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Thema: Der Himmel des Blaselius Birnbaum

  1. #1

    Der Himmel des Blaselius Birnbaum

    Zitat: „Himmel“ leitet die deutsche Sprache von dem alten Wort „Heime“ „Heimat“ ab
    Aus Wilhelm Raabe, „Halb Mär, halb mehr“


    Der Himmel des Blaselius Birnbaum

    Morgen wird für Blaselius Birnbaum ein besonderer Tag sein, aber noch weis er das nicht.

    Er wird in den Himmel kommen.

    Und was er noch nicht weis ist, dass das eigentlich gar nichts besonderes ist. Der Allmächtige denkt gar nicht daran, jemanden nach dem Tod in die Hölle zu schicken, ist um jede seiner Seelen besorgt, und er schützt sie so gut wie diese es ihm erlauben. Denn in seinem allumfassenden Optimismus und großen Güte hat er ihnen den freien Willen gegeben – und sich leider selbst dazu verdammt ihnen zu geben, was sie sich gestalten und erhoffen.

    Blaselius Birnbaum ist durchschnittlich erbärmlich, frühzeitig Gefühl, Verstand und Rückgrad verlustigt. Hasst Veränderungen. Sparsam verheiratet. Jemand muss schließlich putzen und kochen. Außer Vorwürfe, über das vergeudete Haushaltsgeld, spricht er schon seit Jahren nicht mehr zu ihr.

    74, seit neun Jahren Rentner. 1 x am Tag geht er Zeitung und Bier holen und schreit die Kinder an, die über den Rasen laufen.

    Er mag dunklen kurzgeschnittenen Rasen, und die Kinder zertrampeln ihn, und sind laut und frech und bösartig.

    Dann fährt er hoch in den 12.ten Stock und begibt sich in seine saubere 3–Zimmer–Wohnung mit Nordbalkon. Nach dem Mittagessen macht er es sich bequem und sieht ein wenig fern. So ca. 11 ½ Stunden. Je 1 x in der Woche spielt er Lotto und geht in die Kirche. 1 x im Monat gar zur Beichte. Er beichtet immer das selbe. Vorm Essen das Beten vergessen und Pornos angesehen.

    Blaselius Birnbaum sieht sich Pornos genauso an, wie Musikantenstadel. Starre Augen, das Bier in der Hand, in Unterhosen, die Eier hängen seitlich raus, zufrieden seine Frau anzuwidern und ab und zu das Sofa vollkotzend.

    Ebenfalls 1 x im Monat geht er zum Arzt, damit er wenigstens etwas für seinen Krankenkassenbeitrag bekommt.

    Heute nun begibt sich unser Held nach der 5. Doktor- Mabuse-Wiederholung zu Bett, betet um sein Himmelreich, schläft ein – und erwacht nach einem längeren, unverständlich geträumten, ziehen und zerren in einem sehr großem, grün gekachelten Raum.

    Er sieht sich ohne jede Irritation und Hast um. Es wirkt so steril wie in einem OP. Rechts neben ihm ein Monitor über dem ein Schriftband läuft. Er liest: Lieber Herr Birnbaum, bitte gedulden Sie sich noch etwas. Bald wird jemand kommen und sich um Sie kümmern. Sie sind vor 10 Minuten verstorben und in Ihren Himmel eingegangen. Es wurde Ihnen ein Beruhigungsmittel verabreicht, damit Sie die Veränderung nicht ängstigt. Ihre Seele hat innerhalb der Matrix Ihrer einstigen Körperhülle, die von Ihnen favorisierte Körperform angenommen. Jetzt erst bemerkte er die Veränderung. Er sah aus wie mit 19, allerdings muskulöser. Es verblüffte ihn nicht, dass er Wörter wie Matrix und favorisiert verstand.

    Schließlich kommt eine weiß gekleidete Frau, hübsch anzusehen, aber nichts besonderes.
    „Ich bin Ihre Einweiserin Frau Serein. Wenn Sie dies bitte anziehen. Danach bringe ich Sie zu Ihrer Wohneinheit und erkläre Ihnen alles, damit Sie sich zurecht finden. Sie werden sehen, hier ist alles ganz einfach. “

    Als er angekleidet war, ebenfalls in weiß, veräderte sich der Raum um sie herum und einige Sekunden später standen sie in einem kleinen Wohnzimmer, das dem seinen ganz ähnlich war, nur in weiß, bis auf die Pflanzen.

    „Sie haben hier ebenfalls eine 3-Zimmer-Wohnung mit Südbalkon. Nr. 374; 12. Stock, Allgemeingasse 24.
    Fernseher und Telefon sind angeschlossen; Sie brauchen sich um keinerlei Gebühren zu kümmern. Kommen Sie bitte mit ins Schlafzimmer.

