So, mal wieder eine kurze, in drei Teilen abgeschlossene geschichte von mir, ich finds gelungen, Kritik erwünscht.
Der Traum vom Paradies
“Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache.
Als sie nun nach Osten zogen, fanden sie eine Ebene im Lande Sinear,
und wohnten daselbst…
Und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen,
des Spitze bis an den Himmel reiche…“
Bibel
Draußen, vor meinem Fenster, wird es langsam dunkel, in einer Feuersbrunst, die nur unsere Sonne so an den Himmel zaubern kann. Ein wunderbarer Sonnenuntergang, ja, ich erinnere mich an einen Vorfall vor einigen Jahren. Aber zuerst sollte ich mich einmal vorstellen. Isaac Mullen, Archäologe und Historiker, einer der …penetranteren Art, wie die Herren von der Universität sagen würden. Seit der Kindheit bin ich weitsichtig und trage eine kleine, runde Brille, muss wohl an den vielen Büchern liegen, aber das war damals und ich bereue es nicht, die Schätze, die uns die Vergangenheit dort hinterlassen hat, sind unersetzbar. Des weiteren bin ich noch solo, Beziehungen halten bei mir nie sehr lange, wahrscheinlich wegen dem vagabundierenden Lebensstil, aufgrund dessen ich aber auch noch recht gut in Form bin. Genug zu mir, kommen wir zu der Geschichte, die ich ihnen erzählen möchte, denn im Nachhinein muss ich doch sagen, dass ich sie recht denkwürdig finde.
Es war also ein ebenso ruhiger Tag wie heute, und die Sonne stand ebenso hinter dem Horizont, als wehrte sie sich gegen den Lauf den Dinge, gegen die Natürlichkeit, aufdiktiert von den Gesetzen der Physik. Ich war in Gedanken vertieft, doch riss mich die penetrant-störende Türklingel unseres Miethauses unsanft aus eben jenen. Missmutig trottete ich das Treppenhaus herab und blickte durch den Türspion, nur, um einen Kollegen zu erkennen, der sich, ebenso wie ich, gerne Träumereien ins Land des Unbekannten hingab. Genervt drückte meine Hand die Klinke herab, denn eine besondere Sympathie brachte ich jenem nicht gerade entgegen, er gehörte zu der Art von Menschen, die ein „I want to believe“ - Poster mit einem Ufo im Zimmer hingen hatten und dachten, einfach alles zu wissen.
„Guten Abend, Professor Mullen! Haben sie schon geschlafen?“, begrüßte er mich fragend, mit einem Lächeln im Gesicht, dass jedem Zuschauer verriet: „Ich mache ständig großartige Entdeckungen, aber das würden sie eh nicht verstehen!“
„Nein, nein,…“ , antwortete ich etwas missmutig, „ich war nur in Gedanken. Was gibt’s, Hermann?“
„Ich habe eine unglaubliche Entdeckung gemacht! Darf ich hereinkommen?“
„Nun ja…“, wollte ich protestieren, aber da schob sich seine pfundige Gestalt schon fröhlich durch die Pforte. Resigniert ließ ich die Schultern hängen und schloss die Tür hinter ihm.
„Sie werden es nicht glauben! Es ist eine revolutionäre Entdeckung, die Geschichtsbücher müssen neu geschrieben werden!“
„Aha. Und das wäre?“, fragte ich rhetorisch, denn ich hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass ich seine revolutionären Hirngespinste noch früh genug erfahren würde.
„Sagte ich, die Geschichtsbücher müssen neu geschrieben werden? Entschuldigen sie, ich meinte, die Bibel muss neu geschrieben werden!“
„Oh, etwas Religiöses. Da werden sich die Katholiken aber freuen. Wurde die Bibel schon einmal neu geschrieben?“
Der rundliche Historiker ignorierte die Bedenken offensichtlich und plapperte noch fröhlich weiter, bis wir die Wohnungstür erreicht hatten. Kaum war der Schlüssel herumgedreht, nahm Hermann bereits Kurs auf meinem Sessel, ich wiederhole, auf meinen Allerheiligsten, auf mein Sakrament, aber ich konnte mich mit einer geschickten Bewegung vor ihm auf eben jenem platzieren. Grinsend bot ich ihm einen Stuhl an und bat ihn, doch nun endlich zur Sache zu kommen.
