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Thema: Der Fremde

Baum-Darstellung

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  1. #1

    Der Fremde

    Auf einmal stand der Fremde vor mir. Er schaute mich aus seinen großen, traurigen Augen an. Dieser mutlose Blick, diese stumpfen Augen, die tief in den Höhlen lagen, umgeben von Tälern und Bergen aus Falten. Falten überzogen auch den Rest seines Gesichts. Wie das Wurzelgeflecht eines alten Baumes durchkreuzten sie seine Haut und zerstörten mit unaufhaltsamer Kraft seine restliche Jugend. Von den dunklen Schatten unter seinen Augen zuckten sie über das bleiche Gesicht bis hinunter zu den spröden, aufgeplatzten Lippen. Leise, krächzende Laute kamen über diese Lippen, versuchten sich zu Wörtern zu formieren, verloren sich aber wieder. Ich versuchte ihm zuzulächeln. Auch er lächelte. Seine kaputten Lippen verzogen sich zu einer Fratze, seine unzähligen Falten schienen sich zu vervielfältigen.

    Ich bekam Mitleid mit diesem Mann. Zugleich war ich wütend, wütend auf mich selbst, weil ich ihm nicht half, weil ich ihn nicht herauszog aus dem Treibsand des Elends. Meine Wut wich Verzweiflung, denn ich wusste, ich würde nichts tun. Es wäre so einfach gewesen und trotzdem wagte ich es nicht. Die Verzweiflung schlug um in Trauer. Trauer über diesen armen Menschen, Trauer über sein Schicksal. Auch er guckte jetzt wieder traurig. Sanft schüttelte er den Kopf und griff nach seiner Bierflasche. Er schlurfte weg ohne sich umzudrehen und auch ich ging. Hinter mir versank der Spiegel in der Dunkelheit…

    Geändert von Cyberwoolf (30.03.2005 um 17:19 Uhr)

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