Nasreddin, der bei dem gewagten Sprung seines Neffen wieder leicht zusammenzuckt (eine Bewegung, die ihm wohl innerhalb kürzester Zeit zur Gewohnheit werden würde), zieht eine Braue abschätzig hoch und fragt:
"Das Wort erstaunt mich, aus deinem Munde. Aber sei es, wie es sei, ICH werde nichts dergleichen an dir vollziehen. Unsere Beziehung wird sich darauf beschränken, dass du mich in Ruhe lässt und mir keine Scherereinen machst."
Er hielt es für angebracht, die Fronten gleich zu klären. Menschen, die ihn in den falschen Augenblicken störten, durften keine Freundlichkeit erwarten.

Jetzt war es an Brin, die Augenbrauen verwundert hochzuziehen. Er hatte mit einem zwar schrulligen, aber unerträglich liebenswürdigen Mann gerechnet, der ihn mit Samthandschuhen anfasst. Mit solch massivem Unwillen jedoch hatte Brin nicht gerechnet. Sein Herr Onkel hatte ihn wohl schon aufgegeben, ehe es überhaupt begonnen hatte. Aber so schnell wollte sich Brin Renan nicht geschlagen geben.
"Und bekomme ich ein Zimmer oder so? Habe ich keine Verpflichtungen, keine Termine, kein gar nichts? Ich meine, mein Vater hat mich doch nicht hier her geschickt, damit ich Eure Stühle wärme!"

Meinte der Bursche es etwa wirklich ernst? Schwer vorstellbar, bei der Familie. Nasreddin brauchte seinen Neffen nur anzusehen, um in ihm den Typus Albernier zu sehen, den er immer verachtet hatte.
Aber wer weiß, immerhin kam ja auch er selbst aus dieser Familie.
"Natürlich wirst du ein Zimmer bekommen." sagte er, leicht versöhnlich.
"Was Verpflichtungen angeht, ich bin kein Lehrer, und ich habe keine Zeit, einer zu werden. Aber es wäre nur logisch, wenn du dich um die Hausarbeiten kümmern würdest. Gerade jetzt, wo mein letzter Diener absent ist."

Brin hatte eine Bemerkung bezüglich des verschwundenen Dieners auf der Zunge, schluckte diese aber herunter. Er hopste vom Tisch runter, sah sich in der Küche um, und meinte dann zögernd:
"Mit Pflichten im Haus hab' ich auch nur bedingt ein Problem, wenn ich nicht die größte Drecksarbeit erledigen muss und abends und am Wochenende Zeit für mich habe. Für den Anfang ... könnte ich ja was zu essen machen. Das kann ich nämlich ganz gut ... Kochen und so, meine ich. Wenn Ihr alles im Haus dafür habt."

Beim Wochenende runzelte Nasreddin kurz die Stirn, der Vorschlag des Kochens entlockte ihm dagegen ein überraschtes "Oh.“ Womöglich schwang sogar so etwas wie vorsichtige Anerkennung für den Eifer des Neffen mit.
"ALLES habe ich sicher nicht im Haus. Ehrlich gesagt fehlt mir der Überblick über die Vorräte sogar völlig. Aber suche, und du wirst finden."
Er wedelte dabei mit der linken Hand in der Luft umher, als wollte er Fliegen verscheuchen. Damit schien das Thema für ihn beendet zu sein, und er drehte sich um, in Richtung Sperrgebiet. Er wollte endlich wieder an sein Buch. Vielleicht war er deswegen auch etwas gereizter als sonst.

Brin hob die Hand und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, brachte aber nichts heraus. Er hielt es für zwecklos, jetzt eine Diskussion anzufangen oder fortzuführen, zumal er eh nicht wusste, was er noch sagen sollte.
Er ließ seinen Onkel ziehen und sank bereits jetzt schon müde auf einen Schemel. Tausend Gedanken schwirrten Brin durch den Kopf ... doch er hielt es für angebracht, diese später zu sortieren. Er stand auf, ging zurück in den Flur und holte seine Tasche, die er in der Küche auf den Tisch warf. Dann machte er sich daran, die Vorratskammer zu durchsuchen.
Nachdem er den Bestand seines Onkels gesichtet hatte, griff er zu seinem Rucksack, schwang ihn sich über die Schultern und ging zur Tür raus. Er würde auf dem Markt etwas zu essen kaufen gehen. Von seinem eigenen Geld, welches sein Onkel ihm später natürlich erstatten würde. So hoffte er.

Nasreddin war tatsächlich wieder in seinem Arbeitszimmer, fand dort allerdings keine Ruhe. Seine Konzentration war dahin. 'Möge das Essen es rechtfertigen' dachte er. Unschlüssig wanderte sein Blick im Zimmer umher und fiel wieder auf die beiden Briefe. Der eine war soeben in sein Leben getreten, mit weniger Wucht als erwartet, der andere hatte bisher nur ein böses Versprechen parat. Bisher. 'Er muss es ja doch erfahren, und hier bleiben kann er auch nicht'. Nasreddin stürzte förmlich aus dem Arbeitszimmer in das Vorzimmer, als er die Haustür hörte.
"Ach, bevor ich es vergesse. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ich sehr bald nach Gareth aufbrechen muss. Dieser Umstand würde dich zwingen, mir dorthin zu folgen.“

Gerade wollte die Haustür zuschlagen, als Brin einen Fuß zwischen selbige und den Rahmen stellte und die Tür mit der Handfläche aufschob. Es hatte keinen Zweck, mit dem Mann zu diskutieren, selbst wenn Brin vorhatte, nicht mit nach Gareth zu kommen. Aber was hielt ihn denn eigentlich in diesem viel zu tulamidischen Ort?
Brin hatte jetzt keine Zeit, mit sich selbst das Für und Wieder zu diskutieren, meinte der Einfachheit halber nur: "Kein Problem!" und warf dann die Haustür hinter sich zu. Als er aus dem Garten auf die Straße trat, bereute er seinen letzten Satz augenblicklich.