So, eine Art Epilog zu LL1 und gleichzeitig ein paar Infos zu meinem Prediger:
Hoffnung
Es konnte nicht wahr sein. Er konnte nicht glauben, was er gesehen hatte. Er hatte erwartet, dass Villon seine Widersacher mit wenigen Handstreichen hinwegfegen würde, doch stattdessen hatten sie es nicht nur geschafft, selbst am Leben zu bleiben, sondern auch Villon zu vernichten. Doch wie? Er fühlte, dass Villon diesmal nicht nur einen überflüssigen Teil seiner Existenz abgestreift hatte, wie er es in der Wüste getan hatte, sondern dass dies wirklich sein Ende war.
Doch wie konnte das sein? War er nicht der Bote Katharsis, jener dunklen Göttin, der es bestimmt war, den Willen des Schicksals zu vollstrecken? Warum hatte sie nicht eingegriffen, um ihren obersten Diener zu schützen? Und warum war sie nicht erwacht? Das ergab keinen Sinn. Es war ihre Bestimmung gewesen zu erwachen, und das Zeitalter der lebenden Wesen, die diesen Planeten bevölkerten, zu beenden. Und nun war nichts geschehen. Er verstand es nicht.
Vielleicht hätte es noch einen Sinn ergeben, wenn die Lichtkrieger es geschafft hätten, sie aufzuhalten, denn schließlich hatten sie genug Macht erhalten, um ihr Ende etwas hinauszuzögern. Doch Katharsis war überhaupt nicht erschienen. Was sollte das? Er konnte sich keinen irgendwie gearteten Plan vorstellen, der eine solche Verzögerung begründen konnte. Warum etwas hinauszögern, was längst feststand? Wie sollte das möglich sein. Stand das nicht im Wiederspruch zu allem, worauf er wartete? Wie konnte das Schicksal sich anders entwickeln, als es vorherbestimmt war?
Er wollte gerade seine psychischen Augen schließen, um in seinen Körper zurückzukehren, da es im abstürzenden Tempel außer den fliehenden Lichtkriegern nichts mehr zu sehen gab, als ihn plötzlich ein Ruck durchfuhr. Allerdings war es ein rein geistiger Ruck, da er in seinem gegenwärtigen Zustand keinen Kontakt zu seinem wirklichen Körper hatte. Noch ehe er sich fragen konnte, was mit ihm geschah, fühlte er, wie er wie ein Fisch an einer Angel irgendwohin gezogen wurde, obwohl er keine räumliche Veränderung sehen konnte. Dann schwanden ihm auch seine psychischen Sinne.
Als er wieder zu sich kam, befand er sich auf einer großen dunklen Ebene. Er wusste nicht, ob er sich in seinem wirklichen Körper oder in seiner geistigen Form befand, vermutete aber ersteres, da er seine eigene Gestalt erkennen konnte.
„Falsch geraten. Zwar verständlich, aber trotzdem falsch.“
Er fuhr herum. Die Stimme war aus keiner bestimmten Richtung gekommen, und während er sich umblickte, konnte er auch nichts und niemanden als sich selbst entdecken.
„Wer ist da?!“ brüllte er in die Gegend.
„Oh entschuldige, wie unhöflich von mir. Einen Moment.“
Ein Stück vor ihm blitzte mitten in der Luft plötzlich ein Licht auf. Etwa eine Fee? Nein, der Lichtfunke wuchs, und hatte bald eine menschenähnliche Gestalt. Dann lies das Licht nach, und plötzlich stand vor ihm... er selbst. Nun nicht ganz. Die Gestalt sah zwar äußerlich aus wie er, war jedoch von einer Art hellen Aura umgeben, die zwar nicht mehr zu sehen, aber umso deutlicher zu spüren war.
„So, das dürfte das Reden etwas vereinfachen.“
Er wusste nicht wieso, doch diese Gestalt weckte etwas, dass er ebenso wie seine Wesen als Mensch bereits als restlos ausgelöscht betrachtet hatte: das Gefühl der Furcht.
