Du hast wieder geschrieen und geweint. Ich bin zu dir gelaufen, habe meine Stiefel in Eile und Vorsicht über die zersplitterten Fliesen gleiten lassen. Der Mond hat mir den Weg zu dir geleuchtet. Jetzt bin ich hier bei dir und sehe dich an. Dein von Tränen durchnässtes Gesicht, deine Augen, die in allzu weite Entfernung starren und etwas suchen, das es für dich nicht gibt. Deine Hände, wie sie schmächtig über deinem bebenden Körper ruhen und die löchrige Decke festhalten, die dich bedeckt.
Du siehst mich an und wieder nicht, dein Mund öffnet und schließt sich. Ich höre deinen Atem, wie er rasselnd aus deinen Lungen herausgepresst wird. Du hast Angst.
Ich nehme deine Hand in die meine und drücke sie sanft; der Ausdruck in deinem Gesicht verändert sich.
„Leon?“, fragst du.
„Ja, ich bin hier, Liebes“, flüstere ich dir zu und hauche einen flüchtigen Kuss auf deinen Handrücken.
„Leon...“, und du umarmst, drückst dich an mich. Ich spüre deine Tränen an meiner Haut.
„Da waren Männer, Leon. Sie haben alle getötet, das ganze Dorf. Leon, unser Dorf.“
„Beruhige dich, Anna, du hast nur schlecht geträumt.“
„Es liegt alles in Trümmern, nur mehr Ruinen, sie haben zerstört und getötet, Leon, diese Männer. Sie waren böse.“
Ich streiche dir sanft über den Kopf. „Alles in Ordnung, Liebes, du hast nur schlecht geschlafen.“
„Aber sie haben geschrieen. Und geweint.“
„Nein, du hast geweint“, ich lächle dich an, dein Mondgesicht und berühre sanft dein Gesicht. „Du warst das, weil du einen bösen Traum gehabt hast.“
„Ich habe es doch gehört...“
„Nein, Liebes, das war nur der Fernseher, ich habe ihn zu laut gedreht, es tut mir leid.“
Ich streiche dir durchs Haar und ein kurzes Lichterflackern erhellt dein Gesicht.
Wie schön du bist.
„Es war alles nur ein Traum?“, fragst du mich und starrst dabei durch mich durch in eine Entfernung, die ich nicht erfassen kann.
„Ja, Liebes, das war es. Nur ein Traum. Nichts weiter, als ein dummer, unwichtiger Traum in einer unbedeutenden Nacht.“
Jetzt lächelst du. Du strahlst förmlich im Dunkeln.
„Alles wieder gut?“, frage ich dich.
Du nickst. „Kann ich vielleicht noch etwas zu trinken haben?“
„Aber natürlich.“
Ich gehe hinaus, weiche Brocken und Löchern aus, betrete die Küche. Der Himmel ist klar und ich kann Sterne sehen. Ich hole eine Flasche aus dem Rucksack hervor, der auf dem Boden steht, schüttle sie. Noch etwas drinnen.
Nehme dann noch Tabletten heraus, die mir noch geblieben sind. Du wirst schlafen, Anna, der Fernseher wird wieder leiser sein.
Mit der Flasche gehe ich zurück zu dir. Du hast dich aufgesetzt.
„Hier, Liebes“, und gebe dir das Wasser. Du trinkst es in gierigen Schlücken, der weiße Verband an deinem Hals färbt sich wieder leicht rot.
Du trinkst aus, hältst die Flasche in die Luft. Lächelst. „Danke, Leon, vergiss nur bitte nicht den Fernseher.“
Ich gebe dir einen Kuss. „Natürlich nicht. Ich liebe dich.“
„Ich dich auch.“
„Schlaf gut, Anna.“
Ich stehe auf, will die Vorhänge zuziehen, aber der zersprengte Fensterrahmen ist im Weg. Der kurze Blick aus dem Fenster zeigt mir, dass die Glutnester in den Ruinen der Nachbarhäuser noch immer nicht erloschen sind.
Dein Atem wird ruhiger. Wie schön du bist. Die Narben sind da unwichtig.
Etwas heult laut auf und kurz darauf kracht es. Ich hoffe, dass dein Fernseher bereits so leise ist, dass du es nicht mehr hörst.
Du wirst schlafen und hoffentlich nicht mehr so böse träumen. Träume doch von Schmetterlingen und der Sonne. Von Vater und Mutter, wie sie mit den Engeln tanzen.
Ich werde wieder in die Küche gehen und die Waffe neben meinem Rucksack aufnehmen. Mich dann wieder in Stellung legen. Es ist die Zeit der Melder.
Aber das ist unwichtig für dich, mein Liebes.
Wenn du mich brauchst, ruf nur. Ich werde da sein. Du weißt das.
Schlaf gut, Anna.