"Du bist Deutschland"

Anfangs konnte ich mit dem Spot nicht wirklich viel anfangen, also hab ich nebenher mal drüber nachgedacht. Sicher, man soll selbst etwas tun, selbst etwas wagen, etwas riskieren und sich selbst voran bringen.

Jo, hab ich versucht. Bin selbständiger Computersupporter, hab meine gesamte berufliche und finanzielle Existenz von dieser Selbständigkeit abhängig gemacht (lieber so als mit Hartz IV) und knie mich an sich jeden Tag aufs Neue rein in die Sache, lerne neue Dinge im Bezug auf Hardwaremontage und -wartung sowie unterschiedliche Webtechniken.
So wie ich versuchen dies Jahr für Jahr TAUSENDE in Deutschland. TAUSENDEN geht das ewige Daheim-Sitzen auf die Nerven, es zermürbt einen, also versuchen sie es entweder mit Bewerbungen (bei mir waren es am Ende knapp 700) oder - wenn alle Stricke reißen und sie dennoch arbeiten wollen - mit einer Selbständigkeit. Das klingt dann alles so toll. Man ist sein eigener Boss, kann sich die Arbeitszeit selbst einteilen und doch muss man zusehen, dass die Kasse regelmäßig voll ist und man vom Kasseninhalt leben kann.
Statistiken des Bundes und der Länder zeigen es, dass viele derjenigen, die sich selbständig gemacht haben, relativ früh ihre Selbständigkeit wieder aufgeben müssen. Einige sind überschuldet, einige bekommen keine Aufträge und wiederum einige sehen darin keine Zukunft. Und was dann? Kaum einer von jenen kann dann noch Arbeitslosengeld I beziehen, also werden solche Fälle recht oft zu Hartz-IV-Fällen, wo sie immer wieder bei der Arbeitsagentur vorstellig werden müssen, nur so nach dem Motto "Die Leute haben ja Zeit". Jobangebote, die auf die Qualifikationen zugeschnitten sind, werden oftmals auf Niedriglohn-Basis vermittelt (1-Euro-Jobs beispielsweise). Viele fragen sich dann, wofür sich ihre Ausbildungen gemacht haben, wenn sie quasi als gelernte Kräfte so viel verdienen wie ein Azubi. Auch ist es bei vielen ungewiss, wie lange ihre Anstellung fortbestehen wird. Was geschieht, wenn ein Zeitvertrag ausläuft? Wie lange ist eine "unbefristete Anstellung" eines Berufsanfängers auf Dauer ausgelegt? Arbeitet man in drei Jahren noch da, wo man jetzt gerade arbeitet? Plant der Arbeitgeber just in diesem Moment die Streichung der Stelle, von der man denkt, dass sie sicher ist - zumindest die nächsten paar Jahre?
Derartige Situationen zermürben die Leute, treiben sie in Selbstzweifel, bis sie sich beruflich gesehen aufgeben. Viele haben eine Ausbildung gemacht und können nicht in ihrem gelerntem Beruf arbeiten, weil gerade dieses Berufssegment in Deutschland überfüllt ist. Firmen stellen einfach nicht mehr so viele ein wie es früher in den 90ern der Fall war. Bei den Kleinen fehlt oft schlicht und ergreifend das Geld zum Intervenieren, bei den Großen geht es scheinbar einzig und allein darum, Kosten zu sparen. Abwechslungsreiche Werbung im Fernsehen beispielsweise ist immer seltener geworden. Einige der großen Firmen wärmen ältere Werbespots auf, indem sie diese nachsynchronisieren, um keine neuen drehen zu müssen. Kostet ja alles unnötig Geld, was man sich spielend einsparen kann.
Damit das nicht ganz so leicht geht, gibt es eine nette Einrichtung, die sich "Gewerkschaften" nennt. Ihre Aufgabe soll es sein, als Gegenstück zu Arbeitgebervertretern zu fungieren und im Wohle der Arbeitnehmer zu handeln. Zumindest von der Theorie her. In der Praxis jedoch haben es die Gewerkschaften mehr oder weniger erst in den letzten beiden Jahren so langsam begriffen, was den Arbeitnehmern wirklich am Herzen liegt und ihnen am meisten bringt. Die stetigen Lohnerhöhungen sind es nicht, so viel zu einmal als kleinen Hinweis. Sind nicht auch die Gewerkschaften zumindest mitschuldig daran, dass Deutschland für sehr sehr hohe Lohnnebenkosten fast gefürchtet ist?
An nächster Stelle steht das Personal. Hier kann immer gespart werden, was in erster Linie durch Entlassungen geschieht, nur etwas humaner betitelt wie beispielsweise "Vorruhestand". Auch ist ein Schlagwort recht aktuell: "Out-Sourcing", das Auslagern betriebsinterner Firmenabläufe an externe Firmen. Dies können einfachere Dinge wie Zulieferaufträge sein oder auch kompliziertere wie die Abwicklung der Lohnbuchhaltung oder die Kreditsachbearbeitung (Macht die Schwäbisch-Hall afaik).
Alles in allem scheint ein regelrechter Spar-Wahn ausgebrochen zu sein, der zu mehr Arbeitslosigkeit führt. Zwar sagen die jüngsten Zahlen etwas von einer Verminderung der Arbeitslosenzahlen im Vergleich zum Vormonat, doch wer weiß genau, wie diese Zahlen zustande kommen oder ob sie korrekt sind? Nicht miteingerechnet werden jene, die an Seminaren oder Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen. Nur um eine kleine Menge an Leuten zu nennen.

