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Krieger
Sie verließen Kakariko, so wie sie gekommen waren. Der Schnee glänzte in der Mittagssonne und das Loch im Fluss, das Thelon am Tag davor angerichtet hatte, war bereits zugefroren.
“Wo gehst du nun hin?“, wollte Lenjia wissen, die die Stille nicht mehr ertrug. Selbst ein eigentlich stiller Mensch wie sie hatte den Bedarf ein paar Worte zu wechseln. Mika ging über die Brücke. Es hörte sich dumpf und hohl an, wenn seine Stiefel auf dem Holz aufkamen. „Ich gehe nach Hause.“
“Wo?“
“Warum willst du das wissen?“ Lenjia legte den Kopf schräg, unsicher, was sie jetzt sagen sollte. „Du hast mich neugierig gemacht?“
“Neugierig worauf?“
“Magie.“ Lenjia hob den Kopf, doch Mika blickte sie immer noch nicht an. „Ich dachte, du könntest mir vielleicht... helfen?“
Sie bogen nach links ab. „Helfen? Ich dachte, du hättest keine Ahnung von Magie. Ich könnte dir Magie ‚beibringen‘.“
“Das meinte ich ja“, verteidigte sich Lenjia.
“Dann sag es auch so“, antwortete Mika ohne Umschweife. „Aber warum ich? Ich selbst bin kein großer Meister. Suche dir jemand anderen.“
“Ich habe keine Lust, nach Leuten zu suchen. Die Leute kommen zu mir.“
„Diese Einsicht wird dir noch einiges an Problemen bereiten. Aber mir soll‘s egal sein, da ich dir sowieso nicht helfen werde.“ Lenjia starrte ihn an. „Warum?“
Der Zora zuckte mit den Schultern. „Ich kenne dich nicht und man soll nicht jedem vertrauen.“
„Wäre ich dein Feind, hätte ich dich schon längst umgebracht.“
“Du hättest es versucht. Du solltest auf deine Worte achten. Deine letzten klangen sehr hochmütig. Bist du wirklich stark? Du wusstest ja noch nicht einmal, was ein Bannring ist.“
„Na und? Wissen hat nichts mit Stärke zutun.“
“Bist du dir da sicher?“ Lenjia schaute auf und bemerkte erst jetzt, dass der Zora sie offen anstarrte. Ein leichter Schauer lief ihr über den Rücken, als ihr Blick kurz an den pupillenlosen Augen hingen blieb. Trotzdem ließ sie sich in ihrer Antwort nicht verunsichern. „Ja“, brachte sie heraus, wenn auch etwas leiser.
Mika drehte sich wieder von ihr weg. Auf ihre Antwort gab er keine Reaktion.
Sie wanderten noch einige Zeit, bis sie an den Rand des Kokiri Waldes kamen. Mika bückte sich vor einer breiten Esche und drückte seine rechte Handfläche gegen die Erde. Lenjia zuckte überrascht zurück, als sich die Erde auftat und ein Loch entstand, breit genug, dass eine Person bequem hindurchpasste. Steinerne Stufen führten in die Tiefe. Die Wände waren rund und von einigen Fackeln geziert. Mika stieg hinunter und griff nach einer Fackel. Lenjia ging leicht in die Knie, um die Länge des Tunnels zu schätzen. Er machte nach einigen Metern jedoch eine Biegung nach links und verwehrte Lenjia den Rest des Ganges. Mika drehte sich um. „Kommst du oder hast du kalte Füße bekommen?“
Durch diese Provokation angespornt, folgte Lenjia Mika nun den Gang hinunter. Hinter ihr schloss sich das Loch wieder.
Der Tunnel, wie sich herausstellte, hatte mehr als nur einen Gang. Immer wieder taten sich neue Eingänge auf, Türen aus altem Holz tauchten neben ihr auf und immer tiefer ging es. Lenjia kam sich dabei wie in einem Ameisenbau vor.
Nach rund zehn Minuten dann, erreichten die beiden eine besonders große, hölzerne Tür. Mika drückte sie auf und betrat einen großen, dunklen Raum. Lenjia folgte ihm. Die Luft schien hier kälter zu sein und von überall her hörte man leises Plätschern. Erst jetzt erkannte Lenjia, wo sie sich befanden.
„Eine Topfsteinhöhle?“, fragte sie ungläubig.
Mika stellte die Fackel auf einem Tisch ab und räumte einige Pergamentpapiere zusammen.
„Warum nicht?“, fragte er und holte nun die Schatulle aus der Tasche, vermied es jedoch, sie Lenjia zu zeigen. Lenjia sah sich mit hochgezogenen Augenbrauen um.
