Gemeinsam gingen Ziffer und Lenjia vom Friedhof. Ziffer hatte einen Grabstein in Auftrag gegeben, mit Sonnenuntergang sollte er fertig sein. Kaum hatten sie sich vom Totengräber entfernt, ergriff Ziffer das Wort. Er hielt Lenjia am Handgelenk und sah sie eindringlich an.
„Lenjia“, sprach er leise, „wegen diesem Ring... Wirf in weg!“
„Was?“, fragte sie überrascht.
Er atmete tief ein und aus, bevor er weitersprach. Man sah ihm die Unruhe deutlich an.
„Ich meine es ernst, dieser Ring beherbergt nun das Böse. Diese Macht wird rasch auf dich übergreifen. Sie wird dich zerfressen! Du bist zu jung, um ihr standzuhalten. Selbst ich könnte das nicht.“
Lenjia sah ihn verwirrt an.
„Meister Ziffer, haltet ihr mich für schwach? Niemals könnte eine böse Macht von mir Besitz ergreifen, niemals.“
„Das dachten auch die anderen Leute, die einen solchen Ring trugen, bevor sie wahnsinnig wurden“, murmelte Ziffer, mehr zu sich selbst.
Er wandte sich ihr wieder zu, sein Griff verstärkte sich um ihr Handgelenk.
„Glaube mir, Lenjia, besonders jemand wie du, dem erst kürzlich etwas sehr nahe gehendes passiert ist, wird schnell Opfer von solchen Einflüssen. Dein Herz ist noch in Hass und Trauer getränkt, Dinge, die vom Bösen nur zu gern fürs Eigen benutzt werden.“

Lenjia wand sich aus seinem Griff. Leichter Zorn stieg in ihr hoch. Hielt er sie für so schwach?
„Ich werde nicht dem Bösen zum Opfer fallen“, hielt sie dagegen, beinahe gereizt. Ziffer sah sie erschrocken an, ganz so, als hätte er den Großmeister des Bösen selbst gesehen. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen.
Sie seufzte. „Gefühlsausbrüche bekommt jeder einmal. Sorgt euch nicht, Meister, es geht mir gut“, versuchte Lenjia ihn zu beruhigen. Ziffer biss sich auf die Unterlippe.
„Wir sollten wenigstens einen weiteren Schutzzauber um den Ring legen, fürs erste“, fügte er hinzu.
„Auf gemeinsame Zeiten“, säuselte Glaurung schadenfroh, bevor sie Richtung Kortas Haus gingen.

Die Hexe hockte gerade über einem großen, staubigen Wälzer, als sie eintraten. Ohne den Blick zu heben, quakte sie „Hinaus!“ und strich ihrer Katze über den Rücken.
„Ich bin es, Korta“, sagte Ziffer. Sofort hob die Hexe den Blick. Ein Lächeln, Lenjia kam es mehr wie eine Grimasse vor, breitete sich auf ihrem faltigen Gesicht aus.
„Sieh mal einer an, der große Zaubermeister“, nuschelte sie. Ziffer ging auf die Hexe zu. Lenjia folgte ihm zögernd, noch immer waren ihr das Haus und seine Bewohner unheimlich.
Während Ziffer mit der Hexe sprach, wandte sich die Katze Lenjia zu. Ihre Augen verengten sich und sie stieß ein warnendes Fauchen aus, als sie näher trat. Korta löste den Blick von Ziffer und strich der Katze über das glänzende Fell.
„Ist ja gut, meine Süße“, flötete sie, „das böse Mädchen wird dir nichts tun.“
Lenjia starrte sie entrüstet an. Sie hatte sich ja wohl verhört!
„Wissen Sie was, sie alte Schrulle!“, fuhr sie sie an, „Sie können mich mal am A...“
„Aaah!", stieß Ziffer aus und unterbrach Lenjia. „Wo waren wir stehen geblieben? Ah ja, der Ring. Also...“
Er beugte sich etwas weiter über den Tisch und verdeckte Korta die Sicht auf Lenjia. Korta wandte sich von ihr ab, die Katze nicht, noch immer beäugte sie das Tier misstrauisch.
In Lenjia fing es an zu kochen und zu brodeln. Niemand durfte so mit ihr umspringen! Erst recht nicht diese vertrocknete Unkrautzupferin.
Während Lenjia noch tief Luft holte, um so richtig loszulegen, entflammte ihre linke Hand. Entsetzt stolperte sie zurück. Ziffer und Korta schienen nichts bemerkt zu haben, die Katze umso mehr. Sie machte eine nervöse Bewegung, verkrampfte sich dann augenblicklich.
Panisch fuchtelte Lenjia mit dem Arm, um das Feuer zu löschen, welches ihr weder Schaden noch Schmerzen zufügte, was sie in ihrer Panik allerdings nicht mitbekam.
Das Feuer hatte auch mehr nur ihre Innenhand bedeckt und wollte nun nicht mehr ausgehen. Erst als Lenjia ihren Arm herumriss, löste sich die Flamme und wurde in einen der vielen Kessel geschleudert, die an der Wand standen. Mit einem Zischen und einer großen Rauchwolke erlosch die Flamme. Lenjia fiel um.
„Was soll denn das Spektakel?“, fauchte Korta und beugte sich über den Tisch. Ziffer drehte sich um und musterte die sich aufrappelnde Lenjia.
„Nichts passiert“, versicherte sie und lachte nervös. Ein Kopfschütteln der Hexe, Ziffer schwieg, betrachtete Lenjia aber äußerst skeptisch, bevor er sich wieder umdrehte.

