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Thema: Schnelle Gedichte, Ultrakurzgeschichten, Ideensammlung und Gedanken #1

  1. #161
    Ich hatte das hier vor einigen Tagen angefangen zu schreiben. Weiß noch nicht ob es mir gefällt.

    Schnee im April

    Manchmal überhöre ich Leute
    Einfach weil ich sie nicht hören will
    Manchmal hass' ich alle Geräusche
    Und dann ist alles plötzlich still

    Manchmal ist Stille ohrenbetäubend
    Vor allem mit den richtigen Pill'n
    Manchmal wünsch' ich mir ich hätt' keine Freunde
    Und manchmal, manchmal schneit's im April

  2. #162
    BUßTAG

    drohend hängt das Feuer
    lichtverweigernd raucht der Schwefel
    elendiger Angst
    vor Angenommensein
    sich ausbreitet
    brennendes Blut
    richtender Triebe

    erwartet Hiebe
    wie Menschenwut
    doch es weitet
    ein Kreuz das Herz hinein
    wenn das Gift du trankst
    Mörder bist an Furcht und Frevel
    nicht mehr Rad, doch Steuer

    in dir glitzert teuer
    Kabils Schatz nicht doch nun Hevel
    Zeichen spricht du dankst
    dem funkelnd Edelstein
    dich begleitet
    wie süße Glut
    atmend die Liebe

    Geändert von Jerome Denis Andre (23.11.2017 um 17:53 Uhr)

  3. #163
    Heute bin ich mal synkretistisch unterwegs:

    KREISE

    Unsicher steh ich hier auf Erden,
    Sitz tränenbelastet am Anfang,
    Blick zitternd hinauf in die Sonne,
    Will ich steigen zum Altar Gottes,
    ist sie meine Freude und Wonne,
    Süßer als der Vögel Gesang,
    Mein Ich leg ich ab um zu werden.

    Greif bereit ich die leuchtende Hand.
    Appetitlos staunender Augen,
    leg ich ab, was dient des Verwehrens,
    Deiner Bergwohnung zu schritten flottes
    Fußes wir hohen Begehrens.
    Pupillen-Ich auf meinem Taugen,
    Das Nach-Oben-Geleiten ich fand.

    In dem Wort: Sieh und lies, was da fühlt;
    Lauf der Wahrheit zu und meinem Glauben,
    Leg ich ab, was sie hindert und hemmt,
    unkonzentrierten Gedankentrottes
    Auswirkung. Mein Körper erkennt.
    Wandle nicht mehr nun unter den Tauben,
    Und der Vogelsang neu in mir wühlt.

    Auf mein Herz hin, auf dass ich bekenne,
    Dass ich wate im Raum meines Innern,
    Sortier - was ich einzeln falsch wollte,
    Im Lagerhaus alten Gefühlsschrottes,
    neu zu denen hin, wie ich es sollte,
    Das so unruhig in mir will stets Flimmern,
    was ich in mir, als Liebe benenne.

    Find ich so endlich ruhigeres Reden,
    Leg ich ab endlich ängstlichen Zorn
    Für jene die in mir erwachten,
    Auf der Harfe sing Lieder des Spottes,
    über die deine Hilfe verachten,
    starke Hand bringt das Ende nach vorn.
    Und das Auge der Spitze sieht jeden.

    Flüsternd Wort säumen jeher mein Gehen,
    und als sie mich aufwärts so führen,
    fang ich sanft unser Stagnationsweinen;
    raucht mir Edelgeists Traumtränen Pottes,
    aus der Lunge nicht doch aus den reinen,
    Seen die meine Seele berühren;
    An den Ort wo sie El Shaddai wehen,

    Steht dort trohnend auf dem ewig Dunkel,
    Der Sinn, Inhalt der uns hier fehle:
    Das was heißt ‚die Bösen‘ vergehen,
    ohne unheil‘gen Völkerboykottes,
    Gemeinsam das Ganzbrot zu sehen,
    Wissen wir nun tief in unsrer Seele,
    Staunend vor All - dem Sterngefunkel.

  4. #164
    MORGENWERK

    Tausende Blicke geatmet.
    Windhauch zurück in die Nacht.
    Erreicht dich im Geiste Gottes,
    Auch Herz, das schon lang nicht mehr lacht.

    Uhren getrennt bald zerflossen,
    Odem doch alles umfängt.
    So der zerschnittene Mantel,
    an einem Faden noch hängt.

    Ehrbare Freunde Gesänge,
    Leidvoll vereint im Gebot.
    Teilen mit Tätern im Glauben,
    Hass, Gebet und ihre Not.

    Schweigende Lieben vergangen,
    Brüder sticht tief der Verrat,
    Wer sagt von sich, dass er Licht sei,
    dem mangelt meistens die Tat.

    Er ist doch, Meister, behutsam,
    in Seiden Maschen gewebt,
    ein Ring in goldener Kette,
    die auch verrostet, doch lebt.

    Lebt wie der Sterne Pneumatik,
    flüssiges Eisen in mir.
    Lebt oxidiert und verschieden,
    an neuem Morgen in dir.

    Brot wird dir Blut dann und Leben,
    Wasser trüb Liebe und Wein.
    Schrammige Faust deines Spiegels,
    Trifft dich und du wirst verzeih‘n.

  5. #165
    εἰρήνη

    Dich griff ich heut im Traume,
    du Schatten alter Zeit,
    umrahmt vom Pflanzenlaufe,
    an dem das Licht verweilt.
    Es lachten ihm die Blumen;
    es zittert ihm das Gras.
    Du lachst mir ins Gesichte;
    einst freundlich, heut zum Schad.
    Lang war mir ohn‘ dein Dunkel
    das Lichte Leben fad.
    Doch zog des Bruders Kuss nun,
    mich weg, zum Feuer hin.
    Ich kann kaum noch verstehen,
    warum mir Kälte schien.
    Mir scheint weil ich im Sommer
    zu sehr an Kühle hing,
    der Kühle des Metalles,
    das einst mein Herz umfing.
    Die Ringe sind zerschlagen,
    der Kette die uns band.
    Ich dank ihr für die Kreise,
    die sie bald um mich wand;
    für ihr bald feurig Glühen,
    bald für kühlenden Stahl.
    Doch will ich Freiheit leben,
    so leuchtet meine Wahl.
    Es strahlt hell auf von Ferne,
    von Ostern her ein Plus,
    geschmiedet aus dem Sterne,
    der Namen tragen muss.
    Mein einer Schatten sei nun,
    der Gottheit feurig Kuss,
    Was abseits küsst der Trauben,
    ein warmer, lichter Gruß,
    der auch den Lebwohlwegen,
    den Rücken zu wohl kehrt,
    der trunken an dem Kusse,
    der Zukunft sich zukehrt.

  6. #166
    Frischkäse

    O holder Käs so frisch wie Tau,
    aus dem Euter Stieres Frau.

    Mundest milchig, rahmig, zart,
    gänzlich gleich auf welche Art.

    Zergehst du auf der Zunge mir,
    werd ich selber gleich zum Stier.

    Steh ich vor dem Kühlregal,
    wird Zeit und Geld mir ganz egal.

    Verplemp're staundend Stund um Stund,
    das Wasser tropft mir aus dem Mund.

    Ich packe eine Packung ein,
    doch nur eine kanns nicht sein.

    Reichen denn nicht drei, nicht vier?
    'DU BRAUCHST ALLE!', sprichts in mir.

    Flugs den Wagen vollgeladen,
    so viel Käs, ich könnt drin baden.

    Zehn Paletten bester Sorten,
    an die Kasse und dann fort, denn

    warmen Käse mag ich nicht.
    Und im Kühlschrank brennt kein Licht.

    Schnell nach Haus, ich muss mich sputen,
    der Käs, er schmilzt mit den Minuten.

    Sicher Zuhause angekommen,
    wird der Deckel abgenommen.

    Für euch jedoch, da schließt er sich,
    der Frischkäs, der ist nur für mich!

    Was ich mit so viel Käse mache?
    Ist einzig meine eigne Sache!

    Hört auf zu fragen! HÖRT AUF ZU SCHAUEN!
    Nur dem Käs kann ich noch trauen...

  7. #167

  8. #168
    Heißer Anwärter auf den Post des Jahres.

  9. #169
    TIKUN OLAM

    Feuer vom Himmel,
    Atem im Geist,
    der meinen Ängsten,
    Boden wegreißt.