    Wenn Sie frische Kleidung brauchen, nehmen Sie sie einfach aus dem Schrank. 5 Minuten später wird sich der selbe Gegenstand, z.B. ein Hemd, nachbilden. Übrigens bringen sich die Räume einmal täglich selbst in Ordnung. So müssen Sie nie putzen oder Betten beziehen und Wäsche, die länger als eine Stunde am Boden liegt, löst sich auf. Selbstverständlich geschieht dies nur, während Sie sich in einem anderen Raum aufhalten. Damit Sie nicht irritiert werden. Auch um die Pflanzen brauchen Sie sich nicht zu kümmern.Folgen Sie mir jetzt bitte in die Küche.

    Wann auch immer, was auch immer, wie viel oder wie temperiert, die Speisen die Sie zu essen wünschen werden auf dem Tisch erscheinen. Was nach einer Stunde nicht gegessen ist, löst sich samt Geschirr auf. Der Kühlschrank ist für die Kaltgetränke, um die Sie sich jedoch selber kümmern müssen. Ich zeige Ihnen nachher den Laden.
    Und nun zum Bad. Hier ist es dasselbe. Alles was Sie verbrauchen, erneuert sich von selbst, und es räumt sich von selbst auf. So, und nun zeige ich Ihnen die Umgebung.“

    Sie gingen nun aus der Wohnung, fuhren mit dem Lift hinab, traten vor die Tür. Kurzgeschnittner Rasen; saftiger dunkler, grüner Rasen und - keine Kinder.

    Nach etwa 10 Minuten erreichten sie einen zentralgelegenen Platz. Zuerst begaben sie sich zur Bank, eröffneten ein Konto. „Es werden immer 10000 DM darauf sein, egal wie viel Sie abheben, Herr Birnbaum.“ Er staunte zufrieden, etwas dümmlich selbstgerecht sein Blick.

    Und dann zeigte sie ihm die Arztpraxis. „Sie sind versichert. Sie können zwar gar nicht krank werden oder sich verletzen, aber das möchte man sich doch hin und wieder bestätigen lassen.“, ein sanftes verstehendes Lächeln lockerte ihre geschäftsmäsigen Ton, fast liebevoll, „Hier ist der Getränkeladen mit den vielen Biersorten. Dort die Kirche und in diesem kleinen Kiosk können Sie Lotto spielen und Zigarren bekommen. Finden Sie den Weg allein zurück?“

    „Ja.“

    „ Gut. Wenn noch Fragen entstehen, müssen Sie nur den Telefonhörer abheben und Sie erreichen mich. Ach ja. Wenn Sie sich Ihrer Haustür oder Wohnungstür nähern, öffnet sie sich automatisch für Sie. Haben Sie eine schöne Zeit.“ Sie lächelte nocheinmal, dieses sanfte, tiefverstehende Lächeln und war weg.

    Er besorgte sich noch einen 6er-Pack-Bier, eine Zeitung, sah sich nach den Gottesdienst- und Beichtzeiten um, und begab sich nach Hause. Unterwegs traf er vereinzelt jugendliche, weisgekleidete Männer, mit gleichgültigen Gesichtern.

    Kaum daheim ließ er sich auf das Sofa fallen.

    Es war doch ein bischen viel auf einmal. Er war froh, dass man keine Anforderungen an ihn stellte.

    Ein ganz, ganz kleines bisschen war er verstört.

    Irgendwie sollte etwas anders sein.

    Hm. Wie anders?

    ...

    Wie hatte er sich eigentlich den Himmel vorgestellt?

    Ja, wie?

    Besonders!

    Er sollte besonders sein!

    Noch während er das erste Bier trank und den Fernseher einschaltete, vergaß er die Irritation.

    Blaselius Birnbaum hatte seinen Himmel bekommen – für alle Ewigkeit.

    Geändert von Lu Sonnengold (04.08.2005 um 13:49 Uhr)

  2. #2
    Die Geschichte ist Recht gut erzählt, obwohl ich mich frage, warum der Mann die ganze Angelegenheit so gelassen nimmt - klar, für ihn ändert sich ja nicht wirklich etwas, aber seine paar Freunde, die selbst ein Mensch wie er wohl gehabt haben wird, sind ja nicht mehr um ihn - und auch nicht seine Frau, zu der er zwar kein gutes Verhältnis hatte, aber ganz so gefühlskalt wie er mir da vorkmmt, isser irgendwie unrealistisch... meiner Meinung nach.
    Ansonsten aber ganz nette Umsetzung von dem Gedanken, dass der Himmel dann auch nur eine etwas bessere Version des ehemaligen Lebens ist, auch wenn ich nicht wirklich dran glaube, dass es beim realen Tod genauso ist...

  3. #3
    Hallo NMi,

    Danke für deine Kritik und Rückmeldung.

