Hi
Wie man vielleicht bemerkt hat, hatte ich zum wiederholten Male Internetprobleme, konnte also kaum hier vorbeischauenHinzu kommt, dass ich seit geraumer Zeit keine Geschichten mehr schreibe. Damit man mich aber nicht für tot erklärt oder aus dem Board löscht oder sowas, hier eine ältere Geschichte von mir, die ich bisher noch nicht gepostet habe:
Die Nacht
Es ist ein irrealer Hoffnungsschimmer, den ich nicht erklären kann. Nicht mit dem Kopf. Der Zug hält, zuerst allmählich, dann abrupt. Und ich schaue von meinem Sitzplatz im Oberabteil hinunter auf die Menschen, wie sie herein und hinaus strömen, und denke: Du fährst oft hierher. Was wäre, wenn du jetzt zusteigen würdest, genau hier, in diesem Moment? Dann gehst du auf der Suche nach einem Sitzplatz durch den Gang und siehst mich. Zum ersten Mal seit…
Und sagst mir, wie lange wir uns nicht mehr gesehen haben, und dass du dich freust.
Ein feiner Sonnenstrahl streicht durch deine braunen Haarsträhnen. Die ganze Fahrt über brauche ich nicht mehr aus dem Fenster zu sehen in das kalte Blau eines kalten Morgens, sondern nur zu dir, und ich versuche mir die ganzen Einzelheiten deines Gesichts einzuprägen, die Kleinigkeiten, die ich vermissen werde, schon so bald, weil Zugfahrten nie ewig dauern. Haselnussbraune Augen, blonde Strähnchen, wie Sonnenstrahlen, und dein Lächeln. Und dein Lächeln.
***
Auch auf der Rückfahrt von Berlin, die Hinfahrt am nächsten Morgen, die Rückfahrt, noch einmal. Hin und zurück, weg und fort, oben, unten, ich habe aufgehört zu zählen.
Ich weiß: Nein, hier bist du nicht, und wirst es nie sein, warum suche ich dann trotzdem dein Lächeln in der trüben Suppe der traurigen Gesichter da draußen?
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„Glauben Sie an Gott?“
Etwas irritiert wache ich auf, aus dem Tagtraum Realität, und schaue in das Gesicht einer älteren Dame.
„Ich kann an nichts glauben, das ich nicht definitiv weiß“, antworte ich selbstsicher.
An dieser Station kann ich meinen Blick nicht vom Fenster abwenden. Nicht hier.
Ich glaube daran. Ich weiß es nicht. Definitiv.
„Es gibt keinen Gott“, füge ich hinzu ohne sie anzusehen.
Nicht hier.
***
Kiefern, Buchen, Eschen, Ahorn, Linden. Alles grüne Schlieren, die am Fenster kleben. Zusammen mit einem großen Klecks Himmelsblau entsteht daraus eine morgendliche Portion Melancholie. Eine Zutat fehlt. Irgendetwas, es fällt mir nicht ein…
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„Wegen eines Personenunfalls verzögert sich unsere Fahrt voraussichtlich um fünfzehn Minuten“, tönt es teilnahmslos aus den Zuglautsprechern. Wegen eines falschen Wortes zur falschen Zeit verzögert sich Ihr Glück um eine Zeitreise in die Vergangenheit, denke ich und schließe die Augen.
Wenn es keine Züge gäbe, würde das Verlieren aufhören? Ich würde dann zur Uni laufen und dich auf einer Parkbank sehen. Hinter dir leuchten goldene, rote, braune Blätter, die hinabsegeln, in Zeitlupe.
Du klopfst mit der flachen Hand auf den freien Sitzplatz neben dir.
Ich setze mich.
Wir reden, den ganzen Nachmittag hindurch, die ganze Nacht hindurch.
Am Morgen stehe ich auf und laufe zur Uni und weiß, dass du morgen wieder hier sein wirst. Dass du immer da sein wirst.
***
Alles nicht wirklich, so unwirklich, wie das Leben. Ich möchte aufwachen, nur, um wieder einzuschlafen und zu träumen. Ich möchte aussteigen, mich beobachten, vom Bahnsteig aus, und mir selbst zurufen:
„Morgen, bestimmt…“
Doch ich höre es nicht. Es ist nicht deine Stimme.
Die Wirklichkeit wird vom Glas verzerrt, gedehnt, gebogen, gebrochen, wie die Gedanken in meinem Kopf, mit denen dasselbe geschieht, nur anders herum, um die kaputte Wirklichkeit wieder auszugleichen, einigermaßen.
Draußen fliegt eine Schwalbe.
***
Das Radio im Café spielt „Die Nacht“ von den Helden. Draußen ist es stockfinster und gedimmtes Licht pulsiert im Takt des Kerzenflackerns.
„Kannst du mir etwas versprechen?“
„Was denn?“
„Hört sich bestimmt bescheuert an, aber versprich mir bitte, dass wir für immer Freunde bleiben. Für immer.“
„Für immer, versprochen.“
„Für immer immer?“
„Für immer immer“, lächelst du in die Nacht.