    Sprachdurcheinander.
    Tikun Olam.
    Neues Verstehen.
    Nur Gemeinsam.

    Ruach, in, aus mir,
    Brust hebt und senkt.
    Des Ostens Kette,
    die Welt dann lenkt.

    Alles brennt, dreht sich,
    leuchtet in mir.
    Einklang Herzkammern;
    Welt wird ein "Wir".

  10. #170
    Nicht wirklich ein Gedicht, aber sollte so weit gelten. ^^

    Alles!

    Ich weiß, dass ich nichts weiß, somit weiß ich mehr, als die, die nichts wissen.

    Ich weiß, dass ich etwas weiß, somit weiß ich mehr, als die, die etwas wissen.

    Ich weiß, dass ich nicht alles weiß, somit muss ich glauben.

    Ich glaube, somit werde ich Alles wissen!

    Kannst DU glauben?

    Wenn ich also fast Alles weiß, glaubst du mir?

    Wenn du fasst Alles weißt, glauben sie dir?

    Wenn alle glauben, was wissen wir dann?

    Alles!

  11. #171
    Trauer liegt über der Welt,
    die letzten Schleier sind gefallen

    Traurig blickt sie, arg entstellt,
    der Tag war kurz, die Nacht erhellt

    Doch Zorn ist es, was übrig bleibt?
    Kein Dank, für Gottes Taten?

    Hass liegt hinter ihren Blicken,
    Schmerz verbirgt sich in den Rippen

    Aus Langeweile gähne ich,
    Mein Odem brennt wie Feuerzungen

    Der Rauch schwängert die Atemluft
    Ja! Der Feind vernimmt den Duft

    Gelächter hallt von meinen Lippen
    Er brennt wie Salz in Ihren Augen

    Und wieder mal erfüllt es sich,
    sie können, doch sie woll'n nicht glauben

  12. #172
    Wasser

    Schließ deine Augen, sei ehrlich zu dir selbst und richte eine Bitte an ihn!

    Mach die Augen auf, siehst du nicht die Wolken, sie fliehen!

    Du hast Angst davor, der Himmel macht die Schotten dicht,

    der Wunsch verblasst im wirren Schmerz und lässt ein wenig Licht im Herz

    Ich kann selbst nicht recht erfassen, wie das funktioniert,

    also lass dich mal nicht hängen, selbst ein Gott studiert!

    Die Narren haben Zweifel, die Könige, die Hoffnung!

    Das Licht wird immer blasser. Das Feuer brennt, trink Wasser!

  13. #173
    The Vision of Red

    What was this red I saw in my vision
    It could have been a Roman division
    That legions would strive for an Empire's mission
    but I did not expect the Spanish inquisition
    to burst through my door and to lock me in prison
    execute me as witch of the spoil which has risen
    I wish, I wish I would have had expected them.

  14. #174
    Dass ich dem Zwergenlied aus Schneewittchen ein kreatives Schaffensphäschen für Fantasy-Poesie verdanken kann, hätte ich nicht erwartet.

    Zwergenreich
    .
    Dampf stößt auf, wo Rohre, Spalten
    keinen Stau im Bau behalten.
    Klingt das Uhrwerk, klänken Schrauben
    dumpf schlägt Stahl auf Stahl auf Stahl.

    Kaum zu glauben
    was für Reichtümer an wert
    auf Leistung diese Zwerge legen.
    Solch ein Werkvolk zu verwalten
    wenn's nicht so gewissenhaft wäre
    eine Qual, zu organisieren,
    die Wirtschaft zu pflegen
    nicht zu kastrieren
    so kann immer was passieren
    man tut gut dran, zu erwägen
    dass mit Bart und Regelwerk zur Welt gekommen
    er der Ordnung fest gesonnen ist;
    gemeinsam sie zu hüten gilt
    eine allergroße Ehre.

    Die Loren quietschen hallenloh
    so trügerisch nah, doch anderswo
    unter Tage Tage tief
    Bröckelwände beben
    freien Fall erleben
    Schienen schief
    Laternen erlischen, wo Fremde ersticken
    solch' heikle Reisen sind nunmal so.

    Zehn Adern erschöpfter als ein Arbeiter allein
    hat mit Trüffeln selbst Schwein mehr Schwein
    beim Balkenversetzen und Schienenvernetzen
    bleibt dennoch die Freude für Honigwein.

    Zumindest
    bis das Funkeln flüstert
    Zwerg nach Edlem lüstert
    ruft die Erde noch viel weiter
    dorthin, jenseits wo die Neugier und Habgier den Zeitsinn zersetzen
    am Rande vom viel zu vertrauten Revier
    nur dort wird er richtig froh.

    Den allerbesten Quarz der Minen
    Erze, Sände, alle drin
    fahren sich auf manch' lockeren Schienen
    in aller Reiches' Winkel hin.
    So viel Gestein zum Steinbildhauern
    Statuen, Gräber, Denkmäler, Mauern
    aus strahlend Mamor, düsterem Granit.

    Übrig bleibt noch
    der Graphit.

    Und den Graphit, den braucht der Schmied
    dass in der Esse was geschieht
    ob Stahl, ob Kupfer, Messing, Eisen
    an den Glühpunkt durchzuheizen
    mit Gehämmer auszureizen
    platt, gefaltet, dicht und kahl
    Messerklinge, Hacke, Pfahl
    erschaffen, was der König braucht
    was er sich wünschte und befahl
    ein jeder Schornstein staubt und raucht
    das ist der Zwerge stolzer Brauch.

    In der Schmelze kocht schon Bronze
    gießt den Rohling jeder Münze
    ehe sie Insignien trägt
    die der Meister in sie schlägt
    zum Wohl des Zwergenreiches prägt
    dass selbst die Schatzkammer nicht klägt.

    Und diese bringt dich ins Entsetzen
    Gesiegelt füllen Zahlen Listen
    Massen an Schätzen bergen Kisten
    Berge lassen dich bloß schätzen
    Vermögen, die in Mauern nisten.

    Denk' garnicht erst, hier auszumisten
    da ihre Wächter Äxte wetzen
    den Dieb zu Gulasch zu zerfetzen
    ein Todeswunsch, das Überlisten.

    Das Glück beherrscht er unter Tag
    die Zierde für sein Grundgestein
    als Sockel darf nur eines sein
    für Edelsteine Seiner Finger
    Seiner Waffen, Seines Halses
    tausend Lieder kann Er singen
    Erstgeborer des Felses
    ist es für Ihn keine Sünde
    ohne Ihn gilt kein Vertrag
    Verbrecher ist, wer zwischen stünde
    vorenthält, was Er so mag.

    Zu jedem vierten Ambossschlag
    begießt Er sich mit purem Gold
    dem König ist kein Silber hold
    füllt es so gut wie jeden Sack
    gleicht's mehr Elf statt Kobold
    dient es am liebsten nur als Sold
    doch bringt selbst diese Unze Stolz
    dem Herz, das für das Zwergreich schlägt.

    Geändert von relxi (13.06.2020 um 21:46 Uhr)

  15. #175
    (experimentelle ... alltagsbeobachtung.)

    Wiedermal nicht nachgedacht
    Und den Tag mit nichts verbracht
    Prokrastinieren geht über studieren
    Die Augenlider sind schwer wie blei
    Der Tag ist wie die Chance: vorbei
    Bleibt der Schlaf, lernen im Traum -
    Soll ja gehen. Drum geht es brav
    ins Bett. Doch zum schlafen kommt es kaum.
    Die nächste Mörderdoku lockt!
    selbst auf nächtliche Ruhe - einfach kein Bock.

  16. #176
    Zwei Halunken

    Auf des Doktors Mohnbalkone rauchen zwei Halunken.
    Kucken, kucken, spucken, spucken
    schlucken sich seinen Heilschrank leerer
    bis sich Flaschen rummsend tummeln
    und es werden immer mehr.

    Klirrt's immernoch im Halbtraum
    machen sie mal wieder alles nieder.
    Denn den zwei Halunken
    reicht kein Raum
    den Frieden auszutreiben.
    So flucht sich jeder Mund voll Schaum
    und reißt die Augenlider auf.

    Bei all dem Krach nun Nachbarn munter
    klopft, klopft, klopft
    und keiner öffnet.
    Die Militz stürmt durch die Tür
    doch von Halunken keine Spur.
    Und keiner merkt sie, diese Schnur
    sie führt zum nächsten Balkon runter.

  17. #177
    O Sonne!
    O Wonne!
    O Kraft!
    O-Saft!