Die Politiker, denen eigentlich an einer reibungslos funktionierenden Wirtschaft sehr gelegen sein sollte, scheinen die Augen zu verschließen. Die Medien berichten - wenn sich ein Politiker einmischt - lediglich davon, dass dieses Einmischen nahezu ausschließlich in den großen Firmen geschieht. Davon, dass sich die Politiker um die kleinen Firmen sorgen, denen es bei weitem nicht so gut wie den großen geht, kommt so gut wie nie etwas zutage. Stattdessen glaubt man allen ernstes, der hohen Arbeitslosigkeit durch die Umbenennung vom "Arbeitsamt" in "Bundesagentur für Arbeit" beizukommen. Auch glaubte man, Gelder dadurch einzusparen, indem man die Sozialhilfe abschafft und stattdessen Hartz iV auf den Markt bringt, ehe es vollkommen ausgereift und ausgearbeitet ist, gepaart mit einem Jahresbudget, das kaum über die erste Jahreshälfte reicht.
Als vor ein paar Jahren von den Medien berichtet wurde, dass Kinder von "großen Hunden" angefallen wurden, hatten die Politiker nichts besseres zu tun, als gleich eine Kampfhundeverordnung auf den Markt zu bringen, was ganz groß von den Medien berichtet wurde. Was jedoch ausblieb war die Aufklärung der Leute. Nicht zuletzt deshalb geraten hier und da Leute mit ihren kleinen Kindern in Panik, wenn da jemand mit einem Bernhardiner entlang kommt und rufen entsetzt "Ein Kampfhund. Zu Hilfe"
Man erinnere sich auch an den "Aufbau Ost", der so hochgelobt wurde. Milliarden, wenn nicht gar Billionen wurden in den Sand gesetzt, weil man einfach willkürlich irgendwo hin Flughäfen setzte, die gut und gerne 50km und mehr vom nächstem größerem Ort weg sind. Auch wurden vereinzelt Freizeitzentren aus dem Boden gestampft, die fernab der Zivilisation lagen. Aber der Osten ward aufgebaut. Klar doch.

Im Endeffekt haben wir in Deutschland anscheinend vier Gruppierungen, die nicht wirklich miteinander arbeiten bzw. auskommen können:

Die Politiker, die erst an sich, dann an die Partei, dann an das Volk zu denken scheint (Daraus und aus anderen Gründen resultieren politische Entscheidungen, die größtenteils am Volk vorbei gehen)
Die großen Firmen, die ihre Geldspeicher immer voller sehen möchten (und dadurch des öfteren Stellen streichen, weil diese angeblich Geld kosten)
Die kleinen Firmen und Arbeitnehmer, die sich ihre "kleinen" Träume erfüllen wollen (beispielsweise finanzielle Unabhängigkeit oder einfach nur überleben wollen)
Die Arbeitssuchenden/Arbeitslosen (die aus dem oft tristem Dasein raus wollen oder sich am Ende aufgeben, weil sie es einfach nicht schaffen)

Fazit:
Wir leben in einem Land, dessen politische Kräfte kaum zusammenarbeiten, um das Land wirtschaftlich und politisch voran zu treiben. Man beachte da nur das "Zusammenspiel" zwischen Bund und Ländern. Auch hat das (deutsche) Volk mehr oder weniger nur bei Wahlen eine Möglichkeit, ins politische Geschehen einzugreifen. Die Politik wiederum spielt sich überwiegend über den Köpfen des Volkes ab, ohne dass das Volk wirklich ins Geschehen eingreifen kann. Die meisten Entscheidungen werden an der Bevölkerung vorbei getroffen, ohne dass man die Möglichkeit des Eingreifens hat.
Insofern finde ich den Spot in gewisser Weise schon lächerlich, weil er mehr oder weniger das vermittelt, wie Deutschland bereits ist:

Man muss selbst etwas tun, sonst geht man unter.
Es wird viel geredet, sodass das Wesentliche außerhalb des Blickfeldes verschwindet.