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Montag ist Schreintag, da alle Museen geschlossen haben. Und da ich heute wieder allein unterwegs bin, habe ich mir den kontroversen Yasukuni-Schrein angesehen. Falls sie die Asiennachrichten nicht verfolgen sollten, dies ist ein Schrein in dem die Gefallenen der beiden Weltkriege verehrt werden und dafür gesorgt wird, dass jeder der Toten auch seinen verdienten Status als Kami bekommt und dem japanischen Staate wohlgesonnen bleibt. Denn nach Shintoglaube wird ein Toter nach seinem Abgang von der irdischen Bühne erst dann zur seinen Nachfahren wohlgesonnenen, Glück und Geld bringenden Gottheit, wenn man ihm zuerst über eine bestimmte Periode intensive und danach regelmäßige Verehrung zukommen lässt. Tut man das nicht, wird der Großpapa zu einem Fuchs- Tanuki-, Schlangendämon oder Rachegeist und beschehrt seinen Kindern und Kindeskindern unbil und Übel bis ein Priester kommt und ihn mit seinen Alienkräften wegstrahlt oder ein Yamabushi angelatscht kommt, seinen mythischen Riesenpenis auspackt und Großmama oder -Papa damit eine runterwischt.
Doch aus verschiedenen Gründen (wohl unter anderem aus Zentralisierungsbemühungen, der Verlegung der Hauptstadt nach Tokyo und den Problemen, die man schon früher hatte wenn man irgend ein für den Weiterbestand des Staates wichtiges religiöses Amt an einen Tempel abgab) ging man bei den hundertausenden von Toten des Krieges kein Risiko ein und errichtete ihnen einen eigenen Schrein mitten in Tokyo. Wäre kein Problem, aber irgendwann in den 60ern verlegte man auch noch die Asche von ein paar als Klasse A Kriegsverbrecher verurteilte Generälen auf das Gelände und dies erwies sich nicht gerade als politisch geschickter Schritt. Es ist natürlich verständlich, dass wenn jemand an Shinto glaubt, ihm nichts weniger erquicklicher vorkommt, als tausende von Göttern um sich zu haben, die allesamt ein Hühnchen mit dem Staat zu rupfen haben, für den sie starben aber Kriegsverbrecher in ihren Reihen zuzulassen wäre in etwa so, wie wenn man plötzlich Himmler in seiner Heimatstadt auf eine "Im Gedenken an die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges"-Tafel eintragen würde. In Deutschland und Österreich würden wir damit die Illusion vernichten, dass es uns wirklich leid tut und wir den Krieg als etwas an uns durch die Maschinationen von einer genau umrissenen Gruppe geschehenes verleugnen. Dies zuzulassen wäre in etwa, wie wenn wir in jeder Stadt Massendemonstrationen abhielten in denen wir Schilder mit Aufschriften wie "Wir wollen Krieg mit unseren Nachbar!" oder "Gebt uns Blut und Blei!", bzw "Es leben zu viele Franzosen noch" herumtragen würden.
Im Fall Japans bedeutete dieser Schritt, dass die Nachbarländer damit rechen durften, bald wieder versklavt, ihrer kulturellen Identität beraubt und auf der Straße geköpft zu werden, weil irgend ein Japaner gerade eine Delle aus seinem Schwert entfernen lassen hat. Überspitzt gesagt natürlich.
Zwei weitere Umstände tragen noch zum Gefühl des Unwohlseins bei:

- Die ganzen Freaks, welche immer wieder in Reaglia der Imperialen Armee vor dem Schrein aufmarschieren (btw, alle Forumites die im Oktober dort sind: am 15. findet irgend ein Fest statt, dort sollte man sich die Freaks und die schwarzen Busse der Rechtsparteien dann mit einiger Sicherheit ansehen können.)
- Das angeschlossene Museeum, welches Japans Historie als eine Reihe von legitimen Expansionskriegen unter Führung des Tenno umschreibt und die sinnlosesten Opfer des Krieges, die Kamikazeeinheiten feiert. Leidlicherweise war im Gebäude Photographieren untersagt, sonst hätte ich die Pointe des schlechten Scherzes photographieren können: Eine Kamikaze-Einheit, welche gedacht war um Landungsboote vor den Stränden zu versenken - Ein Taucher mit einer Bombe an einem langen Stock. Der englische Text äußerste sich bedauernd darüber, dass so viele Seemänner "bei der Erprobung dieser Waffe, die nie zum Einsatz kam umgekommen sind". Wenn man nahe genug an die Statue des Tauchers herangeht, kann man sehen, dass er passenderweise recht panische Blicke auf die Sprengladung über seinem Kopf wirft.