    Dieses Gedicht ist nicht von mir (und vielleicht gehört die Interpunktion auch anders), aber ich find's witzig.

  18. #178
    @Saireau:
    Mir gefällt es auch. Es ist so kurz und beginnt klischeehaft, wodurch es meine Erwartungshaltung brach und es mich gleich dreimal lesen ließ, ob ich etwas verpasst habe. xD

    Ich hab' etwas auf Englisch, was schon eine lange Weile bei mir rumlag und sich endlich anderen zeigen möchte.

    Not a Cup a Day

    Brownish black-white fake whack brew
    shocks you harder than Grandma's stew
    biochemical energy runs down and up sidewards to wardsides your veins,
    your organs, limbs, your brain, to name a few
    you shake and shake and break one cup after another in one and every coffee shop
    and machines of fire don't stop to drop more of this hellish liquid into your
    drop
    bowl of sins, drop
    by drop
    drop-drop to drop
    then comes the moment it kicks
    the way it should not kick like
    you'll shred madly
    mind so badly
    you will chill shivers
    under the sun
    as you quiver sick-headedly
    hate that click clicking in your head annoyingly
    each and every second in your head
    before you'll wonder,

    „The heck,
    what have I done?“

    Wait some hours 'til it's gone;

    good night
    not sleeping tonight.




    Und etwas für deutschsprachigere Seelen:

    Katzen

    Sandkastenkatzensandkatzen
    kitzeln sie mit ihren Tasthaaren
    die kratzenden Tatzen anderer solcher Nachbarschaftsgefahren.

    Brechen Essen und brechen Vasen
    sitzen sie so im nächsten Moment
    niesen und schmiegen sich an dich
    mit nassen Nasen
    schmieren Nasenschleim an dich
    widerlich
    bringt die Katze ermeuchelte Geschenke mit sich für dich
    schnörkelt sich hin und weg
    im pfiffigen Pfotengalopp von Eck zu Eck
    entlang daran die Spur von Katzensanddreck
    bis ins Katzenversteck
    im Wäschedickicht.

    An den Bietzen der Kietzen saugen kleine Kätzchen Zitzen
    und warten auf Spiele
    so viele, sooooo viele
    eine reine Belastung für das Wohl
    müsste man sie alle siezen.

    Kackestückchen in der Ecke
    Pisseflecken auf der Decke.
    Was beißt, das beißt
    das Schwänzchen ist ab
    wacht auf
    und riecht die Pfote der Großen
    so fein, sooooo fein!

    - bloß kaum für größere Nasen.

    Geändert von relxi (11.11.2020 um 16:15 Uhr)

