Laute Rufe hallten durch die Straßen von Hyrule, zogen schnell an Lenjia vorbei. Einzelne Wortfetzen blieben in ihrem Kopf hängen...
„Mörder!“
„...Hilfe.“
„...tot...“
„Welche Bestie...“
Ja, welche Bestie? Erschöpft versuchte sie sich selbst einzureden, dass es nicht ihre Schuld war. Nein, verdammt! Es war die des Drachen.
Ein kalter Schauer lief ihren Rücken hinab, als eine Gruppe von Soldaten an ihr vorbeilief, hin zum Ort des Geschehens. Ein paar Schaulustige hatten sich dort bereits eingefunden, tuschelten und schüttelten die Köpfe. Lenjia wurde schlecht.
„Menschen“, schnaubte Glaurung spöttisch. „In ihrem Leben gibt es nur die Gier nach den Dingen, die sie nicht besitzen.“
„Seid ihr Drachen da so anders?“, fragte sie. Mittlerweile war es ihr möglich, sich telepathisch mit dem Flügelwesen zu unterhalten. Glaurung grunzte.
„Menschen und Drachen unterscheiden sich, grob genommen, in manchen Fällen kaum. Aber du bist doch nicht so naiv und glaubst, dass alle Drachen sich auf das Niveau eines Menschen niederlassen würden? Aber was rede ich überhaupt mit dir. Es wäre nicht gut, wenn du wieder ohnmächtig werden würdest.“
Lenjia nickte, doch ihre Gedanken waren woanders. Ihr war klar, dass sie Meister Ziffer nicht mehr gegenüber treten konnte, also gab es nur noch einen Menschen, der ihr vielleicht Antworten geben konnte: Thelon.

Es war ein Wunder, dass sie es bis an die Zugbrücke schaffte. Ihre Beine fühlten sich wie Pudding an. Als keine der Wachen in Sicht war, ließ sie sich kurz an dem Wall der Stadt herunterrutschten, um zu verschnaufen. Mittlerweile waren die Geister von ihr und des Drachen fast gänzlich verschmolzen: Sie konnte den Drachen beinahe spüren, dazu kam, dass sie nun auch die Gefühle des Drachen zu tragen hatte. Es waren mehr, als sie erwartet hatte.
„Das hasse ich an Leuten wie dir“, murrte Glaurung. „Sie lernen zu schnell. Da wird doch der Nachtschwärmer im Grabe verrückt, du bist sensibel!“
Lenjia ließ den Kopf gegen den kalten Stein fallen. Es tat weh, brachte den Drachen aber zum schweigen.
Die kalte Luft stach in ihren Lungen, doch der Rest ihres Körpers fühlte sich normal an. Glaurung hatte ihr erzählt, dass Drachen eine enorme Körpertemperatur hätten und dass die meisten Ritter starben, als sie den Drachen den Kopf abtrennten und vom Blut verkohlt wurden.
Lenjia hob den Kopf und stützte sich mit dem Rücken ab. Es half alles nichts und Kakariko war auch nicht mehr fern.
Einigermaßen erholt machte sie sich auf den Weg. Sie musste sich widerwillig eingestehen, dass der Drache ihr durchaus nützlich war. Sie konnte durch den Schnee stapfen, ohne an Geschwindigkeit zu verlieren. Doch es machte ihr auch Angst, dass sie so viele Eigenschaften wie der Drache annahm. Hoffentlich ging es nicht so weit, dass er Besitz von ihrem geiste ergriff. Sie erschauerte.
„Wieso glaubst du eigentlich, dass dieser Dorfbursche dir helfen könnte? Ohne ihn hättest du diese Probleme nicht, sondern würdest jetzt fröhlich mit deinen Goldfischen über Blumenwiesen tollen.“
„Er hat mich gerettet, dass Problem bist immer noch du. Wieso existieren solche Lebewesen wie Drachen überhaupt? Ihr seid unnütz!“, fauchte Lenjia zurück. Sie war alles andere als erschöpft.
„Wieso ist das Triforce ein Dreieck? Es gibt keine Antwort auf solche Fragen, finde dich damit ab, Püppchen.“
Lenjia sprach innerlich tausend Flüche gegen den Drachen aus, konnte ihre Wut jedoch bändigen. Sie wischte den Schnee von der Brücke, über die sie lief. Ein Blick nach rechts und sie konnte vor ihrem geistigen Auge das Loch im Fluss sehen, dass Thelon fabriziert hatte. Mittlerweile war es wieder zugefroren und eine dicke Schicht Schnee lag darüber.
Die Frage überkam sie, ob Thelon sich überhaupt noch an sie erinnerte. Immerhin kannten sie sich nur flüchtig und besonders viel Zuneigung hatte Lenjia ihm auch nie gezeigt, was sie immer noch nicht vorhatte.
Würde Thelon etwas über die Nebenwirkungen des Rings wissen, würde sie ihn grillen. Würde er ihr nichts darüber wissen, würde sie ihn trotzdem grillen...
Aber vielleicht sollte sie sich erst seine Entschuldigung anhören. Gah! Langsam ähnelte sie dem Drachen wirklich.
Lenjia hoffte Thelon im Haus seiner Schwester anzutreffen. Das Licht brannte, man konnte es durch das Fenster scheinen sehen. Als sie klopfte, machte sich ein seltsames Gefühl in ihrem Magen breit. Hoffentlich ging das alles schnell über die Bühne...
Die Tür wurde geöffnet. Lenjia atmete erleichtert aus, als sie Thelons dunkle Augen und seine Strickfrisur entdeckte.
„Thelon“, fing sie an. Noch bevor sie weitersprechen konnte, wurde die Tür aufgerissen und Thelon schlang ihr die Arme um die Schultern.
