Manchmal siehst du in den Schatten mehr, als dort wirklich ist. Du siehst in jeder Wolke einen Regenguss, bei jedem Windhauch denkst du an einen Sturm.
Ich frage dich, warum es so ist. Du weißt die Antwort nicht.
Du sagst, du hast Freude daran, Häuser zu bauen. Doch vor ihrer Vollendung denkst du bereits an den Abriss. Du baust die Gemäuer an Klippen. Vielleicht magst du die Gefahr.
Hast du Angst vor einem sicheren Untergrund?
Du willst keinen Graben um das Haus anlegen, damit das Wasser in gelenkten Bahnen von seiner zerstörerischer Tätigkeit fortgeführt werden kann. Du wehrst ab, wenn ich dir anbiete, dass wir gemeinsam bauen könnten. Nicht den Grundstein legen – kein Gerüst, aus dem später vielleicht einmal ein kleiner Palast werden könnte.
Du willst nicht. Niemanden weh tun. Du kannst dieses Gefühl nicht beschreiben.
Du weißt, dass es nicht stimmt. Du weißt es, weil ich es dir gesagt habe und vielleicht spürst du tief in deinem Inneren, dass es etwas anderes ist, das dich vor dem Konstruieren des endgültigen Plans abhält.
Oder vielleicht planst du auch; zeichnest mit feinem Bleistift, mühsam und genau die Grundfesten. Nimmst ein Lineal, platzierst es sorgfältig an der richtigen Stelle. Die Bleistiftmine kratzt ein bisschen über die Oberfläche des Papiers – doch du willst das Konstrukt erschaffen. Aus deinen Gedanken ein Haus formen.
Aber du kannst nicht. Ich kann dir nicht sagen, woran es liegt. Manchmal glaube ich, dich nicht zu kennen.
Vielleicht bin auch ich nur ein Denker, der seinen Träumen nachjagt. Der meist schaudernd auf der Brücke steht und den glitzernden Fluss dabei betrachtet, wie er unter seinen Füssen hineinrast. Wie dann das Wasser, von seinem Glanz befreit, matt und klar, fast träge, auf der anderen Seite wieder hervorkommt.
Der sieht, wie die Kraniche majestätisch über seinen zermarterten Kopf hinwegfliegen. Würde der Träumer den Blick heben und würde das Wasser für einen kurzen Moment leiser fließen, dann könnte er das Schlagen ihrer Flügel vernehmen.
Aber es ist nie leicht, sich aus seinen tiefen Gedanken zu reißen.
Du weißt es inzwischen. Du musst es wissen.
Auch ich habe versucht das Haus aus meinen Gedanken auf ein Blatt Papier zu bannen. Es dann in all seiner Größe und Schönheit zu errichten. Doch fürchte ich dieses Heim mit dem Hammer der Banalität zu zerschmettern. Es zu etwas alltäglichen werden zu lassen.
Ist das Problem nicht genau hier? Warum nur will man immer etwas Einzigartiges erschaffen, wenn man es noch nicht einmal geschafft hat, einen einfachen Bauplan aus seinen Gedanken zu lesen?
Ich will weder zu einem unfertigen Gebäude an der Klippe werden, noch einfach dahinvegetieren und an meinem eigenen Bauschutt ersticken.
Trotz allem – ich glaube, deine Worte waren endgültig.
Weil ich den Schmerz liebe, gehe ich noch einmal den Weg zu den Felsen. Der Brandung und den tosenden Gewalten. Ich schreite die Maße ab, die unser Haus gehabt hätte, spüre die Gischt in meinem Gesicht. In Gedanken sehe ich den Graben, der das Wasser bändigt. Unser Heim steht so sicher an den Klippen. So unglaublich schön. Ich erkenne uns beide auf dem Balkon. Wir betrachten beide die Brandung im Sonnenuntergang. Das Glücksgefühl ist so real. Ich blicke auf ein Grundgemäuer, das selbst in Jahrzehnten noch Bestand haben wird, wenn man es nicht mit brachialer Gewalt dem Erdboden gleichmacht.
Aber in Gedanken ist alles einfach.