  19. #179
    Der Scheitel der Welt
    von Norpoleon

    Der eisige Nordwind begann langsam aber sicher, meine Arme und Beine abzutrennen. Doch dem entkommen wir drei nicht für sehr lange Zeit. Wir waren schon viel zu weit entfernt vom Lager der Nordpolexpedition, die wir damals mit den anderen errichtet hatten; bevor es überrannt wurde von den Wilden hier. Ich darf nicht mehr über die rituellen Schlachtungen und den Ausdruck in den Gesichtern der Totschläger nachdenken. Diese ganze Reise, die ganze Idee war doch zum Scheitern verurteilt. Zu Hause, ja, da lässt sich so ein Abenteuer bequem planen. Im Warmen und mit unbeschränktem Zugang zu heißen Mahlzeiten, einem Bad, einem warmen Bett und Trinkwasser. Aber der Forscherdrang hat unsere Sinne vernebelt und uns blind gemacht für die möglichen Strapazen und Gefahren eines solchen "Abenteuers". Ein uraltes Geheimnis der Menschheit lockte uns, wie eine betörende Sirene. Was ist da am Nordpol, am Scheitel der Welt, wie sie sagen? Ein altes Piratenversteck, angeschwollen durch Reichtümer aus Jahrhunderten der Seeräuberei und des Schmuggels? Andere meinten, es wäre der Ort einer gewaltigen Tempelanlage, einer Ruine, die von vergangener Größe einer ganzen niedergegangenen Zivilisation erzählt. Was auch immer es sein mag, in dem Moment sah ich keine Möglichkleit, wie wir bald oder jemals unser Ziel hätten erreichen können.
    Nass, dreckig und angeschlagen vom Überfall, der nun schon – wie viele – Tage her war, es war schließlich das Land der Mitternachtssonne, klammerten wir uns an die Vision, dass Fortschreiten und Überleben möglich wäre.
    "Wir müssen weiter. Wir müssen weiter. Die Vormenschen sind überall!"
    Wer wir sind?
    Da ist der alte Curt, unser Smutje auf der Überfahrt. Ich glaube, er war vorher eine Art Kleriker oder Sanitäter. Vieles, was der vom Leben in Einsamkeit, vom Alter gebeugte Gutmensch sagte und tat, wies auf eine tiefe Religiosität hin. Doch konnte ich nicht genau bestimmen, welcher Kult es sein könnte, und aus Angst, einen für uns beide schmerzhaften Redeschwall auszulösen, habe ich ihn nie gefragt.
    Dann ist da unser einziger Kämpfer, ein Söldner, um genau zu sein, der überlebt hat: ein Mann, den wir nur als 'das Schwein' kennen. Warum ihn alle so nannten, mussten wir uns nicht erst fragen. Er redete nicht, sondern schrie nur unverständliche, schmerzverzerrte Laute. Seine Hände waren deformierte, hufähnliche Stumpen; er hatte sich einen neun Fuß langen Dreihänder an die rechte Hand gebunden, den er gegen die rechte Schulter gestützt mit sich führte. Außerdem hatte er wohl im Krieg seine Nase und Oberlippe eingebüßt. Sein Gesicht war für Menschen nicht mehr lesbar. Muss ich erwähnen, dass ich zwar froh war, dass dieser gediente Behemoth auf unserer Seite war, aber gleichzeitig wahnsinnige Angst vor dem Schwein hatte?
    Und dann bin da noch ich. Und ich bin nicht wichtig.
    "Hier, Liebes, ich habe ein paar wilde Kräuter und Wurzeln mit eingekocht. Das wird dich stärken; du verschwindest sonst vor unseren Augen.", sprach mir Curt mit seiner sanften, zaghaften Stimme zu und reichte mir eine Schüssel mit heißem Gerstenbrei, auf dem die letzten Reste unseres Specks trieben. Wir hatten ein kleines Lagerfeuer angefacht. Bei dieser Witterung verliert man viel Zeit bei der Suche nach geeignetem Feuerholz. Das Schwein brauchte keinen Zuspruch: der Hüne hielt einfach seinen Kopf in den Pott über dem Lagerfeuer und schlang alles hinunter, was auch nur in die Nähe seiner Gesichtsöffnung kam.
    "Gehen wir doch morgen weiter. Oder am besten wir geben sofort auf und suhlen uns einfach in der Idee, dass wir balod endlich tot sind.", entfuhr es mir, als wir auf einem Baumstumpf zusammensaßen. Obwohl wir keine einzige Stelle auf dem Erdboden finden konnten, die nicht nass war, verloren wir irgendwann erfolgreich das Bewusstsein und schliefen.
    Irgendwie gelang es uns, die nächsten Tage zu überleben und weiter in Richtung Norden zu wanken, den Nordlichtern folgend; erst durch finstere Nadelwälder, über ausgedehnte Tundren und schließlich durch eine Schlucht, so eng, dass wir uns meistens Schulter voran fortbewegen mussten.
    Das Ende war nah und endlich verließen wir den Gebirgsrücken und vor uns öffnete sich eine quälend weiße Eiswüste – weit und schier endlos. Der Horizont verschmolz unsichtbar mit der dichten Wolkendecke über uns.
    "Oh, nein.", stieß Curt erschöpft aus. "Es ist die zeitlose Ödnis! Ich las über diesen Ort in den Almanachen des Altertums. Sie ist keine Legende! Unsere Reise ist von einem Waldspaziergang zu einem Kriechen durch brennende Kohlen geworden." Und das war kein Scherz.
    Was sich da vor uns auftat, gleißend und durchsetzt von obskuren Wirbelphänomenen und Blasen und einen anderweltlichen Schimmer, war ein Ort, sehr nah an jeder Beschreibung einer Vorhölle, die ich jemals gehört. Diese Ebene hatte die arkane Eigenschaft, dass sich jede hier verlebte Stunde anfühlt, als müsste man Jahrhunderte durchleben.
    Wir verloren erst unser Gefühl für Zeit, dann – schlimmer noch – jedes Gefühl für Orientierung, dann jedes Gefühl für unseren Körper, unseren Verstand, unsere Welt. Wir lösten uns in dieser Zeit auf und lebten praktisch in einem unaufhörlichen Nexus aus zusammenhanglosen Phasen von Gesprächen, Gedanken, Gefühlen. Manchmal dachte ich, mir käme eine Idee in den Sinn, wie wir aus diesem Höllenschlund entfliehen könnten. Aber es war letztendlich immer nur ein "Ich sollte mal..." und dann war der Gedanke auch schon wieder weggeweht worden vom schneidenden Orkan des Nordens.
    Zu dieser einschneidenden Erfahrung gehörten auch die Zeitblasen. Es sind Gebilde, die durch die Einöde waberten, die uns Einblicke in unsere Vergangenheit zeigten. Obwohl, wir waren uns gar nicht mehr sicher, ob die Abbildungen nicht doch etwas völlig zufälliges waren, das nur aussah, als wäre es unsere Vergangenheit gewesen.
    Curt wurde gematert mit den Misshandlungen durch einen Priester des 'Das Eine'-Kults, bevor er endgültig in ein Leben hinter Klostermauern verdammt worden war. Besonders perfide war die Tatsache, dass ihm immer wieder der schmerzhafte Abschied von seiner geliebten Schwester gezeigt wurde; der Moment, bevor er sein Gelübde ablegen musste.
    Das Schwein wurde malträtiert mit Schlachtszenen aus den diversen Kriegen, in denen er gedient hatte: der Krieg unten in den Sümpfen des Gan, wo die Speere und Pfeile direkt aus dem Unterholz zu schnellen schienen; oder weite Karawanenmärsche durch die ausgedehnten Wüsten Ehebs und die Kriege gegen die Nomaden. Eine Begebenheit war besonders grausam: die Geburt des Schweins. Allein der Gedanke an diese Szene lässt mich wünschen, dass ich eines Tages dement sein werde, um nie wieder diese Bilder vor meinem geistigen Auge sehen zu müssen.
    Was ich in diesen Zeitblasen sah? Begebenheiten, die ich mir lange schon selber vorenthielt und gekonnt verdrängt hatte. Es waren die Bilder meiner Kindheit als Tochter eines armen Scherenschleifers, Bilder meiner Schuld und Bilder von Menschen, die einst mein Leben waren, aber schließlich wieder zu Fremden geworden sind.
    Du fragst dich jetzt sicher, wie man diesen Unort durchmisst, ihn überlebt. Die zeitlose Ödnis scheint, tatsächlich erschaffen worden zu sein, um die Menschen, die kühn genug sind einzutreten, zu testen, denn wir wurden auf magische Weise am Leben erhalten, ohne essen, trinken oder schlafen zu müssen. Wir betraten die Hölle und gingen einfach immer weiter und durchlebten Jahrtausende – den Verstand verlieren half ungemein - und erreichten die andere Seite.
    "Die Glasbank. Endlich.", stöhnte Curt; ich konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es Sarkasmus war oder er tatsächlich erleichtert war, die zeitlose Wüste verlassen zu haben.
    Die Glasbank ist ein Gebirge, das aus messerscharfen, gebrochenen Glaskristallen besteht. Das Material ist brüchig, glatt und scharfkantig. Ein Sturz hier hätte zur Folge gehabt, dass man von der nächsten spitzen Kante erdolcht worden wäre. Wir mussten uns also fortan sehr langsam und bedacht und in einer kräftezehrenden Hockposition fortbewegen. Unzählige Male rutschten wir ab und verletzten uns, schnitten uns an porösen Ecken, von denen immer etwas Glas absplitterte und stecken blieb. Manchmal verfing sich ein Fuß in einer Spalte und musste vorsichtig gedreht und gelockert werden, damit wir nicht noch mehr Blut verlieren würden. Der unbarmherzige Wind blies uns unentwegt feine Splitter ins Gesicht. Auf dem Weg durch diese Bluttäler fanden wir zur einzig wahren Religion auf dieser Welt: die Kirche des Überlebens. Und wir waren inzwischen eifrige Gläubige geworden.
    Am Horizont war eines Tages etwas anders: eine schwarze Säule ragte bis hinauf zum Pantheon. War es der Weltenbaum? Es war eine Struktur bei näherer Betrachtung. Etwas, das jemand erbaut hatte. Es war ein Turm.
    "Das ist es.", bemerkte Curt erleichtert, aber emotionslos.
    Wir hatten den Nordpol erreicht, daran gab es keinen Zweifel. Der Scheitel der Welt, von dem aus man nur in Richtung Süden blicken kann.
    Dem Turm vorgelagert war ein Tor unbekannter, aber zweifelsohne altertümlicher Bauart.
    In der Halle dahinter stießen wir auf den enormen Kadaver einer Kreatur. Ein Etwas, das wir nur aus den alten Märchen unserer Kindheit kannten: eine Zyklopendohle. Ein stachelbewehrtes, geflügeltes Ungetüm mit einem riesigen Auge, das mitten im ansonsten leeren Gesicht prangte. Das einzige, was wir in diesem Moment denken konnten war: "Essen!" Und so nahmen wir unsere Schwerter zur Hand und bewegten uns auf den Koloss zu.
    Es war wohl ein Stock oder Stein, der plötzlich ein lautes Echo durch die Halle jagte. Das gewaltige Auge war weit geöffnet und funkelte uns gierig an. Das Monstrum, obwohl von Natur aus schwerfällig, stieß sich geschwind mit seinen muskulösen Beinen vom glatt gefliesten Boden ab & ragte vor uns weit in die Höhe. Wir wussten, dass dies unser Todesurteil war. Obwohl: nur Curt und ich waren uns dessen gewahr, aber anscheind – glücklicherweise – kam dem Schwein kein solcher Gedanke in den Sinn. Er stieß einen markerschütternden Kriegsschrei aus und stürmte auf das Ungeheuer zu. Er legte sein enormes Gewicht in sein Schwert, das fast so lang war, wie Curt und ich übereinandergestellt, und das Schwein führte einen so gewichtigen Hieb aus, dass mir eine Welle aus aufgewirbeltem Staub entgegenflog. Der Angriff löste eine Panzerplatte von der Haut der Dohle und ihr tiefschwarzes, pulsierendes Muskelfleisch, knapp oberhalb des Herzmuskels, war sichtbar. Nie bekam ich je wieder geschwinder meinen asymmetrischen Langbogen zur Hand. Der erste Pfeil flog weit über den Kopf des Ungeziefers hinweg. Das Monster schrie und langte nach dem Schwein. Der zweite Pfeil traf das dicke Augenlid, als das Untier gerade blinzelte. Die Dohle hatte nun auch Curts Bein fest im Griff. Sie warf beide Männer wie Spielzeugsoldaten durch die Luft. Der dritte Pfeil durchschoss die Außenhaut der Hauptschlagader des geflügelten Dämons und mit einer Verzögerung konnte ich beobachten, wie die Erscheinung langsam, mit einem dünnen Strahl aus Lebenssaft ausblutete. Der Zyklop verlor die Kontrolle über seine Gliedmaßen und ließ meine Freunde fallen. Das Monster sackte allmählich in sich zusammen und hauchte lautstark seinen letzten Atem aus.
    Das Schwein und Curt waren gerettet, doch letzterer hatte einen üblen Bruch am rechten Oberarm.
    Auf das, was uns aber im Inneren des Turms erwartete, waren wir nicht vorbereitet. Keine Schätze. Keine alten Ruinen. Keine Erkenntnisse über die Vergangenheit des Menschen. Sehr wohl aber, verriet uns dieser Ort etwas über die mächtigsten ungöttlichen Wesen in der ganzen Welt von Eheb: der Turm war der Hort der farblosen Phantome, jene mythischen Wesen, die seit jeher in allen Erzählungen aller Epochen, Kulturen, Zivilisationen und Religionen auftauchen. Mal wurden sie als die Engel am Nachthimmel, mal als die Teufel der Erdhöhlen beschrieben; die, die immer da waren, und der Ursprung für Geschichten über Gestaltwandler, Trickster, Menschenfresser, Sumpfmonster und Wüstenstürme sind. Wie du haben wir immer gedacht, sie kämen aus einer anderen Welt; sind sie doch augenscheinlich gleichzeitig Kreatur und Automaton. Dieser Turm ist aber offensichtlich nicht die Heimat der farblosen Phantome, sondern ihre Brücke von unserer Welt Eheb zu ihrer Welt im Himmel. Sie nahmen kaum Notiz von uns und waren tief versunken in unaussprechlichen Ritualen und Gesängen, die unsere Wahrnehmung der Realität verzerrten. Das einzige, was wir an diesem Ort verstanden, war, dass wir hier höhere Kräfte gestört haben. Einer von ihnen kam auf uns zu und stieß uns in den Abgrund inmitten des Turms. Wir fielen und fielen und fielen durch Korridore absoluter Dunkelheit.
    Unweit des Lochs im Ozean, auf der anderen Seite der Welt, wurden wir an die Küste einer einsamen Insel gespült, wo uns irgendwann hilfsbereite Schmuggler, sowie wohlgesonnene Passatwinde in euer verschlafenes Küstenstädtchen brachten.
    Ich kenne diesen Ausdruck auf deinem Gesicht: es ist der Ausdruck des Unglaubens. Du denkst, eine solche Geschichte könne nur das Produkt von Trunkenheit, fortgeschrittener Syphilis und dem Bewusstsein, ein komplett verschwendetes Leben geführt zu haben, sein. Dann sieh dir das an! Das ist der Saum eines Phantomgewands. Sieh tief in die Fasern hinein, verliere dich in dem anderweltlichen Gewebe und lass mich meine Arbeit machen und deine Spelunke ausrauben.