„Meister Ziffer?“, rief Mika in die Dunkelheit hinein. Lenjia wandte den Kopf nach links, als näherkommende Schritte zu hören waren. Ein weiterer Zora trat nun ins Licht. Dieser allerdings sah gebückter und grauer aus, als Mika. Auch hatte er mehr Falten, trotzdem strahlte er eine besondere Kraft aus.
“Bist also endlich zurück?“, fragte er nun. „Hat ja lange genug gedauert.„ Seine Stimme hatte einen tiefen Ton, war jedoch fest und sicher wie die eines jungen Burschen. Der alte Zora musterte Mika aus dunkelblauen Augen, schließlich wanderten sie zu Lenjia herüber.
„Wer ist das?“, fragte er und sah Lenjia dabei mit einem prüfenden Blick an. Mika drehte den Kopf zu ihr herum.
„Ihr Name ist Lenjia und sie kommt aus der Stadt. Ich habe sie am Hylia-See getroffen.“
Sie machte einen kleinen Knicks und versuchte gleichzeitig dem Blick des Alten standzuhalten.
Gespannt warteten Lenjia sowohl Mika auf die Antwort von Ziffer. Er drehte sich wieder um und gab dabei etwas von sich, dass wie „mitkommen“ klang. Mika bedeutete Lenjia zu warten und folgte dem Alten.
Lenjia blieb allein zurück. Sie nutzte die Gelegenheit und sah sich ein wenig um. An den Wänden standen breite Bücherregale, in denen große, schweraussehende Wälzer fröhlich vor sich hin staubten. Ein Aquarium mit seltsamen Fischen stand in der Mitte des Raumes. Ein mit am Rand Runen verzierter Spiegel hing an einer Säule, auf der es nieder tropfte. Lenjia vermutete, dass der alte Zora ebenfalls ein Magier sein musste. Normal sah es zumindest nicht aus.
Als der alte Zora, gefolgt von Mika, nun wieder ins Licht trat, wandte Lenjia gerade den Blick von einem Wesen ab, dass einem Frosch glich und sich die Schnauze an dem Glas des Aquariums platt drückte. Stille. Keiner sagte ein Wort. Da Lenjia sowieso nicht wusste, worüber die Beiden gesprochen hatten, fühlte sie sich nicht verpflichtet, ein Gespräch zu starten. Dasselbe dachten wohl auch die Zoras. Sie sahen Lenjia erwartungsvoll an. Ihr wurde ein wenig mulmig und beschloss etwas zu sagen.
“Und?“ Nicht sehr einfallsreich, aber Ziffer räusperte sich.
“Du interessierst dich für Magie?“, fragte er. Blick zu Mika. Schulterzucken. Blick zu Ziffer. „Ja.“ Nicken von Mika. Lenjia bedeutete ihm mit einem Blick bloß nichts zu sagen.
„Ihr Sohn hat mich neugierig gemacht.“ Ziffer zog eine nichtexistierende Braue hoch. Mika schlug sich lautlos gegen die Stirn. Erst jetzt bemerkte Lenjia, wie falsch man den Satz verstehen konnte. Hastig verbesserte sie sich selbst.
“Ich meine damit, dass er mich neugierig auf Magie gemacht hat, nicht auf... Sie wissen schon.“ Bevor sie weiterplappern konnte, hob der Alte die Hand. „Mika ist nicht mein Sohn.“
“Oh.“
“Ja.“
„Und nun?“ Mika trat etwas näher zu Ziffer heran. Ziffer hob den Kopf, soweit es ihm möglich war. „Was ‚und nun‘? Du hast die Dame gehört, oder? Du wirst sie unterrichten.“
“Was?!“, riefen Beide entsetzt.
Ja, Lenjia war an Magie interessiert, aber eigentlich hatte sie nicht einmal daran gedacht, sich von einem der Beiden unterrichten zu lassen. Sie hatte eigentlich nur mit dem Gedanken gespielt. Oder nicht?
Weder Lenjia, noch Mika kamen zum Protestieren. Ziffer sagte noch irgendwas von „gehen“ und „viel Spaß“, damit verließ er schnellen Schrittes den Raum. Der Schock hing noch zwischen den Beiden im Raum, dann meckerten sie beide gleichzeitig los.
“Es ist alles deine Schuld!“ „Warum meine?“ „Weil du mir hierhin gefolgt bist!“ „Du hast ja nichts gesagt!“ „Habe ich doch!“ „Nein, sonst wäre ich nicht hier!“ „Warum gehst du nicht einfach?“ „Gute Idee!“ „Fein.“ „Fein!“
Empört drehte Lenjia sich von Mika weg, der sich dunkelblau verfärbt hatte und stolzierte hinüber zur Tür. Sie griff nach dem Türknauf, drehte ihn um und... konnte die Tür nicht öffnen.
