Hi,
mal wieder eine kleine Geschichte von mir, viel Spass beim Lesen:

Engel

Wenn man plötzlich nichts mehr lesen kann, weil alles irgendwie verschwimmt, und man Salz schmeckt im Mund, dann hat man bestimmt Tränen in den Augen, und will weg von hier, irgendwohin. Man wünscht sich Flügel, oder einen kleinen Wirbelwind, der einen davonträgt, auf eine Insel, aber auf keine einsame.
Einen Engel braucht man sich nicht zu wünschen, weil der Wunsch sowieso nicht in Erfüllung geht, jedenfalls nicht, solange man traurig ist. Mit Weinen hat das nichts zu tun. Wenn man nämlich weint und glücklich ist, dann weis man, dass da irgendwo ein Engel sein muss, in der Nähe, und dass er nicht wegfliegen wird, weil einige Engel gar keine Flügel haben, aber trotzdem nicht von hier zu kommen scheinen, wo man gerade ist, sondern irgendwo her, wo man selbst nie sein wird, was einem aber unwichtig erscheint, weil man ja so glücklich ist.

Mit einem Engel verbringt man dann ein wunderbares Wochenende, mit Sonnenschein, und lässt ihn wegfliegen am Anfang der Woche, weil Engel keinen Regen mögen, und da wo sie wohnen ja immer die Sonne scheint, hört man. Nun dauert ein Regen in der Regel fünf Tage, immer, und man weint, und überlegt, ob man weint, weil der Engel nicht wiederkommt, oder ob es nicht umgekehrt ist.

Ob nicht alles irgendwie umgekehrt ist, denkt man sich dann, und schwarze Sterne auf dunkelrotem Himmel leuchten, warmer Regen nach oben fällt, Zebras rückwärts Fahrrad fahren, und man selbst glücklich ist, eigentlich.

Was wäre, wenn eigentlich alle Menschen Engel sind, in Wirklichkeit, aber ohne Flügel, und ohne es zu wissen. Wartet man dann auf sich selbst, die ganze Zeit, ohne zu merken, dass man schon lange dort ist, wo man immer hinwollte?