  20. #180
    Die dreifache Verpflichtung -
    von Norpoleon

    Oh, Gesellschaft.
    Seid gegrüßt, Reisender.
    Ihr seid Adept der magischen Wissenschaften, nicht wahr?
    Mir ganz sicher gleich. Nehmt euch was zu Essen aus dem Feuer. Es ist garantiert kein Mensch. Haha!
    Es sei denn, ihr mögt Mensch. Kleiner Scherz. Das ist eine Wasserratte, die ich gerade erlegt habe. Mensch als Proviant ist mir zu teuer. Und selber einen zu töten, nur um ihn zu essen, bringe ich nicht übers Herz. Ich weiß, das klingt altbacken in einer Gesellschaft, in der es normal ist, dass manche Menschen geboren werden, um auf den Tellern der Wohlhabenen zu landen; oder - in Zeiten von Überbevölkerung - auch dem gemeinen Volk als Nahrungsquelle zu dienen.
    Nicht ohne Grund steht Mensch selten auf meinem Speiseplan: ich bin Harapsheki und ich bin geboren als menschliches Vieh. In der "Mastkaste", wie man sagt.
    Seht ihr diese Brandnarbe auf meiner Schulter? Der Engel ohne Arme und nur einem Flügel? Sie bedeutet, dass ich bei Hofe gegessen werden soll. Ich wurde sogar dazu ausgebildet, zu singen und als Gauklerin zu dienen, bevor ich gekocht werde. Wenn man auf einem Gehöft aufwächst, das Menschenfleisch produziert, erscheint einem der Tag, an dem man endlich seine Bestimmung erfüllen kann, wie der Moment absoluten Glücks. Ja, Bestimmung.
    Wurde nie schlecht behandelt auf unserer Farm. Kann nichts Negatives sagen. Das liegt aber wahrscheinlich auch daran, dass ich die einzige war, die diese Narbe trug. Alle Anderen waren entweder mit einem Anker gebrandmarkt worden - sie dienen also der Verpflegung von Seeleuten - oder trugen ein Mal in Form einer Münze auf der Schulter - diese wurden auf den Märkten der größeren Städte verkauft. Diese Körper wurden zwangsgemästet, durften sich nur eine Stunde am Tag auf der Wiese bewegen und wurden ansonsten in enge Pferche gesperrt, um sich nicht aus Versehen gegenseitig zu verletzen. Diese Menschen waren träge und unförmig und waren nicht mehr als Tiere. Nur wenigen brachte man überhaupt das Sprechen bei. Manche konnten ein paar basale Floskeln in Umgangs-Gan radebrechen. Dagegen konnte ich über meine Aufzucht nicht klagen: ich wurde nur mit erlesenen Nüssen, Salaten, Wurzeln und Gewürzen gefüttert, bekam eine erweiterte Bildung angediehen und Sprachunterricht in Ihib, Trans-Gan und Dafenko, um bei Hofe auch angemessen parlieren zu können. Man las mir die großen Mythen, Epen und Gesänge vor und ich las den ein oder anderen Naturphilosophen, Ethiker und Theologen. "Das Eine fließt durch dich.", pflegte eine senile Besitzerin zu sagen. Der Das-Eine-Kult war damals in Mode. Besonders interessierten mich Bücher über Architektur und Materialkunde. Man kann sagen, dass ich in diesen beiden Bereichen sogar zu einer der größten Koryphäen unserer Zeit aufstieg. Des Tags, wenn nur noch Zeit für Müßiggang anstand, zeichnete ich Konzepte von Palästen, Theatern, Brücken und Straßen und sammelte seltene Materialien zur näheren Untersuchung. Man brachte mir den Umgang mit Hakenbüchse und Langsax bei, damit ich helfen konnte, die anderen menschlichen Rindviecher, die alle nicht älter als zwanzig Sommer werden durften, zu erschießen und fachgerecht auszuweiden. Mir dagegen war ein geringfügig längeres Leben vorherbestimmt und eine bessere Behandlung. Das hochwertige Essen und die frische Luft auf den satten Weiden hielten mich gesund und schlank und durch die Arbeit für die Fleischergilde war ich auch sehr muskulös.
    Unsere Züchter waren einfach gestrickte Leute. Sie waren wortkarge, hagere Tabakraucher, die niemals gegen die Zunft, die auch meine Verpflegung und Ausbildung bereitstellte, aufbegehren würden. Die Gilde besaß außer ihrem Land, auch unsere Züchter. Sie gehörten zu den freien Völkern auf den Gehöften in den Auen der nördlichen Föderation, aber wie unser Hofmeister zu sagen pflegte:
    "Freies Volk. Pah! Jeder weiß, dass die Gildenmacher und Hexenmeister hier uneingeschränkt herrschen. Wie sonstwo auch. Einerlei."

    Alles war gut und idyllisch in unserer kleinen Welt. Ich hatte mich mit meinem gar nicht mal so üblen Schicksal bereits als Kind abgefunden und wartete nur noch auf meinen großen Auftritt am Hofe eines Fürsten oder Tempeldieners. Doch die Anmutung eines Zitterns in meiner Stimme sollte euch bereits verraten haben, dass alles nicht so verlaufen ist, wie ich es mir wünschte.
    Wartet.
    Ich brauche nur einen Schluck und lasst mich eine Pfeife stopfen.
    Gut.
    Eines Nachts tauchte dieser Schatten am Grenzzaun unseres Gehöfts auf. Ein zehn Fuß hoher mumifizierter Schrecken mit blitzenden, sternweißen Augen. Es war ein Guhom. Ein untoter von jenseits der großen Wüsten. Ich hatte von ihnen in einem Almanach gelesen. Er griff unsere Farm mit trampelnden Hufen und schlitzenden Klauen an. Weder die Wachhunde unserer Besitzer, noch letztere mit ihren zahlreichen Feuerwaffen und Hellebarden konnten dem Monster etwas entgegensetzen. Die Hunde regneten als feiner Fleischschnee zu Boden, während der Guhom unsere Züchter mit Terrorsprache in die Knie zwang und ihr Inneres nach außen stülpte. Die Mastmenschen schrien oder riefen wie von Sinnen um ihr Leben; doch zu unser aller Erstaunen krümmte uns die Mumie kein Haar. Er öffnete die Pferche, zerriss ihre Ketten und ließ sie frei. Als sein Werk getan war, wandte er sich mir zu mit diesem ehrfurchtgebietenden Blick einer Entität aus einer mir völlig fremden Welt.
    "Harapsheki.
    Endlich habe ich euch gefunden.
    Mein Name ist Dreitausendsieben und ich bin gekommen, um Euch zu holen.", dröhnte es vom grotesk langegestreckten Kopf des Wesens.
    Mir gingen tausend Fragen durch den Kopf. "Ihr kennt meinen Namen? Selbst ich hatte ihn fast vergessen..."
    "Natürlich kenne ich Euren Namen. Nun folgt mir und lernt etwas über Eure wahre...
    Bestimmung.", brummte er beruhigend.
    Ich folgte dem sanftmütigen Wiedergänger.
    Er führte mich gen Osten in einen dunklen Hain zu einem Versteck. Er kleidete mich, wie einen Landsknecht. Rüstete mich mit einem hoch modernen Steinschlossgewehr, einem Forket, Stoßsäbel und Kurzschwert und ein Bandelier mit Pulverflaschen und Munitionsbeuteln, sowie mit einem Brustharnisch und einem Morion aus Sularmyt-Erz aus. Nach dieser Prozedur fühlte ich mich mindestens 70 Pfund schwerer. Dreitausendsieben rief sein Reittier zu sich: offensichtlich ein ehemaliger Mensch, der auf allen Vieren lief, übel verstümmelt wurde und keinen Unterkiefer mehr besaß. Der Mann stand offensichtlich unter irgendeinem gottlosen Bann.
    Während wir über die breite Hochstraße zu unserem nächsten Ziel gen Osten ritten, beantwortete mir der Guhom einige meiner vielen Fragen. Zum Beispiel warum er nicht nur in Terrorsprache kommunizierte, wie ich es bei den Guhom vermutet hatte.
    "Nun, in hundertausend Jahren des Untodes ereignete es sich manchmal, dass einige von uns wieder ein Bewusstsein entwickelten. Wir nutzten diese glücklichen Fügungen des Schicksals, um echte Sprachen zu lernen, neue Maschinen zu entwickeln und unsere uralte Zivilisation wieder Stein um Stein aufzurichten. Wir werden bald wieder eine Macht in der Welt sein. Und Leute wie Ihr werden uns dabei helfen."
    Ich wagte nicht, ihm zu widersprechen, da mich der Anblick dieses Wesens, das ich bisweilen für eine mythologische Figur gehalten hatte, zunächst völlig verstörte.

