Systeme wie DSA 4 oder Shadowrun 3.01D (mit Kompendium) bieten dem Spieler die Möglichkeit, bei der Charaktererstellung Nachteile auszuwählen. Ob der Charakter nun einen abstoßenden Körpergeruch hat, von den Zwölfgöttern gehaßt wird oder schon beim Anblick von Cyberware einen Kreislaufkollaps erleidet: Wer ein paar Extrapunkte für den Charakter raushauen möchte, der kann aus einer Vielzahl von mehr oder weniger krassen Einschränkungen auswählen - und die Punkte gleich in genauso funktionierende Boni investieren.
Stellt sich nur die Frage: Wie weit kann man so etwas treiben, bevor der Charakter dermaßen pathologisch wird, daß die Mitspieler sich wundern, ob er überhaupt noch spielbar ist? Die Verlockung ist groß: Man ballert seinem Charakter zwanzig Mali rein, um davon abstrus hohe Startwerte zu bezahlen. Aber ist der Charakter dann auch für die Truppe tragbar? Macht es Sinn, wenn man bei einem Einbruch in Renrakus Hauptquartier einen epileptischen Troll-Elfenposer dabeihat, dessen Cyberarm permanent spinnt und der zudem noch manisch-depressiv ist? Wird ein einarmiger junger Mann mit Allergien gegen alles von Hausstaub bis Sonnenlicht losziehen, um Aventurien zu retten?
Wie viele krasse Nachteile sind bei einem Charakter tragbar? Wie sehr hängt das von der Gruppe ab? Sind kraß pathologische Fälle tragbar, wenn das Gesamtkonzept stimmig ist?
Ineluki hat einen Charakter, der eine nicht unbeachtliche Latte von Nachteilen mit sich herumschleppt - außerhalb von sozial orientierten Settings würde ich den Charakter als fast unspielbar einstufen (innerhalb allerdings als sehr unterhaltsam). Allerdings stammt der Chara aus seiner RL-Runde, die wohl recht powergameroriertiert ist - und da muß man schon schwere Geschütze auffahren, um nicht innerhalb weniger Spielrunden so weit zu kommen, daß man zwischen Frühstück und Mittagessen schon ein halbes Dutzend Westwinddrachen vernichtet hat.
Anderes Beispiel: Mein zweiter SR-Chara, Sledge. Seine Gaben: Mut, Zähigkeit, Schmerztoleranz (3). Seine Handicaps: Berserker, Impulsivität, Rachsucht, Ungehobelt, Schlechter Ruf und eine mittlere Spinnen- sowie eine leichte Clownphobie. An sich würde ich das so nicht machen, aber der Kerl soll ein unbeherrschter, gewaltgeiler Waffenfanatiker sein, der wegen Übereifrigkeit und Brutalität bei Lone Star rausgeflogen ist - und auf das Profil passen diese Werte schon, zumal dieser Chara stark auf "Sledge Hammer!" basiert.
Es gibt noch weitaus schlimmere Fälle - kann man also pathologisch hochoptimierte Charaktere in der Runde ertragen oder wäre es besser, einfach ein paar halbwegs normale Leute zu spielen? Sollte man als Spielleiter die Nachteile übergehen, um einen flüssigen Spielablauf zu gewährleisten (was den Spielern efffektiv Gratispunkte gibt) oder sollte man die Nachteile voll ausspielen, so daß die Spieler merken, daß es sich nicht lohnt, einen Gottcharakter mit zwanzig Nachteilen zu bezahlen?