Das der Tempel definitiv für Staatsakte ausgelegt ist, dürfte auch nicht gerade beruhigend sein. Das erste Torii ist schwer zu übersehen. Die Bäume links und rechts von der Alee dürften gut siebzig Jahre alt sein doch dieses Monstrum überragt sie noch immer! Noch ein Bild von einer der zwei Säulen: Die Kleinfamilie hätte genügend Platz auf dem Querschnitt, um gemütlich im Kreis zu laufen und hier sieht man mich und weniger als die Hälfte des Durchmessers. Wäre das Torii ein Turm, würde der Liebe Herrgott eine Regenwolke oben anbringen und sein Arschloch an diesem gigantischen Stock abwischen. Der Weg zwischen den beiden ist sehr lang, sehr breit und so konstruiert, dass man ihn nach Massenaufmärschen leicht reinigen kann - leicht oval gebogen und mit Abflussrinnen entlang der ganzen Länge links und rechts. Bei allem Sinn für das Praktische, den man den Japanern so gerne nachsagt kommt mir dies doch ein wenig beunruhigend vor. Das zweite Torii ist nicht ganz so groß, aber dafür angeblich vollständig aus Bronze gemacht. Die Säulen könnte man zu zweit wohl noch umfassen und hier ist der äußere Jinja. Dahinter, durch ein großes hölzernes und metallbeschlagenes Doppeltor mit dem kaiserlichen Anussiegel verziert und hinter dem dritten Torii liegt das eigentliche Heiligtum. Als ich davor stand, stand ein anderen Gaijin neben mir und machte sich daran, vor dem Heiligtum zu beten. Vielleicht hätte ich ihn fragen sollen, um was er tausende von verstümmelten Toten denn erbeten hat? Glück in der Ehe?
Der Tempel hatte übrigens auch eine No-Bühne. Irgendwie passend, die halbreligiösen Dramas hier an einem Ort aufzuführen, der nach instrumetialisierter Religion stinkt doch wie ironisch ist es denn, wenn Ze'amis Stücke von ruhelosen Toten erzählt, die durch den Zuruf: "Ich habe dich nie gehasst!" erlöst werden oder von Verstorbenen, die gezwungen sind das Drama ihrer eigenen Niederlage jede Nacht erneut zu durchleben.

Dies sollte dann wohl der "echte Tempel" der Anlage genannt werden, in dem mit der Theologie der Moderne die Überlegenheit des japanischen Staates unter der Führung des Tenno gepredigt wird. Der Zero hinter dem Fenster war die letzte Lektion des Gebäudes: Der englische Text pries die Überlegenheit des Zeros bei seiner Einführung um 1940, verschwieg aber das die Maschine schon drei Jahre später veraltert war und man es bis Kriegsende nicht schaffte, ein besseres Modell in die Luft zu bekommen. Der erste Saal lobte, wenn ich mich recht entsinne in einer sehr schön hergemachten Halle den "Spirit of Bushido" (man sollte ein Flugzeug so Taufen). In den vier Ecken waren Gedichte, welche tote Soldaten für ihr Opfer für das Vaterland lobten und in der Mitte hing ein sehr schönes Offizierstachi. Der nächste Saal war den Samurai, der Geschichte Japans auf Krieg reduziert und den ersten drei erobernden Tenno gewidmet. Kusanagi wurde in dem Bild, welches den Moment illustrierte in dem Grasmäher seinen Namen erhielt als extrem stranges Fantasy-Demonslayer Schwertding dargestellt, die restliche Zeit als definitiv importiertes anderthalbhändiges Chokuto mit Kopfschlägergriff. Die Bezeichnung stammt aus dem Kojiki, aus einer Szene wo sich ein kleiner Stamm Krieger dem Tenno unterwirft und als mit "Kopfschlägern" ausgestattet bezeichnet wird. Die Bezeichnung stammt wohl von einer archaische Keule deren Schlagkopf einer faustgroßen, schräg an den Griff angesetzten Walnuss ähnelt. Die ebenfalls in der Halle zu besichtigende Repro sieht mächtig unpraktisch aber irgendwie beeindrucken aus. Nebenbei kann man auch noch einige sehr schöne Flinten (zwei normale und eine mehrläufige), fast in jedem Saal ein Katana oder ein Bokuto, ein definitiv aus einem Schrein stammendes Odachi und ein paar sonstige aus rein religiösen Gründen geschmiedeten Schneidegeräte bewundern. Der große Mittelteil des Saales behandelt die Öffnung Japans, die Wiedereinsetzung des Kaisers und die Modernisierung (hier kann man eine interessante Bildrolle betrachten, die eine Reihe von Samurai zeigt, welche in Formation Pistolen vom Pferd abfeuern), verteidigt die Besetzung Koreas als notwendig, da sonst China Japan den Brocken weggeschnappt hätte, den ersten Weltkrieg beschreibt und den zweiten als Reaktion auf das Amerikanische Embargo. Nanking wird natürlich erwähnt, es heißt das der Komandant der Chinesen seinen in der Stadt eingegrabenen Streitkräften Widerstand bis zum Letzten Mann befohl und sich absetzte. Die Japaner kamen dann mit Karten, auf denen die für Flüchtlinge "sicheren" Ausländerviertel von ihrem kommandierenden General rot eingekreist wurde und stellten den Frieden in der Stadt wieder her. Nicht ganz wahr und nicht ganz falsch, aber wahr genug um als Interpretation durchzugehen. Über den schubser, welchen die Sovjets der kaiserlichen Armee in der Mongolei durch modernere Führungsmethoden uns besseres Gerät verpasst haben wird auch nicht gerade ausführlich berichtet. Danach kommen ein- oder Zwei Sääle für die Kamikaze, zwei mit Portraits von verstorbenen Soldaten ausgefüllte und einer in dem Selbstmordtorpedos, ein Kamikazeflugzeug, verschiedenes Kriegsgerät, welches von Veteranenorganisationen auf eigene Kosten von ehemaligen Kriegsplätzen in ganz Asien auf eigene Kosten nach Japan zurückgeführt worden ist und ein ganzer Haufen Schiffsmodelle ausgestellt sind.
Das Museeum ist zugleich interessant und langweilig - interssant, weil es die Geschichte ernsthaft zugunsten der konservativen Rechten und ihrer instrumentalistischen Religions/Geschichtsmodelles auslegt, während z.B. das Nationalmuseeum bemüht ist die Theorie des mehr oder weniger intensiven Kulturaustausches zu vertreten und langweilig weil es viel zu lesen gibt. Die ganzen Sääle welche die Chronik von der Öffnung bis zur Niederlage nacherzählen füllen sich hauptsächlich mit Wandschirme mit kurzen englischen Texten, Photos und langen japanischen Kommentaren.

