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Provinzheld
Cruentus konnte es kaum erwarten, dem Tempelschänder entgegenzutreten. Er würde für das büßen, was er getan hatte. Sie liefen schon eine ganze Weile richtung Gipfel. Es kam ihm so vor, als würde dieser immer weiter wegrücken, je höher sie kamen. Er verspürte eine starke Müdigkeit. Die letzten Tage waren schließlich sehr anstrengend gewesen und er sehnte sich nach etwas Ruhe. Er blieb immer weiter hinter den anderen zurück. Die Müdigkeit übermannte ihn. Er sank auf die Knie. Die anderen schienen es nicht zu bemerken, denn verschwommen konnte er erkennen, wie sie in einiger Entfernung einfach weiterliefen. Dann sah er etwas Ungewöhnliches. Für einen Moment war er sich sicher, in einem Felsen das Auge der Shiekah eingeritzt zu sehen. Er ging davon aus, dies wäre eine Täuschung, doch auch nachdem er sich die Augen gerieben hatte, war das Symbol noch da. Er entschloss sich, diesen Felsen näher zu betrachten. Vorsichtig, wohlwissend, dass er sich sehr nahe an einer Felsspalte bewegte, kam Cruentus näher. Doch als er den Felsen erreicht hatte, entdeckte er nicht die kleinste Spur des Auges, das er vorhin noch so klar und deutlich gesehen hatte. Er wollte diese Geschichte schon als Einbildung abtun, doch dann sah er die Person, die hinter dem Felsen hervortrat. Der ihm bekannte Shiekah blickte ihm sichtlich erfreut, das Cruentus ihm in die Falle gegangen war, tief in die Augen.
Was willst du schon wieder von mir?
Fürchte dich nicht, Cruentus. Ich will dir nichts Böses.
Du glaubst, ich hätte Angst vor dir? Lächerlich! Ich bin nur verwirrt durch dein ständiges Auftauchen.
Du hast es also immer noch nicht verstanden?
Was verstanden?
Vergiss es. Es ist unwichtig.
Warum bist du dann hier?
Sei auf der Hut, Cruentus. Sei nicht zu voreilig damit, zu beurteilen, was gut und was schlecht ist. Vieles, was auf den ersten Blick feindlich gesinnt zu sein scheint, kann in Wirklichkeit ein Freund sein.
Was soll das heißen? Willst du damit auf diesen Tempelschänder anspielen?
Vergiss ihn! Er ist jetzt nicht wichtig. Du wirst später noch Zeit haben, dich mit ihm zu befassen. Jetzt hat er noch zu tun. Denn das Heiligtum der Shiekah war gewiss nicht der letzte Tempel, den er überfallen hat, genausowenig, wie es der erste war.
Soll das heißen, ich soll diesen Verbrecher frei herumlaufen lassen?
Du nennst ihn einen Verbrecher? Nun, du solltest bedenken, dass du es bist, der durch den Befehl des Königs gesucht wird, nicht er. Und jetzt geh und befasse dich mit der Gegenwart, anstatt dir über die Zukunft Sorgen zu machen.
Cruentus Stimme wurde lauter.
Aber ich bin kein Verbrecher. Ich bin nicht mehr der, der ich einmal war. Ich bin jetzt anders. Dieser Mord im Tempel... das wollte ich nicht. Dieses Etwas in meinem Kopf hatte die Kontrolle über meinen Körper.
Der Shiekah blickte überrascht.
In deinem Kopf? Das ist nicht gut. Denke immer daran, das du deinem Schicksal nicht entgehen kannst, Junge.
Heißt das, du weißt, was es mit dieser Stimme auf sich hat?
Ich habe dir schon zu viel gesagt. Den Rest musst du alleine herausfinden. Sei dir sicher, dass wir uns schon bald wiedersehen werden.
Mit diesen Worten verschwand er wieder, so schnell wie er gekommen war.
Cruentus wusste jetzt, was er zu tun hatte. Der Tempelschänder würde warten müssen. Eines seiner Shiekahgefühle sagte ihm, dass er seinem Schicksal nun in der Steppe gegenübertreten musste.
Cruentus' Lungen brannten. Die anderen hatten sicher schon sein Verschwinden bemerkt. Immer schneller rannte er den Pass hinauf, doch nirgendwo konnte er sie entdecken. Er fragte sich, ob Kiro ihn wieder begleiten würde. Oder würde er wieder allein sein? Er musste über die Bedeutung dieses Wortes nachdenken. Obwohl er Jahre lang allein gewesen war, schreckte es ihn dennoch jetzt ab. Erneut musste er an den seltsamen Shiekah denken. Wer war er und warum wusste er soviel über Cruentus' Leben? Was ihn allerdings am meisten verwirrte, war das Rabensymbol auf seinem Hemd. Was hatte er mit der Familie Corvus zu tun? War er vielleicht ein Verwandter von Cruentus? Das schien ihm sehr unwahrscheinlich. Er hatte nie einen Onkel oder etwas ähnliches gehabt. Und was hatte es mit der Stimme in seinem Kopf auf sich? Er merkte, dass mit jedem Rätsel, das er löste, weitere folgten. Vielleicht würde er eines Tages die Zeit finden, sich genauer mit all diesen Dingen auseinanderzusetzen. Jetzt war sein primäres Ziel erst einmal das Erreichen der Steppe.
Warum eigentlich? Warum beachtete er überhaupt, was ihm ein wildfremder Mensch riet. Er wusste es nicht. Tief in seinem Herzen spürte er nunmal, dass es das Richtige war.
Endlich entdeckte er seine Freunde am Horizont. So laut er konnte, rief er ihnen zu. Als sie ihn bemerkten, schienen sie sehr erfreut. Sie hatten angenommen, er wäre den Abhang hinuntergestürzt und hätte sich das Genick gebrochen. Doch sie waren überrascht über das, was Cruentus ihnen sagte:
Ich bedaure zutiefst, dass ich euch nicht weiter begleiten werde. Ich habe erkannt, dass mich mein Schicksal nun den Pass hinab in die hylianische Steppe führt. Wer will, kann mich begleiten. Aber es steht euch frei, nach Goronia zu gehen. Ich denke nicht, dass ihr dort in Gefahr seid. Die Goronen sind sehr stark und sehr viele. Sie werden euch zu beschützen wissen, falls dieses Wesen tatsächlich auftauchen sollte. Geht ihr aber mit mir entscheidet ihr euch für das Leben eines Vogelfreien. Wer mich kennt oder sogar in meiner Gesellschaft reist, ist in Gefahr. Das sollte euch klar sein. Und ich möchte euch nicht zu so einem Leben zwingen. Ich denke, Raikyu ist zu alt für so ein Leben und Noya noch zu jung. Kiro allerdings steht es frei, sich zu entscheiden. Begleite mich oder bleibe hier. Du hast die Wahl.
Geändert von König Elessar (23.05.2005 um 15:36 Uhr)
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