Lenjia atmete tief durch. Ihr Herz klopfte noch immer spürbar in der Brust. Verwundert hob sie nun die Hand vor Augen, die bis vor kurzem noch lichterloh brannte. Keinerlei Brandstellen. Sie hatte noch nicht einmal die Hitze gespürt, die eigentlich von der Flamme hätte ausgehen müssen.
Ihr Blick fiel auf den Ring, der unschuldig an ihrem Finger steckte, kalt und glänzend, wie zuvor. Ziffers Stimme durchbrach ihre Gedanken.
„...Ring, Lenjia. Den Ring, bitte“
Geistesabwesend streckte sie ihm die Hand entgegen. Korta grabschte danach und umklammerte ihr Handgelenk. Lenjia zog scharf die Luft ein, als sich die eiskalten Finger um ihr Handgelenk schlossen. Schmerzhaft schnitten die langen Fingernägel der Alten in ihre Haut.
„Mhm“, gab die Hexe von sich. „So ist das also... Interessant.“
„Kannst du was dran machen?“, fragte Ziffer und verschränkte die Arme hinterm Rücken. Korta lachte lauthals und stieß Lenjias Hand zurück.
„Was dran machen? Lieber Ziffer, du hast scheinbar ein Jahrhundert zu wenig auf deinem blauen Buckel! Schon mal vom ‚Buch der Schatten’ gehört? Jede anständige Hexe hat es und da steht groß und dick drin, dass ein magischer Ring weder durch die Kräfte einer anderen Kreatur, noch durch magische Zauber verstärkt werden kann. Pech gehabt, meine Liebe!“, wandte sie sich an Lenjia, die sie verhasst anstarrte.
Während Korta sich noch die Lachtränen aus den Augenwinkeln wischte, sprach Ziffer weiter: „Korta, es ist wichtig! Wir brauchen unbedingt einen Zauber gegen diesen Drachen.“
Die Hexe kraulte ihre Katze hinter den Ohren. Ihr Blick wurde wieder hart und kalt.
„Tut mir Leid, Ziffer“, sagte sie, „aber da ist nichts zu machen. Entweder ihr lebt damit oder das Mädchen würde einwilligen, ihr Leben zu lassen. Entscheidet euch...“
Korta erhob sich von ihrem Stuhl und verschwand hinter einem dicken, schwarzen Vorhang. Die Katze sprang leichtfüßig vom Tisch und folgte ihrer Herrin.
Ziffer und Lenjia blieben erstarrt zurück. Ziffer dachte fiebrig nach, wen sie noch nach Hilfe fragen konnten, Lenjia versuchte den irren Lachanfall von Glaurung zu ignorieren.