    Zu seinem ruhig bleiben, er hatte ein Beruhigungsmittel bekommen, steht da irgendwo .

    Was das Freunde haben angeht - es gibt tatsächlich Menschen, die keine haben. Das weis ich aus meiner ehrenamtlichen Tätigkeit für einen psychosozielen Dienst, wo ich für menschen als Gesprächspartner zu Verfügung stehe (und bei uns landen halt auch nur die Menschen, die doch noch die Bereitschaft haben - Kontakte zu suchen und etwas gegen ihre Einsamkeit zu tun)

    Und ich weis, leider auch aus persöhnlicher Erfahrung, dass es Menschen gibt, die psychisch so kaputt gegangen sind, aus einem tiefsitzenden Mistrauen heraus, (z.B. daraus resultierend, dass sie immer wieder Zielscheibe von Spott und Mobbing waren, und von allen Seiten (Familie, Medien, zusätzlich die Welt als schlecht dargestellt wird) sich so zurückziehen, dass sie keine persöhnlichen Gespräche mehr führen, sich weigern monatelang die Wohnung zu verlassen (ausser ganz selten zum Einkaufen), obwohl sie durch Briefe Rechnungen ect. mitbekommen, dass ihr Leben total zuzsammen bricht. (Und dass man sogar da wieder heraus kommen kann und die Welt wieder lieben lernt, weis ich gottseidank auch.)

    Also diese entsetzliche Einsamkeit, nur durch den Fernseher übertüncht, kommt vor; mit Sicherheit öfter, als man es glauben will.

    Und was meine Überzeugung mit dem Himmel angeht - soll eigentlich eine Aufforderung sein, auch hier auf Erden schon zu leben, und sich einen persöhnlichen Himmel zu erschaffen - denn wirklich besser ist dieser Himmel nicht.

    Man ist nähmlich kein anderer, nur weil man ins Jenseits kommt, weshalb auch immer, man nimmt sich mit und darum sollte man alles tun, sich so zu entwickeln, dass man ein leben Leben kann, dass einem gefällt, wo man sich wohl fühlt und nicht auf ein besseres Jenseits warten. Weil im Christentum das mich geprägt hat, auch immer ein bischen das vertrösten, auf eine bessere Welt mitschwingt - wenn man alles richtig macht .

    Das wollte ich ausdrücken. Habs wohl noch nicht ganz geschafft. Nun ja, weiter schreiben, üben und erschaffen. Wird schon noch.l

    Ena-Christina

    Geändert von Lu Sonnengold (07.08.2005 um 15:51 Uhr)

  4. #4
    Ich finds genial.
    Du hast für mich ausgedrückt (wenn auch unbeabsichtigt), dass es Menschen gibt, die nur vor sich hinleben und deren Leben in "gewöhnlchen" Bahnen verläuft. Vom Himmel erwarten sie sich das, was sie selbst nie erreichen konnten.
    Deine Intention hast dú auch wunderbar rübergebracht, ich freu mich auf mehr.

    Zitat Zitat
    Und was meine Überzeugung mit dem Himmel angeht - soll eigentlich eine Aufforderung sein, auch hier auf Erden schon zu leben, und sich einen persöhnlichen Himmel zu erschaffen - denn wirklich besser ist dieser Himmel nicht.
    Daumen hoch. Auch wenn ich den Himmel noch nicht gesehen habe.

    Zur stilistischen Seite: Die Aufteilung in Abschnitte ist komisch. Sie wirkt gegen den Eindruck, dass alles gleich bleibt. Sonst ist der Schreibstil gut, wenn auch noch nichts besonderes. (Ich denke Übung wirds tun )
    Der Anfang ist zweispaltig, einerseits inhaltlich genial, andernseits stockig, da fällt die Absatzaufteilung definitiv wieder ins Gesicht.
    Letztendlich sei gesagt, dass bei sowas der Schreibstil ebenso unwichtig ist wie die Überzeugung, ob der Himmel wirklich so aussieht. (bzw. ob es ihn gibt) ~.~ Ich denke, es geht um die Intention.

  5. #5
    Ich finde die Idee eigentlich recht gut, auch wenn ich mit der Idee eines solchen Himmels nichts anfangen kann. Aber letztendlich ist alles Schreiben nur Symbol.

    Was ich gerne anmerken würde: Soweit ich weiß, schreibt man "ich weiß" und "er/sie weiß" immer noch nicht "weis"

  6. #6
    Danke La Cipolla, für deine so positive Rückmeldung und Verbesserungsvorschläge. *hüstel* Das erstemal, dass etwas was ich gemacht habe, als genial bezeichnet wurde.

    Auch danke dir kame - ähm, das mit dem weiß werd ich mir merken .

    Ena

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