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Lehrling
Zur Sicherheit sage ich jetzt gleich: Alles, was ich schreibe, ist natürlich nur meine eigene Meinung.
Von einem Ende der Hochzeit der RPGs zu sprechen halte ich für übertrieben. Ich betrachte mich als Sammler und habe nun mehr RPGs der aktuellen Generation im Schrank stehen als aus der 32bit-Ära. Und dabei sind durchaus auch einige Perlen dabei, die ich nicht missen möchte.
Natürlich werden die ersten RPGs, die man gespielt hat, immer ungeschlagen bleiben, da man mit diesen nicht nur das Spielerlebnis selbst, sondern sogar die Entdeckung dieses Spielerlebnisses verbindet. Mein erstes "RPG" war seinerzeit Quest for Glory 3 für PC, und auch wenn es objektiv mit den Großen des Genres nicht mithalten kann, so verbinde ich damit immer noch sehr starke Gefühle und viel Freude. Es war so faszinierend, was ich damals im Gegenteil zu den ganzen Action- oder Sportspielen so alles machen konnte. Ich fühlte mich ungemein frei. Und diese Freiheit hat mich dann auch zu Konsolen-RPGs geführt und hält mich bis heute. Jemand, dessen erstes RPG z.B. "Wild Arms 3" ist, wird sich immer gerne daran erinnern, so gut spätere RPGs, die er spielen wird, auch sein mögen.
Zur Länge der heutigen RPGs möchte ich anmerken, daß sie meistens eher länger als frühere sind. FF6 habe ich in etwa 30 Stunden durchgespielt, trotz großer Freiheit in der zweiten Hälfte. Und ich denke, ich habe einen Großteil der Sidequests gemacht. Heute erlebe ich kaum ein RPG, das weniger als 50 Stunden dauert. FF7 habe ich 82h, FF8 etwa genauso lange gespielt, und bei FFX sind bereits mehr als 120 h vergangen. Auch ein Grandia3, das wohl zu den linearsten Titeln neuerer Zeit gehört, habe ich inzwischen mehr als 50 h auf dem Zähler. Durch SoM bin ich seinerzeit ziemlich schnell durchgekommen und auch ein "Illusion of Time" konnte mich zwar sehr begeistern, aber eben nicht so lange wie viele heutige Spiele, weil es eben sehr schnell durchgespielt war. Meiner Erfahrung nach sind heutige Spiele länger als früher, was u.a. am größeren zur Verfügung stehenden Speicherplatz liegt und zum anderen an einem höheren Anspruch an die Story. Man vergleiche einfach mal FF4 und FF7 miteinander, da hat man einen großen Sprung innerhalb einer Serie.
Warum kommen einem dann die alten Spiele länger vor? Dafür gibt es imo verschiedene Gründe:
a) Die Spieler, die mit älteren Spielen angefangen haben, entdeckten diese noch ausführlich und mußten sich erst in diese Art des Gameplays einarbeiten. Das kostet Zeit. Je mehr RPGs man gespielt hat, desto routinierter wird man bei gewissen Dingen. War es früher schon eine Leistung, in einem Blumentopf einige Goldmünzen zu finden, ist es mit zunehmender Erfahrung absolut klar, wo Items versteckt sind. Auch Informationen in Form von Dialogen und gefundenen Schriftstücken nimmt man immer schneller auf, lernt, unnötige Informationen auszufiltern und nötige schnell in seinem Kopf zu speichern. Eine Freundin von mir spielt zur Zeit ihr erstes RPG (FF7), und sie nimmt sich viel mehr Zeit als ich es damals getan habe. Sie liest alles sehr aufmerksam, untersucht jede Kleinigkeit und irrt teilweise in einfachen Gebieten umher, weil ihr die Erfahrung fehlt, die ihr sagt, was wann wichtig ist. Routinierte RPGler machen bitte den Selbsttest und spielen ein Spiel aus Zeiten vor der 32bit-Ära, das sie noch nie gespielt haben. Das Ergebnis wird sein, daß man sehr schnell durch ist, und zwar, ohne etwas ausgelassen zu haben.
