Kälte”, stellte er fest.
“Mir ist nicht kalt!”, fauchte das Mädchen zurück, schlang sich den Umhang um und drehte sich weg, bereit zu gehen.
“War doch nicht böse gemeint!”, rief der Mann und legte ihr beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. Genervt wand sie sich unter seiner Hand weg.
“Was willst du? Reden? Such dir einen anderen Blöden, der über deine Witze lacht”, knurrte sie und stolzierte davon.

“Sieht aus, als wärst du ein wenig verstimmt. Gibt es dafür einen besonderen Grund?”
“Ja, dich!”
“Was für ein einfühlsamer Ton. Du scheinst mich ja echt zu schätzen.” Das Mädchen stoppte so abrupt, dass der junge Fremde in sie hineinrannte. Sie war eigentlich eine sehr ruhige Person, doch wenn man sie nicht einen Gedankengang zu Ende bringen ließ, wurde ihr Limit schnell erreicht. Genau das war passiert.
Sie ballte die Hände unter ihrem Umhang zu Fäusten, holte tief Luft, für das bevorstehende Gemecker und drehte sich auf dem Absatz um.
Ihr gesammelter Atem wurde von einer Sekunde auf die andere aus den Lungen gepresst, als sie eine grässliche Fratze anblickte, die sie aus wilden Augen anstarrte. “Iiieks!”, quiekte sie und sprang zurück. Die Fratze fing an zu lachen. Eine Hand wanderte nach oben und griff hinter den Kopf. Entsetzt schloss das Mädchen die Augen, weil sie nicht sehen wollte, wie sich das Fleisch von den Knochen schälte.
“Reingefallen!”, rief jemand und abermals ertönte Gelächter. Vorsichtig schlug sie ein Auge auf - und entdeckte den jungen Fremden, mit der Maske in der Hand, er lachte.
Für einen Moment völlig überrumpelt, sagte sie nichts, dann plusterte sie sich so gut es ging auf und wollte gerade losschreien, als der Mann ihr schnell eine Maske aufsetzte.
“Was soll das?”, rief sie und riss sich die Maske vom Gesicht. Sie fiel zu Boden, kippte um und zeigte das Gesicht einer lachenden Fee.

Der Fremde hob die Maske auf. “Schade”, meinte er, “ein Lächeln hat dir gut gestanden.”
Das Mädchen schwieg. Ein Lächeln?
Sie drehte sich um, wollte endlich den lärmenden Markt hinter sich lassen... Und den Fremden.
Kaum hatte sie den ersten Schritt gemacht, legte sich noch einmal eine warme Hand auf ihre Schulter.
“Verrätst du mir deinen Namen?”, fragte er und lächelte dabei warm.
Das Mädchen zögerte. “Lenjia.” Ein Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Anderen aus. “Ich werde ihn mir merken, Lenjia”, rief er und lachte. “Ich heiße übrigens Thelon.”
Sie nickte. Der Griff lockerte sich und sie fing an zu laufen, drängelte sich durch die Menge, weg von Thelon, der ihr hinterher schaute.