„Ich habe es doch eben noch…Ah, da ist es ja.“ Nasreddin al Ramhli zog erst seinen Oberkörper, dann ein in Leder gebundenes Buch aus einer Truhe in seinem Arbeitszimmer. Darin musste sich eine handgeschriebene Notiz befinden, die er selbst vor vielleicht 2 Jahren dort hinterlassen hatte. Dummerweise konnte er sich daran erinnern, sie hinterlassen zu haben, nicht aber, WAS genau sie besagte. Das Buch befasste sich mit Fragen, die ein Elementarist aus Rashdul einem "emir a djinnim ay zumuh", einem Dschinn des Humus gestellt hatte. Die Antworten befanden sich in einem anderen Buch, von dem Nasreddin im Moment überhaupt nicht wusste, wo es lag. Aber das war irrelevant, er würde es suchen, wenn es vonnöten war, jetzt musste er sich konzentrieren.
Er richtete seinen Tam, die flache, runde Kopfbedeckung, die er, als Substitution seines Haupthaares, auch innerhalb seines Hauses zu tragen pflegte. Sie war bei seinem kleinen Abenteuer in der Truhe verrutscht und über eines seiner hellblauen Augen geglitten. Dann klopfte er den Staub von seiner grauen Robe, nicht ohne bei sich selbst zu monieren, dass doch mal wieder eine Reinigung seines Domizils anstände, und schlurfte zu dem viel zu kleinen Schreibtisch, der ob des ihm anvertrauten Gewichtes jeden Moment zu kapitulieren schien. Geradezu draufgängerisch strapazierte Nasreddin diesen armen, stummen Diener weiter, indem er das soeben gefundene Buch ablud.
Er blickte sich im Zimmer um. Es sah aus wie immer, wenn er das tat, weswegen er normalerweise vermied, seinen Blick derart durch das Zimmer schweifen zu lassen. Es war hoffnungslos unordentlich. Der Staub tanzte in einem einsamen Lichtstrahl, der durch eine kleine Ritze unter dem Fenster drang. Praios hatte eben gerne ein Auge auf die, die sich vor ihm zu verbergen suchten, besonders, wenn es Magier waren. Überall in dem allgegenwärtigen Halbdunkel waren Schriftrollen, Pergamente, Bücher, Schreibzeug und sonstige Utensilien verstreut, Insgesamt dürfte das Material ausreichen, um alle Regierungsorgane des Neuen Reiches bis zum nächsten Auftauchen des Dämonenmeisters mit Papier zu versorgen. „Und DAS würde dauern!“ sagte Nasreddin mit einem schnauben in den Raum hinein. Zu sich selbst. Natürlich zu sich selbst. Seit dem Allaventurischen Konvent vor 3 Jahren, als er einen Magus aus Belhanka tatsächlich in sein Haus eingeladen hatte – in sein HAUS, wohlgemerkt, nicht in sein Arbeitszimmer! – war niemand mehr in diesem Raum gewesen. Außer ihm selbst, natürlich…

Nasreddin zwang sich, seine Konzentration wieder in die Bahnen zu lenken, die ihrer bedurften. Er war sicher, mit der damals eher beiläufig gekritzelten Notiz einen essentiellen Fortschritt machen zu können. Also, voran, Rhodri! Wenn du irgendwann noch mal die wunderbaren Buchstaben „finis“ unter deinem Traktat, oder wie du es nennst, sehen willst, schlägst du jetzt besser diesen schäbigen Wälzer auf! Befahl er sich in Gedanken, in dem bewusst schroffen Ton, den er aus seinem Geburtsland immer noch so gut kannte und so sehr verabscheute. Also setzte er sich auf den ehemals gut gepolsterten, aber mittlerweile durchgesessenen Sessel und wandte sich dem Buch zu.
Dabei fiel sein Blick wie durch Zufall auf die beiden Briefe, die auf dem Tisch lagen und aussahen, als würden sie in einem imaginären Fach mit der Aufschrift „Unannehmlichkeiten! Ungeöffnet verbrennen!“ liegen. Beide waren jedoch geöffnet. Der eine, der von der baldigen Ankunft seines Neffen kündete, schon seit langem, und jedes Mal, wenn er ihn dort liegen sah, überkam ihn das kalte Grauen. Der andere war erst vor kurzem angekommen und enthielt, so war zumindest anzunehmen, noch ärgerlichere…

Ein Klopfen! An seiner Tür. Kein Zweifel. Ein Fremder. Sehr unverschämt, so laut zu klopfen. Das würde niemand von hier tun. Leise auf tulamidisch fluchend erhob sich Nasreddin und machte sich auf den Weg zur Tür. Kurz hielt er inne und streckte die linke Hand aus. Einen Gedanken später schwebte sein Stab aus einer dunklen Ecke lautlos in die offene Hand. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass sich ungebetene Gäste mit dem Stab in der Hand effektiver abwimmeln ließen. Meistens reichte ein mürrisches „Ja?!“, kombiniert mit einem dazu passenden Gesichtsausdruck und dem vorgestreckten, möglichst auf den Kopf des Störenfrieds gerichteten, Stab. Mit diesem Vorsatz ging er also zur Tür, griff nach der Klinke und drückte sie abrupt herunter.