„Dazu besteht überhaupt kein Grund. Selbst wenn ich wollte, könnte ich dir nichts antun, und eigentlich liegt mir auch nichts ferner, als das zu wollen.“
„Liest du meine Gedanken?“
„Nein, so kann man das wirklich nicht sagen, es ist vielmehr so, dass deine Gedanken direkt in meinem Kopf entstehen. Eigentlich würde das auch umgekehrt funktionieren, aber das, was du bist, wiederspricht allem, wofür ich stehe, und deswegen werden meine Gedanken abgeblockt, wodurch wir zur Kommunikation über eine umständlichere Art gezwungen werden.“
„Wer oder was bist du?“
„Das Licht, das sie Dunkelheit erhellt. Der Funken Hoffnung, der selbst in der dunkelsten Verzweiflung leuchtet. Irgendetwas in dieser Art. Such es dir aus.“ Die Gestalt lachte.
„Was soll das heißen? Was willst du von mir?“ Er wurde zunehmend nervöser, etwas was seit langem nicht mehr vorgekommen war.
„Was ich will, ist eigentlich irrelevant, da du nicht mehr in der Lage bist, mir meinen Wunsch zu erfüllen. Aber was spricht gegen eine nette Unterhaltung unter alten Freunden?“
„Verdammt!“ Von den geheimnisvollen, aber gleichzeitig nichtssagenden Äußerungen des Wesens wurde er langsam zornig: „Sag mir endlich, wo ich hier bin, und was ich hier soll!“
„Ruhig Blut. Seufz. Anscheinend kehren mit deiner Menschlichkeit auch einige Untugenden zurück.“
„Menschlichkeit? Was soll das heißen?“
„Nun, dir sollte aufgefallen sein, dass im Moment Reste einer Persönlichkeit in dir aufflackern. So gern ich auch das Gegenteil glauben würde, aber das wird leider nicht von Dauer sein. Trotzdem ist es faszinierend, wie allein meine Nähe einige der Veränderungen, die mit dir vonstatten gegangen sind, rückgängig machen. Leider führt es auch dazu, dass deine übernatürliche Einsicht in alle Dinge verschwindet, weswegen du im Moment auch nicht wirklich in der Lage bist, alles zu verstehen, was ich dir erzähle. Nichtsdestotrotz ist dieses Gespräch mit dir zu führen etwas, was ich schon lange tun wollte.“
„Und warum?“
„Weil wir beide zusammengehören. Unsere Trennung wurde von der Macht erzwungen, die du inzwischen als deinen alleinigen Herrn anerkannt hast.“
„Mein Herr? Das Schicksal? Aber wie kann das Schicksal etwas trennen wollen? Es ist keine bewusste Macht. Es existiert, aber es hat kein Bewusstsein!“
„Das wiederspricht so grundsätzlich der Meinung, die du im Moment vertreten solltest, dass ich fast Hoffnung schöpfen möchte. Eigentlich wäre das auch meine Aufgabe, und deswegen wurde ich ja von dir getrennt. Aber letztlich hat Hoffnung keinen Bestand, wenn eine größere Macht nichts als Verzweiflung zulässt.“
„Kannst du endlich aufhören, nur irgendwelche geheimnisvollen Andeutungen von dir zu geben, und mir endlich sagen, was das alles soll?“
„Ja, ich sollte langsam zur Sache kommen. Ich spüre, dass unsere Zusammenkunft bald enden wird. Wir verdanken sie schließlich nur der Tatsache, dass der Tod Villons einige Zweifel an der Unabänderlichkeit des Schicksals in dir geweckt hat, die jedoch bald wieder ausgeräumt sein werden. Nun, was ich dir sagen will, ist folgendes:
Egal wie mächtig das Schicksal auch sein mag, es gibt für die Zukunft immer eine Alternative. Das Leben und seine Geschichte ist nicht komplett vorherbestimmt, auch wenn es nicht so aussehen mag. Der freie Wille der Menschen ist etwas, das das Schicksal nicht beeinflussen kann, und deswegen können Menschen, die sich gegen das Schicksal stellen, auch Erfolg haben, egal, wie gering ihre Aussichten auch sein mögen.