„Was...?“
Sie rüttelte an der Tür, etwas fester. Nichts. Die Tür war abgeschlossen. Aber wie? Beide hatten sich nicht vom Fleck bewegt. Nur der alte Zora. Der alte Zora...
Lenjia stöhnte und schlug gegen die Tür. „Aufmachen! Sofort! Das ist Freiheitsberaubung!“
Sie konnte deutlich Mikas verwirrten Blick im Nacken spüren.
Zornig drehte sie sich auf dem Absatz um, marschierte zu Mika herüber - der ein wenig zurückwich - und bohrte ihren Finger in seine Brust. „Dein. Alter. Hat. Die. Tür. Abgeschlossen. Mann!“ Bei jedem Wort stieß sie ihren Finger immer etwas härter gegen seine Brust.
„Ich kann doch nichts dafür!“, verteidigte sich nun Mika und stieß ihre Hand weg. „Ich habe doch selbst nicht damit gerechnet!“
“Mach die Tür auf.“ „Wie denn?“ „Hast du keinen Ersatzschlüssel?“ „Mal abgesehen davon, dass die Türen hier keine Schlüssellöcher haben: Nein, ich habe keinen!“
Lenjia stutze. „Keine Schlüssellöcher?“
“Keine Schlüssellöcher“, wiederholte Mika. „Wenn, dann kann man die Türen nur mithilfe von Magie verschließen.“ „Dann öffne sie eben mit einem Gegenzauber!“ „Sehe ich aus wie Merlin?!“ „So was muss man doch wohl können, als Magier!“ „Das sagst gerade du, die keine Ahnung von Magie hat.“ „So was ist doch selbstverständlich!“ „Scheinbar nicht!“ „Schrei mich nicht wieder an!“ „Wer schreit?!“ „Du.“ „Nein!“
[...]
Beide warfen sich noch immer feindselige Blicke zu, hatten sich aber jeweils ans andere Ende des Raumes gestellt. Nachdem sie sich ungezähmt mit Beleidigungen überschüttet hatten und schließlich nur noch krächzten, hatten sie den Kampf gleichzeitig abgebrochen und nun herrschte gespannte Stille. Lenjia widerstand der Versuchung, einige der in Gläser gefüllten Chemikalien nach Mika zu werfen, die vor ihr auf einem kleinem Tisch standen. Das Einzige, worauf sie nun warteten, war, dass der alte Zora - Ziffer - endlich wieder die Tür öffnete. Kaum gedacht, kam ein leises Scharren aus Richtung Tür und sie wurde weit aufgestoßen - und schnell wieder geschlossen. Dumpf drang es durch das Holz in den Raum: „Ich spüre eine böse Aura.“
Keiner der Beiden fand es notwendig, darauf eine Antwort zu geben. Vielmehr stellten sie sich noch weiter voneinander weg. Ziffer trat nun in den Raum.
“Und?“, fragte er, mit einem Lächeln, dass Lenjia den Magen umdrehte. „Was habt ihr Schönes gemacht?“ Weder Mika noch Lenjia konnte innehalten. Flüche und Pfeile flogen nun durch die Luft und verfehlten den alten Zora, der wieder aus dem Raum flüchtete, nur knapp.
“Nun gut“, fing Ziffer an, stemmte die blauen Hände in die Hüfte und sah auf die beiden Personen herunter, die mit einem Bannring auf Abstand von ihm gehalten wurden. „Wie es aussieht, schafft ihr das alleine nicht. Großzügig wie ich bin...“ - Ein lautes „Pah!“ aus Richtung Mika - „...werde ich mich bereit erklären, Lenjia selbst in die Magie einzuweihen.“ Lenjia sah den Alten unsicher an. Sie wusste nicht, ob das viel besser ist, nachdem, was passiert war. Ziffer löste den Bannring und Beide rappelten sich hoch. Lenjias Hals schmerzte noch vom ganzen Geschrei und Mika ließ die Schultern etwas hängen. Er hatte soviel Energie in die Flüche gesteckt, dass die Tür nun schwarz verfärbt war und tiefe Löcher um sie herum platziert waren. Ziffer schien das nicht zu stören. Er winkte Lenjia zu sich heran. „Wenn du bitte mitkommen würdest?“
Lenjia nickte und folgte Ziffer. Als Erstes zeigte er ihr die wichtigsten Räume im ‚Bau‘. Räume, die Lenjia betreten durfte und Räume, von denen sie sich fernhalten musste. Schließlich führte er sie in einen Raum, der vollkommen leer stand. Ein paar Kerzen waren auf dem Boden platziert, Kreise mit Zeichen und Mustern waren auf Wände und Fußboden gemalt. Ziffer schloss die Tür. Er schloss die Hand, öffnete sie wieder und eine kleine Flamme saß nun auf seiner Handfläche. Wenn Lenjia sie jedoch genauer betrachtete, konnte sie ein kleines Männchen, einem Kobold ähnlich, erkennen, dass eine kleine Laterne trug.
