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Mythos
Der Riesenwurm
[FONT=Times New Roman]Der Riesenwurm (2007)[/FONT]
[FONT=Times New Roman]Der heute 90-jährige Horac Kamorac, Meister des Perfiden, schrieb aus Langeweile diese Kurzgeschichte schnell mit einem unangespitzten Bleistift an die Wand.[/FONT]
[FONT=Times New Roman]Es war bereits halb eins und ich wartete auf die letzte U-Bahn. Ich hatte mich auf eine Bank gesetzt und fragte mich tatsächlich, wie viele Leute schon hier drauf gesessen, geschlafen, gekotzt, gespuckt, gepisst oder gefixt hatten…[/FONT]
[FONT=Times New Roman]Ich kam zu dem Schluss, dass man sich bei einer so großen Stadt nie sicher sein konnte. Ich meine, woher willst du wissen, wo du grad sitzt? Woher willst du wissen, ob oder in was für einer Scheiße du grad stehst?[/FONT]
[FONT=Times New Roman]Naja, ist ja auch egal. Da ich noch eine ganze viertel Stunde auf die Bahn warten musste, drehte ich mir eine. Rauchen ist zwar an den U-Bahn Stationen verboten, aber nach zehn interessiert das eigentlich keine Sau. Etwas anderes ist es, wenn du es 12 Stunden vorher machst, dann fordert dich nämlich eine Stimme, von der du nicht weißt woher sie kommt, dazu auf, die Zigarette bitte auszumachen. So eine Scheiße. Aber das war jetzt sowieso nicht wichtig, es war glücklicherweise spät genug, gegen die Regeln zu spielen und hier zu rauchen. Leider hatte ich keinen richtigen Tabak mehr, nur noch die letzten, krümeligen Elementarteilchen am Boden meines Beutels. Dementsprechend verselbstständigte sich die Kippe, noch bevor ich das aufflammende Streichholz ranhalten konnte. Das heißt, der ganze Tabak rieselte aus meiner Zigarette heraus und verteilte sich wie zum Hohn auf dem fahlen, steinernen Boden. So eine Scheiße, dachte ich mir wieder, sprang auf und trampelte auf den Krümeln rum. Es half nichts. Ich hatte zwar nicht erwartet, dass es helfen würde, jedoch wäre es schön gewesen, hätte es geholfen.[/FONT]
[FONT=Times New Roman]Resigniert setzte ich mich wieder hin und legte den Kopf in die Hände.[/FONT]
[FONT=Times New Roman]Ich blickte wieder auf, sah auf die Uhr und stöhnte, zuviele verdammte Minuten bis diese verdammte Bahn kommen würde. Okay okay, sagte ich mir, cool bleiben.[/FONT]
[FONT=Times New Roman]Also blieb ich cool und beschloss ganz ruhig zu warten. Ich blickte mich um. Nichts. Niemand, aber auch wirklich niemand war hier. Ich faltete die Hände, drehte Däumchen und pfiff irgendeine Melodie vor mich hin. Eigentlich kann ich ja gar nicht pfeifen, so dass bei derlei Gelegenheiten immer nur schwächliches Säuseln meinen Lippen entweicht. Schwächer als der Furz eines Nagetiers. Also säuselte ich schwach eine mir unbekannte Melodie, und dann, völlig unerwartet, stimmte irgendwer pfeifend mit ein. [/FONT]
[FONT=Times New Roman]Ich drehte mich vor Schreck zur Seite und dort saß ein Mann neben mir. Scheiße, ich hatte ihn nicht kommen hören. Er starrte mich an, aber sein Gesicht zeigte keinerlei Emotion. Er pfiff einfach nur monoton und blickte mir in die Augen. Dann hörte er auf und lächelte.[/FONT]
[FONT=Times New Roman]„Hallo.“, sagte er.[/FONT]
[FONT=Times New Roman]„Äh- Hallo.“, erwiderte ich völlig perplex. Er reichte mir die Hand und ich sah, dass auch er eine Selbstgedrehte in der anderen Hand hielt. Und auch hier rieselte der Tabak langsam und spöttisch auf den Boden. Ich starrte auf das Schauspiel, das mir nur allzu bekannt vorkam und dachte mir ´Meine Fresse! Ein Deja vu!´. Das war ein richtiges Erlebnis, endlich jemand, der meine Leiden teilte! Ich war wie in Trance, ich hatte es bis dato nicht für möglich gehalten. Es gibt Menschen auf dieser Welt, denen es ähnlich geht wie mir.[/FONT]
[FONT=Times New Roman]Er bemerkte jetzt auch, dass sich seine Zigarette auflöste und stutzte. Dann schnellte er wutentbrannt hoch und sprang auf dem Boden auf und ab, er tobte regelrecht, er schrie sogar „UGAAH!“… [/FONT]
[FONT=Times New Roman]Dann war er fertig, setzte sich wieder und blickte mich freundlich an.[/FONT]
[FONT=Times New Roman]„Es hilft.“, sagte er nur. In diesem Moment dachte ich mir ´Mein Gott, ein Erleuchteter!´ und ich brachte keine Worte hervor. Er dagegen lächelte jetzt nur und redete weiter. „Warten sie auf die U-Bahn?“[/FONT]