Das ist die Botschaft, die ich dir überbringen wollte, und ich hoffe, dass du sie eines Tages verstehen wirst. Ich sehne mich danach, wieder Teil eines Ganzen zu sein.“
Die Gestalt begann langsam zu verblassen.
„Halt, warte. Ich verstehe das alles nicht. Bleib hier und erkläre es mir!“
Während die Gestalt gesprochen hatte, war alle Furcht, die er vorher vor ihr gehabt hatte, von ihm abgefallen, und ein anderes Gefühl hatte von ihm Besitz ergriffen: das Gefühl, dass ihm etwas fehlte, das er zwar sein ganzes Leben gekannt, aber niemals wirklich zu schätzen gewusst hatte, bis er es verloren hatte.
„Es tut mir leid, aber die Zeit, die ich mir stehlen konnte, ist abgelaufen. Doch wenn du an meine Botschaft denkst, werden wir vielleicht eines Tages die Gelegenheit erhalten, uns wiederzusehen und wieder zu dem zu werden, was wir einst waren. Leb wohl...“
Damit verschwand die Gestalt. Doch dafür kehrten zwei weitere seiner alten Gefühle zurück: Trauer und Wut. Trauer um das, was er soeben ein zweites Mal verloren hatte und Wut auf das Schicksal, das ihm alles, was er gehabt hatte, genommen hatte, um ihn zu dem zu machen, der er nun war, ohne ihm eine Wahl zu lassen.
Doch ehe er sich klar werden konnte, was das nun für ich bedeuten mochte, durchfuhr ihn ein weiterer Ruck, und er fühlte sich wieder hinweggezogen.
Er schlug die Augen auf.
Das erste was er sah, als er sich mühsam aufrichtete, war die gewaltige Menge an toten Menschen um ihn herum. Als die Welle des Hasses, die von der dunklen Festung ausgingen, seinen Standort erreicht hatten, hatten sich anscheinend die Menschen, die ihm gefolgt waren, in ihrem Wahn gegenseitig umgebracht.
Nun, so hatte sich wenigstens ihr Schicksal erfüllt, während er das Ende seiner langen Wanderung noch nicht absehen konnte. Entgegen seiner Erwartungen war Villon den Lichtkriegern unterlegen gewesen und letztendlich gefallen. Anscheinend war die Zeit noch nicht reif dafür gewesen, dass sich das Schicksal erfüllte. Er würde wohl noch etwas warten müssen, bis das Ende, das er erwartete, eintrat.
Kurz befiel ihn eine seltsame Ahnung. So, als ob etwas zwischen Villons Tod und der Rückkehr in seinen Körper geschehen wäre, das er nur vergessen hatte. Er schüttelte den Kopf. Was sollte da schon gewesen sein. Villon war tot, und seine Aufgabe war noch nicht erfüllt, weil die Lichtkrieger es tatsächlich geschafft hatten, den Boten Katharsis und damit des unausweichlichen Endes aufzuhalten. Dies war allerdings nur eine winzige Verzögerung im großen Plan des Schicksals, und nichts, worüber es sich Gedanken zu machen lohnte.
Er blickte sich um, und obwohl es ein sonniger Tag war, sahen seine Augen die Schatten der Vorahnung, die über allem lagen. Vor seinem geistigen Auge sah er die Dunkelheit des Schicksals der Welt. Für einen Moment meinte er einen hellen Funken in dieser Dunkelheit zu entdecken, doch dann war auch dieser verschwunden. Wo hätte er auch herkommen sollen?
Er ging los. Dorthin, wo zu sein ihm bestimmt war.