    An einem sonnigen Göttermorgen erreichten wir den Hafen von Kalmo. Wir hatten das Land Belado hinter uns gelassen, einem Vasallenstaat an den Grenzen der Födaration. Ein Syndikat aus mächtigen Patriziern unter der Schirmherrschaft der Sekte der vereinten Zünfte, die hier seit zwei Jahrhunderten eine Gewaltherrschaft begründeten. Ich, menschliches Fleisch, das noch nie etwas Anderes als unseren Bauernhof im feudalen Tunbuk gesehen hatte, war völlig überwältigt vom größten Hafen des Kontinents und der angrenzenden Werft, sowie der Stadt der Kontoren. Hier trafen sämtliche Waren für den anschließenden Verkauf in der gesamten Föderation ein. Aber ein großer Teil wurde auch direkt auf dem Markt des Hafens pfeilgeboten. Bündel aus allen Winkeln Ehebs wurden hier zusammengetragen und türmten sich auf sich biegenden Ladentheken: alle Arten von Fischen, die der Menschheit bekannt sind, alle Fleischsorten, ja, auch Mensch, außerdem Wildschwein, Zebrafleisch, Wisenthälften, dicke Blutwürste, Prachttauben, Prachttaubeneier; und alle Gewürze, Früchte und Gemüsesorten des Kontinents, wie in Essig und Salz eingelegte Trüffelwurzeln, Regenbogenschmetterlingspilze, Wintermorgensalat, Karotten aus den Sümpfen des Leen, Duftreis aus Galtanoranga, Senffeigen aus Osketun, Tee aus den Klostern von Tsudae und Pfeffer von den südlichen Inseln; aus den neu entdeckten Landmassen des Südens gesellten sich würziger Tabak, Bittermandeln, Pyramiden aus reinstem braunen Zucker, Honigwabennüsse, Kaffeebohnen und essbare Riesenfauchasseln; Pilzschnaps, Ingwerschaumtörtchen, Rosenwasser und Moltebeerkäse.
    Dreitausendsieben holte uns ein Paket mit Proviant für unsere weitere Reise, dann hielt er eine Goldmünze mit dem Konterfeit des Großgildenmeisters von Kapol zwischen seinen langen, spitzen Fingern: "Da, wo wir hingehen, wird das hier bald schon keine Macht mehr haben." Im selben Augenblick sahen wir eine Droschke an uns vorbeifahren, die eine fremdartige Apparatur geladen hatte; eine Art Weinpresse nebst mehreren Platten mit unzähligen Buchstaben darauf. Dreitausendsieben bemerkte: "Das wird eure Revolution werden. Doch im Reich, wo wir hin aufbrechen und Ihib gesprochen wird, kann man diese nicht nutzen, weil sich ihre Schrift nicht zum Drucken eignet." Er schnaufte tief und lang anhaltend: "Aber eine Revolution wird es in der Wüste nichtzuletzt auch geben."
    "Wo wollt Ihr mich überhaupt hinführen?"
    "In den Norden. Dem echten, fernen Norden.", triumphierte seine Stimme. Mit seinem unproportional langen linken Arm wies er zum kleinen Luftschiffhafen am Horizont, wo drei mal am Tag ein Schiff anlegt.
    Angeschlossen an dem Lufthafen befand sich ein Söldnerlager, um Händler, Diplomaten oder einfach Abenteurer zu schützen, die von hier aus in die tiefen Wüsten des Nordens aufbrachen.
    Dreitausendsieben störte eine Gruppe gut gerüsteter Kämpfer beim ausgelassenen Umtrunk mit einer winkenden Hand, an der ein voller Beutel mit Silbermünzen baumelte.
    Die vier Recken beendeten sogleich ihr Palaver und stellten sich der Reihe nach vor:
    "Heda, mein Name ist Blutknecht Schreimusikant."
    "Tränenkoster Eingeweidezerreißer. Angenehm."
    "Schmerzerzwinger Universaleindringer. Freut mich Eure Bekanntschaft zu machen."
    "Äh, ja, Quaggel. Einfach nur Quaggel...
    ...
    ...der Schreckliche."
    Als ich diese muskelbepackten Kämpfer in ihren dicken, teilweise mit Stacheln bewehrten Harnischen begutachtete, musste ich gestehen, dass ich weiche Knie bekam. Ich ertappte mich sogar bei dem Gedanken, danach zu fragen, ob es eine Frau Eingeweidezerreißer gibt.

    Zu sechst und schwer bewaffnet bestiegen wir ein vergleichsweise kleines Luftschiff; zu klein, um mit Feuertöpfen bewaffnet zu werden und gerade groß genug für eine kleine Bliede vorne in der Nähe des Bugs.
    Da dies meine erste Flugreise war wurde mir exakt in dem Moment schon schlecht, da das Schiff aufhörte auf dem Erdboden aufzuliegen. Der Grund entfernte sich von uns in größerer Geschwindigkeit, als ich es jemals für möglich gehalten hätte. Ich konnte bald das gesamte üppig grüne Umland von Kalmo mit seinen Flüssen und Marschen und den ständig ankommenden und abfahrenden Handelsschiffen unterschiedlicher Bauart, Nationalität und Größe überblicken. Am Horizont ragte schon der Nordwall auf, ein mächtiger Gebirgsrücken, der nicht nur die Feuchtgebiete des südlichen Kontinents von den Wüsten des Nordens trennte, sondern auch die föderale Welt der Gildenmacher vom Empire. Das atmosphäre-blaue Massiv in der Ferne stieß durch eine dichte schwere Wolkendecke, die um uns herum schneeflöckchenweiß erschien, aber umso dunkler wurde, je näher sie sich am Nordwall befand; wie ein Wegweiser zeigte der Gipfel, wo uns unserer Reise zunächst hinführen wird: nach oben.
    Verächtlich blickte der Gipfel des Sargoss auf uns herab, als wir durch die Wolkendecke gestoßen waren. An den Hängen dieses Berges müssen so viele Skelette verstreut liegen, war er doch von jeher Schauplatz großer Schlachten. Und der General, der seine Feste nahe dem Gipfel des Sargoss errichten würde, würde der Herrscher des gesamten Kontinents sein. Doch all das ist schon so lange her. Nur noch Gerippe einst kolossaler Wehranlagen wurden in Zeitdimensionen von Jahrhunderten immer mehr vom Schnee bedeckt. Über dem Berg, auf dem in mythologischer Zeit einst Zyklopen und Basilisken gegeneinander kämpften, braute sich ein Unwetter zusammen und Blitze schlugen in die Koppe ein. Sturm und Donner erfassten unser Gefährt und warfen es hin und her. Ich hatte keine Ahnung, was 'seekrank' bedeutet und nun lernte ich dieses Gefühl zum ersten Mal 4.000 Meilen über dem Erdboden kennen.