b) Normalerweise sitzt man bei einem Videospiel nicht Tag und Nacht vor der Konsole, wenn man noch kein ausgesprochener Genre-Fan ist. Erst mit zunehmender Begeisterung werden die Sessions länger, die (gefühlte) Spielzeit damit kürzer.
c) Zumindest bei mir war es früher so, daß mein Taschengeld zu wenig war, um mir jeden Monat zwei bis drei neue Spiele zu kaufen. Die Spiele, die ich dann gekauft habe, waren mir dafür umso wertvoller. Deshalb verbringt man mehr Zeit damit, weil der Nachschub nicht schon im Schrank steht. Heute kann ich mir mehrere Spiele pro Monat leisten und habe daher inzwischen 9 RPGs angesammelt, die noch darauf warten, gespielt zu werden. Entsprechend habe ich keine großen Hemmungen mehr, in einem Spiel schneller durchzugehen.
d) Die zunehmende Erfahrung mit RPGs macht das Gameplay immer verständlicher, Endgegner, an denen man früher verzweifelt ist, sind inzwischen kein Problem mehr. Ich weiß noch, als ich damals in FF8 verdammt viele Anläufe gebraucht habe, um den Endgegner zu killen. Ich habe extra alle auf Lvl 100 hochgestuft, alle Kopplungen maximiert und alle besten Waffen zusammengesucht, und trotzdem hat es mehrere Anläufe gekostet. Heute geh ich mit Lvl. 40 hin und beende das Spiel im ersten Anlauf. Auch so etwas erhöht natürlich die Spielzeit.
Für mich jedenfalls hat sich die gefühlte Spielzeit nicht verringert, sie ist in etwas gleichgeblieben, auch wenn der Zähler in den Spielen meistens sagt, daß ich länger dransaß als früher.
Nun zur Thematik der RPGs: Ich habe des öfteren gelesen, heutzutage wiederholte sich alles nur noch, es gäbe keine neuen Themen und Settings mehr in RPGs. Das halte ich für übertrieben. Es gibt gerade aus der aktuellen Generation so schöne Beispiele für thematische Abwechslung: Sei es das karibische Setting in FFX, das äußerst moderne und poppige FFX-2 (das ich im Grunde genommen besser finde als FFX, es ist halt etas anderes, auf das man sich einlassen muß), Wild Arms 3, das die Western-Atmosphäre wohl von allen WA-Teilen am besten rüberbringt, die Horror-/20er-Jahre-Atmosphäre von Shadow Hearts, das äußerst buddhistisch angehauchte, düster-technoide Digital Devil Saga oder die luftigen Höhen von Skies of Arcadia oder Baten Kaitos bieten eine große thematische Bandbreite. Ich kann daher nicht verstehen, wie man sich darüber aufregen kann, daß alles immer nur dasselbe ist.
Als Gegenargument kommt jetzt vermutlich dem ein oder anderem Leser dieses Posts die "Story" oder das "Gameplay" in den Sinn. Daher möchte ich dazu auch noch einige Worte sagen:
Zur Story: Wenn man die "Story" als etwas vom Setting unabhängiges betrachten will (was ich nicht für so gut halte, aber egal), bleibt bei den meisten RPGs folgendes einfache Strickmuster übrig: Ein "Held" oder eine Gruppe von "Helden" muß die Welt vor der totalen Vernichtung bewahren. Diese Vernichtung, diese ultimative Bedrohung, kann eine Alieninvasion sein oder eine Umweltkatastrophe, göttliches Eingreifen oder der Haß und die Gier anderer Menschen. Heutzutage bemüht man sich, den Helden Tiefe zu geben, indem man ihnen Mäkel und Eigenheiten wie Selbstzweifel, Misanthropie oder ein finsteres Geheimnis zuweist. Dabei entstehen häufig Abweichungen der immergleichen Archetypen. So betrachtet, sind die Storys vieler RPGs gleich. Immer wieder Aufwärmungen bekannter Story-Konzepte... Andererseits ist es genau diese große Bedrohung, die den Spieler dazu antreibt, weiterzumachen, sich durch das Spiel zu arbeiten, weil er am Ende etwas Großes bewirken kann. Der Spieler kann durch seine Avatare im Spiel Dinge anstellen und bewirken, die er im normalen Leben nicht erreichen kann (worüber wir froh sein sollten, man stelle sich nur vor, ein Kuja käme bei unserer Welt auf die Idee, alles zum Anfang der Zeiten zurückzuführen etc.