„Nun gut!“, erwiderte er, mit einer übertrieben dramatischen Stimme, „Aber halten sie sich fest, damit sie nicht vom Sessel kippen!“
„Jaja, pass lieber auf, dass du vor Euphorie nicht vom Stuhl kippst.“
Auch diese Anspielung ignorierte Hermann und gestikulierte wild vor meinem desinteressierten, auf einem Arm abgestützten Gesicht, dann hüstelte er noch einmal theatralisch und fuhr fort.
„Was wissen sie über den Bau des Turmes zu Babel?“
„Naja, eine der Sachen in der Bibel, an dessen reellen Hintergrund man wirklich zweifeln kann.“, antwortete ich ihm gelangweilt, und kramte in meinem Gehirn, was ich darüber noch zusammenbekam, „Die Babylonier waren ein sehr reiches, aber auch sehr sündiges Volk um 3000 v. Chr., ihre Blütezeit war unter König Hammurapi dem Dritten. Eines Tages beschlossen sie (Glaubt man den Worten der Bibelschreiber), einen Turm zu bauen, auf das er bis in den Himmel reiche. Gott sah das nicht gern, denn eigentlich ist Gott ja auch nur ein Mensch, der seine Macht behalten will. Er verhinderte den Bau des Turmes, indem er die Sprache der Menschen verwirrte. Erst ab diesem Tag gab es verschiedene Sprachen auf der Welt und der Bau musste unterbrochen werden, denn die Handwerker konnten sich gegenseitig nicht mehr verstehen. Soweit die Legende, in der Praxis hat man keine großen Hinweise auf ein so riesiges Projekt wie den Turmbau zu Babel gefunden, obwohl es zahlreiche Quellen darüber gibt.“
Hermann nickte euphorisch.
„Genau, Professor, genau! Sie sind wirklich gut, sie wissen das, was ein gewöhnlicher Mensch darüber in Erfahrung bringen kann.“
Toll. Ich war ein normaler Mensch.
„Aber!“, fuhr er fort, „Sie haben zwar recht, man hat im ehemaligen Babylon, im Zweistromland, keine Hinweise auf den Turm gefunden, im antiken Griechenland allerdings schon!“
Ich zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe, während Hermann etwas aus seinem kleinen Aktenkoffer zerrte.
„Die Kollegen in Spanien haben mir diese Aufzeichnungen zur Übersetzung aus dem Altgriechischen geschickt, und es gibt großen Grund zur Annahme, dass es sich dabei um verschollene Aufzeichnungen des Geschichtsschreibers Heredot handelt!“
Es war die Kopie eines uralten Pergamentes, schön laminiert und überall mit Übersetzernotizen versehen, vielleicht eine A4-Seite. Als zweites verließ eine mit wilden Kuli-Hyroglyphen verfasste Übersetzung den Koffer, aber ich kannte Hermanns Handschrift, und mit den Jahren hatte ich gelernt, sie zu entziffern. Meine Augen wanderten über das Pergament, und mit jedem Satz festigten sich zwei Annahmen in meinem Kopf. Am Ende schaute ich vom Blatt auf, rieb mir das Kinn und überlegte. Hermann saß mit einem vor Aufregung hochrotem Kopf daneben und wartete hysterisch auf mein Urteil.
„Nun ja, Hermann, in welche Zeit hat das Labor…“
„Nein, nein!“, rief der dickliche Forscher aus, als würde er meine Gedanken lesen, „Die Zeit stimmt perfekt, das ganze Pergament hat in tagelanger Untersuchung bewiesen, dass es echt ist!“
Ich lies mich abermals in Gedanken fallen und schaute erst nach einigen Sekunden wieder auf.
„Nun gut. Wenn dieses Pergament echt ist, hat sich Heredot gegen ein ganzes Herr babylonischer Geschichtsschreiber aufgelehnt.“
Grinsend schaute ich ihn an.
„Hättest du mich auf den klapprigen Stuhl verfrachtet, würde ich jetzt umkippen.“
Fortsetzung folgt…
EDIT: OK, Anfang wurde geändert, die Worte hab ich auch ein wenig intelligenter gemacht.
Waren tatsächlich Sie/du Fehler drin, dass mir das nochmal passiert...
Es war so gedacht, dass Isaac ihn mit "du" betitelt, da er das mit den meisten Leuten so macht, und Hermann dagegen beim "Sie" bleibt, was besser auf den Klischee-Historiker passt.