Zuvor war ich noch bei diesem Park hinter dem Budoka und vor dem kaiserlichen Palast. Die Zikaden übertönen hier die Krähen, aber dafür waren die Menschen weit verteilt. Auch wenn das Geräusch von diesen sexwilden Insekten mich in anderen Situationen schon halb zum Wahnsinn getrieben hat, hier empfand ich es als angenehm einschläfernd. Eine Gruppe Kindergärtner auf Ausflug versuchte in der Nähe mit ihren Lehrern, UFOs zu rufen und Nekosan schlief auch noch. Die ganzen Säulen, welche das Begrenzungsseil hielten, die Zäune und auch die Stämme der Erdstufen am nahen Hügel waren übrigens alle aus Plastik. Kein Baum musste für diesen Park sterben.

Oh, und bei der Rückfahrt bemerkte ich in Ueno, dass ich vergessen hatte, wie die Linie hies, welche mich beim Hotel abliefern sollte. Ich bin dann einige Zeit duch Ueno geirrt bis ich endlich zum Hauptausgang und den Plankarten fand. Netterweise drückte mir ein älterer Herr aus umbestimmten Gründen sein Ticket in die Hand und ersparte mir damit ein paar Yen.

Btw, das Ofuro war heute nicht gänzlich frei, ein Australier, dessen Bauch eine nicht zu übersehende Ähnlichkeit mit Ganeshas stolzer Wampen hatte und ein Japaner mit der "typischen" Struktur der Menschen dieses Endes der Welt. Die Anwesenheit Fremder ist wirklich kein Problem, mehr Kummer bereitete mir das Badewasser, welches weniger heiß war als ich es gerne habe.

Heute wurde ich übrigens zum dritten mal mit Engrish konfrontiert und konnte mir endlich eines merken: ein T-Shirt mit Sonnenbrillen tragendem Snoopy und dem Text: "This is Joe Cool, he hangs around the Student Union."

Getrunkenes/Gegessenes:
- Asahi Eistee:
Endlich besser ein anständiger, aus Gunpowder und nicht aus Sencha hergestellter Eistee. Viel besseren Konsistenz im Geschmack und wenig Veränderung beim Abgang. Man kann die beiden Sorten übrigens beim 7eleven ganz einfach auseinanderhalten: An ihrem Regal sind kleine Kästchen angebracht, in denen der Tee zu sehen ist, aus dem sie gemacht wurden.

- Limpton Eistee Zitrone:
Ich hielt das Limptonprodukt zuhause immer für zu süß, aber hier schmeckt es wirklich nach Schwarztee mit einem Spritzer Zitrone, lecker.