). Das reizt, und dieser Reiz ist nicht nur auf RPGs beschränkt. In Metal Gear Solid rettet man die Welt jedesmal aufs Neue vor atomaren Bedrohungen, in Drakengard vor dem bösen Imperium und in Onimusha vor dem bösen Nobunaga & Co.
Die Einzigartigkeit der jeweiligen Story ergibt sich jedoch erst aus dem Zusammenspiel verschiedener Komponenten des jeweiligen Rollenspiels. Auch wegen ihrer Story vielgerühmte Spiele wie Xenogears oder FF7 haben dieses "Gruppe rettet Welt vor Vernichtung"-Schema, aber sie kombinieren dieses Schema mit anderen Elementen, verdichten die Story mit mehreren Schichten und verknüpfen diese mit der detaillierten Gestaltung der Welt und der Charaktere sowie deren Eigenarten. Ohne die düstere Stadt Midgar oder den Materia-Strom wäre die Geschichte um Cloud und Sephiroth nicht so eindrucksvoll, und ohne die steten Rückgriffe in die alte Geschichte der Welt (Stichwort: das "Alte Volk") wäre die Bedrohung nicht so immanent. Xenogears hat eine Story, die sich über 10.000 Jahre erstreckt, und ich weiß noch genau, wie mir jedesmal, wenn sich mir ein Teil der Vergangenheit offenbart hat, ein Schauer über den Rücken lief. Bei Baten Kaitos wird diese Vergangenheit in Form von Legenden über das Spiel verteilt erzählt, bei Digital Devil Saga in Form von Erinnerungsfetzen der Hauptcharaktere usw. Natürlich ist dieses Muster wieder in allen RPGs irgendwie vorhanden, aber das sehe ich als ein Genre-Merkmal. Und die Verflechtung der eigentlichen Geschichte mit der jeweiligen Welt und deren Vergangenheit sowie der Charaktere läßt trotz aller Schematisierung und Archetypisierung viel Platz für Eigenständigkeit und Individualität der einzelnen Spiele. Wenn man Shadow Hearts 1 und 2 zusammen gespielt hat, bietet einem das Ending von Teil 2 große Tiefe und viel Raum für Spekulationen. Digital Devil Saga ist eine komplette Metapher für den Buddhismus und kann entsprechend einen ganz individuellen Charme entwickeln.
Die Story von RPGs ist im Vergleich zu früher viel mehr in den Mittelpunkt gerückt, sie ist allgemein gesehen komplexer als früher, und das ist eine Entwicklung, die ich persönlich gutheiße. Inzwischen ist für mich die Geschichte viel wichtiger als die anderen Aspekte geworden.