„Lenjia!“, rief er glücklich und drückte das Mädchen fest an sich. Lenjia blinzelte, völlig überrumpelt von der stürmischen Umarmung und der auch plötzlichen.
„Ja, Thelon“, begann sie von neuem. „Ich habe etwas mit dir zu besprechen, es ist wichtig. Würdest du mich also bitte loslassen, du schnürst mir das Blut ab.“
Thelon ließ von ihr ab, lächelte aber immer noch. Hatte er ihr überhaupt zugehört?
„Lenjia, ich freue mich so dich zu sehen.“
„Hat man gemerkt“, amüsierte sich Glaurung. Lenjia zwang sich weiterhin ein Lächeln auf, schließlich waren ihre Besuchsgründe alles andere als erfreulich.
„Ich mich auch. Hör mal, es geht um den Ring, den du mir vor einiger Zeit geschenkt hast“, redete Lenjia weiter. Thelon sah sie überrascht an. „Was ist damit?“
„Ähm, nichts... Nun, nicht wirklich. Ich wollte mich ein wenig darüber erkundigen. Du weißt nichts über besondere Fähigkeiten eines solchen Ringes?“
„Nein.“ Thelon schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn von einem der Zigeuner in der Stadt.“
„Gekauft?“
Thelon zog eine Braue hoch. „Glaubst du ich stehle?“
„Ja.“ Lenjia biss sich auf die Zunge. Eigentlich hatte sie das nicht sagen wollen, es kam einfach so über sie.
Thelon verzog keine Miene, dann lächelte er. „So denkst du also über mich. Macht nichts, so bist du nun einmal.“
Lenjia sah ihn verwirrt an. „Wie ‚so bin ich nun einmal’?“
„Na ja, du hast von Anfang an keinen sehr schüchternen Eindruck gemacht. Ich glaube, du nimmst unter Umständen kein Blatt vor den Mund“, fuhr Thelon fort und lachte. Lenjia lächelte matt. Unter Umständen...
„Vielleicht“, nuschelte sie. Eigentlich hatte sie es ja gar nicht so weit kommen lassen wollen, aber trotzdem hatte Thelon eine beruhigende Ausstrahlung auf sie. Sie standen einen kurzen Moment noch so da, dann nickte Lenjia.
„Gut, also... Ich muss dann mal wieder los“, lächelte sie und machte einen unsicheren Schritt. Thelon nickte. „Ja, es gibt viel zutun.“
„Grüß deine Schwester von mir“, sagte Lenjia und drehte sich vollends weg.
„Warte!“
Sie wandte sich um und zum zweiten Mal an diesem Tage wurde sie völlig unangekündigt umarmt. Thelon drückte sie leicht an sich, die Reaktion von vorhin noch in Erinnerung. Lenjia erwiderte die Umarmung vorsichtig. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie wieder voneinander abließen.
„Ja, gut, also...“, begann sie.
„Genau, bis dann.“
„Richtig!“
Sie hob die Hand und drehte sich dann um, eilte schleunigst die Treppen hinunter. Thelon winkte ihr nach, bis auch er wieder im Haus verschwand.
Glaurung zischte belustigt, was wohl ein Pfeifen sein sollte. „Warm hier, nicht wahr?“

Lenjia stieg die Treppen vom Dorf hinunter und hatte nun wieder die weite Steppe vor sich liegen, eine Menge Fragen und einen trällernden Drachen bei sich.
„Jetzt habe ich wieder nichts über diesen Ring heraus bekommen“, murrte sie, dafür schien es, als wären die Strapazen des Tages wie weggeblasen. Sie schlurfte auf den Baum vor dem Dorf zu und lehnte sich dagegen. Schnee rieselte auf ihren Kopf, sie wischte ihn weg.
„Wohin jetzt?“
„Ich weiß es nicht“, flüsterte sie. Eine plötzliche Windbö zerzauste ihr das Haar und blies ihr ins Gesicht. Sie hörte neben sich etwas rascheln.
Als sie den Kopf wandte, entdeckte sie den Zettel, der an dem Baum angesteckt war. Wie hatte sie den übersehen können?
Sie seufzte erneut, als sie verstand, wie sehr sie sich eigentlich verändert hatte. Sie ließ sich plötzlich von so vielen Dingen beeinflussen, dass sie gar nicht mehr wusste, wohin eigentlich mit ihren Gedanken. Sie griff nach dem Zettel und riss ihn von der Nadel, welche ihn festhielt.
Kurz glättete sie das Papier, bevor ihr sich der Inhalt des Schreibens offenbarte. Ein eiskalter Blitz durchfuhr sie, als sie das Bild erkannte, welches dem Zettel beilag. Darauf abgebildet war sie selbst.
Ihre Hände verkrampften sich und das Blatt bekam Risse zwischen ihren Fingern. Eilig las sie den Text, der da stand. Es schien, als wäre er in Eile geschrieben worden.
Wenn du das liest und die Person auf diesem Bild bist, begebe dich zum Ufer des Hylia-Sees, las Glaurung laut vor.
„Du kannst lesen?“
Ja.“
„Schon gut...“
Lenjia betrachtete den Zettel in ihren Händen und überlegte, was sie jetzt tun sollte. Vielleicht hatte sie ja wirklich jemand gesehen, als sie den Mann angriff?
„Keine Sorge, es war eh nur ein Räuber“, murmelte sie und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete, hatte Lenjia sich beruhigt.
Die Aufforderung konnte sie nicht ignorieren, aber sie würde auch nicht völlig ungewappnet dorthin gehen.
„Glaurung“, fing sie an, „gibt es auch einen anderen Weg, diese Feuerbälle herzuzaubern?“
„Wieso?“