[FONT=Times New Roman]Ich fasste mich schnell wieder. „Äh- Ja. Genau wie Sie, darum sitzen wir doch hier, oder?“[/FONT]
[FONT=Times New Roman]„Ich für meinen Teil nicht, ich bin nur hier wegen dem Schauspiel.“[/FONT]
[FONT=Times New Roman]„Äh- Schauspiel?“[/FONT]
[FONT=Times New Roman]„Vergessen sie’s. Warum wollen sie mit der U-Bahn fahren?“[/FONT]
[FONT=Times New Roman]„Naja, ich bin drauf angewiesen.“[/FONT]
[FONT=Times New Roman]Er lachte und spuckte auf den Boden. „Tse, das sagen sie alle. Alle sagen sie, dass sie auf die U-Bahn angewiesen sind, dabei erkennen sie nicht, dass es für sie längst zu spät ist.“[/FONT]
[FONT=Times New Roman]„Was meinen sie?“[/FONT]
[FONT=Times New Roman]„Was meine ich wohl? Überlegen sie, tagtäglich fahren Millionen Menschen in dieser Stadt mit der U-Bahn, nicht etwa weil sie darauf angewiesen sind und irgendwo hinwollen, sondern weil sie süchtig sind. Die Menschen brauchen das, sich auf den dreckigen U-Bahnhöfen zu Trauben menschlichen Abschaums zusammenzufinden und dann alle auf einmal in einen kleinen Wagon hineinzustürmen und sich wie dumme Lemminge noch vor dem Signalton hinzusetzen und mit ausdruckslosen Gesichtern hinauszustarren und das Leben an sich vorbeirauschen zu lassen. Es ist unwirklich, verstehen sie? Wie eine Droge. Es geht darum feige der Realität zu entfliehen und dabei nicht einmal den Dämon zu erkennen, der einen versklavt und zu einem stummen Diener sein Habgier macht.“[/FONT]
[FONT=Times New Roman]Ich konnte nicht fassen, was für einen paranoiden Schwachsinn mir dieser Fremde jetzt plötzlich erzählte. „Was zum Henker reden sie da, Mann?“[/FONT]
[FONT=Times New Roman]„Was zum Henker ich hier rede? Das müsste ich sie fragen! Wie können Menschen wie sie nur so borniert und blind gegenüber den Fakten sein?“[/FONT]
[FONT=Times New Roman]„Was ist denn mit ihnen los, Mann?“[/FONT]
[FONT=Times New Roman]„Nein! Die Frage ist, was mit ihnen los ist! Sie sind doch einer von denen, von den Süchtigen. Ich weiß es. Ich sehe es in ihren Augen. Der gelangweilte Blick eines Mannes, der aufgegeben hat. So sind sie alle, stillschweigend sitzen sie in der U-Bahn, verschwenden ihre Zeit mit purem Warten. Das ist doch totaler Wahnsinn!“[/FONT]
[FONT=Times New Roman]„Entschuldigen sie mal, aber-„[/FONT]
[FONT=Times New Roman]„Entschuldigungen bringen sie nicht weiter, kapieren sie das nicht? Ihr macht diese Welt, diese Menschheit, dieses Leben kaputt!“[/FONT]
[FONT=Times New Roman]„Hören sie- Es ist gut- okay?“ Ich wollte jetzt nichts mehr mit diesem Mann zu tun haben, darum stand ich auf und stellte mich an den weißen Streifen. Ich warf noch einen Blick auf die Uhr, noch eine Minute. Dieses Dingens neben den Schienen, dieses Stahlseil – ich weiß nicht einmal wie das eigentlich heißt – begann zu schwingen, das heißt die U-Bahn würde jetzt kommen. [/FONT]
[FONT=Times New Roman]Ich beruhigte mich und hatte den Typen schon vergessen, da stand er plötzlich wieder neben mir. Doch jetzt machte er ein angsterfülltes Gesicht, er blickte mich panisch an und seine vor Schrecken geweiteten Augen zuckten ganz wild.[/FONT]
[FONT=Times New Roman]„Hören sie!“, sagte er. „Bitte- steigen sie nicht in die U-Bahn, es ist zu ihrem eigenen-„ Doch mehr konnte ich nicht hören, denn die U-Bahn kam und der monotone Sound, der die Luft zerriss, machte seine Worte für mich unverständlich. Darum ruderte er wie wild mit den Armen und deutete auf irgendwas. Er rannte im Kreis und sein Gesicht spiegelte das nackte Grauen wider. [/FONT]
[FONT=Times New Roman]Das ging mir jetzt echt auf die Nerven, es war mir wirklich zuviel.[/FONT]
[FONT=Times New Roman]Schnell und routiniert packte ich den Fremden und stieß ihn vor die herannahende U-Bahn, er hatte beim besten Willen nicht damit gerechnet. Er schrie noch einmal „UGAAH!“ bevor er wie ein Stück morsches Holz brechend und berstend auf die mächtig vibrierenden Stahlschienen prallte und der Dämon ihn fraß. [/FONT]
[FONT=Times New Roman]Es gab ein Geräusch, als ob man eine Frucht presst. Ich vernahm es. Brttsch.[/FONT]
[FONT=Times New Roman]Ich blickte mich noch einmal um, Niemand. Ich stieg jetzt wieder pfeifend in die U-Bahn, setzte mich irgendwohin, der Signalton kam, die U-Bahn fuhr wieder los und ich blickte aus dem Fenster und sah wie das Leben an mir vorbeirauschte.[/FONT]
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