    Doch hielt unser kleines Luftschiff, die 'Wagemut', stand; auch dank der erstaunlichen Navigationskünste Dreitausendsiebens. Die Gewitterfront brach auf und gab die Sicht auf die Ausläufer des Gebirges und das südliche Tor frei. Das Monument aus Sandstein und Bronze mit den zwei Wachtürmen an jeder Seite zierte die einzige Hochstraße, die das Gan-Delta und die Länder im Süden mit den offenen, trockenen Weiten des Empires verband. Wir waren heilfroh, dieses Manifest imperialer Herrschaft nicht zu Fuß durchschreiten zu müssen, hätten uns doch bei der damaligen angespannten politischen Lage die riesenhaften Parhakali-Schildwächter auf Patrouille sofort liquidiert.
    Vor uns öffnete sich das Kernland des Kontinents: die offene Wüste. Man kann fast dabei zusehen, wie die Gezeiten der Dünen und der Wüstenwind langsam aber unausweichlich das Antlitz dieses mystischen Ortes verändern. Uns umschloss eine Glocke aus rotbraunem Staub, der unsere Sichtweite auf ungefähr 20 Meilen reduzierte. Wir überflogen Ruinen von den großen Zivilisationen der Vergangenheit, deren Name lange vom Wind der Geschichte verweht worden ist, Gruppen von Beduinen, den Fürsten der offenen Wüste, die die Erdhütten von eremitisch lebenden Parhakali ausraubten um zu überleben, kleine und große Karawanen, die sich gemächlich, aber entschlossen Richtung Norden oder Süden bewegten und Skelette unbekannter riesenhafter Monstren, die hier wohl mal gelebt haben mussten. Wir erspähten nicht eine Pflanze, ein Gewässer oder eine Besiedlung größer als ein Einhaus.
    Diese Idylle unter der staubverhangenen Abendsonne wurde plötzlich zerstört, da sich ein ohrenbetäubendes Grollen von hinten näherte. "Wieder ein Unwetter? In der Wüste?"
    Nein. Es war ein Perlmuttglatisant, bestimmt über 30 Klafter lang, das sich donnernd aus einem ausgetrockneten Flussbett erhob. Es flog über uns hingweg, verdunkelte den ockerbraunen Himmel und ließ Sand und Geröll auf uns regnen. Sein Flügelschlag riss uns mit sich und wir verloren zeitweise die Kontrolle über unser Schiff. Das zweifelsohne anmutige Tier beschrieb langsam eine Kurvenbewegung vor unseren Augen. Wir nutzten diese Gelegenheit, um die Bliede mit schweren Bleikugeln zu füllen und dem Tier eine volle Breitseite zu geben. Doch die Kugeln prallten einfach von der steinharten Haut ab, ohne dass das Wesen auch nur ansatzweise seinen Kurs korrigieren musste. Das Glatisant bäumte sich vor uns auf, kam kurz mitten in der Luft zum Stehen und blendete uns mit seiner spiegelglatten Oberfläche, sodass wir in einem Meer aus Licht verloren zu sein schienen. Sein markerschütternder Schrei hallte vom endlosen Erg unter uns wider. Es schien um uns geschehen zu sein, wäre nicht einen Moment später die Sonne endgültig hinterm Horizont verschwunden. Ein fast bemitleidenswertes Pfeifen stieß das Glatisant noch aus, bevor es mit einer ruckartigen, mit einem Flügelschlag durchgezogenen Bewegung in einer Schlucht verschwand.
    Die Reise ging noch Tage so weiter.

    "Schmerzerwinger, wie weit ist es noch?", wollte ich erschöpft wissen.
    "Bitte, nenn mich einfach nur Schmerz. Etwa zehn Meilen liegen noch vor uns."
    Endlich gab eine ausgedehnte Hügellandschaft die Sicht frei auf den Orla-See; und vor diesem zeichnete sich das dornige, gebirgsartige Konterfeit der Stadt der Städte ab: Orla,
    Sitz der Imperatorin, Hauptstadt des uralten Empires, Zentrum von Zivilisation, Kriegskunst, Philosophie, Magie und Handel. Bisweilen kannte ich nur Holzschnitte von Künstlern, die ich in meinen Büchern bewundert hatte, die allesamt diesem Anblick auch nicht im Entferntesten gerecht wurden. Orla wirkte als wären mehrere Dutzend Großstädte, die alle ihr eigenes Zentrum zu haben schienen, zu einer verschmolzen. Zwischen den einzelnen Dorfplätzen konnte ich konzentrische Kreise von Aristokratenbehausungen, den Herrenhäusern von Kaufleuten, Handwerkerwohnungen und die Katen des Plebs erkennen. Zur Mitte des Ganzen hin schienen sich die abertausenden Hütten, Wohnkasernen und Verwaltungsgebäude zu einem Berg aufzutürmen, der in die verschiedenen Architekturepochen der gesamten Menschheitsgeschichte gegliedert war. Die Metropole mit ihren verstreuten Hochöfen, Manufakturen, Sägewerken und Baustellen produzierte ihr eigenes Klima und dichter, das Licht verzerrender Nebel stieg aus den weniger schön anzusehenen Distrikten auf. Die Tempel von drei Göttinnen reckten sich, jeder in seinem eigenen pompösen Baustil gestaltet, in weit voneinander entfernten Stadtteilen dem Himmel entgegen. Das alles stieß beim absoluten Mittelpunkt Orlas, dem Kristallpalast, endgültig an die Wolkendecke. Der Palast, so hatte ich gelesen und so konnte ich es jetzt auch mit meinen eigenen Augen bestaunen, bestand aus unzähligen Edelsteinen und Kristallen, manche so groß wie Monolithen, die aus ehemals unterworfenen Vasallenstaaten geraubt und hier verbaut worden waren. Der monumentale, doch filigrane Turm reflektierte alle Farben des Regenbogens. Wir legten zur Landung an.

    Die Musik der Stadt: Pfeilschen, Predigen, Leibeigene, die mehr Essen einforderten, Spielmänner, Philosophen, Marktschreier, Schausteller, verkrüppelte Bettler, die sich überboten, die Aufmerksamkeit der vorbeiziehenden Flaneure zu erheischen. Helle Aufregung herrschte in der Stadt der Millennia, bevor mein erster Fuß auf die heilige Erde traf. Das alles verstummte, mit einer kurzen Verögerung, aber dafür absolut. Besitzlose, Sklaven, Handwerker, Kaufleute und Patrizier, Menschen und Parhakali gleichermaßen wandten sich alle zu mir. Und legten allesamt ihre Hände auf die dazugehörige Schulter, als sie meine Narbe erspähten.
    "Was bedeutet das, Dreitausendsieben?"
    "Was wohl? Du bist die Auserwählte.", entwich es ihm beiläufig, während wir durch den Pfad schritten, der sich in der Menge gebildet hatte.
    Tatsächlich führte unser Weg direkt Richtung Palast der Imperatorin, über dem die Flagge des armlosen Engels mit einem Flügel und dem Säbel, jene Flagge mit dem tiefen, die Augen verletzenden imperialen Blau, im schwachen Wind des Mittags wogte.
    Darunter stand in großen Lettern, in uraltem Ihib die Staatsdoktrin:
    "Herz und Schwert sind zur Frau geworden."
    Es war alles sehr ehrfurchteinflößend.

    Die perspektivisch verwirrenden Hallen im Inneren wurden nur erhellt durch schmale Fenster hoch oben an der Decke und den Reflektionen in den Kristallen, aus denen die Wände bestanden. Das Innere hatte seine eigene 'Musik', die durch den Widerhall unserer Schritte und meiner aufgeregten, flachen Atmung an unterschiedlichen nicht-rechtwinkligen Wänden erzeugt wurde.
    Aus einem Seitengang kam ein Mann auf uns zu. Seine Haare und sein linkes Auge waren schneeweiß und sein rechter Arm war nur ein Stumpf, den er mit seinem Umhang stützte, der wie eine Schlaufe vor seiner Brust hing.
    Er fixierte meine Augen, sank auf ein Knie und hielt meine Hand:
    "Harapsheki, endlich.
    Ich bin Gaiserik, der Regent der Imperatorin. Wir haben viel zu besprechen."
    Instinktiv fragte ich mich, wieviele Auserwählte hier wohl am Tag ankommen mögen.