Zum Gameplay: Hierbei beziehe ich mich jetzt mal rein auf das Gameplay klassischer Rollenspiele mit rundenbasiertem Kampfsystem. Ja, die Grundidee hinter den Kampfsystemen ist noch die gleiche wie vor 20 Jahren, und gerade ein DQ8 zeigt, daß sich auch in Sachen Komplexität nicht unbedingt viel getan hat. Komplexe Systeme wie in FF8 oder Unlimited Saga werden vom Publikum irritiert angenommen oder sogar verwünscht. Das rundenbasierte Kampfsystem ist ein typisches Genremerkmal des (östlichen) Rollenspiels, und das ist auch ein Grund, weshalb man sich als RPG-Fan sofort heimisch fühlt. Dabei gibt es trotz der grundlegenden Ähnlichkeit immer wieder Unterschiede, die das Spiel individuell machen. So gibt das JudgementRing-System von Shadow Hearts dem Kampf eine actionreiche Note, ohne die Planungsgewalt, die man in einem rundenbasierten Kampfsystem hat, zu beeinträchtigen oder zu beschneiden. Das System von Suikoden 3, in dem man immer zwei Charaktere gleichzeitig mit einem Befehl belegt, zwingt den Spieler zum Umdenken von seinen eingefahrenen Spielmustern und ist zwar nervig, aber funktionstüchtig, und beeinflußt so die Art, wie der Spieler das Spiel wahrnimmt. Die Shin Megami-Spiele haben ein sehr taktisches Kampfsystem, in dem ein einziger Fehler auch mal zum Game Over führen kann.
Man findet sich bei dieser Art des Kampfsystems schell ein (die grundlegenden Gedanken sind ja stets gleich), die Unterschiede bewirken allerdings eine starke individuelle Note der einzelnen Spiele.
Auch die Menüführung und die Itemverwaltung bzw. Bewaffnung und Ausrüstung der Charaktere funktioniert üblicherweise nach den gleichen Prinzipien. Aber ehrlich gesagt stört es mich kein bißchen, in Läden immer bessere Waffen kaufen zu können oder mich mit Beeren zu heilen. Auch hierbei gilt: Genremerkmale. Der Spieler findet sich schnell ein und hat die Möglichkeit, die Unterschiede der einzelnen Systeme schnell zu erfassen und für seine Zwecke zu nutzen.
Die Charakterentwicklung hat sich im Vergleich zu früher extrem verändert. Natürlich gibt es immer noch Spiele, die am einfachen "Ich habe ein neues Level erreicht und habe entsprechend Attributaufbesserungen und neue Fähigkeiten erworben"-System festhalten, doch Spiele wie FFX oder DDS eröffnen dem Spieler mehr Möglichkeiten in der individuellen Entwicklung der Charaktere. Im Gegensatz zu früher ist die Zahl solcher Spiele gestiegen.
Vom Ende einer Hochzeit sprechen? Ich sage: nein! Das Rollenspiel ist immer noch ein Rollenspiel, die Thematiken sind breit angelegt und auch die Systeme werden stehts vielfältiger. Wer Spielen wie Xenogears, FF7 oder Chrono Cross nachtrauern möchte, kann das gerne tun, denn diese Spiele sind wirklich hervorragend gelungen, aber es führt zu nichts, ein neues Xenogears zu ersehnen, denn dieses Spiel gibt es bereits und ein zweites solches Spiel könnte man nur als Kopie empfinden. Man freue sich lieber über neue, tolle Spiele, setze die rosa Brille ab und bestaune den immer noch vorhandenen Erfindungsreichtum der Entwickler. Daß dabei jeder seine eigenen Vorstellungen hat, ist klar. Mich hat FFX-2 z.B., nachdem ich mich mit der quietschigen Präsentation angefreundet habe, sehr beeindruckt, und ich möchte dieses Spiel als Paradebeispiel dafür anführen, daß wir Spieler heute oft von gewissen Erwartungen, wie ein RPG gemacht sein muß, geprägt sind und mit diesen Erwartungen neue Spiele bewerten. Die nostalgischen Gefühle von früher kann ein neues Spiel nicht bieten, und ein FFX-2 hat mit so einigen Erwartungen gebrochen, kann aber für sich allein betrachtet immer noch überzeugen.
Die Spiele selbst haben sich weiterentwickelt, und ich denke, man tut den Spielen Unrecht, wenn man diese Entwicklung zu sehr kritisiert, nur weil man an der Vergangenheit, mit der man gute Erinnerungen verbindet, zu sehr festhält. Wenn man eine neue Freundin hat, läßt man sich ja auch völlig auf diese Neuartigkeit der Beziehung ein und denkt nicht ständig wehmütig daran, wie schön doch vergangene Beziehungen waren...
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