Das Männchen erhob sich in die Luft und schwirrte durch den Raum.
„Dies“, begann Ziffer, „ist der Raum der Geister. Manche Magierhaben solche Dinge wie ‚Schutzgeister‘ mit sich. Sie kämpfen mit ihnen Seite an Seite und bleiben ihren Herren treu, bis diese untergehen oder sie selbst zerstört werden. Auch Mika hat welche. Dir sind sicherlich seine Tätowierungen aufgefallen? Die Tätowierungen sind wie kleine Beschwörungszirkel. Näheres wird er dir schon selbst erzählen. Ich habe von ihm gehört, dass du bereits einen Geist besitzt?“
Lenjia zog die Brauen zusammen. „Meinen sie den Ring?“
Ziffer nickte. „Darf ich einmal sehen?“
Lenjia hob die Hand und zeigte ihm den Ring. Vorsichtig strich Ziffer über die Eingravierungen. Er lächelte.
„Nicht schlecht. Ein sehr nützliches Kerlchen. Nur scheint es ihm an Disziplin zu fehlen. Hast du ihn schon einmal alleine beschworen?“ Lenjia schüttelte den Kopf. „Er hat mich von selbst beschützt.“
Ziffer nickte. „Du solltest ihn nicht verschwenden. Umso besser: Wir haben bereits ein Ziel für dich! Ich werde dir helfen, deinen Geist zu kontrollieren.“
Lenjia bedankte sich. Etwas anderes fiel ihr nicht ein.
Nun drehte Ziffer sich wieder zur Tür um, das Männchen flog zu ihm zurück. „Ich schlage vor, du fängst gleich heute an. Der Tag ist noch jung. Besser früher, als später.“ Lenjia bedankte sich noch einmal und folgte Ziffer dann in einen Raum zurück, der wie eine kleine Bibliothek aussah. Überall standen Regale mit Büchern, nur weiter hinten im Raum standen ein großer Tisch, mit einigen Stühlen.
“Nimm Platz“, sagte Ziffer und verschwand wieder zwischen den Regalen. „Als erstes wirst du einiges über die Geister lernen müssen“, rief er ihr zu, während er mit den Fingern über die Bände fuhr. „Du musst wissen, mit welchem Spruch du ihn rufst und mit welchen zu ihn wieder wegschickst. Du musst ihn perfekt unter Kontrolle haben, einen Ausrutscher darfst du dir niemals leisten.“
Lenjia wandte den Kopf und erblickte nun Ziffer, der mit Büchern auf den Tisch zubalancierte. Zu ihrem Leidwesen waren die Bücher alle sehr altaussehende, dicke Wälzer. Sie griff nach dem Obersten und blätterte ein wenig darin herum. Es war viel kleingeschriebener Text und Abbildungen von Geistern und Zirkeln. Sie seufzte leise. Ziffer lachte und setzte sich neben sie.
„In der Magie musst du ein gewisses Maß an Ausdauer zeigen, ansonsten bringst du es nicht weit.“
Sie nickte zum Zeichen, dass sie verstand und fing an zu lesen. Als wäre die Dicke des Buches nicht schon genug, war der Text sehr schwierig formuliert. Einige Sätze musste sie doppelt lesen, um sie zu verstehen. Während sie las, drehte sie gedankenverloren an ihrem Ring herum. Sie hätte ihn beinahe abgestreift, als Ziffer blitzschnell nach ihrem Handgelenk griff. Erschrocken blickte sie auf. Er sah sie ernst an. „Wenn es eine Bedingung für diese Bannringe gibt, dann die, dass du sie niemals abstreifen darfst. Viele Geister liefen danach Amok, töteten alles in ihrem Umkreis und verwüsteten die Umgebung. Denk daran: Solange du diesen Ring trägst, bist du der Herr und Meister des Geistes, wenn du ihn verlierst, wirst du die volle Macht des Wesens zu spüren bekommen, denn Geister vergessen nie.“
Er ließ ihr Handgelenk wieder los und wandte sich seinen Büchern zu. Lenjia schluckte und schob den Ring wieder weiter auf den Finger zurück.
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