    Er führte mich und meinen Begleiter in eine Kammer mit einem großen Tisch in der Mitte. Ein gößeres Fenster spendete etwas Licht. Auf dem Tisch, inmitten des zarten Lichtkegels, befand sich ein Klumpen Sularmyt-Erz. Hinter dem Tisch stand ein muskelbepackter, maskierter Thaumaturg, dessen Hände bagannen, das Erz zu beschwören. In die zaghaften Gesten des Magiers stimmte bald sein gesamter nackter Oberkörper ein bis er jeden einzelnen Muskel anspannen musste und verkrampfte. Die Adern auf seinen Händen und Armen pulsierten und Schultern und Brust begannen zu zittern, als seine Hände um das Metall kreisten. Zwei weitere Zauberer eilten aus anderen Zimmern herbei, um ihn bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Die Beschwörungsgesten wurden anscheinend immer anstrengender und die kreisenden Bewegungen ihrer Hände immer ausladender.
    Dann passierte es: der Klumpen Erz auf dem Tisch schwoll langsam an bis er die dreifache Größe erreicht hatte. Die Thamaturge sanken erschöpf zusammen.
    "Die Masse dieses Klumpens wurde verdreifacht.
    Das können wir jetzt mit allen Stoffen machen.", verkündete Gaiserik triumphierend. "Folgt mir." Dreitausendsieben nickte wissend. Ich zitterte am ganzen Körper, ob des unheimlichen Schauspiels, dem ich gerade beiwohnen durfte.

    Nachdem wir einen endlosen Korridor, der sich endlos nach oben zu winden schien, gefolgt waren, erreichten wir den riesigen Thronsaal. Zwei zwanzig Fuß hohe, eherne Türen gaben die Sicht frei auf Imperatorin Erigun aus dem Geschlecht des Violetten Blutes. Die Weltenherrscherin lagerte wie eine Spinne umgeben von einem Netz; ihr gewaltiges Kleid, ein Mantel, ein Schleier, unendlich lang, verdeckte die hohen Fenster und hing selbst von der Decke.
    "Wendet Euren Blick ab, Harapsheki. Zum Boden. Seht ihr der Gebietrin ins Gesicht, muss ich Euch auf der Stelle töten."
    Ich tat, wie mir Gaizerik befahl. Nur ihre Hände mit den unnatürlich langen schwarzen Fingernägeln konnte ich noch sehen, die auf den Armlehnen eines Thrones ruhten, der sich wohl unter ihrem raumfüllenden Kleid befunden haben musste.
    Die zerbrechliche Stimme einer jungen Frau flüsterte vom Thron herab und erfüllte durch den verstärkenden Widerhall des Saals den ganzen Raum:
    "Es wird Krieg geben.
    Ich sehe es überall.
    Das Eine dringt in meine Träume ein und erzählt mir von meinem Sieg.
    Die Sternbilder am Nachthimmel zeigen die Sagen des Triumphs des Empires.
    Die Gabe des Vervielfältigungszaubers ist ein Beweis dafür, dass auch die Göttinnen auf meiner Seite sind.
    Ihr, Harapsheki, seid als Inkarnation meines Willens geboren; ein Schnittpunkt der Kräfte der Welt. Ihr sollt mir einen neuen Hexenturm bauen im Land Eurer Peiniger, meiner Feinde.
    Der größte Hexenturm, der je in Auftrag gegeben worden ist.
    Unterwerft die Gilden und Sekten des Südens in meinem Namen und bringt sie zurück in den Schoß des Imperiums."
    Dreitausendsieben drehte sich in meine Richtung und nickte einmal mit dem Kopf.
    Erigun machte eine absinkende Geste mit der Hand und Dreitausendsieben zerfiel vor meinen Augen zu Staub und wurde langsam von einem zarten Luftzug verweht.

    Gaizerik und ich verließen den Saal. Er folgte ihm den ganzen Weg hinunter in den Kerker des Gebäudes.
    "Erigun.", gab er zu verstehen und wedelte mit dem Bauplan für den Turm und einer Rolle für den Vervielfältigungszauber in der Luft. "Sie ist nur eine Marionette. Ich bin seit langem der Verwalter des Empires. Ihr werdet den Turm bauen, aber in meinem Namen. Mit diesem Turm haben wir genug Macht in unserer Hand, um unser eigenes Land zu führen. Dieser Hexenturm ist eine Struktur, um strategische Ziele zu erzwingen. Er ist ein Verstärker für die Fähigkeiten unserer Thaumaturgs. Mit ihm kann man die Toten wiedererwecken, einen Drachen herbeirufen, die ewige Nacht ausrufen, wie es einst im Nachtwald im Süden geschah, oder Phantome anlocken, um in einem Gebiet Chaos und Schrecken zu verbreiten."
    Ich willigte ein und wir machten uns zusammen mit den Zauberern auf den Rückweg in die Gefilde der Föderation, indem wir ein weiteres Luftschiff mieteten. Da ich diesmal in Begleitung war, sah ich davon ab Söldner zu engagieren.

    Die Heimreise verlief ohne nennenswerte Zwischenfälle.
    Irgendwo nahe der Grenze zwischen Ganra und Belado, in den äußersten nordöstlichen Vasallenstaaten der Föderation, tötete Gaizerik den Fährmann unseres Luftschiffs und leitete einen kontrollierten Absturz in die Baumwipfel der Wälder ein.
    "Hier wird unser unabhängiges Reich entstehen."
    Ein Schauer erfasste mein Herz, doch redete ich mir mein neues Schicksal schön und begann mir vorzustellen, wie mein weiterer Lebensweg aussehen könnte. Schon immer war meine Neugier stärker, als mein Vermögen Angst vor dem Tod zu haben.
    "Mit den Magiern an unserer Seite, durch die wir nun eine unversiegbare Quelle für Ressourcen haben und den Bauplänen in unserer Hand, können wir die Föderation unterwerfen und mit den vereinten Söldnerheeren schließlich das Empire zu Fall bringen.
    Die Imperatorin ist eine Betrügerin. Sie hat meine Familie, die Linie Barundos, um den Thron gebracht.", weihte mich Gaizerik ein.
    Wir begannen sogleich, die Haine mit Sprengstoff zu ebnen, um Platz für ein Lager und den Turm zu haben. Doch etwas stimmte nicht: die Thaumaturge waren irgendwann verschwunden. Eine böse Vorahnung überkam mich, also zog ich mein Breitschwert.
    "He, Gaizerik, pass auf!"
    Zwischen uns detonierte plötzlich eine der Petarden und aufgewirbeltes Erdreich verschleierte unsere Sicht. Einer der Magier betrat die Staubglocke, die sich um mich herum gebildet hatte. Ich stach sogleich zu, als wolle ich ihn filetieren. Er nutzte schwache Levitation, um die Klinge komplett zu verbiegen. Ich benötigte also etwas Schnelleres, etwas auf das er nicht so schnell mit einem Zauber würde reagieren können. Ich ließ mich nach hinten in ein Gebüsch hinter der Wand aus Staub fallen, während ich die Maske von seinem Gesicht riss. Schnell bekam ich meine Donnerbüchse in die Hand, füllte Lauf und Pfanne mit Zündkraut, nahm eine große Hand voll mittelgroßer Steine und füllte sie in den Trichter, drückte die Ladung mit dem Ladestock fest, schloss die Batterie und zog den Hahn zurück. Ich nutzte die Konfusion des demaskierten, durch makabere wulstige Narben im Gesicht entstellten Zauberers, um zu Zielen. Es knallte und der Kopf meines Gegners explodierte; sein Gehirn folgte dem Schädel, der zu Boden sank, wie der Schweif einem Kometen.
    Der Staub legte sich langsam.
    Erstaunt stellte ich fest, dass trotz seines fehlenden Armes Gaizerik bereits die anderen beiden Thaumaturgs niedergestreckt hatte.
    Er stöhnte atemlos: "Harapsheki, es sieht so aus, als bräuchten wir für unsere Pläne neue Baumeister."

    So schlug ich mein Lager auf, hier wo sich die Hochstraßen zu den Universitätsstätten kreuzen, um Adepten anzuwerben, die es Leid sind, in den Kriegen der großen Reiche verheizt zu werden. Wir sollten gemeinsam ein neues Reich aufbauen und eine neue Welt ohne diese uralten verblendeten Fanatiker erschaffen.
    Seid Ihr bereit, fähig und besitzt Ihr genug Fantasie, um diese neue Welt entstehen zu lassen?
    Was meint Ihr?

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