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Mirokurator
Das Unwetter über Los Angeles war untypisch für diese Jahreszeit und zudem schien es ein besonders heftiges zu werden. Dem Jungen, der durch die Seitenstraßen schlenderte, war vollkommen klar, dass er genau bei diesem Sturm unterwegs war. Alles andere wäre ein glücklicher Zufall gewesen, und wenn es um so etwas ging, war Glück nicht gerade seine Stärke.
"Das hätte nicht sein gemusst...", meinte er resigniert, als sich eine Taube auf seinem Haarschopf niederließ und begann, an dem länglichen Ohr zu zupfen.
"Verschwinde!", knurrte er den Vogel an und stülpte die Kapuze seines Pullovers über den Kopf. Trotz der Dunkelheit und dem Regen, der die Sicht noch weiter einschränkte, konnte der Junge die Straßen bei Nacht genau so gut erkennen wie bei Sonnenlicht. Und er hatte längst bemerkt, dass er verfolgt wurde. Zwei Gestalten, wie er sie schon oft gesehen hatte, in dunklen Anzügen und dem physischen Erscheinungsbild eines Wandschrankes, kämpften sich hinter ihm durch die Menge. Claudius, wie der Junge hieß, fand seinen Weg durch die Menschen, indem er die Kapuze ins Gesicht gezogen hielt und unauffällig blieb. Seine Verfolger erreichten das Gleiche, indem sie möglichst viel Aufmerksamkeit erregten und die Leute zur Seite weichen ließen. Auf kurz oder lang würden sie ihn eingeholt haben.
"Ich hasse es...", meinte er noch einmal mit einem genervten Blick, dann hechtete Claudius in eine Seitengasse und rannte an einigen Obdachlosen vorbei. Das Grollen des Donners wurde immer ohrenbetäubender, als er sich in einer scheinbaren Sackgasse wiederfand. Die Männer kamen langsam näher und grinsten ihn schmierig an, im Regen hangen ihnen die Haare wie Blut von den Köpfen.
Der Junge vertrieb dieses Bild und überwand so den Instinkt, seine Widersacher einfach mit einem lauten Grollen anzuspringen. Seine klauenbewehrten Hände umfassten ein Geländer und er schwang sich unter verwirrten Blicken eine etwa 6 Meter hohe Wand hinab. Die Verfolger des Jungens warfen sich nur fragende Blicke zu und machten kehrt, nachdem sie die kleinen Risse im Beton gesehen hatten, die ihr Ziel bei dem Sprung nach unten hinterlassen hatte.
Claudius hielt erst wieder, als er das Ufer erreichte und einen Blick auf die Wolkenkratzer von Los Angeles hatte. Wie oft in letzter Zeit hatte er seltsame Träume, wie er sein Gesicht dort oben vom Wind streicheln ließ und dann hinabsprang - und jedes Mal wohl behütet unten ankam. Lächelnd ergriff er einen kleinen Würfelbeutel, der am Gürtel seiner langen Wollhose hing und wollte damit herumspielen, als ein Blitz den Nachthimmel erhellte. Die Würfel fielen zu Boden, und der Regen schlug weiter unabdinglich auf das Wasser.
"Was zur Hölle...?"
Claudius war sich sicher, einen Moment lang Gestalten auf der Brücke gesehen zu haben und sein Atem ging heftig. Er ließ sich ins Gras fallen und schüttelte den Kopf. Der Junge mit mit den Klauen wollte gar nicht wissen, ob es eine Halluzination gewesen war, denn alles andere wäre mit zahlreichen Problemen verbunden, die weit über seine Betrügerei und seinen gelinde ausgedrückt seltsamen Körper hinausgingen.
Probleme waren etwas, das er nur zu gern anderen überließ.
Geändert von La Cipolla (11.05.2006 um 06:17 Uhr)
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